37. Auszug aus dem Urteil der I. strafrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern (Beschwerde in Strafsachen) | |
6B_821/2021 vom 6. September 2023 | |
Regeste | |
Art. 196, 197 und 244 StPO; Anforderungen an den Tatverdacht bei Hausdurchsuchungen; unzulässige Beweisausforschung.
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Sachverhalt | |
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B. Das Kriminalgericht des Kantons Luzern erkannte am 6. Februar 2020 A. für schuldig der mehrfachen qualifiziert groben Verletzung von Verkehrsregeln nach Art. 90 Abs. 3 und Abs. 4 lit. b und c SVG, der mehrfachen groben Verletzung von Verkehrsregeln nach Art. 90 Abs. 2 SVG, des mehrfachen Fahrens ohne Berechtigung nach Art. 95 Abs. 1 lit. b SVG sowie weiterer diverser Delikte des SVG, StGB und des kantonalen Übertretungsstrafrechts. Es verurteilte A. unter Berücksichtigung einer zu widerrufenden Vorstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und elf Monaten, einer Geldstrafe von zwanzig Tagessätzen zu je Fr. 130.- und zu einer Busse von Fr. 800.-.
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C. Mit Urteil vom 5. März 2021 bestätigte das Kantonsgericht des Kantons Luzern den Schuldspruch der ersten Instanz im Umfang dessen Anfechtung. Die Freiheitsstrafe wurde auf vier Jahre und achteinhalb Monate, die Geldstrafe auf zwanzig Tagessätze zu je Fr. 70.- und die Busse auf Fr. 560.- reduziert.
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D. Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A., er sei vom Vorwurf der mehrfachen qualifizierten groben Verletzung der Verkehrsregeln nach Art. 90 Abs. 3 und Abs. 4 lit. b und c SVG die Vorfälle vom 17. August 2014 und 10. April 2015 betreffend, der mehrfachen groben Verletzung der Verkehrsregeln nach Art. 90 Abs. 2 SVG die Vorfälle vom 14. August 2014, 17. August 2014 und 10. April 2015 betreffend sowie des mehrfachen Fahrens ohne Berechtigung nach Art. 95 Abs. 1 lit. b SVG die Vorfälle vom 10. April 2015 betreffend freizusprechen. Die Sache sei zur erneuten Beurteilung des ![]() ![]() | |
Das Kantonsgericht verzichtete auf eine Stellungnahme. Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern liess sich am 2. September 2022 vernehmen. A. verzichtete auf eine Replik.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut, soweit es darauf eintritt.
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Erwägung 1 | |
Die Vorinstanz erwägt in rechtlicher Hinsicht, aufgrund der Tatsache, dass der Vater ausserorts mit brutto 164 km/h anstelle der erlaubten 80 km/h gefahren sei und vor Ort keine Erklärung für seine massive Geschwindigkeitsübertretung habe abgeben können, sei der Verdacht aufgekommen, der Vater des Beschwerdeführers habe sich aus Reiz an der Geschwindigkeit möglicherweise weitere Strassenverkehrsdelikte zu Schulden kommen lassen. Deshalb sei ein ![]() ![]() | |
Erwägung 1.3 | |
Nach Art. 244 Abs. 2 lit. b StPO dürfen Häuser, Wohnungen und andere nicht allgemein zugängliche Räume ohne Einwilligung der berechtigten Person durchsucht werden, wenn zu vermuten ist, dass in diesen Räumen u.a. Tatspuren oder zu beschlagnahmende Gegenstände oder Vermögenswerte vorhanden sind. Schriftstücke, Ton-, Bild- und andere Aufzeichnungen, Datenträger sowie Anlagen zur Verarbeitung und Speicherung von Informationen dürfen durchsucht werden, wenn zu vermuten ist, dass sich darin Informationen befinden, die der Beschlagnahme unterliegen (Art. 246 StPO). Der Beschlagnahme unterliegen namentlich Gegenstände einer beschuldigten Person oder einer Drittperson, die voraussichtlich als Beweismittel gebraucht werden (Art. 263 Abs. 1 lit. a StPO). Diese Gegenstände müssen untersuchungsrelevant sein (BGE 142 IV 207 E. 7.1; BGE 141 IV 77 E. 4.3; BGE 138 IV 225 E. 7.1 mit Hinweisen). Bei der Durchsuchung zufällig entdeckte Gegenstände, die mit der abzuklärenden Straftat nicht in Zusammenhang stehen, aber auf eine andere Straftat hinweisen, werden gemäss Art. 243 Abs. 1 StPO sichergestellt.
