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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
Erwägung 6
Erwägung 6.2
Erwägung 6.3
Erwägung 6.4
Erwägung 7
Bearbeitung, zuletzt am 17.12.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
30. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. A.A. gegen Oberjugendanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen)
 
 
6B_120/2021 vom 11. April 2022
 
 
Regeste
 
Anwendungsbereich von aArt. 260ter Ziff. 1 bzw. Art. 260ter Abs. 1 StGB, von Art. 2 Abs. 1 des "Al-Qaïda/IS-Gesetzes" vom 12. Dezember 2014 und von Art. 74 Abs. 4 NDG; Vereinbarkeit von Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/ IS-Gesetzes mit dem Legalitätsprinzip und dem Bestimmtheitsgebot; objektiver und subjektiver Tatbestand.
 
Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes ist mit dem in Art. 1 StGB verankerten Bestimmtheitsgebot vereinbar. Der Gesetzgeber wollte mit der Bestimmung alle Handlungen, die darauf abzielen, Al-Qaïda, den IS und verwandte Organisationen materiell oder personell zu unterstützen, unter Strafe stellen. Verlangt wird jedoch eine gewisse Tatnähe des Handelns zu den verbrecherischen Aktivitäten (E. 7.2).
 
Die Beschwerdeführerin reiste mit ihrem Bruder aus ihrem radikalen Glauben heraus handelnd und im Wissen um die Gräueltaten des IS in das Gebiet des IS, wo sie während mehrerer Monate mit der finanziellen Unterstützung des IS lebte und als Mitglied der Gesellschaft am Leben des IS teilnahm, wobei sie die ihr nach den Regeln des IS als Frau zufallenden Aufgaben im Haus erfüllte. Darin liegt objektiv und subjektiv eine Unterstützung des IS im Sinne von Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes (E. 7.4 und 7.5).
 
 
Sachverhalt
 
BGE 148 IV 298 (300)A. Das Jugendgericht des Bezirks Winterthur sprach A.A. (damals noch A.B.) mit Urteil vom 26. Februar 2019 der Widerhandlung gegen Art. 2 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 1 lit. b des Bundesgesetzes vom 12. Dezember 2014 über das Verbot der Gruppierungen "Al-Qaïda" und "Islamischer Staat" sowie verwandter Organisationen (SR 122; nachfolgend: Al-Qaïda/IS-Gesetz) schuldig. Es ordnete eine ambulante Behandlung im Sinne von Art. 14 JStG an. Zudem verurteilte es A.A. zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 10 Monaten, wovon es 9 Monate als durch Haft sowie durch die Anrechnung von Schutzmassnahmen als erstanden erklärte. Für die Dauer der einjährigen Probezeit erteilte es A.A. die Weisung, sich zu regelmässigen Treffen mit dem Gewaltschutz der Kantonspolizei Zürich einzufinden.BGE 148 IV 298 (300) BGE 148 IV 298 (301)Von der Erteilung weiterer Weisungen sah es ab. Das Genugtuungsbegehren von A.A. wies es ab.
Gegen dieses Urteil erhoben A.A. Berufung und die Oberjugendanwaltschaft des Kantons Zürich Anschlussberufung.
B. Das Obergericht des Kantons Zürich verzichtete mit Urteil vom 22. Oktober 2020 auf die Anordnung einer ambulanten Massnahme und die Erteilung einer Weisung an A.A. Im Übrigen bestätigte es das erstinstanzliche Urteil.
Das Obergericht hält folgenden Sachverhalt für erwiesen:
Die damals 15-jährige A.A. flog am 18. Dezember 2014 nach entsprechenden Vorbereitungen mit ihrem damals 16 Jahre alten Bruder von Zürich in die Türkei, von wo aus sie aus ihrem radikalen Glauben und vollster Überzeugung heraus handelnd und in Kenntnis der Gräueltaten des Islamischen Staates (IS) mit ihrem Bruder nach Syrien in das Gebiet des IS reiste. Dort wohnten A.A. und ihr Bruder anfänglich nach Geschlechtern getrennt mit jungen Menschen aus verschiedenen Nationen und danach gemeinsam in einer Wohnung. Sie waren nie länger getrennt und hielten sich insbesondere in Manbij auf. Dabei übernahmen sie die nach den Regeln des IS dem jeweiligen Geschlecht zufallenden Aufgaben in der Gesellschaft; A.A. im Haus als Hüterin von Haus und Herd und ihr Bruder in der Koranschule und ausserhalb des Hauses, wo er auch ein Waffenholster trug. Sie wurden durch den IS finanziell unterstützt, wobei A.A. das Geld verwaltete. Im September oder Oktober 2015 kam ihre Mutter zu ihnen und lebte mit ihnen bis zur Flucht aus Syrien zusammen, welche ihnen nach einem missglückten Fluchtversuch im Oktober 2015 am 17. Dezember 2015 gelang.
C. A.A. beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, sie sei von Schuld und Strafe freizusprechen und für die erstandene Haft, das "electronic monitoring" sowie für die Videovorführung über die Köpfung von US-amerikanischen Soldaten zu entschädigen. Ihr Verteidiger sei entsprechend den eingereichten Honorarnoten zu entschädigen. A.A. ersucht um unentgeltliche Rechtspflege.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
 
