21. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) (Beschwerde in Strafsachen) | |
1B_432/2021 vom 28. Februar 2022 | |
Regeste | |
Art. 14 Abs. 3 lit. g UNO-Pakt II; Art. 3, 25 Abs. 1 sowie Art. 50 VStrR; Art. 264 Abs. 1 und 2 StPO; Siegelung und Entsiegelung sichergestellter elektronischer Geräte im Verwaltungsstrafverfahren.
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Die Vornahme der Entsperrung der Geräte und der Datenspiegelung vor der Siegelung durch eine von der Untersuchungsbehörde beauftragte Behörde stellt einen erheblichen Verfahrensmangel dar, der zur Unverwertbarkeit der Daten und deren Vernichtung sowie zur Rückgabe der Geräte an die daran berechtigte Person führt (E. 4).
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Sachverhalt | |
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Ebenfalls am 10. September 2020 stellte die Zollverwaltung unter anderem zwei Mobiltelefone (Samsung Galaxy A40 und Samsung Galaxy S10+) sowie ein Tablet (Samsung Tab S6) von A. vorläufig sicher. Dieser verlangte zunächst keine Siegelung der IT-Geräte, sondern erklärte lediglich, die Codes nicht bekannt zu geben. Am 14. September 2020 beantragte der inzwischen beigezogene Rechtsvertreter von A. die Siegelung der sichergestellten IT-Geräte. Am 29. September 2020 erläuterte die Zollverwaltung A. und seinem Rechtsanwalt ihr Vorgehen, wenn der Zugangscode zu sichergestellten IT-Geräten nicht bekannt ist. A. bekräftigte dabei sein Siegelungsgesuch mit der Begründung, die Datenträger enthielten vertrauliche Anwaltskorrespondenz, höchstpersönliche Informationen sowie Geschäftsgeheimnisse.
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Am 1. Oktober 2020 übermittelte die Zollverwaltung die IT-Geräte von A. dem Bundesamt für Polizei (fedpol), Bundeskriminalpolizei (Abteilung IT Forensik und Cybercrime IFC), mit dem Auftrag "Unlock mit Bruteforce und Extraction".
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B. Mit Gesuch vom 8. Oktober 2020 stellte die Zollverwaltung der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts den im Wesentlichen folgenden Antrag auf Entsiegelung der drei IT-Geräte von A.:
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"Die Gesuchstellerin sei zu ermächtigen, die mit Sicherstellungsbeschluss vom 10. September 2020 sichergestellten und durch das Bundesamt für Polizei (fedpol) ... zu entsperrenden und sodann zu versiegelnden forensischen Kopien der Daten der Mobiltelefonie sowie des Tablet Computers des Gesuchgegners zu entsiegeln und zu durchsuchen."
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Am 5. November 2020 versiegelte das fedpol die drei Datenträger nach deren Entsperrung und Spiegelung ihres Inhalts. A. und sein Rechtsanwalt hatten auf eine Teilnahme an der Siegelung verzichtet. Tags darauf, am 6. November 2020, stellte das fedpol die versiegelten Datenträger der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts zu.
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Mit Beschluss vom 14. Juli 2021 hiess die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts das Entsiegelungsgesuch gut und ermächtigte die Zollverwaltung, alle sichergestellten Daten zu durchsuchen. ![]() | |
Die Zollverwaltung schliesst in ihrer Stellungnahme vom 9. September 2021 auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei, und reichte dazu eine Aktennotiz vom 5. November 2020 nach. Das Bundesstrafgericht erläuterte in seiner Vernehmlassung vom 26. August 2021 seine Rechtsprechung zur Siegelung von Datenträgern und hält sinngemäss ohne formelles Rechtsbegehren an seinem Beschluss fest.
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In seiner Replik vom 1. Oktober 2021 bekräftigt A. im Wesentlichen seinen Standpunkt und konkretisiert sein Rechtsbegehren dahingehend, dass der vom fedpol als Spiegelung angefertigte Datenträger zu vernichten und die sichergestellten IT-Geräte zurückzugeben seien. (...) Das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (als Nachfolgebehörde der früheren Zollverwaltung) erklärte in einer zweiten Stellungnahme vom 31. Januar 2022 seine auf der Rechtsprechung des Bundesstrafgerichts beruhende Praxis und ersucht sinngemäss darum, Klarheit über die Rechtmässigkeit dieses Vorgehens zu schaffen. Das Bundesstrafgericht verzichtete auf eine weitere Vernehmlassung. (...)
