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Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
Erwägung 2
Erwägung 3
Erwägung 6
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38. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. Inc. gegen Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
 
1C_624/2022 vom 21. April 2023
 
 
Art. 2 IRSG; Rechtshilfeausschlussgrund des Ordre public.
 
 
Art. 74a und Art. 94 ff. IRSG; Rechtshilfe in Strafsachen zur Vollstreckung einer Ersatzforderung.
 
 
Sachverhalt
 
BGE 149 IV 376 (377)A. Gestützt auf verschiedene Rechtshilfeersuchen Belgiens an die Schweiz ordnete die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich am 14. März 2011 die Beschlagnahme aller Bankguthaben des belgischen Staatsangehörigen E.B. bei der C. AG an. Von dieser Sperre waren ursprünglich zwei Geschäftsbeziehungen betroffen, nämlich die Stamm-Nr. x, lautend auf die A. lnc. (Vermögensstand per 16. März 2011: USD 5'526'274.-), und die Stamm-Nr. y, lautend auf E.B. (Vermögensstand per 2. Januar 2011: EUR 901.30).
Am 26. März 2012 erliess die Staatsanwaltschaft die Schlussverfügung und hielt die Kontosperre aufrecht. Mit Zwischenentscheid vom 19. November 2014 erklärte sie das Einverständnis zur Saldierung der Geschäftsbeziehung mit der Stamm-Nr. y, da diese Beziehung aufgrund aufgelaufener Bankgebühren mittlerweile einen Negativsaldo aufwies.
Mit Rechtshilfeersuchen vom 8. Februar 2018 und ergänzendem Schreiben vom 12. November 2018 teilte die Staatsanwaltschaft des Appellationshofes Antwerpen den Schweizer Behörden mit, dass der Appellationshof E.B. mit Urteil vom 26. April 2017 rechtskräftig wegen Urkundenfälschung, Veruntreuung und Geldwäscherei verurteilt habe. Aus dem Urteil geht hervor, dass es das Gericht als erwiesen erachtet hatte, dass E.B. zwischen dem 3. August 2001 und dem 6. Dezember 2005 in Antwerpen als Geschäftsführer der D. widerrechtlich Bargeld im Gesamtbetrag von rund EUR 4.5 Mio. aus deren Vermögen entnommen hatte. Dies habe er mit fiktiven Rechnungen zu vertuschen versucht. Das Bargeld habe er in der Folge in der Schweiz auf Bankkonten eingezahlt, welche die C. AGBGE 149 IV 376 (377) BGE 149 IV 376 (378)für ihn persönlich bzw. für ihn und seine Ehefrau bzw. für die von ihm beherrschte Off-Shore-Gesellschaft A. lnc. geführt habe. Belgien ersuchte die Schweiz gestützt auf dieses Urteil, von den beschlagnahmten Bankguthaben der A. lnc. folgende Beträge herauszugeben: EUR 3'080'225.50 zur Einziehung und EUR 1'492'896.80 zur Tilgung einer Ersatzforderung des Staats Belgien.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich erliess am 24. August 2020 die Schlussverfügung in diesem zweiten Rechtshilfeverfahren und ordnete Folgendes an:
    "1. Der Staatsanwaltschaft des Appellationshofs Antwerpen wird Rechtshilfe im Umfang gemäss Ziff. 2-3 des Dispositivs gewährt.
    2. Vom beschlagnahmten Guthaben auf der von der C. AG für die A. lnc. geführten Geschäftsbeziehung mit Stamm-Nr. x wird ein Teilbetrag in der Höhe von CHF 3'311'858 (= EUR 3'080'225.50) der A. lnc. im Hinblick auf die Einziehung zugunsten des Staates weggenommen.
    3. Vom beschlagnahmten Guthaben auf der von der C. AG für die A. lnc. geführten Geschäftsbeziehung mit Stamm-Nr. x wird ein Teilbetrag in der Höhe von CHF 1'605'163 (= EUR 1'492'896.80) der A. lnc. zwecks Tilgung der Ersatzforderungsverpflichtung von E.B. weggenommen.
    4. Im nach Vollzug der Anordnungen in Ziff. 2 und 3 verbleibenden Restbetrag wird die von der Staatsanwaltschaft Zürich rechtshilfeweise für die belgischen Strafbehörden am 14. März 2011 angeordnete und am 26. März 2012 aufrechterhaltene Beschlagnahme aufgehoben.
    5. Die C. AG wird angewiesen, vom beschlagnahmten Guthaben auf der von der C. AG für die A. lnc. geführten Geschäftsbeziehung mit Stamm-Nr. x einen CHF 4'917'021 entsprechenden Teil der Anlagetitel zu liquidieren und den Betrag von CHF 4'917'021 auf folgendes Bankkonto zu überweisen: [...] [Postkonto der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich]. [...] Die C. AG wird zudem angewiesen, nach Ausführung der vorgnannten Überweisung die mit rechtshilfeweisen Verfügungen der Staatsanwaltschaft Zürich vom 14. März 2011 und vom 26. März 2012 angeordneten Kontosperren vollständig aufzuheben.
    6. Die Geldbeträge gemäss Ziff. 2 und 3 dieser Verfügung werden gemäss der noch zu treffenden Teilungsvereinbarung zwischen dem Königreich Belgien und der Schweiz (Bund und Kantone) verteilt. Der dem Königreich Belgien zugeordnete Anteil wird nach Eintritt der Rechtskraft der Teilungsvereinbarung herausgegeben. Das Bundesamt für Justiz wird ersucht, der Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich das Ergebnis des Teilungsverfahrens mitzuteilen.
