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Regeste
Sachverhalt
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1. a) Nach Art. 21 Abs. 1 IVG hat der Versicherte im Rahmen der i ...
2. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist einzig die Fr ...
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3. Urteil vom 17. Februar 1986 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen Klopfenstein und Versicherungsgericht des Kantons Bern
 
 
Regeste
 
Art. 21 Abs. 1 und 21bis Abs. 2 IVG: Dienstleistungen Dritter anstelle eines Hilfsmittels.
 
- Wie das Hilfsmittel selber, darf auch die Dienstleistung lediglich den Ausfall gewisser Teile oder Funktionen des menschlichen Körpers ersetzen, um den Invaliden zu befähigen, den Arbeitsweg zurückzulegen oder selber seine beruflichen Funktionen zu verrichten (Präzisierung zu BGE 96 V 84; Erw. 1b).
 
 
Sachverhalt
 
BGE 112 V 11 (11)A.- Der hochgradig sehschwache Versicherte liess sich nach Absolvierung der Blindenschule mit Unterstützung der InvalidenversicherungBGE 112 V 11 (11) BGE 112 V 11 (12)zum Masseur ausbilden, welchen Beruf er seit 1980 selbständig ausübt. Nachdem ihm die Invalidenversicherung seit 1978 verschiedene Hilfsmittel und eine Hilflosenentschädigung zugesprochen hatte, ersuchte er im August 1983 um Übernahme der Kosten einer administrativen Hilfskraft in der Höhe von monatlich Fr. 297.60. Dieses Begehren begründete er damit, dass er verschiedene, von ihm näher umschriebene administrative Aufgaben nicht selbständig erfüllen könne und dafür während etwa zwei Wochenstunden eine Hilfskraft benötige.
Die Ausgleichskasse des Kantons Bern verneinte den geltend gemachten Anspruch mit Verfügung vom 15. November 1983.
B.- Der Versicherte liess diesen Verwaltungsakt beschwerdeweise an das Versicherungsgericht des Kantons Bern weiterziehen. Dieses hob die Kassenverfügung auf und wies die Sache zur näheren Abklärung an die Verwaltung zurück. Die Begründung lässt sich wie folgt zusammenfassen: Aufgrund der Akten könne nicht beurteilt werden, ob der Versicherte allenfalls einen grundsätzlichen Anspruch auf blindenspezifische Lese- und Schreibgeräte bzw. auf Anpassung seines Arbeitsplatzes habe, um die anfallenden Büroarbeiten selber erledigen zu können. Wäre dies zu bejahen, so müsste geprüft werden, ob es auf dem Sektor der blindenspezifischen Hilfsmittel überhaupt entsprechende Geräte und Einrichtungen gäbe, welche die gesetzlichen Voraussetzungen der Einfachheit, Zweckmässigkeit und Verhältnismässigkeit erfüllen und dem Versicherten erlauben würden, die vielseitigen administrativen Arbeiten selbständig zu besorgen. Sofern dies bejaht werden könnte, stelle sich schliesslich die Frage, ob sich dieses Hilfsmittel durch die Dienstleistung einer Drittperson ersetzen lasse (Entscheid vom 13. Juni 1984).
C.- Das Bundesamt für Sozialversicherung führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf Wiederherstellung der Kassenverfügung. Zur Begründung wird mit dem Hinweis auf BGE 96 V 84 im wesentlichen vorgebracht: Für die Erledigung von Arbeiten, die in den Aufgabenbereich des Invaliden gehören, von ihm aber wegen der Invalidität nicht selber besorgt werden könnten, dürfe keine Entschädigung ausgerichtet werden. Das bedeute, "dass Hilfsmittel am Arbeitsplatz jedenfalls dann nicht durch Dienstleistungen im Sinne von Art. 21bis Abs. 2 IVG ersetzt werden können, wenn der menschliche Arbeitsaufwand gesamthaft nicht vergrössert wird". Von Dienstleistungen im gesetzlichen Sinne könne nur gesprochen werden, "wenn anstelle des HilfsmittelsBGE 112 V 11 (12) BGE 112 V 11 (13)infolge Invalidität notwendigerweise die Arbeitskraft eines Dritten zusätzlich in Anspruch genommen werden muss". Deshalb sei nicht zu prüfen, ob der Versicherte zur Ausübung seiner Erwerbstätigkeit eines Hilfsmittels bedürfe. "Die Problematik liegt vielmehr darin, dass es auch einem nichtinvaliden Masseur freisteht, die anfallenden administrativen Arbeiten selber auszuführen oder aber mit deren Ausführung eine Hilfskraft zu beauftragen."
Der Versicherte lässt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen. Die Ausgleichskasse verzichtet auf eine Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
 