 
Erwägung 6
 
6.1 In rechtlicher Hinsicht beanstandet die Beschwerdeführerin, die Vorinstanz bringe das Al-Qaïda/IS-Gesetz zur Anwendung, ohne zu BGE 148 IV 298 (301) BGE 148 IV 298 (302)begründen, weshalb dieses Art. 260ter StGB vorgehe. Ein Schuldspruch gestützt auf die Verordnung der Bundesversammlung vom 23. Dezember 2011 über das Verbot der Gruppierung Al-Qaïda und verwandter Organisationen (AS 2012 1; nachfolgend: Al-Qaïda-Verordnung vom 23. Dezember 2011) komme nicht in Betracht, da die Voraussetzungen des Dringlichkeitsrechts nicht erfüllt seien und ein solcher Schuldspruch mangels eines Gesetzes im formellen Sinne gegen das in Art. 1 StGB verankerte Legalitätsprinzip verstossen würde. Das Al-Qaïda/IS-Gesetz sei ebenfalls im Dringlichkeitsrecht erlassen worden. Formelle Gesetze seien weder dringlich noch befristet. Die Existenz von Art. 74 Abs. 4 des Bundesgesetzes vom 25. September 2015 über den Nachrichtendienst (Nachrichtendienstgesetz, NDG; SR 121) und von Art. 260ter StGB belege, dass in den letzten 18 Jahren genügend Zeit bestanden habe, korrektes formelles, unbefristetes Gesetzesrecht zu schaffen. Damit liege ein Missbrauch des Dringlichkeitsrechts vor, weshalb kein Schuldspruch gestützt auf das Al-Qaïda/IS-Gesetz ergehen dürfe. Weiter sei das Al-Qaïda/IS-Gesetz seit Inkrafttreten von Art. 74 Abs. 4 NDG nicht mehr anwendbar. Ohnehin gebiete Art. 2 Abs. 2 StGB die Anwendung von Art. 74 Abs. 4 NDG als milderes Recht. Ein Schuldspruch gestützt auf diese Bestimmung komme nicht in Betracht, da der Bundesrat den IS nicht entsprechend Art. 74 Abs. 1 NDG verboten habe. Das Al-Qaïda/IS-Gesetz sei im Zeitpunkt ihrer Einreise in das IS-Gebiet im Dezember 2014 zudem noch gar nicht in Kraft gewesen. Da die Ausreise ohne Genehmigung des IS nicht möglich gewesen sei, liege de facto ein nicht strafbarer Aufenthalt des "Überrolltseins" vor, weshalb der Vorsatz fehle. Die Vorgängerverordnung sei zudem deutlich milder gewesen.
 
