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Regeste
Aus den Erwägungen:
2. Nach Art. 42 MPG wird der Ersatzpflichtige, der die Ersatzabga ...
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86. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 22. November 1991 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn gegen W. (Nichtigkeitsbeschwerde)
 
 
Regeste
 
Schuldhafte Nichtbezahlung des Militärpflichtersatzes (Art. 42 MPG).
 
 
BGE 117 IV 493 (493)Aus den Erwägungen:
 
BGE 117 IV 493 (493)
BGE 117 IV 493 (494)a) aa) Gemäss den Ausführungen im angefochtenen Urteil ist zwar der objektive Tatbestand von Art. 42 MPG erfüllt, doch handelte der Beschwerdegegner nicht schuldhaft im Sinne dieser Bestimmung. Die Vorinstanz hält dazu unter Hinweis auf ihre Rechtsprechung (SOG 1988 Nr. 18) fest, dass schuldhaft derjenige handle, dem mehr als das betreibungsrechtliche Existenzminimum zur Verfügung stehe und der den Militärpflichtersatz trotzdem nicht bezahlt; schuldhaft handle ausserdem der Abgabepflichtige, der nur aus Liederlichkeit oder aus Arbeitsscheu nicht das Einkommen erziele, das ihm die Zahlung des Militärpflichtersatzes ermöglichen würde. Die Vorinstanz führt aus, dem Beschwerdegegner könne weder Arbeitsscheu noch Liederlichkeit vorgeworfen werden. Da sein das betreibungsrechtliche Existenzminimum von Fr. 2'680.-- übersteigendes Einkommen im Betrag von Fr. 320.-- im ihres Erachtens massgebenden Zeitraum der Lohnpfändung unterlag, habe der Beschwerdegegner die Zahlung der Militärpflichtersatzabgabe nicht schuldhaft unterlassen.
bb) Die Staatsanwaltschaft macht in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde demgegenüber geltend, dass das betreibungsrechtliche Existenzminimum zwar ein praktikables Kriterium zur Beurteilung der Schuldhaftigkeit darstelle, aber keinesfalls absolute Geltung haben könne. Sie führt zur Begründung unter Berufung auf BGE 85 IV 241 unter anderem aus, dass mit der Auferlegung der Militärpflichtersatzabgabe die durch die Befreiung von der Militärdienstpflicht geschaffene Ungleichheit ausgeglichen werden soll; die Ersatzabgabe werde denn auch, soweit es sich nicht um die Einkommens-, sondern um die Personaltaxe handle, unter Vorbehalt der gesetzlichen Befreiungsgründe von jedem Ersatzpflichtigen erhoben und als feste Abgabe selbst dann geschuldet, wenn die Einkünfte des Ersatzpflichtigen unter dem betreibungsrechtlichen Existenzminimum liegen. Daher sei der Richter verpflichtet, in subjektiver Hinsicht zu prüfen, ob ein Eingriff in das betreibungsrechtliche Existenzminimum zugunsten des Militärpflichtersatzes unter den Umständen des konkreten Einzelfalles zumutbar gewesen wäre. Diese Pflicht obliege dem Richter insbesondere dort, wo der Ersatzabgabepflichtige zur Anschaffung von Gegenständen, die nicht zum notwendigen Lebensunterhalt gehören, freiwillig unter dem Existenzminimum lebe. Die Beschwerdeführerin macht in diesem Zusammenhang geltend, das Obergericht habe aufgrund seiner ihres Erachtens bundesrechtswidrigen Rechtsprechung unberücksichtigt gelassen, dass der BeschwerdegegnerBGE 117 IV 493 (494) BGE 117 IV 493 (495)gemäss dem Leumundsbericht für einen Mittelklassewagen monatlich Fr. 897.-- leiste, aber den Militärpflichtersatz von Fr. 630.-- schuldig blieb.
