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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
Erwägung 2
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17. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg gegen X. (Nichtigkeitsbeschwerde)
 
 
6S.253/2006 vom 30. August 2006
 
 
Regeste
 
Sexuelle Nötigung (Art. 189 Abs. 1 StGB), Vergewaltigung (Art. 190 Abs. 1 StGB); Strafzumessung (Art. 63 StGB) bei Nötigung zur Duldung einer beischlafsähnlichen Handlung.
 
 
Sachverhalt
 
BGE 132 IV 120 (120)A. X. (geb. 1970) und A. (geb. 1969) lernten sich im Jahre 1994 kennen. Seit 1996 unterhielten sie regelmässig sexuelle Kontakte. Ende August 2002 fand ein intensiver Mail-Verkehr zwischen ihnen statt, wobei X. vorschlug, verschiedene neue Sexualpraktiken auszuprobieren, in seinen Worten unter anderem "Titten abbinden", "Klammern an Brüste und Fotze", "Faustfick". A. willigte darin ein, ausser in "Faustfick". Sie war auch damit einverstanden, dass X. die sexuellen Handlungen mit einer Webcam aufnahm. Am 3. September 2002 begab sich A. in X.s Wohnung. Sie konsumierte mit ihm zunächst eine grössere Menge alkoholischer Getränke, obschon sie Alkohol generell nicht gut vertrug. In der Folge kam es zu sexuellen Handlungen, die X. mit einer Webcam aufnahm. X. schlug A. auf die Brüste und auf den Hintern, band ihr die Brüste mit einem Seil ab und befestigte Klammern an ihr Geschlechtsorgan. Es kamBGE 132 IV 120 (120) BGE 132 IV 120 (121)auch zum Geschlechtsverkehr. All dem widersetzte sich A. nicht. X. urinierte in ihr Gesicht und forderte hierauf A. auf, ihm "einen zu blasen", worauf A. mit "nein" antwortete. X. zog gleichwohl ihren Kopf zu seinem Penis und drang damit in ihren Mund ein, um sich dergestalt zu befriedigen. Er ejakulierte auf das Gesicht von A. Hierauf begab er sich mit ihr ins Badezimmer, wobei er sie stützen musste, da sie allein nicht dorthin gekommen wäre. Im Badezimmer musste A. sich übergeben. X. wusch sie und brachte sie anschliessend ins Bett. Alle diese Szenen wurden mit der Webcam aufgenommen. X. und A. hatten nach diesem Vorfall weiterhin bis ins Jahr 2004 regelmässig sexuelle Kontakte.
Im Rahmen von polizeilichen Ermittlungen wegen Kinderpornographie wurde festgestellt, dass X. in den Jahren 1998 und 1999 Kunde eines Unternehmens war, welches auf seiner Internetseite unter anderem auch kinderpornographische Aufnahmen anbot. Anlässlich einer Hausdurchsuchung bei X. im Oktober 2002 wurde allerdings keine Kinderpornographie gefunden. Hingegen wurde festgestellt, dass X. auf seinem beschlagnahmten Laptop Bildaufnahmen gespeichert hatte, die sexuelle Handlungen mit Gewalttätigkeiten und mit menschlichen Ausscheidungen zum Inhalt hatten, unter anderem die Bildaufnahmen betreffend die sexuellen Handlungen vom 3. September 2002 mit A. Diese Aufnahmen hatte X. über das Internet auch Drittpersonen zukommen lassen.
B.
B.a Das Strafgericht des Seebezirks sprach X. am 16. Dezember 2004 der sexuellen Nötigung (Art. 189 Abs. 1 StGB), begangen am 3. September 2002 zum Nachteil von A., und der Pornographie (Art. 197 Ziff. 3 und Ziff. 3bis StGB), begangen in der Zeit vom 7. Juli 2002 bis zum 18. Dezember 2002, schuldig und bestrafte ihn mit drei Monaten Gefängnis, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von drei Jahren. In teilweiser Gutheissung der Zivilklage von A. verpflichtete es X., der Zivilklägerin Fr. 1'000.- als Genugtuung zu zahlen.
B.b Die Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg reichte Berufung ein mit den Anträgen, X. sei in Bestätigung der erstinstanzlichen Schuldsprüche zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von 16 Monaten zu verurteilen.
X. beantragte in seiner Stellungnahme die Abweisung der Berufung und die Bestätigung des erstinstanzlichen Entscheids.BGE 132 IV 120 (121)
BGE 132 IV 120 (122)B.c Der Strafappellationshof des Kantonsgerichts Freiburg wies am 7. April 2006 die Berufung ab und bestätigte das erstinstanzliche Urteil.
C. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit den Anträgen, das Urteil des Strafappellationshofes vom 7. April 2006 sei aufzuheben und die Sache zur Neufestsetzung der Strafe an die Vorinstanz zurückzuweisen.
D. X. beantragt, die Nichtigkeitsbeschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
 
