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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
Erwägung 2
Erwägung 3
Erwägung 4
Bearbeitung, zuletzt am 14.10.2023, durch: DFR-Server (automatisch)
 
17. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. und Mitb. gegen G. und Mitb. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
 
1C_104/2022 vom 20. Dezember 2022
 
 
Regeste
 
Art. 7 StPO, Art. 110 Abs. 3 StGB; Erfordernis einer Ermächtigung zur Strafverfolgung.
 
Für Privatpersonen, denen öffentliche Aufgaben übertragen werden, gilt das Ermächtigungserfordernis nicht, sofern nicht zwingende Gründe für eine ausnahmsweise Zulassung des Vorbehalts sprechen (E. 3).
 
Weder die Bundesverfassung noch die Europäische Menschenrechtskonvention schliessen einen Ermächtigungsvorbehalt als prozessuale Voraussetzung für eine Strafverfolgung gegenüber Staatsangestellten aus (E. 4).
 
 
Sachverhalt
 
BGE 149 IV 183 (184)A.
A.a Am 26. Mai 2020 reichte Rechtsanwalt Marcel Bosonnet im Namen von acht erfolglosen Asylsuchenden, die in verschiedenen Rückkehrzentren des Kantons Zürich untergebracht waren, sowie der Demokratischen Juristinnen und Juristen der Schweiz (DJS) und Solidarité sans frontières bei der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich Strafanzeige ein gegen Regierungsrat Mario Fehr und weitere Vertreter der Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich und der übrigen kantonalen Verwaltung sowie der ORS Service AG. Den Angezeigten wurde dabei die Erfüllung der Straftatbestände des Aussetzens (Art. 127 StGB), der Nötigung (Art. 181 StGB), der Körperverletzung (Art. 123 StGB) bzw. der versuchten schweren Körperverletzung (Art. 122 i.V.m. Art. 22 StGB), der vorsätzlichen Widersetzung gegen Massnahmen gemäss Art. 10d in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 (richtig wohl: Abs. 3) lit. j und k sowie Abs. 4 der Verordnung 2 vom 13. März 2020 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (COVID-19) (COVID-19-Verordnung 2; AS 2020 783; SR 818.101.24) und eventuell der Verletzung von Vorschriften über die Verhütung der Übertragung von Krankheiten nach Art. 83 lit. c in Verbindung mit Art. 19 des Epidemiengesetzes vom 28. September 2012 (EpG; SR 818.101) vorgeworfen. Sie sollen im Frühjahr 2020 die Empfehlungen des Bundes zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie in den Rückkehrzentren des Kantons Zürich nicht oder nur ungenügend befolgt haben. Insbesondere habe es an der nötigen Information über die Schutzmassnahmen, an Isolationsvorkehrungen sowie an Schutzmasken, Desinfektionsmitteln und Flüssigseife gefehlt. Durch die unterlassenen Schutzvorkehren, die auch für die Rückkehrzentren zwingend gegolten hätten, seien die Personen in diesen Zentren einer direkten, schwerwiegenden Gefahr an Leib und Leben ausgesetzt worden.