    7. Die Kosten werden auf die Staatskasse genommen.
    8. [Mitteilung]
    9. [Rechtsmittelbelehrung]." BGE 149 IV 376 (378)
BGE 149 IV 376 (379)Dagegen gelangte die A. lnc. mit Beschwerde vom 28. September 2020 an das Bundesstrafgericht. Sie beantragte in der Sache, Ziff. 1-3 der Schlussverfügung aufzuheben. Eventualiter seien die in Ziff. 1 und 2 genannten Beträge um EUR 130'000 zu reduzieren. Die Beschlagnahme sei aufzuheben und die C. AG anzuweisen, das Konto freizugeben.
(...)
Mit Teilentscheid vom 19. August 2022 verpflichtete das Bundesstrafgericht die Staatsanwaltschaft, die C. AG nach Ausführung der Überweisung von Fr. 4'917'021.- vom beschlagnahmten Konto auf das Konto der Staatsanwaltschaft anzuweisen, die Kontosperren vollständig aufzuheben.
(...)
Mit Teilentscheid vom 11. November 2022 wies das Bundesstrafgericht die Beschwerde ab.
B. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht vom 25. November 2022 beantragt die A. Inc., der Teilentscheid des Bundesstrafgerichts vom 11. November 2022 und entsprechend die Ziff. 1-3 der Schlussverfügung der Staatsanwaltschaft vom 24. August 2020 seien aufzuheben. Die Beschlagnahme der Vermögenswerte auf ihrem Konto bei der C. AG sei aufzuheben und der allenfalls bereits auf das Konto der Staatsanwaltschaft überwiesene Betrag von Fr. 4'917'021 sei ihr herauszugeben. Eventualiter sei ihr ein Betrag von EUR 130'000.- herauszugeben, subeventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
(...)
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
(Auszug)
 
 
Erwägung 2
 
2.1 Für die Rechtshilfe zwischen der Schweiz und Belgien sind primär folgende Rechtsgrundlagen massgebend: das Europäische Übereinkommen vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen (EUeR; SR 0.351.1), dessen zweites Zusatzprotokoll vom 8. November 2001 (SR 0.351.12), das Übereinkommen vom 8. November 1990 über Geldwäscherei sowie Ermittlung, BeschlagnahmeBGE 149 IV 376 (379) BGE 149 IV 376 (380)und Einziehung von Erträgen aus Straftaten (GwÜ; SR 0.311.53; im Folgenden auch: GwUe) und das Übereinkommen vom 19. Juni 1990 zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 (Schengener Durchführungsübereinkommen, SDÜ; ABl. L 239 vom 22. September 2000 S. 19 ff.). Die genannten Staatsverträge sind sowohl für die Schweiz als auch für Belgien in Kraft. Soweit sie bestimmte Fragen nicht abschliessend regeln, ist das schweizerische Landesrecht anwendbar, namentlich das IRSG (SR 351.1) und die IRSV (SR 351.11). Dasselbe gilt nach dem "Günstigkeitsprinzip", wenn das schweizerische Landesrecht geringere Anforderungen an die Rechtshilfe stellt (BGE 145 IV 294 E. 2.1; BGE 142 IV 250 E. 3; je mit Hinweisen).
    "1. Eine Vertragspartei, die von einer anderen Vertragspartei ein Ersuchen um Einziehung von in ihrem Hoheitsgebiet befindlichen Tatwerkzeugen oder Erträgen erhalten hat, wird
    a. eine Einziehungsentscheidung eines Gerichts der ersuchenden Vertragspartei in Bezug auf diese Tatwerkzeuge oder Erträge vollstrecken oder
    b. das Ersuchen an ihre zuständigen Behörden weiterleiten, um eine Einziehungsentscheidung zu erwirken, und diese, falls sie erlassen wird, vollstrecken.
    2. Für die Anwendung von Ziffer 1 Buchstabe b hat jede Vertragspartei erforderlichenfalls die Zuständigkeit, ein Einziehungsverfahren nach ihrem innerstaatlichen Recht einzuleiten.
    3. Ziffer 1 findet auch auf die Einziehung Anwendung, die in der Verpflichtung zur Zahlung eines dem Wert des Ertrags entsprechenden Geldbetrags besteht, wenn sich Vermögenswerte, auf die sich die Einziehung beziehen kann, im Hoheitsgebiet der ersuchten Vertragspartei befinden. Wird in diesen Fällen Zahlung nicht erlangt, so befriedigt die ersuchte Vertragspartei bei der Vollstreckung der Einziehung nach Ziffer 1 die Forderung aus jedem zu diesem Zweck verfügbaren Vermögenswert.
    4. Betrifft ein Ersuchen um Einziehung einen bestimmten Vermögenswert, so können die Vertragsparteien vereinbaren, dass die ersuchte Vertragspartei die Einziehung in Form einer Verpflichtung zur Zahlung eines dem Wert des Vermögenswertes entsprechenden Geldbetrags durchführen kann."
Die ersuchte Vertragspartei hat die freie Wahl zwischen den in Art. 13 Ziff. 1 lit. a und b GwÜ vorgesehenen zwei Möglichkeiten. Das schweizerische Recht setzt lit. a dieser Bestimmung um, indem esBGE 149 IV 376 (380) BGE 149 IV 376 (381)die rechtshilfeweise Herausgabe von Erträgen krimineller Herkunft zur Einziehung (Art. 74a IRSG) und die rechtshilfeweise Vollstreckung ausländischer Entscheide (Art. 94 ff. IRSG) vorsieht. Alternativ ist gestützt auf lit. b und Ziff. 2 eine Einziehung nach Art. 69 ff. StGB möglich (eingehend: BAUMANN/STENGEL, in: Basler Kommentar, Internationales Strafrecht, 2015, N. 11-39 zu Art. 13 GwÜ). Das GwÜ ist in dieser Hinsicht somit nicht direkt anwendbar, sondern richtet sich an den innerstaatlichen Gesetzgeber (BGE 133 IV 215 E. 2.1 S. 220; Urteil 1C_565/2019 vom 10. Februar 2020 E. 6.5 mit Hinweisen).
