15. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen (Beschwerde in Strafsachen) | |
6B_156/2023 vom 3. April 2023 | |
Regeste | |
Art. 67 Abs. 3 lit. d Ziff. 2 i.V.m. Art. 67 Abs. 4bis StGB; Ausnahme vom lebenslänglichen Tätigkeitsverbot.
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Voraussetzungen für ein Absehen von der Anordnung eines Tätigkeitsverbots im konkreten Fall verneint (E. 2.6).
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Sachverhalt | |
A. A. wird in der Anklageschrift vom 21. August 2020 vorgeworfen, er habe sich im Zeitraum vom 1. Juni 2019 bis 12. März 2020 Bilddateien mit verbotenem pornografischem Inhalt (zwei nicht tatsächliche und 136 tatsächliche sexuelle Handlungen mit Minderjährigen sowie 13 sexuelle Handlungen mit Tieren) für den Eigenkonsum über elektronische Mittel beschafft und in der Folge besessen. Ferner habe er aus Bosheit oder Mutwillen eine Fernmeldeanlage zur Beunruhigung oder Belästigung missbraucht, indem er ein damals 13-jähriges Mädchen trotz dessen Aufforderung ab dem 23. November 2019, es zukünftig in Ruhe zu lassen, bis zum 27. November 2019 mehrfach kontaktiert habe.
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B. Das Kreisgericht St. Gallen sprach A. am 11. November 2020 vom Vorwurf des Missbrauchs einer Fernmeldeanlage frei und erklärte ihn der mehrfachen Pornografie schuldig. Es verurteilte ihn zu einer bedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu Fr. 40.- und sprach ein lebenslängliches Tätigkeitsverbot aus, für dessen Dauer es Bewährungshilfe anordnete.
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C. Das Kantonsgericht St. Gallen sprach A. am 25. November 2022 vom Vorwurf des Missbrauchs einer Fernmeldeanlage frei. Es verurteilte ihn wegen mehrfacher Pornografie zu einer bedingten Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu Fr. 30.-. Ferner verbot es ihm lebenslänglich jede berufliche und jede organisierte ausserberufliche Tätigkeit, die einen regelmässigen Kontakt zu Minderjährigen umfasst, und ordnete für die Dauer des Tätigkeitsverbots Bewährungshilfe an. Ferner beauftragte es die Staatsanwaltschaft, das Präsidium des Schwimmclubs des Beschwerdeführers nach Rechtskraft des kantonsgerichtlichen Entscheids über das lebenslängliche Tätigkeitsverbot zu orientieren.
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D. A. beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, der kantonsgerichtliche Entscheid sei teilweise aufzuheben und er sei wegen mehrfacher Pornografie zu einer bedingten Geldstrafe von 75 Tagessätzen zu Fr. 30.- zu verurteilen. Auf das Ausfällen eines lebenslänglichen Tätigkeitsverbots sei gestützt auf Art. 67 Abs. 4bis StGB zu verzichten. Die Hälfte sämtlicher Verfahrenskosten seien dem Kanton St. Gallen aufzuerlegen. Eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. A. ersucht darum, seiner Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen.
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E. Der Instruktionsrichter hat der Beschwerde am 27. März 2023 die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
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2.4 Die vorliegend relevanten Art. 67 Abs. 3 und Art. 67 Abs. 4bis StGB wurden im Rahmen der Umsetzung von Art. 123c BV mit dem Bundesgesetz vom 16. März 2018 (AS 2018 3803) in das Strafgesetzbuch eingefügt und sind seit dem 1. Januar 2019 in Kraft. Da der Beschwerdeführer die mehrfache Pornografie im Zeitraum von Juni 2019 bis 12. März 2020 begangen hat, sind die neuen Gesetzesbestimmungen ohne Weiteres vorliegend anwendbar. Unbestritten ist zudem, dass der Beschwerdeführer wegen einer Katalogtat gemäss Art. 67 Abs. 3 lit. d Ziff. 2 StGB verurteilt wurde und damit grundsätzlich zwingend ein lebenslängliches Tätigkeitsverbot auszusprechen ist. Umstritten und zu prüfen ist jedoch, ob es sich vorliegend um einen Fall handelt, in dem gestützt auf Art. 67 Abs. 4bis StGB ausnahmsweise von einem Tätigkeitsverbot abgesehen werden kann. Das Bundesgericht hat sich bisher nicht zu den Voraussetzungen von Art. 67 Abs. 4bis StGB geäussert.