A.b Die für die Strafuntersuchung zuständige Staatsanwaltschaft II des Kantons Zürich unterbreitete die Anzeige gegen Regierungsrat Mario Fehr mit Verfügung vom 28. September 2020 der Oberstaatsanwaltschaft mit dem Antrag, einen Ermächtigungsentscheid des dafür zuständigen Kantonsrats über die Einleitung eines Strafverfahrens einzuholen. Gleichzeitig kam sie zum Schluss, das angezeigte Verhalten erfülle keinen Straftatbestand. Am 5. November 2020 trat die Geschäftsleitung des Kantonsrats auf den Antrag nicht ein. Mit Urteil 1D_10/2020 vom 16. Juni 2021 wies das Bundesgericht eine dagegen erhobene Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat.BGE 149 IV 183 (184)
BGE 149 IV 183 (185)B. Mit Verfügung vom 11. August 2021 überwies die Staatsanwaltschaft erneut auf dem Dienstweg unter Einbezug der Oberstaatsanwaltschaft die Akten an das Obergericht, um über die Erteilung einer Ermächtigung zur Durchführung einer Strafuntersuchung gegen die angezeigten Mitarbeitenden des Sozialdienstes sowie der ORS Service AG zu entscheiden. Auch insofern hielt die Staatsanwaltschaft fest, es bestünden aus ihrer Sicht keine Hinweise für ein massgebliches strafbares Verhalten. Am 30. Dezember 2021 beschloss das Obergericht, auf das Gesuch insoweit nicht einzutreten, als mögliche Übertretungen gemäss dem Epidemiengesetz in Frage stünden; im Übrigen werde der Staatsanwaltschaft die Ermächtigung zur Strafverfolgung bzw. zur Eröffnung oder Nichtanhandnahme einer Untersuchung gegenüber den fünf angezeigten Personen nicht erteilt. (...)
C. Mit gemeinsamer Rechtsschrift vom 7. Februar 2022 erheben A., B.B., C.B. und D.B., E. und F., die alle zu den Anzeigeerstattern gehört hatten, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen G. als Amtschefin und H. als mitarbeitende Asylkoordinatorin des Kantonalen Sozialamts Zürich sowie gegen I. als CEO, J. als Geschäftsführer Schweiz und K. als Stv. Geschäftsführer Schweiz der ORS Service AG. Sie beantragen, den Beschluss des Obergerichts vom 30. Dezember 2021 aufzuheben, festzustellen, dass das Ermächtigungsverfahren auf die Mitarbeitenden der ORS Service AG sowie auf H. keine Anwendung finde, und gegenüber G. die Ermächtigung zur Durchführung eines Strafverfahrens zu erteilen; eventuell sei die Sache an das Obergericht zurückzuweisen zur Erteilung der fraglichen Ermächtigung gegen sämtliche angezeigten Personen. (...)
G. und H. schliessen in zwei separaten Eingaben auf Abweisung der Beschwerde. Das gleiche Rechtsbegehren stellen in einer gemeinsamen Vernehmlassung die drei Mitarbeiter der ORS Service AG, I., J. und K. Die Staatsanwaltschaft II und das Obergericht verzichteten auf eine Stellungnahme. Die Oberstaatsanwaltschaft reichte keine Vernehmlassung ein.
In Replik und Duplik halten sowohl die Beschwerdeführenden als auch die drei Mitarbeiter der ORS Service AG im Wesentlichen an ihren Standpunkten fest.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut und weist sie im Übrigen ab, soweit es darauf eintritt.
(Auszug)
 