Zu Art. 21bis Abs. 2 IVG, der am 1. Januar 1968 in das IVG eingefügt wurde, wird in der bundesrätlichen Botschaft zur betreffenden Gesetzesnovelle (BBl 1967 I 677) festgehalten:
"Bei gewissen Hilfsmitteln, beispielsweise bei Motorfahrzeugen, erfordert die Bedienung bestimmte Kenntnisse und Fertigkeiten. Erfüllt ein Invalider diese Voraussetzungen nicht, so ist er anstelle eines Hilfsmittels auf Dienstleistungen Dritter angewiesen. Die Tatsache, dass als Kompensation für ausfallende und beeinträchtigte Körperfunktionen in der Invalidenversicherung die Abgabe von Geräten, nicht aber auch die Übernahme von Kosten für Dienstleistungen vorgesehen ist, benachteiligt jene Versicherten, welche das betreffende Gerät nicht selbst einsetzen können."
Aus diesen Ausführungen hat das Eidg. Versicherungsgericht den Schluss gezogen, dass die Invalidenversicherung Dienstleistungen von Drittpersonen nur entschädigen kann, wenn der Invalide die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung eines bestimmten Hilfsmittels an sich erfüllen würde, "aber wegen der ArtBGE 112 V 11 (13) BGE 112 V 11 (14)seines Gebrechens ausserstande ist, dieses Hilfsmittel selber zu bedienen". Durch Beiträge an Dienstleistungen werde jeglicher Anspruch auf ein bestimmtes Hilfsmittel abgegolten, dessen Bedienung "bestimmte Kenntnisse und Fertigkeiten erfordere, die dem Invaliden wegen ausfallender und beeinträchtigter Körperfunktionen" aber verunmöglicht ist (EVGE 1968 S. 272). In ZAK 1970 S. 402 hat das Eidg. Versicherungsgericht wiederholt, der Anspruch auf Vergütung von Dienstleistungen setze voraus, dass ein Anspruch auf ein bestimmtes Hilfsmittel an sich gegeben, der Versicherte aber "wegen der Art seines Gebrechens" ausserstande ist, dieses Hilfsmittel zu gebrauchen. Die Formulierung, dass der Invalide ausserstande sein muss, das Hilfsmittel "wegen der Art seines Gebrechens" zu gebrauchen bzw. einzusetzen, hätte indessen zur Folge, dass kaum je einem Invaliden ein Dienstleistungsanspruch zustände; denn wenn der Invalide gerade wegen seines Gebrechens ein bestimmtes Hilfsmittel benötigt, so ist es widersprüchlich, den Anspruch auf Vergütung von Dienstleistungen davon abhängig zu machen, dass der Invalide wegen des gleichen Gebrechens dieses Hilfsmittel nicht bedienen kann. Die bundesrätliche Botschaft spricht denn auch ausdrücklich von Hilfsmitteln, deren Bedienung bestimmte Fertigkeiten und Kenntnisse erfordert, und davon, dass der Invalide, der diese Voraussetzungen nicht erfüllt, auf Dienstleistungen Dritter angewiesen ist. Ferner lässt sich der Botschaft entnehmen, dass jene Versicherten nicht benachteiligt werden sollen, die - eben mangels der erwähnten Kenntnisse und Fertigkeiten - dieses Hilfsmittel nicht selber einsetzen können. "Im Hinblick darauf, dass solche Dienstleistungen für den Versicherten eine wesentliche finanzielle Belastung bedeuten können", wurde in der Botschaft die Aufnahme einer Gesetzesbestimmung vorgeschlagen, "wonach die Invalidenversicherung Beiträge gewährt an die Kosten von Dienstleistungen Dritter, die anstelle eines Hilfsmittels benötigt werden" (BBl 1967 I 678). Daraus geht in genereller Weise hervor, dass die Invalidenversicherung Dienstleistungen Dritter jedenfalls dann zu entschädigen hat, wenn der Invalide die Voraussetzung für die Abgabe eines bestimmten Hilfsmittels zwar erfüllen würde, dieses aber wegen Gegebenheiten, die in seiner Person liegen, nicht benützen kann. Diese Gegebenheiten können, müssen aber nicht notwendigerweise mit seinem Gebrechen zusammenhängen. In diesem Sinne ist die in EVGE 1968 S. 272 dargelegte Rechtsprechung zu präzisieren.
BGE 112 V 11 (14)
BGE 112 V 11 (15)b) Praxisgemäss ist unter einem Hilfsmittel des IVG ein Gegenstand zu verstehen, dessen Gebrauch den Ausfall gewisser Teile oder Funktionen des menschlichen Körpers zu ersetzen vermag (BGE 101 V 269). Weil Beiträge an Dienstleistungen Dritter im Sinne von Art. 21bis Abs. 2 IVG lediglich einen Ersatz für ein Hilfsmittel darstellen, auf das der Invalide grundsätzlich Anspruch hat, das er aber aus Umständen, die in seiner Person liegen, nicht selber einzusetzen vermag, kommt auch der ersatzweisen Dienstleistung Dritter bloss Hilfscharakter zu. Diese Dienstleistungen sollen demnach lediglich anstelle des betreffenden Hilfsmittels den erwähnten "Ausfall gewisser Teile oder Funktionen des menschlichen Körpers" ersetzen, dürfen aber ihrem Wesen nach nicht über den blossen Hilfscharakter des Hilfsmittels hinausgehen, an dessen Stelle sie gewährt werden. In diesem Sinne ist es zu verstehen, wenn in BGE 96 V 84 der Verwaltungspraxis zugestimmt worden ist, wonach nicht als Dienstleistungen gemäss Art. 21bis IVG anerkannt werden "die Arbeitsleistungen Dritter, die in Ausübung einer Erwerbstätigkeit ... anstelle des Invaliden erbracht werden".
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Bern vom 13. Juni 1984 aufgehoben.BGE 112 V 11 (15)