Das eingangs erwähnte EUeR und dessen zweites Zusatzprotokoll regeln die rechtshilfeweise Herausgabe von Vermögenswerten deliktischer Herkunft zur Einziehung nicht (BGE 123 II 134 E. 5a S. 137; Urteil 1C_565/2019 vom 10. Februar 2020 E. 6.5; je mit Hinweisen); das SDÜ verweist in Art. 51 hinsichtlich von Beschlagnahmen im Wesentlichen auf das Recht der ersuchten Vertragspartei, mit dem das Rechtshilfeersuchen vereinbar sein muss. Somit kommt im vorliegenden Fall im Wesentlichen schweizerisches Landesrecht zum Tragen, namentlich das IRSG und die IRSV.
 
Erwägung 3
 
    BGE 149 IV 376 (382)"Einem Ersuchen um Zusammenarbeit in Strafsachen wird nicht entsprochen, wenn Gründe für die Annahme bestehen, dass das Verfahren im Ausland:
    a. den in der Europäischen Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder im Internationalen Pakt vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte festgelegten Verfahrensgrundsätzen nicht entspricht;
    b. durchgeführt wird, um eine Person wegen ihrer politischen Anschauungen, wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus Gründen der Rasse, Religion oder Volkszugehörigkeit zu verfolgen oder zu bestrafen;
    c. dazu führen könnte, die Lage des Verfolgten aus einem unter Buchstabe b angeführten Grunde zu erschweren; oder
    d. andere schwere Mängel aufweist."
Art. 2 IRSG verankert den Rechtshilfeausschlussgrund des Ordre public (vgl. auch Art. 1a IRSG, der unter dem Titel der Begrenzung der Zusammenarbeit die "öffentliche Ordnung" erwähnt [frz.: "ordre public"; ital.: "ordine pubblico"]). Darunter ist die Gesamtheit der fundamentalen Rechtssätze zu verstehen, die in der Schweiz (schweizerischer Ordre public) oder international (internationaler Ordre public) gelten (eingehend: PETER POPP, Grundzüge der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen, 2001, Rz. 389 ff.; DONATSCH/HEIMGARTNER/MEYER/SIMONEK, Internationale Rechtshilfe [...], 2. Aufl. 2015, S. 77-81; vgl. auch die Übersicht über die verschiedenen Umschreibungen des Ordre public in der Rechtsprechung des Bundesgerichts im Urteil 2C_750/2020 vom 25. März 2021 E. 6.7.1, in: ASA 90 S. 55 und 227; zum europäischen Ordre public s. DONATSCH/ HEIMGARTNER/MEYER/SIMONEK, a.a.O., S. 91). Der Gehalt des Ordre public ist nicht abschliessend positivrechtlich festgelegt, und die Zuordnung seiner nationalen (schweizerischen) und internationalen Ausprägung zu den einzelnen Buchstaben von Art. 2 IRSG nicht durchwegs eindeutig: Während in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung Art. 2 IRSG in seiner Gesamtheit jedenfalls als Ausdruck des internationalen Ordre public gilt (BGE 126 II 324 E. 4c; Urteil 1C_648/2021 vom 15. September 2022 E. 4.2), ist dasselbe hinsichtlich des nationalen Ordre public, soweit ersichtlich, nur für lit. a-c unbestritten. Lit. d soll dagegen nach der einen Auffassung den nationalen Ordre public verankern (FRANK MEYER, in: Rechtshilferecht in Strafsachen, 2015, Rz. 1.261; DONATSCH/HEIMGARTNER/MEYER/ SIMONEK, a.a.O., S. 78; implizit auch Urteil 1A.15/2003 vom 4. März 2003 E. 2.5), während dies nach der anderen gerade nicht zutrifft (BGE 126 II 324 E. 4c mit Hinweisen).
BGE 149 IV 376 (382) BGE 149 IV 376 (383)Der Ordre-public-Vorbehalt umfasst die zwingenden Normen des Völkerrechts (ius cogens; s. im Einzelnen BGE 133 II 450 E. 5.4 und Urteil 2C_750/2020 vom 25. März 2021 E. 6.7.2; je mit Hinweisen), geht jedoch darüber hinaus (DONATSCH/HEIMGARTNER/MEYER/ SIMONEK, a.a.O., S. 81). So gehört namentlich das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 EMRK und Art. 14 UNO-Pakt II [SR 0.103.2]) nicht zum notstandsfesten Kern der internationalen Menschenrechtskonventionen (Art. 15 Ziff. 2 EMRK, Art. 4 Abs. 2 UNO-Pakt II) und damit auch nicht zum ius cogens (Urteil des EGMR Al-Dulimi und Montana Management Inc. gegen Schweiz vom 21. Juni 2016, Nr. 5809/08, § 136). Es bildet jedoch Bestandteil des nationalen und internationalen Ordre public i.S.v. Art. 2 lit. a IRSG.
