26. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau gegen A. AG (Beschwerde in Strafsachen) | |
1B_472/2021 vom 22. März 2022 | |
Regeste | |
Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 BGG; Art. 135 Abs. 3 lit. b, Art. 135 Abs. 4 lit. a und b, Art. 429 Abs. 1 lit. a, Art. 434 Abs. 1 und 2 StPO; Entschädigungsansprüche von Drittpersonen; Beschwerdelegitimation der Staatsanwaltschaft.
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Sachverhalt | |
A.a Am 1. Juli 2020 wurde bei der Kantonspolizei Aargau ein Portemonnaie abgegeben, das in einem Abfalleimer in der Toilette eines Restaurants in U. gefunden worden war. In der Folge konnte die Besitzerin des Fundstücks ausgemacht werden. Sie gab an, im Portemonnaie habe sich Bargeld in der Höhe von Fr. 730.- befunden. Sie sei am 30. Juni 2020 in V. in einen Bus der Linie Nr. x der A. AG eingestiegen. Dabei habe sie das Portemonnaie in einer nicht verschlossenen Umhängetasche mit sich geführt. Kurze Zeit nach der Busfahrt habe sie den Verlust bemerkt.
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Gestützt auf diesen Sachverhalt erliess die Staatsanwaltschaft Baden am 3. Juli 2020 eine Editionsverfügung. Damit forderte sie die A. AG auf, die am 30. Juni 2020 zwischen 13:10 und 13:30 Uhr gemachten Aufzeichnungen der Überwachungskamera des Wagens Nr. y (Linienbus Nr. x) herauszugeben. Nachdem die A. AG dieser Aufforderung nachgekommen war, forderte sie von der Staatsanwaltschaft mit Schreiben vom 9. Juli 2020 eine Entschädigung für die Beweismitteledition in der Höhe von Fr. 250.-.
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Mit Verfügung vom 14. Juli 2020 wies die Staatsanwaltschaft das Entschädigungsbegehren ab.
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A.b Auf eine Beschwerde der A. AG hin hob das Obergericht des Kantons Aargau diese Verfügung am 5. Januar 2021 auf (Entscheid des Vizepräsidenten der Beschwerdekammer in Strafsachen).
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A.c Mit Verfügung vom 31. März 2021 übernahm die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau das Verfahren der Staatsanwaltschaft. Zugleich sprach sie der A. AG im Zusammenhang mit der Beweismitteledition eine Entschädigung von Fr. 50.- zulasten der Staatskasse zu.
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B. Das Obergericht (Vizepräsident der Beschwerdekammer in Strafsachen) hiess mit Entscheid vom 2. August 2021 eine hiergegen erhobene Beschwerde der A. AG vom 16. April 2021 gut. Es erhöhte die von der Oberstaatsanwaltschaft zugesprochene Entschädigung auf Fr. 250.-.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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(Zusammenfassung)
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Erwägung 1 | |
1.4 Die beschwerdeführende Oberstaatsanwaltschaft wehrt sich vorliegend gegen eine dem Kanton Aargau auferlegte Verpflichtung, der Beschwerdegegnerin eine Entschädigung für den ihr im Rahmen der laufenden Strafuntersuchung entstandenen Schaden zu leisten. Bezüglich solcher Fragen der Kostenbemessung und -verlegung eines Strafverfahrens liegt ihre Beschwerdebefugnis nicht offensichtlich auf der Hand und die Staatsanwaltschaft muss deshalb ihr rechtlich geschütztes Interesse anderweitig besonders rechtfertigen (Urteil 6B_1314/2016 vom 10. Oktober 2018 E. 1.4.3 mit Hinweisen, nicht publ. in: BGE 145 IV 114).
