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Zitiert durch:
BGE 137 I 218 - Dokumentierte Raserfahrt


Zitiert selbst:


Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
Erwägung 4
Bearbeitung, zuletzt am 12.07.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
48. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen)
 
 
6B_170/2007 vom 9. Oktober 2007
 
 
Regeste
 
Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten (Art. 9 Abs. 3 BÜPF).
 
 
Sachverhalt
 
BGE 133 IV 329 (329)A. X. verkaufte von März 2004 bis zu ihrer Verhaftung am 16. Februar 2005 A. insgesamt mindestens 500 Gramm Kokain. Bei ihrer Verhaftung war sie zudem im Besitz von 249 Gramm Kokain mit hohem Reinheitsgrad, welches ebenfalls zum Verkauf bestimmt war. Des Weiteren veräusserte X. im Zeitraum von Januar bis Spätsommer 2004 an B. mindestens 21 Gramm Kokaingemisch.
B. Das Obergericht des Kantons Zürich sprach X. zweitinstanzlich mit Urteil vom 17. Januar 2007 der mehrfachen Widerhandlung gegen Art. 19 Ziff. 1 Abs. 4 und 5 i.V.m. Art. 19 Ziff. 2 BetmGBGE 133 IV 329 (329) BGE 133 IV 329 (330)sowie der Widerhandlung gegen Art. 19 Ziff. 1 Abs. 4 BetmG schuldig und verurteilte sie zu einer Freiheitsstrafe von 3 1/2 Jahren.
C. X. führt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 17. Januar 2007 sei aufzuheben, und die Sache sei im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde in Strafsachen ab.
 