 
Erwägung 2
 
Im früheren Sexualstrafrecht war der Begriff der "beischlafsähnlichen Handlung" nur im Tatbestand der Unzucht mit Kindern (Art. 191 aStGB) enthalten. Der Missbrauch eines Kindes unter 16 Jahren "zum Beischlaf oder zu einer ähnlichen Handlung" wurde mit Zuchthaus oder mit Gefängnis nicht unter sechs Monaten bestraft; der Missbrauch eines Kindes unter 16 Jahren zu einer anderen unzüchtigen Handlung wurde mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder mit Gefängnis bestraft. Die übrigen Tatbestände des alten Sexualstrafrechts enthielten den Begriff der "beischlafsähnlichenBGE 132 IV 120 (122) BGE 132 IV 120 (123)Handlung" nicht. Sie unterschieden einzig zwischen dem (ausserehelichen) Beischlaf einerseits und den anderen unzüchtigen Handlungen andererseits, wobei im Falle der Letzteren eine deutlich niedrigere Strafe angedroht wurde als im Falle des tatbestandsmässigen Beischlafs (siehe Art. 189, 190, 192, 193 aStGB). Das heute geltende Recht enthält demgegenüber in den meisten Sexualstraftatbeständen einzig den Begriff der "sexuellen Handlung" ohne Differenzierung zwischen Beischlaf und anderen sexuellen Handlungen (siehe Art. 187, 188, 192, 193 StGB). Einzig die Tatbestände der Schändung (Art. 191 StGB) einerseits sowie der Vergewaltigung (Art. 190 StGB) und der sexuellen Nötigung (Art. 189 StGB) andererseits enthalten die Begriffe "Beischlaf", "beischlafsähnliche Handlung" und "andere sexuelle Handlung". Dabei sieht das Gesetz im Falle der Schändung für alle diese Varianten von sexuellen Handlungen denselben Strafrahmen von Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder Gefängnis vor (Art. 191 StGB). Demgegenüber sieht das Gesetz für die Vergewaltigung (Art. 190 StGB) einerseits und für die Nötigung zur Duldung einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung (Art. 189 StGB) andererseits zwar dieselbe Höchststrafe von zehn Jahren, aber wesentlich verschiedene Mindeststrafen vor, nämlich ein Jahr Zuchthaus einerseits und drei Tage Gefängnis andererseits.
Der Nationalrat, welcher die Gesetzesvorlage als Zweitrat behandelte, beschloss auf Antrag seiner Kommission eine Umstellung der Tatbestände in dem Sinne, dass abweichend vom Entwurf des Bundesrates und vom Beschluss des Ständerates die sexuelle Nötigung in Art. 189 und die Vergewaltigung in Art. 190 geregelt wurde. Der Nationalrat fügte auf Antrag seiner Kommission im Tatbestand der sexuellen Nötigung ergänzend den Begriff der "beischlafsähnlichen Handlung" ein. Somit sollte mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder mit Gefängnis bestraft werden, wer eine Person zur Duldung einer beischlafsähnlichen oder einer anderen geschlechtlichen Handlung nötigt (siehe AB 1990 N 2300). Einzelnen Voten im Nationalrat kann entnommen werden, dass nach dessen Vorstellungen die Nötigung zur Duldung einer beischlafsähnlichen Handlung wie die Vergewaltigung mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren zu bestrafen ist und die in Art. 189 alternativ angedrohte Gefängnisstrafe nur für die weniger schwerwiegende Nötigung zu anderen geschlechtlichen Handlungen in Betracht fällt (siehe Voten des Berichterstatters Cotti sowie von Nationalrat Rechsteiner, AB 1990 N 2302, S. 2326). Es wurde indessen darauf verzichtet, die Nötigung zur Duldung beischlafsähnlicher Handlungen einerseits und zur Duldung anderer sexueller Handlungen andererseits in zwei verschiedenen Absätzen zu regeln - was an sich möglich gewesen wäre (siehe Votum Rechsteiner, a.a.O.) - und für Erstere ausdrücklich - wie in Art. 190 - einzig Zuchthaus bis zu zehn Jahren anzudrohen.
Die Gesetzesmaterialien enthalten mithin Anhaltspunkte dafür, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die Nötigung zur Duldung einer beischlafsähnlichen Handlung grundsätzlich gleich zu bestrafen ist wie die Vergewaltigung, d.h. - bei Fehlen von Strafmilderungsgründen - mit mindestens einem Jahr Zuchthaus. Der Gesetzgeber hat indessen auf eine entsprechende Regelung verzichtet. Er hat zwar die beischlafsähnliche Handlung in Art. 189 StGB - wie in Art. 191 StGB betreffend die Schändung - neben der anderen sexuellen Handlung speziell erwähnt, doch hat er hiefür nicht auch ausdrücklich eine - etwa Art. 190 Abs. 1 StGB entsprechende - spezielle Mindeststrafe vorgesehen. Damit soll für eine Nötigung zu einer beischlafsähnlichen Handlung, im Unterschied zum früheren Recht,BGE 132 IV 120 (124) BGE 132 IV 120 (125)zwar eine gleich hohe Strafe ausgesprochen werden können wie für eine Vergewaltigung, doch ist es nicht ausgeschlossen, dass, je nach den konkreten Umständen, im Einzelfall - auch bei Fehlen von Strafmilderungsgründen - eine Freiheitsstrafe von weniger als einem Jahr ausgefällt wird.