Erwägung 6.2
 
Art. 260ter StGB wurde mit dem Bundesbeschluss vom 25. September 2020 über die Genehmigung und die Umsetzung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus mit dem dazugehörigen Zusatzprotokoll sowie über die Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität (AS 2021 360; nachfolgend: Bundesbeschluss vom 25. September 2020 über die Genehmigung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus) einer Revision unterzogen, welche am 1. Juli 2021 in Kraft trat. Mit der Gesetzesrevision ging eine Anpassung einzelner gesetzlicher Kriterien für das Vorliegen einer kriminellen oder terroristischen Organisation, die eine massvolle Ausweitung der Strafbarkeit zu Folge hat, und eine Erhöhung der Strafandrohung einher (Botschaft vom 14. September 2018 zur Genehmigung und zur Umsetzung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus mit dem dazugehörigen Zusatzprotokoll sowie zur Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität, BBl 2018 6427 ff.). Art. 260ter Abs. 1 StGB sieht als Sanktion im Erwachsenenstrafrecht neu Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe vor.
6.2.2 Die Rechtsprechung stellte bereits unter dem alten Recht klar, dass sich aArt. 260ter StGB nicht nur auf die organisierte Kriminalität im eigentlichen Sinne bezieht, sondern auch terroristische Organisationen erfasst (BGE 146 IV 338 E. 4.4.1; BGE 145 IV 470 E. 4.1; Urteile 6B_1132/2016 vom 7. März 2017 E. 1.1 und 1.3.1, nicht publ. in: BGE 143 IV 145; 6B_1104/2016 vom 7. März 2017 E. 1.1 und 1.3.1). Dazu gehören die terroristischen Netzwerke des sogenannten "Islamischen Staates" oder von "Al-Qaïda", bei welchen es sich um kriminelle Organisationen im Sinne von aArt. 260ter Ziff. 1 StGB handelt (BGE 145 IV 470 E. 4.1; BGE 142 IV 175 E. 5.8; Urteile 6B_1132/2016 vom 7. März 2017 E. 1.3.1 und 6.1, nicht publ. in: BGE 143 IV 145; 6B_1104/2016 vom 7. März 2017 E. 1.3.1; 1B_412/ 2016 vom 5. Dezember 2016 E. 3.4). Allerdings bestehen insoweit auch gewisse Sonderregelungen (Urteile 6B_1132/2016 vom 7. März 2017 E. 1.1, nicht publ. in: BGE 143 IV 145; 6B_1104/2016 vom 7. März 2017 E. 1.1). Der Bundesrat erliess im November 2001 gestützt auf Art. 184 Abs. 3 und Art. 185 Abs. 3 BV die Verordnung vom 7. November 2001 über dasBGE 148 IV 298 (303) BGE 148 IV 298 (304)Verbot der Gruppierung "Al-Qaïda" und verwandter Organisationen, womit er auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 reagierte. Er verlängerte die Geltungsdauer der Verordnung in den Jahren 2003, 2005 und letztmals im Jahr 2008 bis zum 31. Dezember 2011 (Urteile 6B_1132/2016 vom 7. März 2017 E. 1.1, nicht publ. in: BGE 143 IV 145; 6B_1104/2016 vom 7. März 2017 E. 1.1).
 
Erwägung 6.3
 
6.3.1 Art. 2 Abs. 1 der Al-Qaïda-Verordnung vom 23. Dezember 2011 war nur anwendbar, sofern nicht strengere Strafbestimmungen zur Anwendung gelangten. aArt. 260ter StGB drohte Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe an und war damit strenger als Art. 2 der Al-Qaïda-Verordnung vom 23. Dezember 2011. Das Bundesgericht entschied daher, aArt. 260ter StGB habe Vorrang vor Art. 2 der Al-Qaïda-Verordnung vom 23. Dezember 2011. Ein Verhalten, das den Tatbestand von Art. 260ter StGB erfülle, sei nicht auch nach Art. 2 derBGE 148 IV 298 (305) BGE 148 IV 298 (306)Al-Qaïda-Verordnung vom 23. Dezember 2011 strafbar. Nur Handlungen, die weder als Beteiligung an einer kriminellen Organisation noch als Unterstützung einer solchen gemäss Art. 260ter StGB zu qualifizieren seien, könnten nach Art. 2 der Al-Qaïda-Ver ordnung vom 23. Dezember 2011 strafbar sein (Urteile 6B_1132/ 2016 vom 7. März 2017 E. 1.2.3, nicht publ. in: BGE 143 IV 145; 6B_1104/2016 vom 7. März 2017 E. 1.2.2).
In der Botschaft vom 22. November 2017 zur Verlängerung des Bundesgesetzes über das Verbot der Gruppierungen "Al Qaïda" und "Islamischer Staat" sowie verwandter Organisationen, wies der Bundesrat darauf hin, dass Art. 2 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes der Strafbestimmung von aArt. 260ter StGB gemäss der Rechtsprechung des Bundesstrafgerichts als jüngeres Spezialgesetz vorgeht, Art. 2 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes aArt. 260ter StGB mit anderen Worten konsumiere (BBl 2018 87 ff., 100).
In der Botschaft vom 14. September 2018 zur Genehmigung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus stellte der Bundesrat klar, dass der neue Art. 260ter StGB Art. 74 Abs. 4 NDG als strengere Strafbestimmung vorgeht (BBl 2018 6427 ff., 6511) und die Strafbestimmungen von Art. 260sexies und Art. 260ter StGB bzw. Art. 74 NDG in echter Konkurrenz zur Anwendung gelangen können, wenn die Anwerbung, Ausbildung oder das Reisen bloss einen Teilbereich der Unterstützung oder Beteiligung an einer Organisation darstellt (BBl 2018 6427 ff., 6511 f.).BGE 148 IV 298 (306)
 