BGE 149 IV 376 (384)Das Bundesgericht weist in seiner Rechtsprechung darauf hin, dass die Prüfung der Voraussetzungen nach Art. 2 IRSG ein Werturteil über die inneren Angelegenheiten des ersuchenden Staats voraussetzt, insbesondere über sein politisches System, seine Institutionen, sein Verständnis der Grundrechte und ihrer tatsächlichen Gewährleistung sowie die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz. Dies gebietet besondere Vorsicht. Die im ausländischen Strafverfahren beschuldigten Personen müssen deshalb glaubhaft machen, dass sie objektiv und ernsthaft eine schwerwiegende Verletzung der Menschenrechte im ersuchenden Staat zu befürchten haben (BGE 130 II 217 E. 8.1 mit Hinweisen). Soweit es sich beim ersuchenden Staat um einen EMRK-Vertragsstaat handelt, ist nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zudem grundsätzlich davon auszugehen, dass er die Konventionsgarantien in der Praxis gewährleistet (BGE 126 II 324 E. 4e; Urteil 1C_146/2022 vom 21. März 2022 E. 2 mit Hinweisen). Wird im Verfahren im ersuchenden Staat die EMRK dennoch verletzt, hat der Betroffene die Möglichkeit, dies zunächst dort und in der Folge mit Individualbeschwerde an den EGMR (Art. 34 EMRK) geltend zu machen (Urteil 1C_146/2022 vom 21. März 2022 E. 2 mit Hinweisen).
Nach der Praxis des EGMR fällt das Rechtshilfeverfahren grundsätzlich nicht in den Anwendungsbereich der Garantie des fairen Verfahrens nach Art. 6 EMRK, da es dabei nicht um die Beurteilung strafrechtlicher Schuld, sondern lediglich um die Prüfung der Rechtshilfevoraussetzungen geht. Lediglich ausnahmsweise kann Art. 6 EMRK durch einen Auslieferungsentscheid verletzt werden, nämlich wenn der Betroffene im ersuchenden Staat eine geradezu eklatante Rechtsverweigerung (déni de justice flagrant / flagrant denial of justice) erlitten hat oder ihm eine solche droht (Urteil des EGMR Soering gegen Vereinigtes Königreich vom 7. Juli 1989, Nr. 14038/88, § 113). Ob dies über Auslieferungen hinaus auch im Bereich der sogenannten "kleinen" bzw. "anderen" Rechtshilfe (s. Art. 63 ff. IRSG) gilt, hat der EGMR bisher - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden. Die beschwerdeführende Person muss beweisen, dass es für die Annahme einer eklatanten Rechtsverweigerung erhebliche Anhaltspunkte gibt (frz. Urteilstext: "[c]'est [...] au requérant qu'il incombe de produire des éléments aptes à prouver[...]"). Gelingt ihr das, obliegt es dem um Rechtshilfe ersuchten Staat, die Zweifel zu zerstreuen (Urteil des EGMR Othman [Abu Qatada] gegen Vereinigtes KönigreichBGE 149 IV 376 (384) BGE 149 IV 376 (385)vom 17. Januar 2012, Nr. 8139/09, § 261). Bei der Beurteilung der Gefahr einer eklatanten Rechtsverweigerung, der die auszuliefernde Person ausgesetzt sein könnte, sind gemäss EGMR im Übrigen die Rechtsschutzmöglichkeiten im ersuchenden Staat und insbesondere auch die Möglichkeit einer Individualbeschwerde an den EGMR zu berücksichtigen (Entscheid des EGMR Kaplan gegen Deutschland vom 15. Dezember 2009, Nr. 43212/05).
Mit der Auslieferung vergleichbar ist die Herausgabe von Vermögenswerten, da der ersuchende Staat hier ebenfalls einen direkten Zugriff erhält: bei Ersterer auf die Person, bei Letzterer auf ihr Vermögen. In beiden Fällen sind verfassungsmässige Rechte betroffen, im einen Fall die persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV), im andern die Eigentumsgarantie (Art. 26 Abs. 1 BV). Zwar wiegt der Eingriff in die persönliche Freiheit schwerer. Die Herausgabe von Vermögenswerten kann die betroffene Person aber ebenfalls hart treffen und sie gegebenenfalls sogar ihrer wirtschaftlichen Existenzgrundlage berauben. Deshalb ist ihr nach der Praxis bei der Herausgabe von Vermögenswerten ebenfalls die Befugnis zuzuerkennen, sich auf Art. 2 IRSG zu berufen, und zwar auch dann, wenn sie sich nicht im ersuchenden Staat aufhält (Urteil 1A.53/2007 vom 11. Februar 2008 E. 4.2 f. mit Hinweisen, in: Pra 2008 Nr. 124 S. 770).
Juristischen Personen spricht das Bundesgericht dagegen die Befugnis ab, sich auf Art. 2 IRSG zu berufen (BGE 133 IV 40 E. 7.2; BGE 130 II 217 E. 8.2; BGE 126 II 258 E. 2d/aa; BGE 125 II 356 E. 3b/bb; BGE 115 Ib 68 E. 6; Urteil 1C_338/2022 vom 17. Juni 2022 E. 1.2; je mit Hinweisen; vgl. auch ZIMMERMANN, a.a.O., Rz. 531, der insoweit von einer "règle de fer" spricht). Dies wurde zunächst damit begründet, dass es sich bei Art. 2 IRSG um eine Bestimmung handle, die den Schutz bzw. "vor allem" den Schutz der im ausländischen Strafverfahren Beschuldigten selbst bezwecke (vgl. die unterschiedlichenBGE 149 IV 376 (385) BGE 149 IV 376 (386)Formulierungen in BGE 115 Ib 68 E. 6 einerseits und BGE 126 II 258 E. 2d/aa; BGE 125 II 356 E. 3b/bb andererseits). Anknüpfend an diese Begründung und mit Hinweis auf das Inkrafttreten der Bestimmungen im StGB über die Strafbarkeit von Unternehmen am 1. Oktober 2003 hat das Bundesstrafgericht in einem Urteil aus dem Jahr 2016 entschieden, dass eine juristische Person sich im Rechtshilfeverfahren dann auf Art. 2 IRSG i.V.m. Art. 6 EMRK berufen könne, wenn sie selbst im ausländischen Strafverfahren angeschuldigt sei (TPF 2016 138 E. 4.2 f. mit Hinweisen).
