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Regeste
Sachverhalt
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Die Beschwerdeführerin bestreitet, dass es sich bei den P ...
2. Nach Art. 1 Abs. 1 URG stehen unter dem Schutz dieses Gesetzes ...
3. Bei den Puppen, welche die Beschwerdeführerin nachgemacht ...
4. Die Vorinstanz hat die Beschwerdeführerin ausser wegen Ve ...
5. Soweit die Beschwerdeführerin das Urteil des Obergerichts ...
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32. Urteil des Kassationshofes vom 12. November 1984 i.S. W. gegen E. (Nichtigkeitsbeschwerde)
 
 
Regeste
 
Art. 42 Ziff. 1 lit. a und b URG, Art. 13 lit. d UWG (handwerkliche Erzeugnisse; "Harlekin"-Puppen)
 
2. Regelmässig sind spezialrechtlich (z.B. urheberrechtlich) nicht geschützte Arbeitsergebnisse wettbewerbsrechtlich ebenfalls nicht schützbar; anders ist es nur, wenn die ästhetische Form Kennzeichnungskraft besitzt. Bei Erzeugnissen, die keinem Gebrauchszweck dienen und deren Wert der Verkehr ausschliesslich nach ihrem ästhetischen Gehalt bemisst (z.B. bei Zierpuppen), dient indessen die ästhetische Gestaltungsform nicht als Zutat zur Kennzeichnung.
 
 
Sachverhalt
 
BGE 110 IV 102 (103)A.- Frau E. stellt seit 1979 ein Sortiment von 19 verschiedenen Zierpuppen her. Auch wenn diese sich mehr oder weniger voneinander unterscheiden, ist doch eine klare Linie innerhalb des Programms zu erkennen. Alle Puppen sind - wie auch deren Kleider - handgefertigt, sie sind einzeln bemalt, zwischen 25 und 80 cm lang und bis zu 3 kg schwer. Der Kopf besteht aus einer Kunstharzmasse gemischt mit Holzteilen, die Haare sind aus Lammfell. Der Leib wird mit Kunstharzgranulat gefüllt, die Aussenhülle ist aus Stoff.
An der Einkaufsmesse "Ornaris", die vom 15. bis 19. August 1981 in Bern stattfand, stellte Frau W. unter dem Namen "Harlekin" ähnliche Puppen aus. Überdies erteilte sie in jenem Jahr an der Volkshochschule in Zug Unterricht im Basteln von Puppen, die ebenfalls denjenigen von Frau E. glichen.
B.- Am 20. Dezember 1983 sprach das Obergericht des Kantons Bern Frau W. der Widerhandlung gegen das URG und das UWG schuldig, "beides fortgesetzt begangen im Jahre 1981 bis zum 19. November 1981 in Zug und Bern zum Nachteil der Frau E.", und verurteilte sie zu einer vorzeitig löschbaren Busse von Fr. 600.-- und "dem Grundsatze nach zu vollem Ersatz" des der Privatklägerin entstandenen Schadens. Zur Festsetzung der Höhe desselben wurden die Parteien auf den Zivilweg verwiesen.
C.- Frau W. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts und "die damit verbundene Verfügung sei im Straf- und Zivilpunkt aufzuheben".