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Nach der Rechtsprechung kann die Staatsanwaltschaft beispielsweise die Höhe der Entschädigung für die private Verteidigung nach Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO anfechten (Urteil 6B_168/2012 vom 27. August 2012 E. 2 und 3), weil sich dieser Anspruch grundsätzlich gegen den Staat richtet (WEHRENBERG/FRANK, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 34 zu Art. 429 StPO). Die Beschwerdelegitimation der Staatsanwaltschaft ist weiter zu bejahen, wenn sie einen Entscheid über die Ausrichtung einer Entschädigung an die beschuldigte Person nach Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO anficht. Weil ein solcher Entscheid abhängig ist vom Entscheid betreffend die Verfahrenskosten, ist die Staatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang auch berechtigt, vor Bundesgericht Beschwerde gegen den Verzicht auf die Auferlegung von Verfahrenskosten zu Lasten der beschuldigten Person zu erheben (vgl. Urteil 6B_1016/2021 vom 18. Oktober 2021 E. 1.3). Rechtsprechungsgemäss ist die Staatsanwaltschaft schliesslich auch dazu befugt, vor Bundesgericht die Bemessung der Höhe der Entschädigung für die amtliche Verteidigung anzufechten (BGE 139 IV 199 E. 2 und 4). Dies ergibt sich aus den divergierenden Interessen von Verteidiger und Verurteiltem (BGE 139 IV 199 E. 2): Ersterer ist an einer hohen Entschädigung interessiert, Letzterer - da er bei Eintritt günstiger wirtschaftlicher Verhältnisse rückzahlungspflichtig wird (Art. 135 Abs. 4 lit. a StPO) - grundsätzlich hingegen an einer tiefen Entschädigung; dies jedenfalls soweit eine solche nicht zu einer namhaften Differenz zwischen der amtlichen Entschädigung und dem vollen Honorar führt, die er bei Verbesserung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse an die Verteidigung nachzuzahlen hat (vgl. Art. 135 Abs. 4 lit. b StPO). Während der amtliche Verteidiger den Entschädigungsentscheid einer zweiten kantonalen Instanz beim Bundesstrafgericht anfechten kann (Art. 135 Abs. 3 lit. b StPO), ist die amtlich verteidigte Person selber nicht befugt, jenen (an das Bundesgericht) weiterzuziehen (Urteil 6B_511/2016 vom 4. August 2016 E. 5.3). Die Beschwerdelegitimation der Staatsanwaltschaft füllt diese Lücke (Urteil 6B_1314/2016 vom 10. Oktober 2018 E. 1.4.3, nicht publ. in: BGE 145 IV 114).
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Nicht zur Beschwerde berechtigt ist die Staatsanwaltschaft indessen, wenn es um die Kostenverlegung des Berufungsverfahrens geht. Die Bestimmung der Quote, anhand derer die Kosten des Berufungsverfahrens ausgangsgemäss auf die verurteilte Person einerseits und die Gerichtskasse andererseits verteilt werden, tangiert keinen legitimationsbegründenden Aufgabenbereich der Staatsanwaltschaft und damit kein von ihr wahrzunehmendes rechtlich geschütztes Interesse im Sinne von Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG (Urteil 6B_1314/2016 vom 10. Oktober 2018 E. 1.4.4, nicht publ. in: BGE 145 IV 114).
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1.6 Zusammengefasst ist das rechtlich geschützte Interesse der Staatsanwaltschaft an der Aufhebung oder Änderung der angefochtenen Entscheide zu verneinen. Auf ihre Beschwerde ist somit nicht einzutreten. Bei dieser Sachlage erübrigen sich Weiterungen zur Frage, ob es sich beim angefochtenen Entscheid vom 2. August 2021 um einen vor Bundesgericht anfechtbaren kantonal letztinstanzlichen Endentscheid (vgl. Art. 80 Abs. 1 und Art. 90 BGG) oder Zwischenentscheid (vgl. Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG) handelt. Ebenso wenig muss sich das Bundesgericht dazu äussern, ob der angefochtene Entscheid vom 5. Januar 2021 einen Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 BGG darstellt, der gemäss Art. 93 Abs. 3 BGG mit der Beschwerde gegen den Entscheid vom 2. August 2021 mitangefochten werden kann.
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