BGE 149 IV 183 (185) BGE 149 IV 183 (186)Aus den Erwägungen:
 
 
Erwägung 2
 
2.3 Nach der Rechtsprechung ist für die Erteilung der Ermächtigung ein Mindestmass an Hinweisen auf strafrechtlich relevantes Verhalten zu verlangen. Dabei muss eine Kompetenzüberschreitung oder eine gemessen an den Amtspflichten missbräuchliche Vorgehensweise oder ein sonstiges Verhalten, das strafrechtliche Konsequenzen zu zeitigen vermag, in minimaler Weise glaubhaft erscheinen und es müssen genügende Anhaltspunkte für eine strafbare Handlung vorliegen. Der Entscheid über die Erteilung der Ermächtigung zur Strafuntersuchung ist demjenigen über die Anhandnahme eines Strafverfahrens bzw. über die Einstellung eines eröffneten Strafverfahrens vorangestellt. Es ist daher zwangsläufig, dass die Ermächtigung bereits bei einer geringeren Wahrscheinlichkeit einer strafrechtlichenBGE 149 IV 183 (186) BGE 149 IV 183 (187)Verantwortlichkeit erteilt werden muss, als sie für die Fortsetzung eines schon eröffneten Strafverfahrens bzw. den Verzicht auf dessen Einstellung erforderlich ist. Während für die Anklageerhebung die Wahrscheinlichkeiten einer Verurteilung und eines Freispruchs zumindest vergleichbar zu sein haben, genügt bereits eine geringere Wahrscheinlichkeit für strafbares Verhalten, um die Ermächtigungserteilung auszulösen (Urteil des Bundesgerichts 1C_355/2018 vom 14. November 2018 E. 2.3 mit Hinweisen). Da eine Nichtanhandnahme nur bei klarer Straflosigkeit verfügt werden darf (vgl. BGE 137 IV 219 E. 7; Urteil des Bundesgerichts 1C_96/2013 vom 17. Juni 2013 E. 4.1), gilt dies erst recht für die Verweigerung der Ermächtigung zur Strafverfolgung (vgl. WOLFGANG WOHLERS, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung StPO, Donatsch und andere [Hrsg.], 3. Aufl. 2020, N. 22 zu Art. 7 StPO).
    "Das Obergericht entscheidet über die Ermächtigung zur Strafverfolgungvon Beamten gemäss Art. 110 Abs. 3 StGB wegen im Amt begangener Verbrechen oder Vergehen. Vorbehalten bleibt die Zuständigkeit des Kantonsrates."
Bei § 148 GOG handelt es sich um kantonales Recht. Die Bestimmung verweist auf Art. 110 Abs. 3 StGB. Dadurch wird Art. 110 Abs. 3 StGB zu subsidiärem kantonalem Recht (BGE 140 II 298 E. 2; Urteil des Bundesgerichts 1C_340/2018 vom 7. März 2019 E. 4.1 mit Hinweisen). Die Auslegung und Anwendung von kantonalem Recht prüft das Bundesgericht, von hier nicht gegebenen Ausnahmen abgesehen, lediglich auf Willkür hin (Art. 95 BGG). Dabei muss Willkür gerügt werden. Insofern gelten qualifizierte Begründungsanforderungen (vgl. nicht publ. E. 1.6). Die Beschwerdeführenden äussern sich nicht dazu, weshalb die Vorinstanz Art. 110 Abs. 3 StGB willkürlich angewandt habe, was mithin nicht geprüft werden muss. Hingegen rügen die Beschwerdeführenden, die Anwendung von § 148 GOG verstosse gegen Art. 7 StPO, das Rechtsgleichheitsgebot nach Art. 8 BV sowie gegen das Gleichbehandlungsgebot im Bereich des Schutzes des Privatlebens und der Verfahrensfairness gemäss Art. 14 in Verbindung mit Art. 6 und 8 EMRK. Dabei handelt es sich um Bundesrecht. Insoweit ist auf die Beschwerde einzutreten.BGE 149 IV 183 (187)
 
