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Regeste
Sachverhalt
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1. Streitig und zu prüfen ist zunächst, welche Einkomme ...
2. Im weiteren ist streitig, ab welchem Zeitpunkt die Tatsache, d ...
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27. Urteil vom 22. Februar 1993 i.S. R. gegen Ausgleichskasse des Kantons Solothurn und Versicherungsgericht des Kantons Solothurn
 
 
Regeste
 
Art. 2 Abs. 1quater und Abs. 3 ELG. Die um die Grenzbeträge für Waisen erweiterten Einkommensgrenzen sind für Bezüger von Taggeldern der Invalidenversicherung nicht anwendbar (E. 1).
 
 
Sachverhalt
 
BGE 119 V 189 (190)A.- Die 1959 geborene Marie R. ist sehbehindert. Sie absolviert ein Studium, für dessen behinderungsbedingte Mehrkosten die Invalidenversicherung aufgrund von Art. 16 IVG (erstmalige berufliche Ausbildung) aufkommt. Die Versicherte ist Mutter zweier 1985 und 1991 geborener Kinder. Seit 20. April 1990 ist sie mit Markus S. verheiratet.
Nachdem sie sich am 21. Dezember 1987 zum Ergänzungsleistungsbezug angemeldet hatte, sprach ihr die Ausgleichskasse des Kantons Solothurn mit Verfügung vom 5. Mai 1988 rückwirkend ab Dezember 1987 eine Ergänzungsleistung zu dem von ihr bezogenen Taggeld der Invalidenversicherung zu, welche mehrmals den geänderten Verhältnissen angepasst wurde. Gemäss unangefochten gebliebener Verfügung vom 16. Januar 1991 belief sich die Ergänzungsleistung ab Januar 1991 auf Fr. 1'323.-- im Monat.
Im Rahmen einer periodischen Überprüfung des Anspruchs teilte die Zweigstelle R. der Ausgleichskasse im September 1991 mit, Marie R. habe sich am 20. April 1990 verheiratet. Die Meldung sei irrtümlich nicht erfolgt. Mit Verfügung vom 22. November 1991 sprach die Ausgleichskasse der Versicherten mit Wirkung ab September 1991 eine Ergänzungsleistung in der Höhe von monatlich Fr. 1'631.-- zu.
B.- Marie R. führte beim Versicherungsgericht des Kantons Solothurn Beschwerde mit dem Begehren um Aufhebung der Verfügung vom 22. November 1991 und neue Berechnung der Ergänzungsleistung rückwirkend ab 1. April 1990. Sie machte einerseits geltend, bereits ab April 1990 Anspruch auf eine höhere Ergänzungsleistung zu haben, da sie die AHV-Zweigstelle R. rechtzeitig über ihre Heirat orientiert habe. Anderseits habe die Ausgleichskasse ihre familiäre Situation nicht zutreffend berücksichtigt. Nach der Geburt ihres zweiten Kindes (am 17. Juni 1991) sei ab Juni 1991 die höhere Einkommensgrenze für ein Ehepaar mit zwei Kindern massgebend. Das kantonale Versicherungsgericht wies die Beschwerde mit Entscheid vom 24. Februar 1992 ab, wobei es davon ausging, dass die Eheschliessung erst im September 1991 gemeldet worden sei.
C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde erneuert Marie R. den vorinstanzlich gestellten Antrag.
Die Ausgleichskasse und das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
BGE 119 V 189 (190)
 
