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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
3. a) Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, der Richter ...
4. Der Beschwerdeführer macht schliesslich geltend, die Vori ...
Bearbeitung, zuletzt am 12.07.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
20. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 23. Juni 1989 i.S. K. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau (Nichtigkeitsbeschwerde)
 
 
Regeste
 
Art. 13 Abs. 1, 44 Ziff. 1 und 6, 43 Ziff. 2 Abs. 2 StGB.
 
 
Sachverhalt
 
BGE 115 IV 90 (90)A.- Die Kriminalkammer des Kantons Thurgau verurteilte K. am 16. Januar 1989 wegen verschiedener Delikte (wiederholteBGE 115 IV 90 (90) BGE 115 IV 90 (91)Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz, Hehlerei, Nichtbezahlung des Militärpflichtersatzes), begangen im Rückfall und im Zustand leicht verminderter Zurechnungsfähigkeit, zu einer Gefängnisstrafe von 12 Monaten, unter Verweigerung des bedingten Strafvollzuges.
B.- Mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde beantragt der Verurteilte Aufhebung des Urteils und Rückweisung der Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz.
C.- Die Kriminalkammer und die Staatsanwaltschaft beantragen Abweisung der Beschwerde.
 
b) Die Vorinstanz hat den entsprechenden Antrag des Beschwerdeführers abgewiesen. Sie räumt zwar einen Zusammenhang zwischen den Straftaten und seiner Drogenabhängigkeit ein, schliesst jedoch aus den Akten, dass er nunmehr drogenfrei sei. Aus dem Bericht des sozialpsychiatrischen Dienstes ergebe sich im übrigen, dass die im November 1988 begonnene psychotherapeutische Behandlung nicht im Zusammenhang mit der vergangenen Drogenproblematik des Beschwerdeführers stehe, sondern rein prophylaktischer Natur sei. Mangels Hinweis auf eine noch bestehende Drogensucht sei deshalb die Anordnung einer Massnahme gemäss Art. 44 StGB abzulehnen. Sie fügt hinzu, selbst bei Anordnung einer ambulanten Behandlung komme ein AufschubBGE 115 IV 90 (91) BGE 115 IV 90 (92)des Strafvollzuges nicht in Betracht, insbesondere im Hinblick auf die beim Beschwerdeführer gegebene Rückfallgefahr.
c) Art. 13 Abs. 1 StGB schreibt eine Untersuchung des Beschuldigten vor, wenn zum Entscheid über die Anordnung einer sichernden Massnahme Erhebungen über dessen körperlichen oder geistigen Zustand nötig sind (siehe auch Art. 44 Ziff. 1 Abs. 2 StGB). Die hier zur Diskussion stehende Massnahme setzt unter anderem voraus, dass der Täter drogensüchtig ist und die von ihm begangene Tat damit im Zusammenhang steht. Ferner muss die Massnahme notwendig und geeignet sein, die Gefahr künftiger Verbrechen oder Vergehen zu verhüten (Art. 44 Ziff. 1 Abs. 1 i.V.m. Ziff. 6 StGB).
Die Vorinstanz anerkennt den Zusammenhang zwischen den Straftaten des Beschwerdeführers und seiner Drogenabhängigkeit. Offenbar will sie aus ihrer Annahme, dass er heute drogenfrei sei, schliessen, eine Massnahmebedürftigkeit sei heute nicht mehr gegeben.