b) Aus den Zielen des MPG und der Natur der Ersatzabgabe, wie sie in BGE 85 IV 241 unter Hinweis auf die Ausführungen in der bundesrätlichen Botschaft (BBl 1958 II 333ff., 339 ff., 358 f., 369 ff.) umschrieben werden, ergibt sich, dass selbst in Fällen, in denen dem Abgabepflichtigen weder Arbeitsscheu noch Liederlichkeit vorzuwerfen ist, die Schuldhaftigkeit im Sinne von Art. 42 MPG unter Umständen auch dann gegeben sein kann, wenn die verfügbaren Einkünfte des Abgabepflichtigen unter dessen betreibungsrechtlichem Existenzminimum (Art. 93 SchKG) liegen. Darauf kann also nicht allein abgestellt werden (vgl. auch E. KLAUS, Existenzminimum in Steuer, Betreibung, Militärpflichtersatz, SJZ 36/1935, S. 328 ff., 332 f., 355 ff.), und zwar auch dann nicht, wenn in der ganzen Schweiz die gleichen Richtlinien für die Berechnung des betreibungsrechtlichen Notbedarfs gelten würden. Die Festlegung eines betreibungsrechtlichen Existenzminimums, das unter anderem pauschale Grundbeträge enthält (vgl. etwa die Richtlinien in ZBJV 126/1990, S. 481 ff.), hat im Betreibungsrecht einen guten Sinn; die zuständigen Behörden können ohne allzu grossen Aufwand bestimmen, welcher Geldbetrag jedenfalls nicht der Lohnpfändung unterworfen werden kann. Das betreibungsrechtliche Existenzminimum mit den darin enthaltenen Grundbeträgen kann indessen im Einzelfall höher sein als der Betrag, den jemand zur Finanzierung seines und seiner Familie notwendigen Lebensunterhalts tatsächlich benötigt (vgl. auch E. KLAUS, op.cit., S. 332/333). Für die Beantwortung der Frage, ob die Nichtbezahlung der Ersatzabgabe schuldhaft im Sinne von Art. 42 MPG sei, sind daher allein die konkreten Umstände des Einzelfalles entscheidend. Insoweit ist BGE 85 IV 241 zu bestätigen. Dass eine Fortsetzung der Betreibung für die ausstehende Ersatzabgabe durch Lohnpfändung nicht möglich ist, wenn die Einkünfte des Pflichtigen dessen betreibungsrechtliches Existenzminimum nicht übersteigen, schliesst eine Bestrafung gemäss Art. 42 MPG nicht aus. Betreibung und Strafe sind voneinander völlig unabhängig (siehe BGE 116 IV 390 E. 2f).
An BGE 85 IV 241 kann aber nicht festgehalten werden, soweit darin ausgeführt wird, dass der Ersatzpflichtige notfalls "devra s'acquitter en entamant un salaire inférieur au montant strictement indispensable" (S. 243). Unmögliches kann vom Pflichtigen nichtBGE 117 IV 493 (495) BGE 117 IV 493 (496)verlangt werden (vgl. BGE 116 IV 389 E. 2e). Wie das Solothurner Obergericht in einem Urteil vom 27. Juni 1962 unter Hinweis auf ein Kreisschreiben der Eidgenössischen Steuerverwaltung an die Militärpflichtersatzbehörden der Kantone vom 16. Februar 1951 (betreffend die Strafverfolgung wegen schuldhafter Nichtbezahlung des Militärpflichtersatzes durch inländische Ersatzpflichtige) zutreffend festhielt, hat die Bestreitung der unentbehrlichen Kosten der Lebenshaltung Vorrang vor der Zahlung der Ersatzabgabe.
Der Richter kann somit die Schuldhaftigkeit im Sinne von Art. 42 MPG nicht einfach mit der Begründung verneinen, dass die verfügbaren Einkünfte des Pflichtigen im relevanten Zeitraum das betreibungsrechtliche Existenzminimum nicht überstiegen. Der Richter hat vielmehr im konkreten Einzelfall zu prüfen, wofür der Ersatzabgabepflichtige seine das betreibungsrechtliche Existenzminimum nicht übersteigenden Einkünfte tatsächlich verwendet hat. Stellt sich heraus, dass der Pflichtige damit teilweise Gegenstände etc. finanzierte, die nicht zum unentbehrlichen Lebensunterhalt gehören, dass der Pflichtige den dem betreibungsrechtlichen Existenzminimum entsprechenden Betrag also nicht ausschliesslich für seinen und seiner Familie notwendigen Lebensunterhalt benötigte, dann ist die Nichtbezahlung der Ersatzabgabe im entsprechenden Umfang schuldhaft. Massgebend ist nicht das betreibungsrechtliche Existenzminimum, sondern die tatsächliche Verwendung der verfügbaren Einkünfte im relevanten Zeitraum.