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Unter Zufallsfunden nach Art. 243 StPO versteht man die bei der Durchführung von Zwangsmassnahmen allgemein und bei ![]() ![]() | |
Abzugrenzen sind Zufallsfunde von unzulässigen Beweisausforschungen, sogenannten "fishing expeditions". Eine solche besteht, wenn einer Zwangsmassnahme kein genügender Tatverdacht zugrunde liegt, sondern aufs Geratewohl bzw. planlos Beweisaufnahmen getätigt werden. Aus Beweisausforschungen resultierende Ergebnisse sind grundsätzlich nicht verwertbar (BGE 139 IV 128 E. 2.1; BGE 137 I 218 E. 2.3.2; Urteile 6B_335/2020 vom 7. September 2020 E. 3.3.3; 6B_191/2016 vom 5. August 2016 E. 1.3).
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Erwägung 1.4 | |
1.4.1 Aus den vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen ergibt sich, dass die Hausdurchsuchung weder geeignet noch erforderlich war, um weitere Beweise für die Fahrt vom 12. April 2015 zu sichern. Die Tat (d.h. die Geschwindigkeitsüberschreitung) und die ![]() ![]() ![]() ![]() | |
Ebenso wenig ist der Vorinstanz zuzustimmen, wenn sie den hinreichenden Tatverdacht der Strafverfolgungsbehörden (nachträglich) damit begründen will, der Vater habe sich in der Vergangenheit möglicherweise weitere Strassenverkehrsdelikte zu Schulden kommen lassen. An den hinreichenden Tatverdacht zwecks Hausdurchsuchung sind zwar keine allzu hohen Anforderungen zu stellen, zumal hierfür bereits Übertretungen genügen (Urteil 6B_860/2018 vom 18. Dezember 2018 E. 2.4). Vielmehr handelt es sich im konkreten Fall um eine blosse Vermutung und einen Generalverdacht seitens der Strafverfolgungsbehörden, die eine Hausdurchsuchung nicht legitimieren (vgl. auch Urteil 6B_897/2019 vom 9. Januar 2020 E. 1.3.1). Jedenfalls ist nicht erstellt und wird von der Beschwerdegegnerin in der Vernehmlassung auch nicht behauptet, dass die Strafverfolgungsbehörden zum Zeitpunkt der Durchsuchung (bzw. im Hinblick darauf) Kenntnis von allfälligen einschlägigen Vorstrafen des Vaters hatten. Einzig die unspezifische Vermutung (so die Beschwerdegegnerin wortwörtlich in ihrer Vernehmlassung), in der Wohnung könnten sich Hinweise auf allfällige weitere Verkehrsdelikte befinden, reicht nicht aus, um den Eingriff zu rechtfertigen und "auf gut Glück" nach weiteren Delikten zu forschen (vgl. auch Urteil 1B_322/2021 vom 22. Dezember 2021 E. 2.4).
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1.4.2 Nach dem Gesagten waren die Hausdurchsuchung und die Beschlagnahme der GoPro-Kamera inklusive SD-Karte unzulässig. Auf das begangene Raserdelikt vom 12. April 2015 konnten sie nicht gerichtet sein. Konkrete und erhebliche Hinweise, die einen hinreichenden Tatverdacht auf weitere Strassenverkehrsdelikte begangen durch den Vater begründeten, lagen indessen nicht vor. ![]() |