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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
1. Der Beschwerdeführer beanstandet die örtliche Zust&a ...
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37. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen)
 
 
6B_1029/2021 vom 24. August 2022
 
 
Regeste
 
Art. 8 Abs. 2 und Art. 24 Abs. 2 StGB; Begehungsort bei versuchter Anstiftung.
 
 
Sachverhalt
 
BGE 148 IV 385 (386)A. A. wird zusammengefasst angelastet, im Zeitraum von ca. 3. September 2018 bis Ende Dezember 2018 B. über Text- und Sprachnachrichten sowie im direkten Gespräch mehrfach dazu aufgefordert zu haben, seine Partnerin C., seine Ex-Freundin D. und A. selbst durch Erschiessen zu töten. Zum Zwecke der Tötung soll A. B. mehrere Schusswaffen gezeigt und ihn angewiesen haben, bei der Tatbegehung Handschuhe zu tragen. Als Belohnung für die drei Tötungen soll er B. Fr. 100'000.- bis Fr. 300'000.- in Aussicht gestellt haben.
Zudem wird A. vorgeworfen, an seinem Wohnort in Zürich eine Portion von 29.7 g Kokain netto mit einem Reinheitsgehalt von 61 %, d.h. 18.1 g reines Kokainhydrochlorid, aufbewahrt zu haben.
Weiter soll A. mehrfach sein Berufsgeheimnis als Verkehrspsychologe verletzt haben, indem er B. Fotos von Dokumenten diverser Klienten per WhatsApp zugestellt hat. Ausserdem wird ihm angelastet, mehrfach Kokain, MDMA, LSD und Marihuana konsumiert zu haben. Schliesslich soll sich A. des Hausfriedensbruchs (...), der Drohung (...), der Widerhandlungen gegen das Waffengesetz (...) sowie der Widerhandlungen gegen das Strassenverkehrsgesetz (...) schuldig gemacht haben.
B. Das Bezirksgericht Zürich sprach A. am 30. April 2020 frei vom Vorwurf der Drohung. Dagegen erklärte es ihn schuldig der mehrfach versuchten Anstiftung zur mehrfachen Tötung, der qualifizierten Widerhandlung nach Art. 19 Abs. 1 lit. d i.V.m. Art. 19 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 3. Oktober 1951 über die Betäubungsmittel und die psychotropen Stoffe (Betäubungsmittelgesetz, BetmG; SR 812.121), des Hausfriedensbruchs, der mehrfachen Verletzung des Berufsgeheimnisses, des Fahrens in fahrunfähigem Zustand, des Verstosses gegen Art. 33 Abs. 1 und Art. 34 Abs. 1 lit. n des Bundesgesetzes vom 20. Juni 1997 über Waffen, Waffenzubehör und Munition (Waffengesetz, WG; SR 514.54), des Fahrens ohne Fahrzeugausweis, Bewilligung oder Haftpflichtversicherung, der Übertretung des Waffengesetzes nach Art. 34 Abs. 1 lit. n WG sowie der mehrfachenBGE 148 IV 385 (386) BGE 148 IV 385 (387)Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes nach Art. 19a Ziff. 1 BetmG. Das Bezirksgericht verurteilte A. zu einer Freiheitsstrafe von 66 Monaten (...) sowie zu einer Busse von Fr. 1'000.-.
Auf Berufungen von A. und der Staatsanwaltschaft hin bestätigte das Obergericht Zürich am 25. Mai 2021 die Schuldsprüche wegen mehrfach versuchter Anstiftung zu mehrfacher Tötung sowie der qualifizierten Widerhandlung gegen das BetmG. (...) Es verurteilte A. zu einer Freiheitsstrafe von 6 ½ Jahren (...) sowie zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu Fr. 200.- und einer Busse von Fr. 1'000.-. Den Vollzug der Geldstrafe schob es auf und setzte die Probezeit auf zwei Jahre fest. Überdies verwies es ihn für zehn Jahre des Landes.