BGE 148 IV 298 (307)Erwägung 6.4
 
Die Vorinstanz geht daher zu Recht von der Anwendbarkeit des Al-Qaïda/IS-Gesetzes aus, da das der Beschwerdeführerin vorgeworfene Verhalten in den zeitlichen Anwendungsbereich dieses Gesetzes fällt. Das Al-Qaïda/IS-Gesetz datiert vom 12. Dezember 2014 und trat am 1. Januar 2015 in Kraft. Zuvor statuierte die von der Bundesversammlung gestützt auf Art. 173 Abs. 1 lit. c BV und Art. 7c und 7d des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 1997 (RVOG; SR 172.010) erlassene Al-Qaïda-Verordnung vom 23. Dezember 2011 ein identisches Verbot. Art. 7d Abs. 2 lit. a Ziff. 2 RVOG sieht die Ablösung von unmittelbar auf Art. 185 Abs. 3 BV gestützten Verordnungen des Bundesrates durch eine (längstens drei Jahre gültige) Verordnung der Bundesversammlung im Sinne von Art. 173 Abs. 1 lit. c BV vor (vgl. Botschaft vom 18. Mai 2011 zur Verordnung der Bundesversammlung über das Verbot der Gruppierung Al Qaïda und verwandter Organisationen, BBl 2011 4495 ff., 4497). Davon, dass die Beschwerdeführerin vom Inkrafttreten des Al-Qaïda/IS-Gesetzes überrascht und ihr ein gesetzeskonformes Verhalten mangels Ausreisemöglichkeit gar nicht möglich gewesen sein soll, kann daher keine Rede sein. Dass die im Zeitpunkt der mutmasslichen Einreise der Beschwerdeführerin in das Gebiet des IS geltende Strafbestimmung von Art. 2 Abs. 1 der Al-Qaïda-Verordnung vom 23. Dezember 2011 eine im Vergleich zu Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes mildere Strafandrohung vorsah, ist vorliegend zudem insofern unerheblich, als für den oberen Strafrahmen ohnehin auf Art. 25 Abs. 1 JStG abzustellen ist.
Die Gesetzgebung bei Dringlichkeit ist in Art. 165 BV und Art. 77 des Bundesgesetzes vom 13. Dezember 2002 über die Bundesversammlung (Parlamentsgesetz, ParlG; SR 171.10) geregelt. Die Dringlichkeitserklärung hatte zur Folge, dass das zeitlich befristete Al-Qaïda/IS-Gesetz bereits vor Ablauf der Frist für das fakultative Referendum in Kraft treten konnte (vgl. Art. 141 Abs. 1 lit. b und Art. 165 Abs. 1 BV) und dass wegen der Dringlichkeit kein Vernehmlassungsverfahren durchgeführt wurde (BBl 2014 8925 ff., 8929). BGE 148 IV 298 (307) BGE 148 IV 298 (308)Dies ändert jedoch nichts daran, dass es sich beim Al-Qaïda/ IS-Gesetz um ein Gesetz im formellen Sinne handelt (vgl. BBl 2014 8925 ff., 8934), das dem in Art. 1 StGB verankerten Legalitätsprinzip gerecht wird, auch wenn es auf dem Dringlichkeitsweg erlassen wurde.
