4. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen X. (Beschwerde in Strafsachen) | |
6B_89/2007 vom 24. Oktober 2007 | |
Regeste | |
Art. 81 und 95-98 BGG; Beschwerderecht und Rügemöglichkeiten der Staatsanwaltschaft.
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Der Staatsanwaltschaft steht das Beschwerderecht in Strafsachen nach Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 BGG ohne Einschränkung zu. Sie kann alle Beschwerdegründe nach Art. 95-98 BGG vorbringen (E. 1.4).
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Sachverhalt | |
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B. Am 22. Juni 2006 sprach der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichts Pfäffikon X. des fahrlässigen Wildernlassens ihres Hundes im Sinne von Art. 18 Abs. 1 lit. d und Art. 18 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 20. Juni 1986 über die Jagd und den Schutz wildlebender Säugetiere und Vögel (Jagdgesetz, JSG; SR 922.0) schuldig und bestrafte sie mit einer Busse von Fr. 200.-. Auf ihre Berufung hin wurde sie am 25. Januar 2007 vom Obergericht des Kantons Zürich vom erwähnten Vorwurf freigesprochen.
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C. Dagegen erhebt die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich Beschwerde in Strafsachen, mit der sie die Aufhebung des obergerichtlichen Urteils und die Rückweisung der Sache zur Neubeurteilung verlangt. Vernehmlassungen wurden keine eingeholt.
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1.2 Gemäss Art. 81 Abs. 1 BGG ist zur Beschwerde in Strafsachen berechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen oder ![]() ![]() | |
Erwägung 1.3 | |
Die Teilnahme vor Vorinstanz ist eine Legitimationsvoraussetzung, die sich aus Bundesrecht ergibt. Es ist deshalb nicht von Bedeutung, dass die Oberstaatsanwaltschaft nach § 6 lit. m der erwähnten ![]() ![]() | |
1.4.2 Unter der Herrschaft des früheren Verfahrensrechts stand dem öffentlichen Ankläger des Kantons lediglich das (prinzipale) Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde zu. Verletzte seiner Meinung nach der angefochtene Entscheid Bundesrecht, war er durch diesen beschwert und ohne Rücksicht auf seine Stellungnahme vor ![]() ![]() | |
Das (subsidiäre) Rechtsmittel der staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte (Art. 84 Abs. 1 lit. a OG) konnte der Staatsanwalt hingegen nicht ergreifen. Die staatsrechtliche Beschwerde stand Bürgern (Privaten) und Korporationen bezüglich solcher Rechtsverletzungen zu, die sie durch allgemein verbindliche oder sie persönlich treffende Rechtsverletzungen erlitten haben (Art. 88 OG). Die Beschränkung auf persönliche Interessen des Beschwerdeführers schloss die "Popularbeschwerde" oder die Geltendmachung allgemeiner öffentlicher Interessen aus. Der öffentliche Ankläger in Strafsachen war aus diesem Grund von der Ergreifung der staatsrechtlichen Beschwerde ausgeschlossen (BGE 133 I 33 E. 1.1; eingehend schon BGE 48 I 106 E. 1).
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Die frühere Verfahrensordnung hatte zur Folge, dass der Staatsanwalt nicht vorbringen konnte, der ergangene Freispruch oder Schuldspruch des kantonalen Gerichts verletze den aus Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK abgeleiteten Grundsatz "in dubio pro reo" oder beruhe auf einer willkürlichen Sachverhaltsfeststellung oder einer willkürlichen Anwendung des kantonalen Prozessrechts. Die Möglichkeit, den kantonalen Entscheid auf seine Verfassungsmässigkeit hin überprüfen zu lassen, war ihm prozessual verwehrt. Damit blieb seine Beschwerdebefugnis hinter jener des Beschuldigten, aber auch jener des Opfers, dem eine auf materiell-rechtliche Fragen erweiterte Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde zukam (BGE 128 I 218 E. 1.1), zurück.