 
Erwägung 4
 
4.3 Die Untersuchungsbehörden wurden auf die Beschwerdeführerin als mögliche Drogenlieferantin von A. aufmerksam, weil dessen Telefonanschluss rechtmässig überwacht wurde. Zuvor bestand diesbezüglich noch kein Tatverdacht gegen dieBGE 133 IV 329 (330) BGE 133 IV 329 (331)Beschwerdeführerin. Es ist folglich von einem sog. personellen Zufallsfund im Sinne von Art. 9 Abs. 2 BÜPF auszugehen (THOMAS HANSJAKOB, Kommentar zum Bundesgesetz und zur Verordnung über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs, 2. Aufl., St. Gallen 2006, Art. 9 BÜPF N. 27 ff.). Eine Auswertung der Erkenntnisse aus der Telefonüberwachung zu blossen Fahndungszwecken im Sinne von Art. 9 Abs. 4 BÜPF liegt nicht vor, denn die Beschwerdeführerin wurde nicht bzw. jedenfalls nicht primär zwecks Verhaftung verfolgt, sondern observiert, um sie des Drogenhandels zu überführen. Von Seiten der Untersuchungsbehörde wurde bei der Anklagekammer nie um eine Genehmigung im Sinne von Art. 9 Abs. 3 BÜPF ersucht. Aus dem Wortlaut der Art. 9 Abs. 2 und 3 BÜPF ergibt sich zudem, dass der Gesetzgeber ein nachträgliches Genehmigungsverfahren ausschliessen wollte.
Im Ergebnis liegt damit die erforderliche Genehmigung bezüglich des die Beschwerdeführerin betreffenden Zufallsfundes nicht vor.
Für eine solche Interessenabwägung besteht jedoch kein Raum, wenn das Gesetz explizit von der Unverwertbarkeit der Beweismittel ausgeht. Dies ist vorliegend der Fall: Der Art. 9 Abs. 3 BÜPF bestimmt, dass die Informationen nicht verwendet werden dürfen und die betreffenden Dokumente und Datenträger umgehend vernichtet werden müssen. Von der Unverwertbarkeit solcher rechtswidrig erlangter primärer Beweismittel geht auch die herrschende Lehre aus (NIKLAUS SCHMID, Verwertung von Zufallsfunden und Verwertungsverbote nach dem neuen Bundesgesetz über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs [BÜPF], ZStrR 120/2002 S. 312 f.; HANSJAKOB, a.a.O., Art. 9 BÜPF N. 48 ff.; NIKLAUS RUCKSTUHL, Rechtswidrige Beweise erlaubt, in: Forum Strafverteidigung, Beweismangel und Verwertungsverbot, Plädoyer, Beilage Dezember 2006, S. 20 ff.).BGE 133 IV 329 (331)
BGE 133 IV 329 (332)Folglich ist es vorliegend unzulässig, auch nur teilweise auf die Protokolle aus der Telefonüberwachung abzustellen.
Art. 9 Abs. 3 BÜPF spricht zwar ausdrücklich von der Unverwertbarkeit der Informationen, äussert sich jedoch nicht näher zur Reichweite dieses Verbots und lässt damit die Frage der Fernwirkung unbeantwortet.
Die Lehre ist gespalten (vgl. hierzu NIKLAUS OBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts, 2. Aufl., Bern 2005, S. 352 ff.). Während verschiedene Autoren für eine Fernwirkung des Verwertungsverbots eintreten (HANSJAKOB, a.a.O., Art. 9 BÜPF N. 53 ff.; MARC JEAN-RICHARD-DIT-BRESSEL, Ist ein Millionendiebstahl ein Bagatelldelikt - Fragen zum BÜPF, ZStrR 119/2001 S. 56 f.), wenden sich andere gegen eine solche umfassende Unverwertbarkeit von Folgebeweisen. So ist nach SCHMID einzig von der Unverwertbarkeit auszugehen, "wo der ursprüngliche, ungültige Beweis Bestandteil sine qua non des mittelbar erlangten Beweises ist" (NIKLAUS SCHMID, Strafprozessrecht, 4. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2004, N. 610; vgl. auch derselbe, Verwertung von Zufallsfunden und Verwertungsverbote nach dem neuen Bundesgesetz über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs [BÜPF], ZStrR 120/2002 S. 309 ff.). Nach FORNITO erstreckt sich das Verwertungsverbot auch auf mittelbar erlangte Beweise, sofern das rechtswidrig erlangte Beweismittel die Erhebung weiterer Beweise erheblich begünstigt hat. Dabei schränke die Fernwirkung der Verwertungsverbote den Untersuchungsgrundsatz hinsichtlich weiterer Ermittlungen nicht ein (ROBERTO FORNITO, Beweisverbote im schweizerischen Strafprozess, Diss. St. Gallen 2000, S. 321 ff.). BÉNÉDICT macht sich bezüglich mittelbar erlangter Beweismittel für eine Interessenabwägung stark (JÉRÔME BÉNÉDICT, Le sort des preuves illégales dans le procès pénal, Diss. Lausanne 1994, S. 247 ff.). WALDER schliesslich bejaht eine Fernwirkung, solange keine vollendete Tatsache ("faitBGE 133 IV 329 (332) BGE 133 IV 329 (333)accompli") geschaffen worden ist (HANS WALDER, Rechtswidrig erlangte Beweismittel im Strafprozess, ZStrR 82/1966 S. 47).
Das Bundesgericht hat es bislang ausdrücklich offengelassen, ob sich das in Art. 9 Abs. 3 BÜPF verankerte Verwertungsverbot auch auf mittelbar erlangte Beweise erstreckt (BGE 132 IV 70 E. 6.5; vgl. allerdings BGE 109 Ia 244 E. 2b, in welchem eine strikte Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten tendenziell abgelehnt wird).
Während für eine Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten spricht, dass andernfalls die Regeln über die Beweiserhebung unterminiert würden, können indirekte Beweisverbote auf der anderen Seite der Ermittlung der materiellen Wahrheit hinderlich sein (Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 S. 1184; ROBERT HAUSER/ERHARD SCHWERI/KARL HARTMANN, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Aufl., Basel 2005, § 60 N. 16 ff.). Durch die namentlich von SCHMID propagierte Lösung wird ein angemessener Ausgleich zwischen diesen divergierenden Interessen erzielt. Ohne die Beweisverwertungsverbote ihres wesentlichen Inhalts zu entleeren, kann so verhindert werden, dass es im Ergebnis zu stossenden Freisprüchen offenkundig schuldiger Personen kommt.
Dieses Beweismittel, d.h. ihr Geständnis, wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch ohne die in Bezug auf die Beschwerdeführerin unrechtmässig erfolgte Telefonüberwachung erlangt worden. Wie die Vorinstanz zutreffend erörtert, kann es als sicher angesehen werden, dass sie von der Polizei beim Ein- und Aussteigen ins Auto von A. auch beobachtet worden wäre, wenn man damals einzig ihn wegen des aus der ordnungsgemäss bewilligten Telefonkontrolle stammenden Verdachts auf Drogenhandel observiert hätte. Dieser von der Polizei wahrgenommene Kontakt zwischen dem mutmasslichen Drogenhändler A. und der Beschwerdeführerin hätte aufgrund der konkreten Umstände zweifelsohne den Verdacht aufkommen lassen, sie sei in den Drogenhandel verwickelt. Folglich wäre die Polizei ihr höchstwahrscheinlich zwecks Verhaftung gefolgt und dabei auf die Drogen gestossen. Sie wäreBGE 133 IV 329 (333) BGE 133 IV 329 (334)damit auch in diesem Fall verhaftet und mit den belastenden Aussagen von A. konfrontiert worden. Dessen Aussagen, aufgrund welcher sich die Beschwerdeführerin zum Ablegen eines Geständnisses entschlossen haben dürfte, sind unbestrittenermassen verwertbar, da diesem gegenüber das Wissen aus der genehmigten Telefonkontrolle verwendet werden durfte.