C. A. führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das vorinstanzliche Urteil sei betreffend die Schuldsprüche wegen mehrfach versuchter Anstiftung zu mehrfacher Tötung sowie der qualifizierten Widerhandlung gegen das BetmG aufzuheben. Das Strafverfahren sei mangels Zuständigkeit mit Bezug auf den Vorwurf der versuchten Anstiftung zur Tötung einzustellen und er sei freizusprechen von den Vorwürfen des Vergehens gegen das Betäubungsmittelgesetz sowie eventualiter der mehrfach versuchten Anstiftung zur mehrfachen Tötung. Er sei zu bestrafen mit einer bedingt vollziehbaren Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je Fr. 120.- sowie einer Busse von Fr. 1'000.-. Von einer Landesverweisung sei abzusehen. Überdies sei ihm eine Genugtuung zuzusprechen. Eventualiter sei die Angelegenheit zur Sachverhaltsergänzung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Obergericht und die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich verzichten auf eine Stellungnahme.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
(Auszug)
 
1. Der Beschwerdeführer beanstandet die örtliche Zuständigkeit der Vorinstanz betreffend den Vorwurf der mehrfach versuchten Anstiftung zu mehrfacher Tötung. Nach dem Grundsatz der Akzessorietät gelte eine Anstiftung als dort verübt, wo der Haupttäter gehandelt habe oder nach der Vorstellung des Anstifters gehandelt hätte. Der Handlungsort wäre, aufgrund des Wohnsitzes und des ständigen Aufenthalts der vermeintlichen Opfer, Deutschland gewesen. DeshalbBGE 148 IV 385 (387) BGE 148 IV 385 (388)seien die Schweizer Gerichte örtlich unzuständig. Dasselbe würde gelten, wenn an die angebliche Anstiftungshandlung angeknüpft würde, da er - im Gegensatz zu den offensichtlich unrichtigen Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz - ausschliesslich von Deutschland aus gehandelt habe. Entgegen den Aussagen von B. habe er diesen im persönlichen Gespräch in der Schweiz nie zu Tötungen angestiftet. Sofern überhaupt von einer Handlung in der Schweiz gesprochen werden könne, habe er B. bloss dazu aufgefordert, ihn selbst zu töten, was nicht strafbar sei.
1.2.1 Laut Art. 3 Abs. 1 StGB ist dem Schweizerischen Strafgesetzbuch unterworfen, wer in der Schweiz ein Verbrechen oder ein Vergehen verübt. Nach Art. 8 Abs. 1 StGB gilt ein Verbrechen oder ein Vergehen als da begangen, wo der Täter es ausführt oderBGE 148 IV 385 (388) BGE 148 IV 385 (389)pflichtwidrig untätig bleibt, und da, wo der Erfolg eingetreten ist. Der Versuch gilt nach Art. 8 Abs. 2 StGB als da begangen, wo der Täter ihn ausführt, und da, wo nach seiner Vorstellung der Erfolg hätte eintreten sollen. Als Ausführung der Tat gilt jedes einzelne tatbestandsmässige Verhalten. Dabei genügt bereits eine teilweise Erfüllung des Tatbestands auf schweizerischem Gebiet, nicht aber der blosse Entschluss zur Tat oder die Vorbereitungshandlung. Nach der Rechtsprechung erscheint es im internationalen Verhältnis zur Vermeidung negativer Kompetenzkonflikte grundsätzlich als geboten, auch in Fällen ohne engen Bezug zur Schweiz die schweizerische Zuständigkeit zu bejahen (BGE 141 IV 336 E. 1.1, BGE 141 IV 205 E. 5.2; je mit Hinweisen). Das Strafgesetzbuch enthält keine Bestimmung zur Frage der Anknüpfung bei akzessorischen Teilnahmehandlungen wie Anstiftung und Gehilfenschaft (BGE 144 IV 265 E. 2.3.1 in fine).
Immerhin hat sich das Bundesgericht im Urteil Str.84/1983 vom 7. September 1983 E. 2c, in: SJ 1984 S. 160, - allerdings ohne nähere Ausführungen und lediglich im Sinne einer Eventualbegründung - dahingehend geäussert, dass die versuchte Anstiftung nachBGE 148 IV 385 (389) BGE 148 IV 385 (390)Art. 24 Abs. 2 StGB ein selbständiges Delikt darstelle und aArt. 7 Abs. 2 StGB (Art. 8 Abs. 2 StGB) anwendbar sei.