BGE 149 IV 183 (188)Erwägung 3
 
3.4.2 Entstehungsgeschichtlich ergibt sich, dass der Bundesrat für Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO vorgeschlagen hatte, die BGE 149 IV 183 (189) BGE 149 IV 183 (190)Ermächtigungsklausel einzig auf die obersten Exekutiv- und Justizorgane anzuwenden. Auf Antrag der ständerätlichen Kommission erweiterte die Bundesversammlung den Anwendungsbereich ohne vertiefte parlamentarische Debatte auf den heute geltenden Wortlaut (vgl. insb. AB 2006 S 991; RIEDO/FIOLKA, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 79 zu Art. 7 StPO; SCHMID/JOSITSCH, Schweizerische Strafprozessordnung [StPO], Praxiskommentar, 3. Aufl. 2018, N. 9 zu Art. 7 StPO). Die Bundesversammlung wollte es den Kantonen damit ermöglichen, weitere in der Verwaltung oder Justiz tätige Personen einem strafprozessualen Ermächtigungserfordernis zu unterstellen. Wie genau bzw. wie weit der davon erfasste Personenkreis zu bestimmen wäre, blieb aber undefiniert. Aus der Entstehungsgeschichte lassen sich mithin ebenfalls keine schlüssigen Vorgaben für die hier strittige Auslegungsfrage ableiten.
3.4.3 In systematischer Hinsicht zeigt sich eine gewisse Parallelität zum strafrechtlichen Beamtenbegriff gemäss Art. 110 Abs. 3 StGB. Die Beschwerdegegnerschaft macht denn auch mit Blick auf diese Bestimmung geltend, es müsse genügen, dass eine Person eine öffentliche Funktion erfülle. Dies entspricht an sich nicht nur dem Wortlaut von Art. 110 Abs. 3 StGB, wonach namentlich davon erfasst wird, wer, wenn auch nur vorübergehend, amtliche Funktionen ausübt, sondern auch der diesbezüglichen Rechtsprechung (vgl. zum sog. funktionellen Beamtenbegriff etwa BGE 142 IV 65 E. 5.1 mit Hinweisen). Der strafrechtliche Beamtenbegriff erstreckt sich aber nicht in jedem Fall auch auf Private. So scheint es mehr als fraglich, ob beispielsweise Sonderdelikte wie der qualifizierte Tatbestand der Veruntreuung durch einen Beamten nach Art. 138 Ziff. 2 StGB oder derjenige des Amtsmissbrauchs gemäss Art. 312 StGB durch das Reinigungspersonal eines privaten Dienstleistungserbringers erfüllt werden könnten. Besonders einschlägig sind insofern Art. 285 Ziff. 1 Abs. 2 und Art. 286 Abs. 2 StGB, wonach nebst den Beamten Angestellte von Personenbeförderungs- und Transportunternehmen sowie entsprechendes Sicherheitspersonal ausdrücklich den entsprechenden Strafbestimmungen unterstellt werden. Das wäre nicht erforderlich, wenn sich dies bereits aus dem Beamtenbegriff nach Art. 110 Abs. 3 StGB ergäbe (vgl. dazu zum alten Recht das Urteil des Bundesgerichts 1B_443/2011 vom 28. November 2011 E. 2; anders hingegen das Urteil 6S.368/1988 vom 29. September 1988). Die Anwendbarkeit des strafrechtlichen Beamtenbegriffs führtBGE 149 IV 183 (190) BGE 149 IV 183 (191)demnach nicht zwingend dazu, dass der Ermächtigungsvorbehalt gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO greift. Der Wortlaut dieser beiden Bestimmungen ist denn auch verschieden. Die Strafbarkeit an sich und die Modalitäten der Strafverfolgung sind insoweit zu unterscheiden, und es ist darüber jeweils autonom zu entscheiden.
Auch der von Seiten der Beschwerdegegnerschaft vorgebrachte Verweis auf den Fall eines Arztes, der mit der Begleitung eines Ausschaffungshäftlings betraut war und gemäss BGE 130 IV 27 in amtlicher Funktion handelte, ist für die vorliegend zu beurteilende Rechtsfrage nicht einschlägig, ging es damals doch um eine Haftungsfrage. Das ist mit dem strafprozessualen Ermächtigungsvorbehalt nicht gleichzusetzen.
Obschon § 148 GOG auf Art. 110 Abs. 3 StGB verweist, vermag dies den entsprechend allenfalls engeren Anwendungsbereich von Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO nicht zu übersteuern, sondern kann von vorneherein nur soweit zulässig sein, als die letztgenannte Bestimmung das Ermächtigungserfordernis zulässt. Systematische Erwägungen sprechen daher dafür, dass die Ausweitung der Anwendbarkeit einer auf Angestellte im öffentlichen Dienst ausgerichteten Norm auf Privatpersonen ausdrücklich im Gesetz vorgesehen sein muss und sich nur dann durch Auslegung ergeben kann, wenn dies wie beim Beispiel der Amtsgeheimnisverletzung zwingend erscheint. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt.