Zu Recht macht der Beschwerdeführer geltend, diese Argumentation greife zu kurz. Wie bereits in BGE 102 IV 76 festgestellt wurde, darf aus dem Fehlen einer körperlichen Drogenabhängigkeit nichts gegen die Notwendigkeit einer Massnahme geschlossen werden. Es ist in der Tat häufig so, dass zum Zeitpunkt der Urteilsfällung ein Beschuldigter "sauber" ist, ohne dass im Hinblick auf die im Zusammenhang mit der Drogenabhängigkeit häufig auftretenden schwerwiegenden Persönlichkeitsveränderungen (vgl. BGE 102 IV 76 oben) die Gefahr des Rückfalls als gebannt betrachtet werden kann. Dazu wird sich in der Regel nur ein Gutachter aussprechen können, da sich die Frage der psychischen Abhängigkeit und der Therapiebedürftigkeit vom Richter ohne Beizug eines Sachverständigen meist nicht beantworten lässt. Der Hinweis auf das Schreiben des sozialpsychiatrischen Dienstes der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich vom 10. Januar 1989 genügt den Anforderungen an eine gutachtliche Äusserung, wie sie sich aus Art. 13 StGB ergeben, nicht. Dieses Schreiben, adressiert an den damaligen Verteidiger des Beschwerdeführers und offenbar auf dessen Verlangen erstattet, informiert nur darüber, dass die psychotherapeutische Behandlung auf Wunsch des Beschwerdeführers, offenbar im November 1988 begonnen wurde; das Motiv für die Behandlung nicht in seiner vergangenen Drogenproblematik und in der kommenden Gerichtsverhandlung liege; die Therapie indiziert und erfolgversprechend sein dürfte; für einen psychotherapeutischenBGE 115 IV 90 (92) BGE 115 IV 90 (93)Prozess allerdings ein längerer Zeitraum vorgesehen werden müsse; der Beschwerdeführer um die Gefahr wisse, bei schweren Problemen in den Drogenkonsum abzugleiten, und dass er zum Schutz vor einem Rückfall in den Opiatkonsum um regelmässige Urinprobenkontrolle bezüglich Heroinkonsum gebeten habe. Eine einlässliche Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Voraussetzungen von Art. 44 Ziff. 1 i.V.m. Ziff. 6 StGB gegeben sind, findet in diesem Schreiben offensichtlich nicht statt. Immerhin ergibt sich, dass die Gefahr eines Rückfalls in den Opiatkonsum beim Beschwerdeführer nach wie vor besteht, andernfalls die erwähnten Urinprobenkontrollen nicht notwendig wären. Die Vorinstanz konnte deshalb nicht unter Rückgriff auf dieses Schreiben die Voraussetzungen von Massnahmen gemäss Art. 44 StGB von vornherein verneinen, sondern hätte im Gegenteil gestützt darauf Veranlassung gehabt, die Frage der Massnahmebedürftigkeit vertieft durch einen Gutachter abklären zu lassen. Dies drängt sich um so mehr auf, als ohnehin ein Gutachten zur Frage des Ausmasses der Verminderung der Zurechnungsfähigkeit einzuholen ist (hier nicht publizierte E. 2).
d) Das angefochtene Urteil ist auch in sich widersprüchlich, wenn einerseits die Voraussetzungen einer Massnahme gemäss Art. 44 StGB abgelehnt werden, andererseits unter Hinweis auf eine Rückfallgefahr des Beschwerdeführers die Möglichkeit einer ambulanten Massnahme verneint wird. Da sich eine Rückfallgefahr vorliegend nur aus einer allfälligen Drogenabhängigkeit des Beschwerdeführers erklären liesse, ist der Widerspruch im angefochtenen Entscheid offensichtlich. Zu Unrecht beruft sich die Vorinstanz im übrigen auf BGE 100 IV 12, da jener Entscheidung ein anderes Problem zugrunde lag. Die kantonale Instanz hatte angeordnet, dass im Strafvollzug einer Zuchthausstrafe von 6 1/2 Jahren so lange, als ärztlich geboten, eine psychotherapeutische Behandlung durchgeführt werde; eine von der Staatsanwaltschaft gegen diese Massnahme erhobene Nichtigkeitsbeschwerde wurde abgewiesen. Massgebend ist vielmehr BGE 105 IV 87, wonach der Strafaufschub gemäss Art. 43 Ziff. 2 Abs. 2 StGB angezeigt ist, wenn die wirklich vorhandene Aussicht auf eine erfolgreiche Behandlung durch den sofortigen Vollzug der Freiheitsstrafe erheblich