Im vorliegenden Fall ist das Bundesstrafgericht ebenfalls der Auffassung, dass sich die Beschwerdeführerin auf Art. 2 IRSG berufen könne. Aus dem Ausgeführten geht zwar hervor, dass es sich dabei auf erhebliche, auch aus der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ableitbare Argumente stützen kann. Gegen die vorinstanzliche Auffassung spricht aber, dass Art. 2 IRSG nach der Rechtsprechung aufgrund der besonderen Natur des Rechtshilfeverfahrens eng auszulegen ist und dass das Bundesgericht am kategorischen Ausschluss juristischer Personen vom Schutzbereich von Art. 2 IRSG trotz der daran geäusserten Kritik festgehalten hat. Wie sich aus den nachfolgenden Erwägungen ergibt, ist die Rüge der Beschwerdeführerin allerdings ohnehin unbegründet, weshalb sich die grundsätzliche Frage, ob sie sich unter den vorliegenden Umständen überhaupt auf Art. 2 IRSG berufen kann, nicht stellt.
3.6 Die hier anwendbaren völkerrechtlichen Verträge behalten den nationalen Ordre public vor (s. E. 3.3 hiervor). Zudem sind sowohl Belgien als auch die Schweiz Vertragsstaaten der EMRK und des UNO-Pakts II, deren Garantie eines fairen Verfahrens Teil sowohl des schweizerischen als auch des internationalen Ordre public bildet (s. ebenfalls E. 3.3 hiervor). Eine schwerwiegende Verletzung dieser Garantie bzw. eine flagrante Rechtsverweigerung (s. E. 3.4 hiervor) stellt deshalb in sachlicher Hinsicht einen Rechtshilfeausschlussgrund dar (vgl. dazu auch BGE 145 IV 99 E. 3.3 mit Hinweisen). Allerdings geht sowohl aus der Rechtsprechung des Bundesgerichts als auch derjenigen des EGMR hervor, dass sich nicht auf eine Verletzung des Anspruchs auf Zugang zum Gericht berufen kann, wer Kenntnis von der Hängigkeit eines Verfahrens hat oder haben muss, sich aber nicht um eine Teilnahme bemüht (Urteil 1C_60/2019 vom 5. Februar 2019 E. 1.2; Urteil des EGMR Cañete de Goñi gegen Spanien vom 15. Oktober 2002, Nr. 55782/00, § 39-43). Vorliegend hatte die Beschwerdeführerin von der im Jahr 2011 angeordnetenBGE 149 IV 376 (386) BGE 149 IV 376 (387)Sperre ihres Kontos Kenntnis und musste deshalb auch um das dieser Rechtshilfemassnahme zu Grunde liegende Strafverfahren wissen. Dass sie erfolglos versucht hätte, darin zu intervenieren, um ihre Rechte zu wahren, oder dass ein solches Unterfangen nach belgischem Recht von vornherein aussichtslos gewesen wäre, macht sie nicht geltend. Eine schwerwiegende Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren bzw. eine flagrante Rechtsverweigerung ist vor diesem Hintergrund zu verneinen.
(...)
 
Erwägung 6
 
6.3 Gemäss BGE 129 II 453 setzt die Herausgabe von Vermögenswerten nach Art. 74a Abs. 2 lit. b IRSG einen hinreichenden Zusammenhang zwischen der Straftat und den beschlagnahmten Vermögenswerten voraus. Dies ist der Fall, wenn das Schicksal des ursprünglichen Erlöses der Straftat sicher, insbesondere durch seine "Papierspur" ("paper trail"), nachvollzogen werden kann, was auf eine Ersatzforderung gerade nicht zutrifft (BGE 129 II 453 E. 4.1; ebenso: Urteil 1A.53/2007 vom 11. Februar 2008 E. 3.4 mit Hinweisen). In BGE 133 IV 215 hielt das Bundesgericht unter Verweis auf BGE 129 II 453 erneut fest, dass bei einer Ersatzforderung ein Vorgehen nach Art. 74a IRSG ausgeschlossen sei. Es ergänzte mit Verweis auf Literaturstellen, dass es sich dabei nach der Meinung von gewissen Autoren um eine Gesetzeslücke handle, die auf dem Weg der Rechtsprechung gefüllt werden könne. Das Bundesstrafgericht sei im angefochtenen Entscheid jedoch der gegenteiligen Lehrmeinung gefolgt und habe dabei erwogen, dass die Herausgabe von Geldern zur Begleichung einer Ersatzforderung dem ausländischen Staat ein dem schweizerischen Schuldbetreibungsrecht widersprechendes Privileg verschaffe. Diese Meinung könne nicht kritisiert werden, wenn es um den Fall einer in der Schweiz aktiven Gesellschaft gehe, die in der Schweiz möglicherweise Gläubigerinnen oder Gläubiger habe (BGE 133 IV 215 E. 2.2.1 mit Hinweisen). In BGE 136 IV 4 E. 6.6 verlangte das Bundesgericht für die Anwendbarkeit von Art. 74a Abs. 2 lit. b IRSG erneut vorbehaltlos einen Kausalzusammenhang zwischen der Straftat und den Vermögenswerten (bestätigt in den Urteilen 1C_513/2010 vom 11. März 2011 E. 3.3 und 1C_146/2019 vom 17. Mai 2019 E. 3; je mit Hinweisen).