Der prozessuale Schutz vor Strafverfolgung durch ein Ermächtigungserfordernis ging früher einher mit der speziellen dienstrechtlichen Stellung von Beamten, wie sie etwa durch die Geltung von festen Amtsdauern und erschwerten Voraussetzungen für dieBGE 149 IV 183 (191) BGE 149 IV 183 (192)Aufhebung des Dienstverhältnisses zum Ausdruck gelangte. Damit verbunden war aber auch die besondere Strafbarkeit aufgrund der als Sondertatbestände ausgestalteten Amtsdelikte wie beispielsweise Amtsmissbrauch oder die Verletzung des Amtsgeheimnisses (vgl. im Wesentlichen Art. 312 ff. i.V.m. Art. 110 Abs. 3 StGB). Diese sollten im Wesentlichen einem Missbrauch der mit der Amtsstellung verbundenen Ausübung hoheitlicher Macht bei der Amtstätigkeit vorbeugen. Der Ermächtigungsvorbehalt diente umgekehrt dazu, Beamte prozessual vor ungerechtfertigten Strafanzeigen unzufriedener Rechtsunterworfener zu schützen. Dieser Schutz beschränkte sich in der Praxis nicht auf eigentliche Amtsdelikte, sondern fand flächendeckend auf alle Straftatbestände Anwendung. Dabei wurde der strafrechtliche Beamtenbegriff nach Art. 110 Abs. 3 StGB nicht deckungsgleich mit dem dienstrechtlichen ausgelegt, sondern durch das funktionelle Verständnis auch auf Staatsbedienstete ausgeweitet, die nicht im Beamtenverhältnis standen.
In den letzten Jahrzehnten wurde der dienstrechtliche Beamtenstatus in der Schweiz kontinuierlich abgebaut. Die Rechtsstellung der Staatsbediensteten hat sich derjenigen privater Angestellter angeglichen (vgl. etwa BELLANGER/ROY, Entwicklung des Rechts- und Regulierungsrahmens des öffentlichen Dienstes in der Schweiz, in: Handbuch der öffentlichen Verwaltung in der Schweiz, Ladner und andere [Hrsg.], 2013, S. 459 ff.). Zwar bleiben die strafrechtlichen Amtsdelikte weiterhin anwendbar. Mit dem weitgehenden Wegfall des Beamtenstatus kommt dem damit einhergehenden Schutz vor unberechtigter Strafverfolgung aber nicht mehr die gleiche Bedeutung zu wie früher. Hinzu kommt, dass es früher auch die Ausnahme bildete, die Erfüllung staatlicher Aufgaben an Private zu übertragen. Die Frage des dem Ermächtigungsvorbehalt unterstellten Personenkreises stellte sich denn auch nur in seltenen und besonderen Fällen. Inzwischen werden Private in vielfältiger Hinsicht mit der Erfüllung staatlicher Aufgaben betraut (dazu etwa THIERRY TANQUEREL, Manuel de droit administratif, 2. Aufl. 2018, S. 32 ff.). Es kann nicht Sinn des Ermächtigungsvorbehalts sein, die Strafverfolgung in allen diesen Konstellationen einzuschränken. Das Ermächtigungserfordernis wird denn auch vor diesem Hintergrund zunehmend in Frage gestellt. Etliche Kantone kennen keinen solchen Vorbehalt, und in der wissenschaftlichen Literatur wird diskutiert, ob der Tatbestand von Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO mit Blick auf das strafrechtliche Legalitätsprinzip und die strafprozessuale Offizialmaxime überhaupt nochBGE 149 IV 183 (192) BGE 149 IV 183 (193)zeitgemäss sei. Dazu wird gefordert, diese Bestimmung restriktiv auszulegen (SCHMID/JOSITSCH, a.a.O., N. 9 zu Art. 7 StPO), und dabei wird sogar ausdrücklich die zürcherische Umsetzung in § 248 GOG als äusserst weit kritisiert (ROTH/VILLARD, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2. Aufl. 2019, N. 28a zu Art. 7 StPO). Überdies wird ebenfalls explizit in Frage gestellt und als wenig sinnvoll bezeichnet, dass die Angestellten privater Unternehmen mit erfasst würden (RIEDO/FIOLKA, a.a.O., N. 83 zu Art. 7 StPO).
Vor diesem geltungszeitlichen Hintergrund spricht der Gesetzeszweck für eine enge Auslegung von Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO. Das legt nahe, die Anwendbarkeit des Ermächtigungsvorbehalts auf Private als grundsätzlich ausgeschlossen zu beurteilen bzw. lediglich im Ausnahmefall zuzulassen, wenn sich dies zwingend aufgrund der speziellen Umstände des Einzelfalles rechtfertigt.
BGE 149 IV 183 (193)
 
