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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
2. Die kantonalen Gerichte haben den Angeklagten vom Vorwurf der  ...
3. Verwendet der Täter für einen Betrug gefälschte ...
4. Zusammenfassend ergibt sich, dass das angefochtene Urteil vor  ...
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7. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft gegen X. (Nichtigkeitsbeschwerde)
 
 
6S.236/2002 vom 3. Dezember 2002
 
 
Regeste
 
Art. 146 StGB (Betrug), Art. 251 StGB (Urkundenfälschung); Art. 68 StGB (Gesetzeskonkurrenz).
 
 
Sachverhalt
 
BGE 129 IV 53 (54)A.- Mit Urteil vom 14. November 2001 sprach das Strafgericht Basel-Landschaft X. des mehrfachen (teilweise geringfügigen und teilweise versuchten) Diebstahls, des mehrfachen (teilweise versuchten) Betruges, der mehrfachen Tätlichkeit, der Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz, der Widerhandlung gegen das Waffengesetz, der mehrfachen (einfachen bzw. groben) Verletzung von Verkehrsregeln, des mehrfachen (teilweise versuchten) Führens eines Motorfahrzeuges trotz Entzugs des Führerausweises und der versuchten Entwendung eines Motorfahrzeuges zum Gebrauch schuldig, und es verurteilte den Angeklagten zu einer Gefängnisstrafe von sieben Monaten und einer Busse von Fr. 1'000.-. Vom Vorwurf der mehrfachen Urkundenfälschung wurde er freigesprochen.
B.- Gegen das Strafurteil erklärte die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft die Appellation. Diese richtete sich gegen den erfolgten Freispruch von der Anklage der mehrfachen Urkundenfälschung und gegen die Qualifikation des betreffenden Anklagesachverhaltes als mehrfache Tätlichkeit (anstatt einfache Körperverletzung). Mit Urteil vom 9. April 2002 bestätigte das Kantonsgericht Basel-Landschaft (Abteilung Zivil- und Strafrecht) das erstinstanzliche Urteil. Insbesondere sprach es den Angeklagten vom Vorwurf der mehrfachen Urkundenfälschung frei.
C.- Dagegen gelangte die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde vom 13. Juni 2002 an das Bundesgericht. Sie beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache sei zur zusätzlichen Verurteilung des Angeklagten wegen mehrfacher Urkundenfälschung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Kantonsgericht und X. beantragen je die Abweisung der Beschwerde. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
 