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Erwägung 2.5 | |
2.5.2 Art. 123c BV mit der Marginalie "Massnahme nach Sexualdelikten an Kindern oder an zum Widerstand unfähigen oder urteilsunfähigen Personen" wurde mit der Annahme der Volksinitiative "Pädophile sollen nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen" am 18. Mai 2014 in die Bundesverfassung eingefügt. Der Gesetzgeber wollte mit dem neuen Tätigkeitsverbot einerseits den in der Verfassungsbestimmung enthaltenen Automatismus betreffend Anordnung eines zwin genden lebenslänglichen Verbots weitestgehend umsetzen, andererseits jedoch auch mit der Ausnahmebestimmung den bestehenden Verfassungsbestimmungen, insbesondere dem Verhältnismässigkeitsprinzip, und dem Völkerrecht, namentlich der EMRK, Rechnung tragen (vgl. BBl 2016 6116, 6134 Ziff. 1.3.1, 6155 Ziff. 1.4; DENYS , a.a.O., N. 8 zu Art. 123c BV). Die Ausnahmebestimmung soll vermeiden, dass es zu stossenden Verletzungen des Verhältnismässigkeitsprinzips kommt, weil das Gericht in besonders leichten Fällen, bei denen vom Täter keine Wiederholungsgefahr für einschlägige Sexualstraftaten ausgeht und die keinerlei Bezug zu Pädophilie aufweisen, zwingend ein lebenslängliches Tätigkeitsverbot anordnen müsste (BBl 2016 6163 Ziff. 2.1). Mit der Ausnahmebestimmung soll insbesondere auch der Intention der Initianten der "Pädophilen-Initiative" Rechnung getragen werden, wonach sogenannte Jugendlieben nicht von einem zwingend lebenslänglichen Tätigkeitsverbot erfasst werden sollen und die Volksinitiative auf pädophile Straftäter zielt. Die Rechtsgleichheit gebietet jedoch - so die Botschaft -, dass eine solche Ausnahmebestimmung nicht nur auf diese Fälle beschränkt wird, sondern auch bei anderen ähnlich besonders leichten Fällen, die keinerlei Bezug zur Pädophilie aufweisen, zur Anwendung gelangen kann, wenn die Voraussetzungen hierfür erfüllt sind (BBl 2016 6161 Ziff. 2.1).
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2.5.4 Beim Begriff des "besonders leichten Falls" handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff (vgl. zum "leichten Fall" gemäss Art. 116 Abs. 2 AuG [nun AIG; SR 142.20]: Urteile 6B_60/2018 vom 21. Dezember 2018 E. 2.2.3; 6B_484/2014 vom 4. Dezember 2014 E. 4.2). Für die Qualifikation als besonders leichter Fall ist auf die Gesamtheit der objektiven und subjektiven Tatumstände abzustellen. Von der Ausnahmebestimmung erfasst werden nur eigentliche Bagatellfälle, wobei ein strenger Massstab anzulegen ist. Gemäss Botschaft können als besonders leichte Fälle von Sexualstraftaten in objektiver Hinsicht beispielsweise sexuelle Belästigungen oder Exhi bitionismus (wenn es im konkreten Fall beispielsweise eine bedingte Strafe von wenigen Tagessätzen gibt) in Betracht kommen; dies aufgrund ihrer geringen abstrakten Strafandrohung. Aber auch ein an deres Sexualdelikt, das einer höheren Strafdrohung unterliege, könne - so die Botschaft weiter - im konkreten Fall als besonders leichte Sexualstraftat gewertet werden (z.B. sexuelle Handlungen mit einem Kind, wenn es im konkreten Fall beispielsweise eine bedingte Strafe von wenigen Tagessätzen gibt). Dies insbesondere dann, wenn das Gericht unter Gesamtwürdigung der Tat- und Täterkomponenten (z.B. die Schwere der Verletzung, die Verwerflichkeit des Handelns, die Beziehung zwischen dem Täter und dem Opfer, das Vorleben und die Verhältnisse des Täters) das