Die Vorinstanz geht davon aus, das Verhalten der Beschwerdeführerin falle auch unter aArt. 260 ter StGB. Art. 2 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes gehe aArt. 260 ter StGB als "lex specialis" (Spezialgesetz) jedoch vor. Wie es sich damit verhält, kann offenbleiben, da die Beschwerdeführerin nicht behauptet, sie habe sich nach aArt. 260 ter StGB strafbar gemacht.
6.4.2 Fehl geht auch der Einwand der Beschwerdeführerin, das NDG gehe dem Al-Qaïda/IS-Gesetz gemäss Art. 2 Abs. 2 StGB als milderes Recht vor. Die Geltungsdauer des Al-Qaïda/IS-Gesetzes wurde vom Parlament am 15. Juni 2018 trotz des per 1. September 2017 in Kraft getretenen NDG bis zum 31. Dezember 2022 verlängert (vgl. Art. 4 Abs. 3 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes). Das Al-Qaïda/IS-Gesetz ist daher nach wie vor in Kraft. Mit der Verlängerung der Geltungsdauer des Al-Qaïda/IS-Gesetzes wollte der Gesetzgeber sicherstellen, dass bis zum Inkrafttreten der bezüglich der Strafandrohung sowie der Bundesstrafkompetenz zu revidierenden Bestimmung von Art. 74 NDG und deren Umsetzung eine Bestrafung gestützt auf Art. 2 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes weiterhin möglich ist (vgl. BBl 2018 87 ff., 88 ff.). Der Bundesrat hielt in der Botschaft vom 22. November 2017 zudem ausdrücklich fest, dass keine Kollision zwischen den beiden Gesetzen zu befürchten sei, da ein reibungsloser Übergang vom Al-Qaïda/IS-Gesetz auf den revidierten Art. 74 NDG sichergestellt werden könne, indem das Al-Qaïda/IS-Gesetz zum Zeitpunkt aufgehoben werde, an dem die auf Art. 74 NDG gestützte Verfügung über das Organisationsverbot in Kraft trete. Solange der Bundesrat kein Verbot verfüge, bestehe Art. 74 NDG nur auf dem Papier. Während das Al-Qaïda/IS-Gesetz in Kraft sei, habe der Bundesrat keinen Grund, das Verbot der Gruppierungen "Al-Qaïda" und "Islamischer Staat" sowie der verwandten Organisationen zu verfügen (BBl 2018 87 ff., 100). Damit brachte der Bundesrat klar zum Ausdruck, dass Art. 74 Abs. 4 NDG Art. 2 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes nicht vorgehen soll, solange noch kein bundesrätliches Verbot von Al-Qaïda und des IS im Sinne von Art. 74 Abs. 1 NDG erlassen wurde und das Al-Qaïda/IS-Gesetz noch in Kraft ist. Ohnehin sehen der geltende Art. 74 Abs. 4 NDG und Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/ IS-Gesetzes identische Strafbestimmungen vor. Auf reinBGE 148 IV 298 (308) BGE 148 IV 298 (309)verwaltungsrechtliche Bestimmungen gelangt der in Art. 2 Abs. 2 StGB und Art. 15 Abs. 1 Satz 3 Uno-Pakt II (SR 0.103.2) verankerte Grundsatz der "lex mitior" nach der Rechtsprechung nicht zur Anwendung (BGE 123 IV 84 E. 3b; Urteil 6B_1355/2020 vom 14. Januar 2022 E. 5.2.2 mit weiteren Hinweisen).
 