beeinträchtigt würde. Wo eine Behandlung bereits im Gang ist, kommt es auf die Aussicht erfolgreicher Weiterführung derselben an (BGE 115 IV 88). Unzutreffend ist im übrigen die pauschale Bezugnahme auf die Dissertation vonBGE 115 IV 90 (93) BGE 115 IV 90 (94)URSULA FRAUENFELDER, Die ambulante Behandlung geistig Abnormer und Süchtiger als strafrechtliche Massnahme nach Art. 43 und 44 StGB (Zürich 1978). Diese Autorin gibt (S. 50 und S. 134) eine wesentlich differenziertere Aussage zur Frage der Gefährlichkeit und im Zusammenhang damit, ob im Hinblick auf Rückfallgefahr eine ambulante Massnahme anstelle eines Straf- oder Massnahmevollzuges verweigert werden darf. Im übrigen dürfte die konkrete Gefahr, die vom Beschwerdeführer ausgehen könnte, schon deshalb nicht ins Gewicht fallen, weil er nach 17 Tagen Untersuchungshaft auf freien Fuss gesetzt wurde, sich offenbar seit längerer Zeit auf freiem Fuss befindet und seither anscheinend nicht straffällig geworden ist. Der pauschale Vorwurf der Uneinsichtigkeit, den die Vorinstanz erhebt, ist ebenfalls schwer verständlich im Lichte des von ihr selbst attestierten ernsthaften Bemühens, einen Rückfall in den Drogenkonsum abzuwenden. In BGE 100 IV 14 E. 2a wurde klargestellt, dass der Gesetzgeber mit Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB lediglich verhindern wollte, dass der gefährliche Abnorme in Freiheit bleibt. Nach dem Gesagten kann der Beschwerdeführer kaum als gefährlich bezeichnet werden, um so weniger als er in einer Behandlung steht, die eine allenfalls noch bestehende Gefahr zusätzlich reduziert, welcher Gesichtspunkt bei der Gefährlichkeitsbeurteilung zu berücksichtigen ist (STRATENWERTH, Das Schweizerische Strafrecht, Allg. Teil II, Bern 1989, S. 396).
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich die Vorinstanz eingehend, insbesondere durch Einholung eines Gutachtens, mit der Frage der Massnahmebedürftigkeit des Beschwerdeführers wird auseinandersetzen müssen; insbesondere wird sie sorgfältig zu prüfen haben, ob eine ambulante Massnahme den Aufschub des Strafvollzuges rechtfertigt.
Bei der Überprüfung der günstigen Prognose im Sinne von Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 StGB hat der Richter sämtliche Umstände zu berücksichtigen (BGE 101 IV 329) und insbesondere in die Abklärung auch die Wirkung allfällig stützender Massnahmen wie Schutzaufsicht oder Therapie einzubeziehen (BGE 99 IV 69). Hat die Vorinstanz ohnehin die Situation des Beschwerdeführers noch gutachtlich abzuklären, wird sie im Rahmen ihrer neuen Entscheidung auch auf die Frage eingehen müssen, ob ihm unter BerücksichtigungBGE 115 IV 90 (94) BGE 115 IV 90 (95)aller, auch der für die Gewährung des bedingten Strafvollzuges sprechenden Umstände, im Hinblick auf die laufende Therapie der bedingte Strafvollzug gewährt werden kann. Die Vorinstanz wird sich überdies nicht mit dem pauschalen Hinweis begnügen können, der Beschwerdeführer werde immer wieder straffällig, was auf seine Labilität schliessen lasse; vielmehr wird sie sich damit auseinandersetzen müssen, ob aus dem offenbar nun seit längerer Zeit bestehenden Wohlverhalten und der auf seine Veranlassung begonnenen Therapie (deren Erfolgsaussichten nach dem Schreiben des sozialpsychiatrischen Dienstes allerdings einen längeren Zeitraum erfordern) nicht umgekehrt auf eine Stabilität geschlossen werden kann, die eine günstige Prognose rechtfertigt.BGE 115 IV 90 (95)