Verschulden des Täters als beson ders gering einstufe und deshalb eine milde Strafe ausspreche (BBl 2016 6161 Ziff. 2.1; auch in der Lehre werden weitgehend die Aus führungen in der Botschaft zusammengefasst wiedergegeben: Vil lard, a.a.O., N. 42 zu Art. 67 StGB; WOHLERS , a.a.O., N. 17 zu Art. 67 StGB; Stefan Heimgartner , in: StGB, JStG, Andreas Donatsch [Hrsg.], 21. Aufl. 2022, N. 14 zu Art. 67 StGB; TRECHSEL/BERTOSSA , a.a.O., N. 15c zu Art. 67 StGB; NADINE HAGENSTEIN , in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 4. Aufl. 2019, N. 87 zu Art. 67 StGB).
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2.5.5 Als nicht notwendig erscheint ein Tätigkeitsverbot nach der Botschaft dann, wenn dem Täter eine gute Prognose gestellt werden kann, weil Anhaltspunkte für eine Wiederholungsgefahr fehlen. Die Frage, ob ein Verbot nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Sexualstraftaten abzuhalten, muss vom Gericht - wie bei der Frage des bedingten Strafvollzugs (vgl. Art. 42 Abs. 1 StGB) - aufgrund einer Gesamtwürdigung beantwortet werden. Es sind alle nach dem Stand der Prognoseforschung massgeblichen Umstände zu berücksichtigen. In die Beurteilung miteinzubeziehen sind neben den Tatumständen das Vorleben und der Leumund sowie alle weiteren Tatsachen, die gültige Schlüsse auf den Charakter des Täters und die Aussichten auf Bewährung zulassen. Für eine Einschät zung des Rückfallrisikos ist ein möglichst vollständiges Bild der Täterpersönlichkeit unabdingbar; falls nötig, auch mittels eines psychiatrischen Gutachtens (BBl 2016 6161 Ziff. 2.1; siehe - teilweise mit Hinweis auf die Botschaft - auch: TRECHSEL/BERTOSSA, a.a.O., N. 15c zu Art. 67 StGB; WOHLERS , a.a.O., N. 17 zu Art. 67 StGB; LANGENEGGER , a.a.O., N. 24 zu Art. 67 StGB; HAGENSTEIN , a.a.O., N. 87 zu Art. 67 StGB).
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Das Gericht hat sich im Einzelfall bei der Beurteilung, ob die Voraussetzungen von Art. 67 Abs. 4bis StGB erfüllt sind und von der Anordnung eines Tätigkeitsverbots ausnahmsweise abgesehen werden kann, an diesen Beispielfällen zu orientieren.
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2.5.7 Sind die beiden kumulativen Voraussetzungen erfüllt, so liegt der ausnahmsweise Verzicht auf die Anordnung eines lebenslänglichen Tätigkeitsverbots gemäss der bundesrätlichen Botschaft im Ermessen des Gerichts (BBl 2016 6162 Ziff. 2.1; TRECHSEL/BERTOSSA , a.a.O., N. 15c zu Art. 67 StGB; WOHLERS , a.a.O., N. 17 zu Art. 67 StGB; LANGENEGGER , a.a.O., N. 24 zu Art. 67 StGB; VILLARD , a.a.O., N. 42 zu Art. 67 StGB). Allerdings muss das Gericht nach der bun desgerichtlichen Rechtsprechung von seinem Ermessen im Rahmen der verfassungsrechtlichen Grundsätze Gebrauch machen. So ent schied das Bundesgericht beispielsweise, dass das Gericht nach dem Verhältnismässigkeitsprinzip gemäss Art. 5 Abs. 2 BV von einer Landesverweisung absehen müsse, wenn die Voraussetzungen von Art. 66a Abs. 2 StGB (Härtefallklausel) erfüllt seien (BGE 144 IV 332 [/STYLE_CHAR_BOLD] E. 3.3; Urteile 6B_552/2021 vom 9. November 2022 E. 2.3.3; 6B_822/ 2021 vom 4. Juli 2022 E. 2.1.1; je mit Hinweisen). In Nachachtung dieser Rechtsprechung hat das Gericht von einem Tätigkeitsverbot abzusehen, wenn die beiden kumulativen Voraussetzungen von Art. 67 Abs. 4bis StGB erfüllt sind (und kein Fall von Art. 67 Abs. 4bis lit. a und b StGB vorliegt).