2.3 In den Urteilen der kantonalen Instanzen wird - mit Recht - nicht die Ansicht vertreten, die Tatbestandselemente der Urkundenfälschung seien nicht erfüllt oder es lägen Rechtfertigungs- oder Schuldausschliessungsgründe vor. Vielmehr wird argumentiert, der Betrugstatbestand decke den Unrechtsgehalt der Urkundenfälschung bereits ab, da die Urkundenfälschung lediglich der arglistigen Täuschung zum Zwecke des Betruges gedient habe. Die Vorinstanz vertritt die Auffassung, "das durch die Urkundenfälschung bzw. durch den Betrug geschädigte Rechtsgut" sei "im WesentlichenBGE 129 IV 53 (55) BGE 129 IV 53 (56)dasselbe, nämlich das Vermögen der betroffenen Warenhauskette". Daher wirke die Begründung der Staatsanwaltschaft für die Annahme einer Realkonkurrenz zwischen Art. 251 und Art. 146 StGB nicht überzeugend. Damit wird kein Fehlen der Tatbestandsmässigkeit der Urkundenfälschung begründet, sondern die Annahme so genannter unechter Gesetzeskonkurrenz zwischen Betrug und Urkundenfälschung. Diese führe zur "Konsumtion" der Urkundenfälschung durch den Betrugstatbestand und zum Freispruch vom Vorwurf der Urkundenfälschung als "mitbestrafter Vortat".
Es ist zu prüfen, ob zwischen den Tatbeständen des Betruges und der Urkundenfälschung echte oder unechte Gesetzeskonkurrenz besteht.
In einem obiter dictum von BGE 105 IV 242 E. 3b S. 247 wurde erwogen, dass beim blossen Gebrauch einer von einem Dritten gefälschten Urkunde (im Sinne von Art. 251 Ziff. 1 Abs. 3 StGB) die Frage der Konkurrenz zwischen Betrug und Urkundenfälschung nicht gleich klar geregelt erscheine wie bei einer eigenhändigen Fälschung oder Falschbeurkundung durch den Betrüger. Dennoch sei auch bei dieser Tatbestandsvariante von echter Gesetzeskonkurrenz (hier nämlich "Idealkonkurrenz") auszugehen. Das VorliegenBGE 129 IV 53 (56) BGE 129 IV 53 (57)echter Konkurrenz wird mit der Unterschiedlichkeit der betroffenen Rechtsgüter begründet. Art. 146 StGB schütze das Vermögen, Art. 251 StGB hingegen das Vertrauen in die Gültigkeit von Beweisurkunden (BGE 105 IV 242 E. 3b S. 247 f. mit Hinweisen; vgl. auch BGE 123 IV 61 E. 5a S. 63; zur Konkurrenz zwischen Urkundenfälschung und Steuerdelikten s. BGE 122 IV 25 E. 3 S. 30-32 mit Hinweisen).
Nachfolgend ist zu prüfen, ob sich im Sinne des angefochtenen Urteils eine Änderung der Bundesgerichtspraxis aufdrängt.
Das Bundesgericht stellte sodann fest, dass sowohl Geldfälschung als auch das In-Umlaufsetzen von Falschgeld "sich gegen dasselbe Rechtsgut" richten. Es liess in der Folge die Frage offen, ob "jedenfalls bei objektiv und subjektiv engem Zusammenhang" zwischen der Geldfälschung und dem In-Umlaufsetzen von Falschgeld durch den Fälscher letzteres als "mitbestrafte Nachtat" zu betrachten sei (BGE 119 IV 154 E. 4a/bb und cc S. 161 f.).
3.2 Art. 146 StGB (Betrug) ist im Zweiten Titel (Strafbare Handlungen gegen das Vermögen) im Zweiten Buch (Besondere Bestimmungen) des StGB systematisch eingereiht. Art. 251 StGB (Urkundenfälschung) umschreibt eines von mehreren Urkundendelikten imBGE 129 IV 53 (57) BGE 129 IV 53 (58)weiteren Sinne, welche den Elften Titel (Urkundenfälschung) bilden. Die Urkundendelikte sind zwischen den Verbrechen und Vergehen gegen den öffentlichen Verkehr (Neunter Titel) bzw. der Fälschung von Geld, amtlichen Wertzeichen, amtlichen Zeichen, Mass und Gewicht (Zehnter Titel) und den Verbrechen und Vergehen gegen den öffentlichen Frieden (Zwölfter Titel) eingereiht.
Art. 146 StGB ist ein Erfolgsdelikt, welches das Vermögen schützt. Bei der Urkundenfälschung handelt es sich hingegen um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Geschütztes Rechtsgut von Art. 251 StGB ist das besondere Vertrauen, welches im Rechtsverkehr einer Urkunde als Beweismittel entgegengebracht wird bzw. Treu und Glauben im Geschäftsverkehr (BGE 123 IV 61 E. 5a S. 63; BGE 122 IV 332 E. 2a S. 335; BGE 120 IV 122 E. 4c S. 126; BGE 119 Ia 342 E. 2b S. 346; BGE 105 IV 242 E. 3b S. 247 f.; BGE 92 IV 44 E. 2 S. 45, je mit Hinweisen).
Den Gesetzesmaterialien lassen sich keine Hinweise entnehmen, wonach der Gesetzgeber (in Widerspruch zur bisherigen Bundesgerichtspraxis) beabsichtigt hätte, Urkundendelikte, die in betrügerischer Absicht erfolgen, forthin allein der Strafdrohung von Art. 146 StGB zu unterstellen. Im Gegenteil wird auch in der BotschaftBGE 129 IV 53 (58) BGE 129 IV 53 (59)des Bundesrates zur Revision des Vermögens- und Urkundenstrafrechtes bestätigt, dass zwischen Betrug und Urkundenfälschung grundsätzlich echte Konkurrenz bestehe (vgl. BBl 1991 II 969 ff., S. 1018 f.).