 
1. Die Beschwerdeführerin bestreitet, dass es sich bei den Puppen der Frau E. um Werke der angewandten Kunst im Sinne des Art. 1 URG handelt. In scheinbarer Übereinstimmung mit der bisherigen bundesgerichtlichen Praxis werde im angefochtenen Urteil erklärt, die Puppen seien Ausdruck einer neuen, originellen geistigen Idee. Damit verkenne die Vorinstanz aber den wirklichen Gehalt des Art. 1 URG und wende die bundesgerichtliche Rechtsprechung (BGE 106 II 73) falsch an. Die Puppen der Beschwerdegegnerin als Ausdruck einer solchen Idee zu betrachten,BGE 110 IV 102 (103) BGE 110 IV 102 (104)entbehre jeder Grundlage, da der Markt seit Jahren mit solchen Puppen überschwemmt sei, deren charakteristische Züge durch vorbekannte, den Erwartungen der Abnehmer entsprechende Merkmale (trauriger Gesichtsausdruck, clownartige Bekleidung, Rüschenkragen, Wuschelhaar usw.) geprägt seien. Die Puppen der Beschwerdegegnerin seien nichts anderes als eine Abwandlung von seit Jahren bekannten Puppenformen, weshalb ihnen jegliche Originalität abgehe. Massgebend sei nämlich der Gesamteindruck, den die Puppen beim Betrachter hinterliessen. Dieser werde vorwiegend durch Bemalung und Ausstattung derselben erzielt. Dieser Gesamteindruck der Puppen der Beschwerdegegnerin müsste im Vergleich zu Puppen anderer Hersteller "entscheidend verändert werden, um in den Genuss urheberrechtlichen Schutzes zu kommen". Der Richter müsse am Werk selber feststellen können, dass es nur von einer bestimmten Person stammen könne. Das treffe hier nicht zu. Im übrigen sei jede der Puppen, also auch die von den Kontrahentinnen selber hergestellten Puppen untereinander, von den andern verschieden. Jede Puppe sei ein Einzelstück. Eine ausgeprägte, mühelos erkennbare Eigenwilligkeit, aufgrund derer man sie als "Puppen von Frau E." erkennen könnte, fehle. Nur bei einem "detaillierten Nebeneinandervergleich, wie ihn der erstinstanzliche Richter mit Akribie vorgenommen habe", fielen Einzelheiten auf, die bei den Puppen der Kontrahentinnen ähnlich seien. Solchen Feinheiten komme jedoch keine Bedeutung zu, weil der Gesamteindruck nicht durch diese gemeinsamen Merkmale, sondern durch andere Eigenheiten (menschliche Form, Bekleidung, Frisur, Gesichtsbemalung) bestimmt werde. Der sozusagen mit dem Millimetermassstab versuchte Nachweis der Identität der Puppen unterstreiche die mangelnde, urheberrechtlich relevante Übereinstimmung im Gesamteindruck. Ausserdem sei darauf hinzuweisen, dass alle im Prozess eingelegten Vergleichspuppen für den Zeitraum vom 19. August 1981 bis 19. November 1981 keine Rolle spielten, weil sie später erhoben bzw. eingereicht worden seien. Auch sei völlig unbekannt, wie die von der Beschwerdeführerin ausgestellte Puppe ausgesehen habe, da sie nie beweismässig erhoben worden sei. Schliesslich sei noch beizufügen, dass ein Werk der angewandten Kunst auch als solches erkennbar sein müsse. Bestünden Zweifel darüber, ob es dieses oder ein blosses gewerbliches Modell sei, sei das letztere anzunehmen (BGE 105 II 300). Da es die Beschwerdegegnerin aber unterlassen habe, ihre Puppen als Modell zu hinterlegen, dürften diese sogar sklavischBGE 110 IV 102 (104) BGE 110 IV 102 (105)nachgeahmt werden. Die Beschwerdeführerin hätte sich deshalb selbst in diesem Fall keiner strafbaren Handlung schuldig gemacht.