2.4 In der Lehre vertreten einzelne Autoren die Auffassung, dass die Strafe bei Nötigung zur Duldung beischlafsähnlicher Handlungen grundsätzlich nicht niedriger sein sollte als bei der Vergewaltigung, dass mithin bei der Nötigung zur Duldung einer beischlafsähnlichen Handlung die Mindeststrafe grundsätzlich ein Jahr Zuchthaus betragen sollte, da nur auf diese Weise mit der (berechtigten) Gleichstellung zwischen hetero- und homosexueller Vergewaltigung Ernst gemacht werde (STEFAN TRECHSEL, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Aufl. 1997, Art. 189 StGB N. 9, 13). Die Erzwingung einer beischlafsähnlichen Handlung soll nicht milder bestraft werden als die Vergewaltigung (PHILIPP MAIER, Basler Kommentar, StGB II, 2003, Art. 189 StGB N. 32). Es wird unter Hinweis auf die Beratungen der nationalrätlichen Kommission die Auffassung vertreten, dass die Nötigung zu beischlafsähnlichen Handlungen mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren zu bestrafen sei und die im Tatbestand der sexuellen Nötigung alternativ angedrohte Gefängnisstrafe einzig für weniger schwerwiegende sexuelle Beeinträchtigungen gelte (PETER HANGARTNER, Selbstbestimmung im Sexualbereich - Art. 188 bis 193 StGB, Diss. St. Gallen 1997, S. 60 ff.). Andere Autoren halten fest, der Gesetzgeber habe durch die besondere Erwähnung der "beischlafsähnlichen Handlung" im Tatbestand der sexuellen Nötigung zum Ausdruck bringen wollen, dass Art und Intensität des abgenötigten sexuellen Verhaltens bei der Strafzumessung zu berücksichtigen sind und die Nötigung zur Duldung gewisser sexueller Handlungen in ihrem Unrechtsgehalt der Nötigung zur Duldung desBGE 132 IV 120 (125) BGE 132 IV 120 (126)Beischlafs gleichkommen kann. Dies sei indessen eine Selbstverständlichkeit, weshalb der ohnehin relativ unbestimmte Begriff gestrichen werden könnte (GÜNTER STRATENWERTH/GUIDO JENNY, Schweizerisches Strafrecht, Bes. Teil I, 6. Aufl. 2003, § 8 N. 29; GUIDO JENNY, Kommentar zum schweizerischen Strafrecht, 4. Bd., 1997, Art. 189 StGB N. 36; JÖRG REHBERG, Das revidierte Sexualstrafrecht, AJP 1993 S. 16 ff., 21; BERNARD CORBOZ, Les infractions en droit Suisse, vol. I, 2002, Art. 189 StGB N. 8).
Wäre der Beschwerdegegner mit seinem Penis nicht in den Mund, sondern in die Vagina des Opfers eingedrungen, so hätten die kantonalen Instanzen trotz der zahlreichen zu seinen Gunsten strafmindernd berücksichtigten Umstände eine Zuchthausstrafe von mindestens einem Jahr ausfällen müssen. Diese Mindeststrafe hätte mithin nicht unterschritten werden dürfen, obschon das Opfer am fraglichen Abend in sämtliche sexuelle Handlungen, ausser in den inkriminierten Oralverkehr, eingewilligt hatte, der Oralverkehr ansonsten zum normalen Sexualleben der beiden gehörte und die intime Beziehung nach dem inkriminierten Vorfall noch rund zwei Jahre lang fortgesetzt wurde. Die Mindeststrafe von einem Jahr Zuchthaus im Falle einer Vergewaltigung hätte einzig aufgrund und nach Massgabe der dem Beschwerdegegner zugebilligten leichten Verminderung der Zurechnungsfähigkeit geringfügig unterschritten werden dürfen. Die Strafe für die dem Beschwerdegegner zur Last gelegte Erzwingung des Oralverkehrs darf nicht wesentlich niedriger sein. Die Umstände, welche die kantonalen Instanzen - von der Beschwerdeführerin unangefochten - strafmindernd berücksichtigt haben, dürfen mithinBGE 132 IV 120 (126) BGE 132 IV 120 (127)nicht zum Anlass für die Ausfällung einer Freiheitsstrafe genommen werden, die wesentlich unter einem Jahr liegt. Die von der Vorinstanz bestätigte Gefängnisstrafe von drei Monaten ist daher, auch unter Berücksichtigung der leichten Verminderung der Zurechnungsfähigkeit, unhaltbar milde und deshalb bundesrechtswidrig, selbst wenn der Beschwerdegegner sich einzig der Nötigung zur Duldung des Oralverkehrs schuldig gemacht hätte. Hinzu kommt indessen, dass der - insoweit einschlägig vorbestrafte - Beschwerdegegner sich auch noch der Pornographie schuldig gemacht hat, was straferhöhend zu berücksichtigen ist.