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Erwägung 2.6 | |
2.6.2 Allerdings zeigt der Beschwerdeführer auch in diesem Punkt nicht auf, dass die vorinstanzliche Einschätzung, es bestehe eine gewisse Gefahr, dass er weitere Delikte begehen könnte, Recht verletzt, zumal er mit keinem Wort auf die vorinstanzliche Begründung eingeht. Zwar wäre - unter dem Vorbehalt, dass es sich beim eingereichten Befragungsprotokoll nicht um ein unzulässiges Novum handelt (vgl. nicht publ. E. 1.4.2) - mit dem Beschwerdeführer zu berücksichtigen, dass er nicht einschlägig vorbestraft ist, das Strafverfahren eine gewisse Schockwirkung gehabt haben dürfte, er Websites mit verbotener Pornografie der Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (KOBIK) angeblich gemeldet habe und nach eigenen Angaben künftig auf den Kontakt zu jüngeren Frauen ausserhalb des Schwimmclubs verzichten will. Allerdings zieht die Vorinstanz ebenso zutreffend in Betracht, dass der Beschwerdeführer angegeben habe, hebephil zu sein und sich in eine damals 13-Jährige verliebt zu haben, die er trotz ihrer entsprechenden Bitte nicht in Ruhe gelassen habe. Kommt hinzu, dass der Beschwerdeführer gemäss der Vorinstanz nur teilweise Einsicht in das Unrecht seiner Taten zeigte, die Schuld dafür teilweise von sich wies und die Tat trotz seines initialen Geständnisses an der Berufungsverhandlung bestritt. Zu berücksichtigen ist ferner, dass der Beschwerdeführer im Schwimmclub unter anderem Kinder in jener Altersgruppe trainiert, die ihn nach seinen Angaben, wonach er hebephil sei, sexuell interessieren, und er seine biologischen Triebe gemäss der vorinstanzlichen Einschätzung in gewisser Weise als normal erachtet. Nach Würdigung aller relevanten Umstände ist nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz zum Schluss gelangt, dass beim Beschwerdeführer Anhaltspunkte für eine Wiederholungsgefahr vorhanden seien.
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2.6.3 Zusammenfassend erweist sich die vorinstanzliche Einschätzung, dass die Voraussetzungen von Art. 67 Abs. 4bis StGB nicht erfüllt sind und gestützt auf Art. 67 Abs. 3 lit. d Ziff. 2 StGB ein le benslängliches Tätigkeitsverbot auszusprechen ist, als rechtskonform. Zweifellos bedeutet das lebenslängliche Tätigkeitsverbot für den Beschwerdeführer zwar eine gewisse Härte. Diese geht aber nicht über das Mass hinaus, das der Verfassungs- und Gesetzgeber mit der Einführung des grundsätzlich zwingenden lebenslänglichen Tätigkeits verbots in Kauf nahm oder sogar wollte. Gegen die Anordnung der Bewährungshilfe und den Auftrag an die Beschwerdegegnerin, das Präsidium des Schwimmclubs nach Rechtskraft des vorinstanzlichen Urteils über das lebenslängliche Tätigkeitsverbot zu orientieren, wen det sich der Beschwerdeführer nicht, weshalb darauf nicht einzugehen ist.
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