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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(Auszug)
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Erwägung 2 | |
2.1 Gemäss Art. 50 VStrR (SR 313.0) sind im Verwaltungsstrafverfahren Papiere mit grösster Schonung der Privatgeheimnisse zu durchsuchen (Abs. 1), wobei Amts- und Berufsgeheimnisse zu wahren sind (Abs. 2). Erhebt der Inhaber der Papiere Einsprache gegen die Durchsuchung, so werden die Papiere versiegelt und verwahrt, und es entscheidet die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts über die Zulässigkeit der Durchsuchung (Abs. 3 i.V.m. Art. 25 Abs. 1 VStrR). Die Bestimmung wird heute auch auf elektronische Datenträger angewandt (vgl. die Urteile des Bundesgerichts 1B_210/2017 vom 23. Oktober 2017 E. 3.3 und 1B_487/2018 vom 6. Februar 2019 E. 2.2). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind in Analogie zum ordentlichen Strafprozess auch im Verwaltungsstrafverfahren Aufzeichnungen und Gegenstände, die nach Angaben der ![]() ![]() | |
2.4 In teilweiser Abweichung von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung verfolgt das Bundesstrafgericht eine eigene Praxis, die es offenbar ursprünglich im Zusammenhang mit Amts- und Rechtshilfeverfahren in Anwendung von Art. 50 Abs. 3 VStrR in Verbindung mit Art. 12 des Bundesgesetzes vom 20. März 1981 über ![]() ![]() | |
2.5 Der Beschwerdeführer und die Zollverwaltung erachten übereinstimmend eine Überprüfung des Vorgehens gemäss der Praxis ![]() ![]() | |
2.6 Das bedeutet allerdings nicht, dass eine Spiegelung der Daten an sich unzulässig wäre. Sie darf jedoch nicht durch die Untersuchungsbehörde veranlasst bzw. einer von ihr beauftragten und damit auch weisungsgebundenen Person oder Behörde übertragen werden. Geht ein Siegelungsgesuch ein, sind vielmehr die betreffenden Unterlagen bzw. wie hier elektronischen Geräte unverzüglich zu siegeln. Erweist sich eine Kopie der Daten zum Schutz vor Verlust oder aus einem sonstigen Grund für das weitere Verfahren als angebracht, hat die Untersuchungsbehörde nach der Siegelung der Datenträger beim Zwangsmassnahmengericht bzw. hier dem Bundesstrafgericht ein entsprechendes Spiegelungsgesuch zu stellen. Dieses kann auch zusammen mit dem Entsiegelungsantrag ergehen. Das Gericht könnte eine Kopierung der Dateien auch von Amtes wegen anordnen, wenn es dies als notwendig oder zur Vermeidung des möglichen Vorwurfs ![]() ![]() | |
Erwägung 3 | |
3.2 Aus diesem Ablauf ergibt sich, dass sich die fraglichen drei IT-Geräte nach Eingang des Siegelungsgesuchs am 14. bzw. ![]() ![]() | |
3.3 Der sachgerechte Ablauf würde überdies nahelegen, dass die Frist für das gemäss Art. 248 Abs. 2 StPO innert 20 Tagen zu stellende Entsiegelungsgesuch ab dem Zeitpunkt der Siegelung zu laufen beginnt und dieses nicht wie hier bereits vorher eingereicht wird. Würde für den Beginn der Frist allenfalls alternativ auf den Zeitpunkt des Antrags des Beschwerdeführers um Siegelung abgestellt, wäre die Frist im Übrigen bereits abgelaufen, bevor das Entsiegelungsgesuch gestellt wurde. Würde sie ab dem Maileingang vom 14. September 2020 berechnet, hätte sie am 5. Oktober 2020 geendet; würde vom Eingang des schriftlichen Siegelungsgesuchs bei der ![]() ![]() | |
Erwägung 4 | |
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4.3 Damit kann dem Entsiegelungsgesuch der früheren Zollverwaltung bzw. des heutigen Bundesamts für Zoll und Grenzsicherheit nicht stattgegeben werden. Der angefochtene Entscheid ist entsprechend zu korrigieren. Dem Beschwerdeführer sind seine sichergestellten drei elektronischen Geräte zurückzugeben und die durch Spiegelung erstellten Datenkopien sind zu vernichten. Das Verwaltungsstrafverfahren wird ohne diese Dateien fortzuführen sein. ![]() |