6.4 Das Bundesstrafgericht kommt dagegen zum Schluss, dass eine Gesetzeslücke bestehe. Es legt dar, seine eigene Rechtsprechung zur Frage, ob eine Herausgabe von Vermögenswerten zwecks Tilgung einer Ersatzforderung gemäss Art. 74a IRSG in Frage kommt, sei bisher schwankend gewesen. Ein Blick auf die Entstehungsgeschichte zeige, dass der Bundesrat in seiner Botschaft davon ausgegangen sei, dass sich Art. 74a Abs. 2 IRSG weitgehend an die Definitionen von Art. 58 ff. StGB anlehne (Botschaft vom 29. März 1995 betreffend die Änderung des Rechtshilfegesetzes [...], BBl 1995 III 25BGE 149 IV 376 (388) BGE 149 IV 376 (389)Ziff. 241). aArt. 59 Ziff. 2 StGB habe auf die Ersatzforderung Bezug genommen und vom Wortlaut her im Wesentlichen dem heute geltenden Art. 71 StGB entsprochen. Hauptziel der Revision des IRSG sei die Vereinfachung und Beschleunigung des Rechtshilfeverfahrens gewesen (BBl 1995 III 2). Der Bundesrat habe aus diesem Grund denn auch festgehalten, ein ausländischer Entscheid auf Einziehung oder Rückerstattung sollte nicht Gegenstand eines Exequaturentscheids nach dem fünften Teil des IRSG sein (BBl 1995 III 25). Dies spreche bereits dafür, dass der gesetzgeberische Wille darauf gerichtet gewesen sei, auch Einziehungsverfahren betreffend Ersatzforderungen unter Art. 74a IRSG zu subsumieren. Hätte der Bundesrat das Gegenteil gewollt, hätte er dies in seiner Botschaft ausdrücklich erwähnt und es nicht bei einem generellen Verweis auf Art. 58 ff. aStGB belassen. Dies entspreche auch der in Art. 13 GwUe vorgegebenen eindeutigen Stossrichtung, Rechtshilfe auch zur Realisierung von Wertersatz (an Stelle nicht mehr verfügbarer, aus dem Delikt stammender Vermögenswerte) zu gewähren. Dass im Verhältnis zum inländischen Recht, wonach die Vollstreckung von Ersatzforderungen im Sinne von Art. 71 StGB stets im betreibungsrechtlichen Verfahren zu erfolgen habe, eine Ungleichbehandlung bestehe, sei vom Gesetzgeber offenbar bewusst hingenommen worden. Es handle sich somit beim Umstand, dass Art. 74a IRSG die Ersatzforderung nicht nenne, nicht um ein qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers, sondern um eine echte Lücke, die es zu schliessen gelte. Dies könne nun jedoch nicht bedeuten, dass in jedem Fall die Vollstreckung einer Ersatzforderung von Art. 74a IRSG erfasst sein solle. Selbstredend sei die Vollstreckung einer Ersatzforderung nach Art. 74a IRSG nur möglich, sofern der explizite Wortlaut des Gesetzes dies nicht ausschliesse, wie dies der Fall sei bei der Vollstreckung für ausländische Fiskalforderungen (vgl. Art. 3 Abs. 3 IRSG). Seien zudem private (und öffentliche) Gläubigerinnen oder Gläubiger in der Schweiz vorhanden, sei deren Interessen Rechnung zu tragen und dürfe eine Privilegierung des ausländischen Staats nicht erfolgen.
Mit Blick auf den konkreten Fall hält das Bundesstrafgericht fest, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um eine im Ausland ansässige juristische Person handle, die in der Schweiz keiner Geschäftstätigkeit nachgehe. Soweit ersichtlich, habe bei der Bank niemand auf die seit 2011 gesperrten Vermögenswerte Anspruch erhoben. Damit bestünden keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass privateBGE 149 IV 376 (389) BGE 149 IV 376 (390)oder öffentliche Gläubigerinnen in der Schweiz vorhanden seien. Vor diesem Hintergrund sei die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft Zürich gegeben.
Das Bundesamt für Justiz (BJ) teilt die Auffassung der Vorinstanz. Ergänzend weist es darauf hin, dass es verfehlt wäre, wenn für ein einziges Dispositiv in einem ausländischen Urteil zwei verschiedene Verfahren in der Schweiz angestrebt werden müssten (die akzessorische Rechtshilfe nach Art. 74a IRSG und ein Exequaturverfahren nach Art. 94 ff. IRSG). Die Staatsanwaltschaft ist ebenfalls der Auffassung, dass Ersatzforderungen von Art. 74a IRSG umfasst werden und weist auf die Gefahr widersprüchlicher Entscheide hin, wenn zwei verschiedene Behörden mit der gleichen Rechtshilfesache befasst wären. Anders als das Bundesstrafgericht sei sie allerdings der Auffassung, dass die Zuständigkeit bzw. das Verfahren nicht davon abhängig gemacht werden dürfe, ob die betroffene Person Gläubiger in der Schweiz habe. Dies könne nicht mit Sicherheit festgestellt werden. Zentral sei, dass die strafprozessuale Beschlagnahme von Vermögenswerten die Folgen eines SchKG-Arrests habe und der Staat in analoger Anwendung von Art. 281 SchKG von Rechts wegen provisorisch an einer Pfändung teilnehme. Dies bedeute, dass nur Gläubigerinnen, die bis spätestens 30 Tage nach der strafprozessualen Beschlagnahme die Pfändung oder Verarrestierung desselben Vermögenswertes erreichten, zu derselben Pfändungsgruppe gehörten und an der Verteilung partizipierten. Das richtige Vorgehen bestehe deshalb darin, abzuklären, ob der beschlagnahmte Vermögenswert von anderen Gläubigern innerhalb von 30 Tagen nach der strafprozessualen Beschlagnahme gepfändet oder verarrestiert worden sei. Sei dies nicht der Fall, könne der beschlagnahmte Vermögenswert zur Tilgung der Ersatzforderung der ersuchenden Behörde verwendet und dieser herausgegeben werden.