1.2.3.1 Der Wortlaut von Art. 8 StGB gibt keine unmittelbare Antwort auf diese Frage. Immerhin lässt sich festhalten, dass Art. 8 Abs. 2 StGB eine selbständige Anknüpfung von Teilnahmehandlungen grundsätzlich zuliesse, zumal dort generell vom "Versuch" ("tentative", "tentativo") die Rede ist, worunter auch die versuchte Anstiftung subsumiert werden kann.
1.2.3.2 Die Entstehungsgeschichte von Art. 8 StGB (aArt. 7 StGB) steht dieser Auslegung nicht entgegen. Die Frage der Anknüpfung der versuchten Anstiftung wurde bei der Ausarbeitung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und der Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches nie thematisiert. Der Bundesrat hat in der Botschaft vom 23. Juli 1918 zu einem Gesetzesentwurf enthaltend das schweizerische Strafgesetzbuch eine vom heutigen Art. 8 StGB lediglich in wenigen Punkten abweichende Fassung vorgeschlagen (BBl 1918 IV 105). Diese wurde mit geringfügigen Änderungsanträgen der vorberatenden Kommissionen von National- und Ständerat von den jeweiligen Räten ohne nähere Diskussion angenommen (Sten.Bull. 1928 N 61 ff.; Sten.Bull. 1931 S 131 ff.; Sten.Bull. 1933 N 821) und sodann Gesetz (Botschaft vom 21. Dezember 1937 zum Schweizerischen Strafgesetzbuch, BBl 1937 III 627). Anlässlich der Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches (Inkrafttreten per 1. Januar 2007) wurde der Wortlaut von Art. 8 StGB erneut leicht angepasst. Aus diesen Änderungen kann nichts für die vorliegend interessierende Frage abgeleitet werden. Selbiges gilt für die Botschaft des Bundesrats (Botschaft vom 21. September 1998 zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches [...], BBl 1999 1999) und die Ratsprotokolle (siehe insb. AB 1999 S 1110; AB 2001 N 542). Dass sich der Gesetzgeber mit der Frage der Anknüpfung bei der versuchten Anstiftung nicht näher auseinandergesetzt hat, könnte als Argument dafür angeführt werden, dass die Bestimmung von Art. 8 Abs. 2 StGB auch diesen Anwendungsfall erfassen sollte, weshalb es keiner speziellen Regelung bedurfte.
1.2.3.3 Weiter legen systematische Überlegungen eine selbständige Anknüpfung nach Art. 8 Abs. 2 StGB nahe: Das Bundesgericht hat in BGE 104 IV 77 E. 7b betont (bestätigt im erwähnten BGE 144 IV 265 E. 2.4), dass seine Auslegung von Art. 8 StGB mit den Regeln des internen (innerschweizerischen) Gerichtsstands von Art. 31 und 33 StPO übereinstimme (damals noch Art. 346 und 349 StGB).BGE 148 IV 385 (390) BGE 148 IV 385 (391)In Rechtsprechung (Beschluss des Bundesstrafgerichts TPF 2020 58 E. 2.7 S. 62) und Literatur (so etwa MOSER/SCHLAPBACH, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 5 zu Art. 33 StPO; STEPHAN SCHLEGEL, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung StPO, Donatsch und andere [Hrsg.], 3. Aufl. 2020, N. 8 zu Art. 33 StPO; zum früheren, materiell Art. 33 StPO entsprechenden, Art. 343 StGB: HAUSER/SCHWERI/HARTMANN, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Aufl. 2005, § 33 Rz. 14 S. 125; SCHWERI/BÄNZIGER, Interkantonale Gerichtsstandsbestimmung in Strafsachen, 2. Aufl. 2004, Rz. 238 S. 75; HANS WALDER, Der Gerichtsstand gemäss Art. 346 f. StGB, 1961/62, S. 25) ist anerkannt, dass der versuchte Anstifter einen eigenen Gerichtsstand hat, der sich nach Art. 31 StPO und nicht nach Art. 33 Abs. 1 StPO bestimmt. Soll diese Parallelität weitergeführt werden, hat sich der räumliche Anwendungsbereich des Schweizerischen Strafgesetzbuchs für die versuchte Anstiftung nach Art. 8 Abs. 2 StGB zu richten.