Erwägung 7
 
Die Generalklausel der "Förderung auf andere Weise" gemäss Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes umschreibe das strafbare Verhalten in einer Weise, welche in einem gewissen Spannungsverhältnis zum Bestimmtheitsgebot ("nulla poena sine lege certa") von Art. 1 StGB stehe. Soweit man für die Begründung der Strafbarkeit bereits eine äquivalente Kausalität zwischen einer Tathandlung und den Verbrechen des IS als ausreichend ansehen wollte, würden alle denkbaren Fälle erfasst, so dass nicht mehr vorhersehbar wäre, welches Verhalten vom Tatbestand erfasst werde. Damit würde in der Tat die Grenze zwischen strafbarem und erlaubtem Verhalten verwischt. Dass der Gesetzgeber allgemeine Begriffe verwende, die nicht eindeutig allgemeingültig umschrieben werden könnten und deren Auslegung und Anwendung er der Praxis überlassen müsse, lasse sich indes nicht vermeiden. Soweit sich jedenfalls mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden Tragweite und Anwendungsbereich der Bestimmung zuverlässig ermitteln liessen, sei die Verwendung von Allgemeinbegriffen regelmässig unbedenklich. In diesem Sinne sei das mit Strafe bedrohte Verhalten im zu beurteilenden Fall insofern einzuschränken, als auf eine gewisse Tatnähe des Handelns zu den verbrecherischen Aktivitäten des IS abzustellen sei. Eine Verletzung des Bestimmtheitsgebots sei nicht zu erkennen (Urteil 6B_948/2016 vom 22. Februar 2017 E. 4.2.1). Daran ist weiterhin festzuhalten.
7.3 Im Urteil 6B_948/2016 vom 22. Februar 2017 zu beurteilen war eine geplante Ausreise in die Türkei (der Abflug wurde nur durch das Eingreifen der Polizei verhindert) mit dem Ziel des Betroffenen, sich dem IS in Syrien anzuschliessen und als Märtyrer zu sterben. Das Bundesgericht entschied, dieses Verhalten erfülle den Tatbestand von Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes. Der IS werde in seiner verbrecherischen Tätigkeit auch dann gefördert, wenn sich eine Einzelperson von ihm so beeinflussen lasse, dass sie dessen radikalisierende Propaganda in objektiv erkennbarer Weise bewusst weiterverbreite oder sich im vom IS propagierten Sinn gezielt aktiv verhalte. Dem Aufbruch nach Syrien, um sich dem ISBGE 148 IV 298 (310) BGE 148 IV 298 (311)anzuschliessen und in den Jihad aufzubrechen, komme für zurückgebliebene potentielle Nachahmer eine erhebliche propagandistische Wirkung zu. Indem der Betroffene den vom IS über das Internet und soziale Netzwerke verbreiteten Aufrufen, sich dem "heiligen Krieg" in Syrien mit dem Ziel der Errichtung eines islamischen Staats anzuschliessen, gefolgt sei, habe er nicht nur Bewunderung bei Gleichgesinnten ausgelöst, eine mögliche Nachahmung begünstigt und der Anziehungskraft der terroristischen Gruppierung Vorschub geleistet. In der Identifizierung mit den Zielen des IS und damit auch mit der Art und Weise, wie diese verfolgt würden, sei vielmehr auch eine aktive Werbung für diese Ziele zu sehen. Diese würden namentlich auch die von der terroristischen Gruppierung mit grosser Grausamkeit verübten Verbrechen umfassen, deren Videoaufnahmen über ihre Medienbüros weltweit verbreitet würden. Es treffe offensichtlich nicht zu, dass die Abreise des Betroffenen keine Propagandawirkung entfaltet habe, da dieser vier Tage vor der geplanten Abreise vor der Moschee des Islamischen Vereins D. in U. von allen Personen, welche die Moschee verlassen hätten, auffällig begrüsst oder verabschiedet worden sei. Die Anwesenden seien über die bevorstehende Abreise des Beschwerdeführers daher im Bilde gewesen (Urteil 6B_948/2016 vom 22. Februar 2017 E. 4.2.2).
7.4 Der Beschwerdeführerin wird im angefochtenen Entscheid nicht vorgeworfen, sie habe aktiv Werbung für den IS betrieben oder sich an Kampfhandlungen des IS beteiligen wollen. Die Vorinstanz betont vielmehr, die Abreise der Beschwerdeführerin sei heimlich erfolgt. Sie und ihr Bruder hätten ihren Plan mit grosser Akribie und Sorgfalt sowie höchster Geheimhaltung verfolgt und alle nötigen Vorkehrungen getroffen, damit ihre Abreise gelinge und nicht entdeckt werde. Indes blieb es bei der Beschwerdeführerin nicht beim Versuch, zwecks Unterstützung des IS nach Syrien zu reisen, sondern sie lebte effektiv während mehrerer Monate in der Gemeinschaft und mit der finanziellen Unterstützung des IS, zunächst in