3.4 Dass nach der Konzeption des Gesetzgebers der Unrechtsgehalt von Art. 251 StGB durch die gleichzeitig erfüllten Vermögensstraftatbestände nicht vollständig abgedeckt wird, manifestiert sich sodann an der Tatsache, dass nur Art. 146 Abs. 3 bzw. Art. 147 Abs. 3 StGB als (privilegierende) Antragsdelikte ausgestaltet sind. Art. 251 StGB hingegen kennt das Antragsprivileg von Angehörigen und Familiengenossen nicht. Da Art. 251 StGB auch das besondere Vertrauen der Öffentlichkeit in die Gültigkeit von privaten und öffentlichen Beweisurkunden (bzw. Treu und Glauben im Rechtsverkehr) schützt, ist die Strafbarkeit nach Art. 251 StGB (im Gegensatz zu Art. 146 Abs. 3 und Art. 147 Abs. 3 StGB) der prozessualen Disposition der unmittelbar geschädigten Angehörigen oder Familiengenossen entzogen. Hätte der Gesetzgeber die Urkundenfälschung zum Nachteil von Angehörigen oder Familiengenossen durch Art. 146 Abs. 3 bzw. Art. 147 Abs. 3 StGB abschliessend regeln wollen, wäre sie kons equenterweise in Art. 251 StGB ebenfalls als Antragsdelikt auszugestalten gewesen. Dass dies nicht der Fall ist, zeigt, dass neben den direkt (etwa durch ein Vermögensdelikt) betroffenen Angehörigen oder Familiengenossen auch die übrigen Teilnehmer am Rechts- bzw. Geschäftsverkehr durch Art. 251 StGB geschützt werden sollen. Diese Dritten brauchen (nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes) nicht Opfer eines Vermögensdeliktes zu sein (vgl. BGE 121 IV 90 E. 2b S. 92 f.; BGE 118 IV 254 E. 5 S. 259 f.; BGE 114 IV 126 E. 2c S. 127 in fine, je mit Hinweisen). Es handelt sich bei der Urkundenfälschung wie erwähnt um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, das nicht nur den konkret von einem Vermögensdelikt Betroffenen schützt.
Es entspricht gerade dem Wesen der abstrakten Gefährdungsdelikte, dass nicht zum Vornherein ersichtlich ist, in welcher Weise - d.h. bei welchen Personen und in welchem konkreten Sachzusammenhang - die dem Delikt innewohnende Gefahr sich auswirken kann. Die "abstrakte" Gefahr bzw. das Missbrauchsrisiko wird aber dennoch als derart hoch und schwerwiegend eingeschätzt, dass der Gesetzgeber bereits das gefährdende Verhalten als selbstständig strafbar beurteilt. Dass der ordnungsgemässe Gang des Rechtsverkehrs auch faktisch tangiert wäre, ist daher im Falle der Urkundenfälschung nicht erforderlich. Die Absichten des Fälschers können sich dabei auf einen vom Gesetz nicht näher bestimmten "unrechtmässigen Vorteil" zugunsten des Täters oder eines Dritten richten. Dabei genügt grundsätzlich jede Besserstellung (BGE 121 IV 90 E. 2b S. 92 f.; BGE 119 IV 234 E. 2c S. 236-238; BGE 118 IV 254 E. 5 S. 259 f.; BGE 114 IV 126 E. 2c S. 127 in fine, je mit Hinweisen; s. auch BGE 115 IV 51 E. 7 S. 58). Art. 251 StGB schützt somit eine heterogene Vielzahl von möglicherweise betroffenen Rechtspositionen und Geschäftsverkehrsinteressen, welche im Einzelnen nicht konkretisiert werden müssen und auch regelmässig im Voraus nicht näher konkretisiert werden können (vgl. dazu CORBOZ, a.a.O., Bd. II, N. 179-183 zu Art. 251 StGB; STRATENWERTH, Besonderer Teil II, § 36 Rz. 21-24; ADOLF SCHÖNKE/HORST SCHRÖDER/PETER CRAMER, Strafgesetzbuch, Kommentar, 26. Aufl., München 2001, § 267 N. 1-1a, 87b, 91-92; TRECHSEL, a.a.O., N. 15-16 zu Art. 251 StGB).
3.6 Wie dargelegt, hat der Gesetzgeber die Urkundenfälschung deutlich als abstraktes Gefährdungsdelikt zum Schutze des Rechtsverkehrs konzipiert. Käme er dennoch zur Auffassung, das jeweilige Vermögensdelikt umfasse auch den Unrechtsgehalt der Urkundenfälschung vollständig, sofern diese nach dem Willen des Täters (allein) der Verwirklichung des Vermögensdeliktes diente, dann wäre es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, das Verhältnis zwischen Urkunden- und Vermögensdelikten entsprechend neu und klar zu regeln (vgl. auch BGE 122 I 253 E. 6a S. 263; BGE 119 IV 154 E. 4a/aa in fine S. 161, je mit Hinweisen). Im hier zu beurteilenden Fall ist auch darauf hinzuweisen, dass dem Angeklagten nicht bloss derBGE 129 IV 53 (60) BGE 129 IV 53 (61)täuschende Gebrauch einer unechten oder unwahren Urkunde (Art. 251 Ziff. 1 Abs. 3 StGB) vorgeworfen wird, sondern die eigenhändige Fälschung bzw. Verfälschung von (ursprünglich echten) Urkunden (vgl. BGE 105 IV 242 E. 3b S. 247 f.). Auch die Autoren REHBERG (Strafrecht IV, S. 131 Ziff. 2.3) und STRATENWERTH (Besonderer Teil II, § 36 Rz. 58) bejahen hier (im Einklang mit der herrschenden Lehre und Praxis) die echte Konkurrenz. Darüber hinaus verlangt Art. 251 StGB keine konkrete Vermögensgefährdung oder Vermögensschädigung eines Dritten. Das Anstreben eines (im Gesetz nicht näher bestimmten) "unrechtmässigen Vorteils" genügt.
Im hier zu beurteilenden Fall braucht auch nicht geprüft zu werden, ob sich in Bagatellfällen mit geringem Gefährdungspotential allenfalls eine andere Lösung bzw. eine Praxisänderung aufdrängen könnte. Insbesondere liegt hier kein geringfügiges Vermögensdelikt vor, welches auf Antrag mit Haft oder Busse zu bestrafen wäre (vgl. Art. 172ter StGB).