6.5 In der Literatur wird zum Teil die Ansicht vertreten, das Nichterwähnen der Ersatzforderungen in Art. 74a Abs. 2 IRSG sei ein gesetzgeberisches Versehen. Der Gesetzgeber habe keinen Grund gehabt, die Einziehung von Ersatzforderungen zu verhindern, zumal dieses Institut dem inländischen Recht bekannt sei. Zwar erachte es das Bundesgericht als zulässig, eine Ersatzforderung zugunsten des ersuchenden Staats gestützt auf Art. 94 IRSG zu vollziehen. Es sei jedoch inkonsequent, genau dies unter Art. 74a IRSG nicht zu erlauben (ZIMMERMANN, a.a.O., Rz. 336; in dieselbe Richtung: LAURENT MOREILLON UND ANDERE, in: Commentaire romand, EntraideBGE 149 IV 376 (390) BGE 149 IV 376 (391)internationale en matière pénale, 2004, N. 20-23 zu Art. 74a IRSG). Demgegenüber ist ein anderer Teil der Lehre der Meinung, es sei von einem qualifizierten Schweigen des Gesetzgebers auszugehen. Dies wird damit begründet, dass bei der Gesetzesrevision von 1996 das Institut der Ersatzforderungsbeschlagnahme gemäss StGB bekannt gewesen sei. Die Gleichbehandlung der Gläubigerinnen sei ansonsten nicht gewährleistet. Eine Ersatzforderungsbeschlagnahme könne zudem nach einer Vollstreckbarkeitserklärung eines ausländischen Urteils in der Schweiz gemäss Art. 94 ff. IRSG vollstreckt werden. Für eine Ersatzforderungsbeschlagnahme im Rahmen der kleinen Rechtshilfe fehle dagegen eine ausreichend bestimmte Gesetzesgrundlage, auch wenn eine solche wünschbar wäre (MICHAEL AEPLI, in: Basler Kommentar, Internationales Strafrecht, 2015, N. 40 zu Art. 74a IRSG; DONATSCH/HEIMGARTNER/MEYER/SIMONEK, a.a.O., S. 44 f.; im Ergebnis zustimmend: ABO YOUSSEF/HEIMGARTNER, in: Basler Kommentar, Internationales Strafrecht, 2015, N. 11 zu Art. 94 IRSG; BAUMANN/STENGEL, a.a.O., N. 27 zu Art. 13 GwÜ; MARIA LUDWICZAK GLASSEY, Entraide judiciaire internationale en matière pénale, 2018, Rz. 1326; MAURICE HARARI, Remise internationale d'objets et valeurs: réflexions à l'occasion de la modification de l'EIMP, in: Etudes en l'honneur de Dominique Poncet, 1997, S. 180).
Eine Lücke im Gesetz besteht, wenn sich eine Regelung als unvollständig erweist, weil sie jede Antwort auf die sich stellende Rechtsfrage schuldig bleibt. Hat der Gesetzgeber eine Rechtsfrage nichtBGE 149 IV 376 (391) BGE 149 IV 376 (392)übersehen, sondern stillschweigend - im negativen Sinn - mitentschieden (qualifiziertes Schweigen), bleibt kein Raum für richterliche Lückenfüllung. Eine Gesetzeslücke, die vom Gericht zu füllen ist, liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts vor, wenn der Gesetzgeber etwas zu regeln unterlassen hat, was er hätte regeln sollen, und dem Gesetz diesbezüglich weder nach seinem Wortlaut noch nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Inhalt eine Vorschrift entnommen werden kann. Von einer unechten oder rechtspolitischen Lücke ist demgegenüber die Rede, wenn dem Gesetz zwar eine Antwort, aber keine befriedigende zu entnehmen ist. Echte Lücken zu füllen, ist dem Gericht aufgegeben, unechte zu korrigieren, ist ihm nach traditioneller Auffassung grundsätzlich verwehrt (zum Ganzen: BGE 148 V 84 E. 7.1.2; BGE 145 IV 252 E. 1.6.1; je mit Hinweisen).
Ob eine zu füllende Lücke oder ein qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers vorliegt, ist durch Auslegung zu ermitteln. Ist ein lückenhaftes Gesetz zu ergänzen, gelten als Massstab die dem Gesetz selbst zugrunde liegenden Zielsetzungen und Werte. Lücken können oftmals auf dem Weg der Analogie geschlossen werden. Umgekehrt ist Voraussetzung für die analoge Anwendung eines Rechtssatzes, dass zunächst das Vorliegen einer Lücke im Gesetz festgestellt wird (zum Ganzen: BGE 148 V 84 E. 7.1.2; BGE 146 III 426 E. 3.1; je mit Hinweisen).
Die Gesetzgebungsmaterialien sind wenig aufschlussreich. Zwar trifft die Darstellung der Vorinstanz zu, wonach sich Art. 74a IRSG gemäss der bundesrätlichen Botschaft bei der Umschreibung der herausgabefähigen Gegenstände und Vermögenswerte weitgehend an die Definitionen der aArt. 58 ff. StGB anlehnt. Die Verwendung des Begriffs "weitgehend" bringt jedoch gleichzeitig zum Ausdruck, dass gemäss der damaligen Auffassung des Bundesrats die Definitionen nicht deckungsgleich sind. Dass er mit dem Ziel der Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung begründet habe, weshalb ein ausländischer Entscheid auf Einziehung oder Rückerstattung nicht Gegenstand eines Exequaturentscheids nach dem fünften Teil des IRSG sein sollte, ist zudem unzutreffend. Vielmehr hielt er an derBGE 149 IV 376 (392) BGE 149 IV 376 (393)zitierten Stelle der Botschaft fest, ein ausländischer Entscheid auf Einziehung oder Rückerstattung sollte nicht Gegenstand eines Exequaturentscheids sein, weil es sich bei einem Entscheid auf Einziehung oder Rückerstattung um keine Sanktion im Sinne von Art. 11 IRSG handle (BBl 1995 III 25). Nach der Praxis des Bundesgerichts ist allerdings vom Gegenteil auszugehen, nämlich der Anwendbarkeit von Art. 94 IRSG auf die Vollstreckung von Ersatzforderungen (Urteil 1C_146/2019 vom 17. Mai 2019 E. 4 mit Hinweisen), weshalb dieses Argument nicht verfängt. Der vorinstanzlichen Argumentation ist deshalb in diesem Punkt nicht zu folgen. Zu ergänzen ist insoweit, dass sich aus den parlamentarischen Beratungen ebenfalls keine Anhaltspunkte für die hier interessierende Frage der Auslegung von Art. 74a IRSG ergeben (s. AB 1995 N 2642 und AB 1996 S 229-233 und 243).