1.2.3.4 Das Bundesstrafgericht hat im zit. TPF 2020 58 erwogen, bei der versuchten Anstiftung nach Art. 24 Abs. 2 StGB fehle es für die Strafbarkeit an jeglicher Akzessorietät zur Haupttat bzw. an jeglicher Beteiligung an tatsächlich begangenem Unrecht. Beim Anstiftungsversuch nach Art. 24 Abs. 2 StGB komme es nicht darauf an, wo der erfolglos Angestiftete hätte handeln sollen und wo er verfolgt worden wäre, wenn er die Tat ausgeführt hätte. Entscheidend sei hier, wo der Anstifter auf den präsumtiven Täter eingeredet und versucht habe, ihn zur Tat zu bewegen. Der Anstifter habe in diesem Falle einen eigenen Gerichtsstand und sei nicht dort zu verfolgen, wo der Angestiftete hätte handeln sollen. Dieser eigene Gerichtsstand ergebe sich aus der im Falle eines blossen Anstiftungsversuchs fehlenden Akzessorietät zur Haupttat bzw. an der fehlenden Beteiligung an tatsächlich begangenem Unrecht (E. 2.6 f.).
In BGE 100 IV 1 E. 5b f. und BGE 101 IV 47 E. 4b bekannte sich das Bundesgericht zur Unrechtsteilnahmetheorie. Es verneinte übereinstimmend mit Lehre und Rechtsprechung in Deutschland und Österreich die Konkurrenz zwischen Teilnahme und Täterschaft und erblickte den Strafgrund der Teilnahme - namentlich auch der Anstiftung - in der Mitwirkung an dem vom Täter begangenen Unrecht (BGE 115 IV 230 E. 2b). Wie vom Bundesstrafgericht im zit. TPF 2020 58 erwogen, fehlt es bei der versuchten Anstiftung nach Art. 24 Abs. 2 StGB an einem von einem Dritten, dem Haupttäter, begangenen Unrecht. Der Unrechtsgehalt der versuchten (d.h.BGE 148 IV 385 (391) BGE 148 IV 385 (392)erfolglosen) Anstiftung besteht alleine in seinem eigenen Verhalten. Damit sprechen auch rechtstheoretische Überlegungen dafür, dass sich der Begehungsort nach Art. 8 Abs. 2 StGB bestimmt.
1.2.3.5 Für eine derartige Auslegung ist schliesslich anzuführen, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts im internationalen Verhältnis als geboten erscheint, zur Vermeidung negativer Kompetenzkonflikte, auch in Fällen ohne engen Bezug zur Schweiz, die schweizerische Zuständigkeit zu bejahen (vgl. E. 1.2.1 hiervor).
1.2.3.6 Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ist die aufgeworfene Rechtsfrage - im Einklang mit dem zit. Urteil Str.84/1983 E. 2c - dahingehend zu beantworten, dass die versuchte Anstiftung einen selbständigen Anknüpfungspunkt begründet. Dieser bestimmt sich nach Art. 8 Abs. 2 StGB, d.h. nach dem Handlungsort des Anstifters und dem Ort, an dem der (Anstiftungs-)Erfolg (nach der Vorstellung des Anstifters) hätte eintreten sollen. Zum Erfolg der Anstiftung gehört u.a., dass es dem Anstifter gelungen ist, im anderen den Willen zur Tatbegehung hervorzurufen (BGE 81 IV 285 E. II.1/b). Dieser Wille sollte vorliegend bei B. in der Schweiz geweckt werden. Insofern würden - im Einklang mit der Vorinstanz - auch in Deutschland verfasste, an B. in der Schweiz gerichtete, Nachrichten (alleine) ausreichen, um die örtliche Zuständigkeit der Vorinstanz zu begründen. Der Einwand der mangelnden örtlichen Zuständigkeit geht damit fehl.BGE 148 IV 385 (392)