2. Nach Art. 1 Abs. 1 URG stehen unter dem Schutz dieses Gesetzes die Werke der Literatur und Kunst, und nach Abs. 2 des genannten Artikels sind darunter u.a. Werke der bildenden Künste, wie Werke der zeichnenden Kunst, der Malerei, der Bildhauerei, der Baukunst, der Holzschneidekunst, des Stiches, der Lithographie und der angewandten Kunst zu verstehen. Damit zählt das Gesetz Beispiele von Werkgattungen auf, ohne indes den Begriff des Kunstwerkes selber zu umschreiben. Immerhin ergibt sich aus den genannten Beispielen, dass es sich bei einem Kunstwerk im Sinne des Gesetzes um ein Geisteswerk handeln muss. Entsprechend hat denn auch die Rechtsprechung des Bundesgerichts es als Ausdruck einer neuen originellen Idee, als eigenartige Geistesschöpfung von selbständigem Gepräge, als Verkörperung eines Gedankens, für die es einer individuellen geistigen Idee bedurfte, bezeichnet (BGE 106 II 73, BGE 101 II 105 E. 2b mit Hinweisen, BGE 77 II 379, BGE 76 II 100, BGE 75 II 363). Die Tatsache, dass das Werk aus dem Geiste des Urhebers stammt, genügt jedoch nicht, um ihm den gesetzlichen Schutz als Kunstwerk zu vermitteln. Schutzwürdiges Kunstwerk ist das Geisteswerk nur, wenn es den Stempel einer originellen und von der Individualität des Urhebers geprägten schöpferischen Tätigkeit trägt (s. BGE 105 II 299; TROLLER, Immaterialgüterrecht, Band I, 3. Aufl., S. 351 f., 363 f.; J. VOYAME, Droit d'auteur, Lausanne, 1975, S. 11). Im Geiste des Urhebers entstandene Schöpfungen, die zwar von ihm nicht Bekanntem entnommen sind, die aber dem Bekannten so nah sind, dass auch ein anderer die gleiche Form schaffen könnte, ermangeln der Originalität und Individualität. Die Individualität des Werkes hängt entsprechend vom Verhältnis der im Geiste des Urhebers geschaffenen zu den aus dem Gemeingut entnommenen Elementen ab (TROLLER, a.a.O., S. 362, 373). Handwerkliche Leistungen, die lediglich bekannte Formen oder Linien verbinden oder abwandeln, erhalten keinen Urheberrechtsschutz (BGE 106 II 73). Anderseits sind der ästhetische Wert und die Bedeutung des Werkes nicht zu berücksichtigten (BGE 75 II 360), und es sind auch an die Originalität keine hohen Anforderungen zu stellen. Insgesamt ist aber doch ein höherer Grad von Individualität oder Originalität und eigenpersönlicher Prägung zu verlangen als beim Muster und Modell (BGE 106 II 73, BGE 100 II 172; s. auch BGE 104 II 329).BGE 110 IV 102 (105)
BGE 110 IV 102 (106)3. Bei den Puppen, welche die Beschwerdeführerin nachgemacht hat, handelt es sich um die Darstellung von sogenannten Harlekins; dass sie anders geartete Puppen der Beschwerdegegnerin kopiert hätte, ergibt sich aus dem angefochtenen Urteil nicht. Es sind somit nur Puppen dieser Art in die Beurteilung einzubeziehen. Bei diesen von der Beschwerdegegnerin hergestellten Puppen handelt es sich um eine verkleinerte Darstellung von menschlichen Gestalten. Entsprechend ist ihre Form im wesentlichen durch das menschliche Aussehen bestimmt, indem sie einen Kopf mit Haupthaar, Stirne, zwei Augen, einen Mund mit Kinn sowie einen Körper mit Armen und Beinen aufweisen. Insoweit sind sie unzweifelhaft Gemeingut und nicht von individueller Originalität. Es kann sich deshalb einzig fragen, und davon ist auch die Vorinstanz ausgegangen, ob die Puppen hinsichtlich der ihnen durch die Bemalung verliehenen Gesichtszüge sowie der Art der Bekleidung insgesamt den Stempel einer neuen, originellen Idee tragen. Die Vorinstanz hat dies mit der knappen Begründung bejaht, man könne den Puppen, wenn man von dem durch Bemalung und Ausstattung geschaffenen Gesamteindruck ausgehe, den Anspruch nicht absprechen, Kunstwerke zu sein; "der leicht traurige Gesichtsausdruck (teilweise mit Tränen)" entstehe dabei erst durch die Bemalung. Damit ist allerdings wenig ausgesagt, und es ist insbesondere zweifelhaft, ob in dem traurigen Gesichtsausdruck schon ein schöpferisches Element liegt, das als von Bekanntem so weit entfernt gelten könnte, dass auch ein anderer die gleiche Form nicht ohne weiteres hätte schaffen können. Der genannte Augenausdruck ist von Zirkusclown-Figuren her längst bekannt und auch bei von Künstlern abgebildeten Harlekins nicht selten anzutreffen (s. z.B. "alter Clown" von Rouault, oder "sitzender Pierrot" von Picasso). Auch der etwas breit gezogene Mund und das in die Stirne