einer nach Geschlechtern getrennten Unterkunft und danach in einer eigenen Wohnung mit ihrem Bruder. Dort übernahm sie gemäss der Vorinstanz die für eine Frau vorgesehene Rolle im Haus; sie bedeckte sich mit einer Vollverschleierung, war für den Haushalt und das Wohl ihres Bruders zuständig, unterrichtete Kinder in Englisch, gab sich mit den Frauen ab und nahm in dieser Form als Mitglied der Gesellschaft am Leben im IS teil. Darin liegt gemäss den zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz eine Unterstützung des IS im BGE 148 IV 298 (311) BGE 148 IV 298 (312)Sinne von Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes. Die von der Rechtsprechung geforderte Tatnähe des Handelns zu den verbrecherischen Aktivitäten des IS (Urteil 6B_948/2016 vom 22. Februar 2017 E. 4.2.1) ist gegeben, da die Beschwerdeführerin vor Ort als Mitglied der Gesellschaft am Leben im IS teilnahm und sie dort die ihr nach den Regeln des IS als Frau zufallenden Aufgaben erfüllte. Entgegen der Kritik der Beschwerdeführerin geht es daher nicht darum, das blosse Betreten des Gebiets des IS unter Strafe zu stellen. Nicht erforderlich ist im Rahmen von Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/ IS-Gesetzes demgegenüber, dass die inkriminierte Tätigkeit direkt auf die Förderung der vom IS verübten Gewaltstraftaten ausgerichtet ist, da das Al-Qaïda/IS-Gesetz die Gruppierung "Islamischer Staat" als solches verbietet (vgl. Art. 1) und Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes in der Generalklausel explizit jede Förderung der Aktivitäten des IS unter Strafe stellt.
Unerheblich ist für den Schuldspruch, ob das Verhalten der Beschwerdeführerin unter die Tathandlung der "Beteiligung am IS" oder der "personellen Unterstützung" oder unter die Generalklausel der "Förderung auf andere Weise" im Sinne von Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes fällt (vgl. Urteil 6B_948/2016 vom 22. Februar 2017 E. 4.2.2). Darin, dass sich die Vorinstanz diesbezüglich nicht festlegt, liegt entgegen der Kritik der Beschwerdeführerin keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, da das Verhalten in allen Fällen nach Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes strafbar ist.
7.6 Die Beschwerdeführerin rügt, dem angefochtenen Entscheid lasse sich nicht entnehmen, ob für sie als Minderjährige aufgrund ihrer intellektuellen Entwicklung und ihres Reifegrades überhaupt erkennbar sein konnte, dass sie mit der Reise eine Straftat beging. Urteile über die Bestrafung von Reisenden in das IS-Gebiet habe es damalsBGE 148 IV 298 (312) BGE 148 IV 298 (313)noch nicht gegeben. Das eidgenössische Departement des Äussern (EDA) habe in seinen damaligen und heutigen Reisewarnungen zudem nur erklärt, dass keine diplomatischen und anderen Hilfestellungen erbracht würden, wenn das Gebiet des IS aufgesucht werde. Einen Hinweis, dass das Betreten des IS-Gebiets verboten sei, habe die Reisewarnung nicht enthalten. Es erschliesse sich ihr nicht, weshalb allein schon die Präsenz auf dem Gebiet des IS, alltägliche, harmlose Tätigkeiten wie die Verrichtung von Hausarbeiten, Kontakt mit Frauen aus dem Dorf und das Erteilen von Englischunterricht an Kinder als Unterstützung des IS gewertet werde.
Damit macht die Beschwerdeführerin einen Verbotsirrtum im Sinne von Art. 21 StGB i.V.m. Art. 1 Abs. 2 lit. a JStG geltend, ohne jedoch rechtsgenügend aufzuzeigen, weshalb die Voraussetzungen hierfür erfüllt sein könnten. Ein Verbotsirrtum im Sinne von Art. 21 StGB ist nach der Rechtsprechung ausgeschlossen, wenn der Täter aufgrund seiner laienhaften Einschätzung weiss, dass sein Verhalten der Rechtsordnung widerspricht, bzw. wenn er das unbestimmte Empfinden hat, etwas Unrechtes zu tun. Nicht erforderlich ist, dass der Täter die exakte rechtliche Qualifikation seines Verhaltens kennt (Urteile 6B_274/2021 vom 1. Dezember 2021 E. 1.3.4; 6B_141/ 2020 vom 9. Juli 2020 E. 1.2.1; je mit Hinweisen). Ob der Täter weiss, dass sein Verhalten der Rechtsordnung widerspricht bzw. er ein unbestimmtes Empfinden hat, etwas Unrechtes zu tun, ist eine Sachverhaltsfrage, welche das Bundesgericht nur unter dem Gesichtspunkt der Willkür prüft (BGE 141 IV 336 E. 2.4.3; Urteil 6B_274/2021 vom 1. Dezember 2021 E. 1.3.4). Willkür ist weder rechtsgenügend dargetan noch ersichtlich.