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1.4.3 Unter der neuen Verfahrensordnung wird der Staatsanwaltschaft das Beschwerderecht in Strafsachen ausdrücklich und dem Wortlaut nach ohne Einschränkung zuerkannt (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 BGG). Die Legitimation leitet sich aus dem staatlichen Strafanspruch ab, den sie zu vertreten hat. Daher verfügt sie grundsätzlich über ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids, das zur Erhebung der Beschwerde in Strafsachen berechtigt. Im Unterschied zur früheren staatsrechtlichen Beschwerde setzt das Beschwerderecht nicht voraus, dass der Beschwerdeführer vom angefochtenen Entscheid persönlich betroffen ist. Das wäre für den Staatsanwalt auch gar nicht denkbar, weil er am Verfahren als staatliches Organ beteiligt ist und ![]() ![]() | |
Systematisch getrennt vom Legitimationserfordernis (Art. 81 BGG) vereinigt das Gesetz die Beschwerdegründe der bisherigen Rechtsmittel zur Einheitsbeschwerde (Art. 95-98 BGG). Wer zur Beschwerde in Strafsachen legitimiert ist, kann grundsätzlich jede Rechtsverletzung geltend machen, die bei der Anwendung von materiellem Strafrecht oder Strafprozessrecht begangen wird, mithin auch eine Verletzung von Bundesverfassungsrecht als Teil des Bundesrechts (E. 1.1.3). Für die Staatsanwaltschaft gilt das gleichermassen wie für die anderen beschwerdeführenden Parteien. Bereits der Bundesrat hielt in seiner Botschaft fest - und ist in den eidgenössischen Räten nicht in Frage gestellt worden -, dass der Staatsanwalt berechtigt ist, ein kantonales Strafurteil wegen willkürlicher Beweiswürdigung, aktenwidriger Sachverhaltsfeststellung (Botschaft, a.a.O., S. 4318) oder willkürlicher Anwendung des kantonalen Prozessrechts (Botschaft, a.a.O., S. 4335) anzufechten. Seine fehlende Legitimation zur früheren Verfassungsbeschwerde wird ausdrücklich als Lücke im Rechtsschutz bezeichnet (Botschaft, a.a.O., S. 4215 f.). Es entspricht somit der klaren Absicht des Gesetzgebers, dass Verfassungsrügen des Staatsanwaltes nicht mehr von der Hand gewiesen werden können mit der Begründung, diese stünden nur Privaten als Träger verfassungsmässiger Rechte zu. Selbstredend macht er auch gar nicht geltend, er sei in seinen eigenen Grundrechtspositionen beeinträchtigt, sondern nur, Bundesverfassungsrecht sei objektiv verletzt, was einem zulässigen Beschwerdegrund entspricht.
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1.4.4 Entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung (REGINA KIENER/MATHIAS KUHN, Das neue Bundesgerichtsgesetz - eine [vorläufige] Würdigung, ZBl 107/2006 S. 152) stellt die fehlende Grundrechtsträgerschaft des öffentlichen Anklägers unter der Einheitsbeschwerde kein Legitimationsproblem dar. Die Frage, ob dieser eine Verfassungsverletzung (z.B. eine Verletzung des Willkürverbotes) geltend machen kann, betrifft vielmehr nur den Geltungsbereich der angerufenen Verfassungsnorm und damit ein materiell-rechtliches Grundrechtsproblem (vgl. dazu bereits WALTER KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, 2. Aufl., Bern 1994, S. 224). Das Willkürverbot gemäss Art. 9 BV beispielsweise räumt dem Einzelnen einen Anspruch auf willkürfreies Handeln der Behörden ein (BGE 133 I 185 E. 4.1). Darüber hinaus beansprucht es aber Geltung als objektives Grundprinzip, das die ![]() ![]() | |
1.4.5 Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass die Gleichstellung der Staatsanwaltschaft mit den übrigen Prozessparteien des Strafprozesses auch in der Sache gerechtfertigt erscheint. Im kontradiktorischen Hauptverfahren kommen die Standpunkte des Anklägers und der Verteidigung voll zur Geltung, was Gewähr für eine umfassende Darstellung des Prozessstoffes bietet (ROBERT HAUSER/ERHARD SCHWERI/KARL HARTMANN, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Aufl., Basel 2005, § 80 Rz. 2 S. 409). Es ist daher nur konsequent und entspricht dem aus Art. 6 EMRK abgeleiteten Grundsatz der Waffengleichheit, wenn die Parteien im Verfahren vor Bundesgericht über die gleichen prozessualen Rechte verfügen. Andernfalls könnte die Staatsanwaltschaft selbst als Beschwerdegegnerin nicht geltend machen, der Vorwurf der falschen Rechtsanwendung sei zwar zutreffend, der Entscheid im Ergebnis aber dennoch richtig, weil das Gericht den Sachverhalt willkürlich festgestellt habe (vgl. BGE 122 I 253 E. 6d S. 256). Das frühere Rechtsmittelsystem war auch insofern unbefriedigend, als nur das Opfer rügen konnte, die Vorinstanz habe die Tragweite des in Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK verankerten strafprozessualen Grundsatzes "in dubio pro reo" zu Gunsten des Angeklagten verkannt, während die Staatsanwaltschaft von der Rügemöglichkeit ausgeschlossen war. Dies war nur mit den Besonderheiten der staatsrechtlichen Beschwerde zu erklären und stand im Widerspruch dazu, dass der Strafanspruch ausschliesslich dem Staat zukommt. Unter der neuen Verfahrensordnung lässt sich das prozessuale Ungleichgewicht nicht mehr aufrechterhalten. Denn die Beschwerde in Strafsachen ist ![]() ![]() | |