Mit Blick auf Sinn und Zweck des Gesetzes ist einzuräumen, dass das Exequaturverfahren umständlicher ist und die Behandlung eines Rechtshilfeersuchens auf Herausgabe von Vermögenswerten in unterschiedlichen Verfahren die Gefahr widersprüchlicher Entscheide in sich birgt. Allerdings bildet das allgemeine Interesse an einfachen und raschen Rechtshilfeverfahren allein noch keinen triftigen Grund, um bei der Auslegung einer Bestimmung vom klaren Wortlaut abzuweichen, zumal es auch erhebliche Argumente dafür gibt, dass der Wortlaut den wahren Normsinn zum Ausdruck bringt. Die Gefahr widersprüchlicher Entscheide in Fällen, in denen sich das Rechtshilfebegehren sowohl auf Ersatzforderungen als auch auf in Art. 74a IRSG genannte Gegenstände und Vermögenswerte bezieht, kann zudem durch eine Koordination der beiden Verfahren, etwa in Form der Sistierung des einen Verfahrens bis zum Abschluss des anderen, verringert werden.
Die Herausgabe von Vermögenswerten an einen ausländischen Staat zur Vollstreckung einer Ersatzforderung stünde im Widerspruch zu den Grundsätzen des schweizerischen Zwangsvollstreckungsrechts, wenn dadurch dem ausländischen Staat faktisch ein Vorzugsrecht eingeräumt würde (vgl. Art. 71 Abs. 3 Satz 2 StGB). Das Bundesstrafgericht will diesen Widerspruch auflösen, indem es die Herausgabe auf Personen ohne Gläubigerinnen in der Schweiz beschränkt. Dieses Vorgehen ist nicht richtig. Zum einen bezweckt der Ausschluss eines staatlichen Vorzugsrechts nicht bloss den Schutz der Gläubiger mit Sitz/Wohnsitz in der Schweiz, vielmehr gilt er allgemein und diskriminierungsfrei. Zum andern dürfte es im EinzelfallBGE 149 IV 376 (393) BGE 149 IV 376 (394)nicht möglich sein, zuverlässig zu ermitteln, welche weiteren Gläubigerinnen die vom Rechtshilfeersuchen betroffene Person besitzt und wo diese ihren Sitz bzw. Wohnsitz haben. Auch die Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft, die in jedem Fall nur Gläubiger, die bis spätestens 30 Tage nach der strafprozessualen Beschlagnahme die Pfändung oder Verarrestierung desselben Vermögenswertes erreichen, an der Verteilung teilhaben lassen will, ist mangels einer gesetzlichen Grundlage für ein derartiges Vorgehen abzulehnen. Sie übersieht zudem, dass die Ersatzforderungsbeschlagnahme ein Sicherungsinstrument ist, das weder Teil der Zwangsvollstreckung bildet noch diese auch nur einleitet (Urteil 6B_694/2009 / 6B_695/2009 vom 22. April 2010 E. 1.4.2 mit Hinweisen). Sie kann deshalb auch nicht die Frist für den Pfändungsanschluss (Art. 110 f. SchKG) auslösen, eine Frist, die im Übrigen nur für die Betreibung auf Pfändung (Art. 89 ff. SchKG) gilt.
Unzutreffend ist schliesslich auch das Argument der Vorinstanz, die Annahme einer Gesetzeslücke entspreche der in Art. 13 GwUe vorgegebenen eindeutigen Stossrichtung, Rechtshilfe auch zur Realisierung von Wertersatz (an Stelle nicht mehr verfügbarer, aus dem Delikt stammender Vermögenswerte) zu gewähren. Wie weiter oben dargelegt (E. 2.2 hiervor), sieht diese Bestimmung sogar explizit die Möglichkeit vor, dass der ersuchte Staat ein Einziehungsverfahren nach innerstaatlichem Recht durchführt.
Dritten, die an den Gegenständen und Vermögenswerten im Sinne von Art. 74a Abs. 1 und 2 IRSG Rechte geltend machen, wird in Abs. 4 und 5 ein gesetzlich detaillierter Schutz gewährt. Für einen vergleichbaren Schutz von Gläubigern von Schuldnerinnen oder Schuldnern, gegen die der ersuchende Staat eine Ersatzforderung geltend macht, besteht dagegen gemäss obigen Ausführungen auf Grund des Legalitätsprinzips im Rahmen der kleinen Rechtshilfe kein Raum. Eine Vollstreckung unter Wahrung der Rechte der Gläubigerinnen im Sinne der Grundsätze des schweizerischen Zwangsvollstreckungsrechts ist dagegen im Rahmen des Exequaturverfahrens nach Art. 94 ff. IRSG möglich. Ein triftiger Grund für eine Auslegung entgegen dem klaren Gesetzeswortlaut und für die Annahme einer Gesetzeslücke besteht somit nicht. Der angefochtene Entscheid verletzt in diesem Punkt Bundesrecht.BGE 149 IV 376 (394)