BGE 149 IV 183 (194)Erwägung 4
 
4.3 Weder die Bundesverfassung noch die Menschenrechtskonvention schliessen jedoch prozessuale Voraussetzungen für eine Strafverfolgung aus. Im von den Beschwerdeführenden angerufenen Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte Kart gegen Türkei vom 8. Juli 2008 [Nr. 8917//05], Recueil CourEDH 2009-VIS. 1 entschied das Gericht, es verstosse gegen Art. 6 Ziff. 1 EMRK, wenn einem Parlamentarier gegen seinen Willen während seiner Amtszeit strafrechtliche Immunität verliehen werde. Mit Urteil vom 3. Dezember 2009 verneinte jedoch die Grosse Kammer des Gerichtshofes eine Verletzung der Menschenrechtskonvention. Auch wenn es hier im Unterschied dazu um die Anliegen von Anzeigeerstattern bzw. potentiellen Privatklägern geht und es sich beim Ermächtigungsvorbehalt um eine besondere Form eines Straferfordernisses handelt, ist nicht ersichtlich, weshalb insofern etwas anderes gelten sollte. Für die Anwendung von Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO sind im Übrigen, abgesehen vom vorliegend nicht wesentlichen Sonderfall der obersten kantonalen Vollziehungs- und Gerichtsbehörden (siehe dazu das Urteil des Bundesgerichts 1D_10/2020BGE 149 IV 183 (194) BGE 149 IV 183 (195)vom 16. Juni 2021 E. 2.2.1 mit Hinweisen im parallelen Verfahren des betroffenen Regierungsrates), nur strafrechtliche und keine politischen Kriterien zulässig (vgl. vorne E. 2.2). Die Ermächtigung ist überdies zu erteilen, wenn ein ausreichender Anfangsverdacht besteht bzw. nicht von klarer Straflosigkeit auszugehen ist (vgl. vorne E. 2.3). Im Kanton Zürich entscheidet sodann ein Gericht über die Ermächtigung, ausser im hier nicht interessierenden Fall der Aufhebung der Immunität eines Mitglieds des Kantonsrates, des Regierungsrates oder eines obersten kantonalen Gerichts (dazu § 131 ff. des Kantonsratsgesetzes vom 25. März 2019 des Kantons Zürich [KRG; LS 171.1] sowie erneut das im Parallelfall des betroffenenRegierungsrats ergangene Urteil des Bundesgerichts 1D_10/2020 vom 16. Juni 2021). Da die Strafprozessordnung die Kantone lediglich berechtigt, einen Ermächtigungsvorbehalt vorzusehen, aber nicht dazu verpflichtet, liegt auch darin keine massgebliche Rechtsungleichheit, dass es in anderen Kantonen ein solches Ermächtigungserfordernis nicht gibt. Schliesslich werden den Beschwerdeführenden durch die Ermächtigungsverweigerung weder allfällige Ansprüche aus dem Opferhilferecht noch aus Verantwortlichkeitstatbeständen entzogen. Die entsprechenden Verfahren stehen ihnen vielmehr im Bedarfsfall unabhängig davon offen.