hineinreichende Wuschelhaar gehören zur bekannten Darstellung von Clowns, ebenso wie die für Harlekins typische Bekleidung der Puppen. Alle diese Elemente vermögen in ihrer Gesamtheit den Puppen nicht das Gepräge einer eigenartigen Geistesschöpfung zu verleihen, die auf die Individualität der Frau E. als ihres Urhebers hinwiese und sie damit als Werk der bildenden Kunst erscheinen liesse. Auch wenn man mit der Rechtsprechung an die Originalität keine zu hohen Anforderungen stellt, erreichen die Puppen der Beschwerdegegnerin nicht jenen Grad eigenpersönlicher Prägung, die über das hinausginge, was Muster und Modelle charakterisiert (BGE 104 II 329). LetztereBGE 110 IV 102 (106) BGE 110 IV 102 (107)sind auch originell, wenn der Urheber zwar vorbekannte Formen benutzt, sie aber so umgestaltet, dass daraus ein deutlich anderer und einheitlicher ästhetischer Effekt hervorgeht; sie werden diesfalls gerade durch ihre nicht individuelle Originalität von den Werken der angewandten Kunst abgegrenzt (TROLLER, a.a.O., S. 362, 406). Im vorliegenden Fall wäre höchstens ein Schutz nach MMG (SR 232.12) in Betracht gefallen. An dieser Schlussfolgerung ändert auch nichts, dass einerseits die Beschwerdeführerin nach dem angefochtenen Urteil ihre Behauptung, wonach der Markt weltweit mit solchen Puppen überschwemmt sei, nicht zu erbringen vermochte, und anderseits die Puppen der Frau E. nicht Serienprodukte, sondern Einzelanfertigungen sind. Auch wenn man ihnen die Qualität vorzüglicher handwerklicher Leistungen zuerkennen kann, sind sie dennoch nicht Werke der bildenden Kunst im Sinne des URG. Hinsichtlich dieses Schuldspruches ist die Beschwerde schon aus diesem Grund gutzuheissen, ohne dass die weiteren Einwendungen noch geprüft werden müssten.
Nach Rechtsprechung und Lehre gilt die Regel, dass spezialrechtlich nicht geschützte Arbeitsergebnisse als solche wettbewerbsrechtlich ebenfalls nicht schützbar sind, mögen sie auch mit Mühe und Kosten errungen worden sein (BGE 104 II 334 mit Verweisungen, s. TROLLER, a.a.O., Band II, 2. Aufl., S. 1143). Nachdem oben in E. 3 festgestellt wurde, dass die Puppen der Beschwerdegegnerin keine urheberrechtlich geschützten Werke bildender Kunst sind, fallen sie grundsätzlich auch nicht in den Schutzbereich von Art. 13 lit. d UWG, denn sonst ergäbe sich auf dem Umweg des UWG ein zeitlich unbeschränkter Monopolschutz, der durch das Spezialgesetz gerade ausgeschlossen werden sollte.
Anders ist es nur, wo die ästhetische Form Kennzeichnungskraft besitzt, wenn das Erzeugnis eine bestimmte Form oder Ausstattung nur deshalb erhalten hat, um es von gleichen oder ähnlichen Erzeugnissen anderen Ursprungs zu unterscheiden (BGE 88 IV 83). Unter dieser Voraussetzung ist die Form nicht ästhetischBGE 110 IV 102 (107) BGE 110 IV 102 (108)bedingt, sondern bloss äussere Zutat zur Kennzeichnung der Ware oder des Werkes und darf daher von anderen Herstellern nicht nachgemacht werden (BGE 104 II 332 E. 5a). Bei Erzeugnissen, die keinem Gebrauchszweck dienen und deren Wert der Verkehr ausschliesslich nach ihrem ästhetischen Gehalt bemisst, dient indessen die ästhetische Gestaltungsform nicht als Zutat zur Kennzeichnung. Vielmehr sind hier Stil und Machart integrierende Bestandteile für die ästhetische Gesamtwirkung der Figur (BGHZ 5 S. 6; VON BÜREN, Kommentar zum Wettbewerbsgesetz, Zürich 1957, N. 23 und 24 zu Art. 1 Abs. 2 lit. d UWG) und nicht durch Art. 13 lit. d UWG geschützte, jene kennzeichnende Ausstattung. Tatsächlich könnte denn auch bei den hier in Frage stehenden Puppen die ästhetische Form (Bemalung usw.) nicht weggelassen werden, ohne damit dem Erzeugnis, das ja nicht einem Gebrauchszweck (z.B. als Spielzeug), sondern als Ziergegenstand dient, diese wesentliche Eigenschaft zu nehmen. Das angefochtene Urteil ist deshalb auch in diesem Punkt aufzuheben.