c) Der Kassationshof hat im bereits zitierten BGE 85 IV 241 unter Hinweis auf ein nicht publiziertes Urteil vom 21. (richtig: 26.) Januar 1945 i.S. Hotz zum damals geltenden Art. 1 des Bundesgesetzes über den Militärpflichtersatz vom 28. Juni 1878 in der Fassung vom 29. März 1901 erkannt, für die Beantwortung der Frage, ob den Pflichtigen ein Verschulden treffe, komme es nicht allein auf dessen finanzielle Situation am letzten Tag der Frist an, sondern sei vielmehr dessen insoweit relevantes Verhalten "en tout cas depuis la réception de la première sommation" massgebend (S. 243/244). Die Vorinstanz hat unter Hinweis auf diese Erwägung die Zeit von der Zustellung der Mahnung an den Beschwerdegegner bis zum Ablauf der 15tägigen Nachfrist seit Zustellung der Verwarnung als strafrechtlich relevante Zeit erachtet. Während dieses Zeitraums konnte der Beschwerdegegner über den das betreibungsrechtliche Existenzminimum übersteigenden LohnanteilBGE 117 IV 493 (496) BGE 117 IV 493 (497)von Fr. 320.-- nicht verfügen, da dieser Betrag der Lohnpfändung unterworfen war.
Der Zeitraum, in dem das die finanzielle Situation beeinflussende Verhalten eines Abgabepflichtigen für die Frage der Schuldhaftigkeit im Sinne von Art. 42 MPG relevant ist, beginnt indessen nicht immer und notwendigerweise erst mit dem Empfang der ersten Mahnung. Der Empfang der ersten Mahnung ist nur insoweit von Bedeutung, als der Betroffene "en tout cas", "jedenfalls" (vgl. Pra 49/1960 Nr. 63) von diesem Moment an Kenntnis von seiner Zahlungspflicht hat. Diese Kenntnis um die Zahlungspflicht ist aber entscheidend, und mit ihr beginnt der relevante Zeitraum. Sobald jemand weiss, dass er zur Zahlung einer Ersatzabgabe verpflichtet ist, hat er das Nötige vorzukehren, um rechtzeitig, d.h. spätestens innert der Nachfrist von 15 Tagen seit der Verwarnung, zahlen zu können (BGE 85 IV 243 E. 2). Oft weiss der Betroffene schon lange vor dem Empfang der ersten Mahnung, dass er zur Zahlung einer bestimmten Ersatzabgabe verpflichtet ist (siehe auch E. KLAUS, op.cit., S. 356). Wer in Kenntnis seiner Zahlungspflicht beispielsweise Gegenstände anschafft, die nicht zum notwendigen Lebensunterhalt gehören, und dadurch bewirkt, dass er in der Zeit vom Empfang der Mahnung bis zum Ablauf der Nachfrist seit der Verwarnung die Ersatzabgabe nicht zahlen kann, weil er in dieser Phase nur noch über die zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhalts erforderlichen Mittel verfügt, handelt schuldhaft im Sinne von Art. 42 MPG.
d) Zusammenfassend lässt sich somit die Schuldhaftigkeit im Sinne von Art. 42 MPG nicht mit der Begründung verneinen, dass die verfügbaren Einkünfte des Abgabepflichtigen vom Empfang der ersten Mahnung an das betreibungsrechtliche Existenzminimum nicht überstiegen. Massgebend ist vielmehr, wie der Pflichtige vom Zeitpunkt an, als er Kenntnis von seiner Abgabepflicht hatte, bis zum Ablauf der Nachfrist seine verfügbaren Einkünfte tatsächlich verwendet hat. ...BGE 117 IV 493 (497)