BGE 119 V 189 (191)Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
a) Gemäss Art. 2 Abs. 1 Satz 1 ELG haben in der Schweiz wohnhafte Schweizer Bürger, denen eine Rente der AHV oder der Invalidenversicherung zusteht, Anspruch auf Ergänzungsleistungen, soweit das anrechenbare Jahreseinkommen einen bestimmten Grenzbetrag nicht erreicht. Nach Art. 2 Abs. 1quater ELG haben Versicherte, die ununterbrochen während mindestens sechs Monaten ein Taggeld der Invalidenversicherung beziehen, ebenfalls Anspruch auf Ergänzungsleistungen nach den Absätzen 1 bis 1ter. Zu den Einkommensgrenzen für Alleinstehende und Ehepaare sind für Kinder, die einen Anspruch auf Zusatzrente der Alters- und Hinterlassenenversicherung oder der Invalidenversicherung begründen, die für Waisen massgebenden Einkommensgrenzen hinzuzuzählen (Art. 2 Abs. 3 Satz 1 ELG).
b) Nach dem klaren Wortlaut der gesetzlichen Regelung, von welchem bei der Auslegung praxisgemäss in erster Linie auszugehen ist (BGE 115 V 348 E. 1c mit Hinweisen), finden die um den Betrag für Waisen erweiterten Einkommensgrenzen nur Anwendung, wenn die Kinder des Ergänzungsleistungsbezügers einen Anspruch auf eine Zusatzrente der AHV oder der Invalidenversicherung begründen. Dies trifft auf Kinder von Rentenbezügern, nicht aber auf Kinder von Taggeldbezügern der Invalidenversicherung zu (Art. 22ter AHVG; Art. 35 IVG).
Aus den Materialien ergeben sich keine Anhaltspunkte für die gegenteilige Lösung: Mit der zweiten Revision des IVG wurde Versicherten in erstmaliger beruflicher Ausbildung in Art. 22 (in Kraft seit 1. Juli 1987) neu ein Anspruch auf Taggelder (anstelle einer Rente) eingeräumt. Mit dem Dahinfallen des Rentenanspruchs hätte jedoch auch kein Anspruch auf Ergänzungsleistungen mehr entstehen können. Das BSV sah sich deshalb veranlasst, der mit der IVG-Revision befassten ständerätlichen Kommission eine Revision des ELG zu beantragen, mit der Versicherten, die ununterbrochen währendBGE 119 V 189 (191) BGE 119 V 189 (192)mindestens sechs Monaten ein Taggeld der Invalidenversicherung beziehen, ebenfalls ein Anspruch auf Ergänzungsleistungen eingeräumt werden sollte. Dieser Vorschlag, welchen das Bundesamt der vorberatenden Kommission des Ständerates am 8. November 1985 unterbreitete, gab, soweit vorliegend von Interesse, zu keinen Diskussionen Anlass, wurde in der Folge von Ständerat und Nationalrat unverändert in die Revisionsvorlage aufgenommen und wurde im Art. 2 Abs. 1quater ELG (in Kraft seit 1. Juli 1987) Gesetz (Amtl.Bull. 1985 S 758 f.; 1986 N 767).
Die Tatsache, dass diese Bestimmung ausdrücklich nur auf die Absätze 1 bis 1ter des Art. 2 ELG, nicht aber auf Abs. 3, verweist, ist als qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers (vgl. BGE 114 V 302) zu interpretieren. Denn wenn es seinem Willen entsprochen hätte, die erweiterten Einkommensgrenzen gemäss Art. 2 Abs. 3 ELG auch für Bezüger von Taggeldern der Invalidenversicherung als anwendbar zu erklären, hätte er dies in Art. 2 Abs. 1quater erwähnt.
c) Da die Beschwerdeführerin keine Invalidenrente, sondern ein Taggeld der Invalidenversicherung bezieht, können die für Waisen massgebenden Grenzbeträge nicht zu den für Ehepaare geltenden Einkommensgrenzen hinzugezählt werden. Verwaltung und Vorinstanz haben daher bei der Berechnung der Ergänzungsleistung zu Recht nur die für Ehepaare geltende Einkommensgrenze als anwendbar erachtet. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde erweist sich in diesem Punkt als unbegründet.
a) Von jeder Änderung der persönlichen und von jeder ins Gewicht fallenden Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Anspruchsberechtigten hat dieser, sein gesetzlicher Vertreter oder gegebenenfalls die Drittperson oder die Behörde, welcher eine Ergänzungsleistung ausbezahlt wird, der kantonalen Durchführungsstelle unverzüglich Mitteilung zu machen (Art. 24 Satz 1 ELV).
Gemäss Art. 25 Abs. 1 lit. a ELV ist die Ergänzungsleistung u.a. bei jeder Veränderung der der Berechnung der Ergänzungsleistung zugrunde liegenden Personengemeinschaft zu erhöhen, herabzusetzen oder aufzuheben. In diesem Fall ist die Ergänzungsleistung nach Art. 25 Abs. 2 lit. a ELV auf den Beginn des der Veränderung folgenden Monats neu zu verfügen.
BGE 119 V 189 (192)
BGE 119 V 189 (193)b) Aus dieser Regelung folgt für den vorliegenden Fall, dass die Ergänzungsleistung der Beschwerdeführerin aufgrund ihrer Heirat (am 20. April 1990) auf den 1. Mai 1990 hätte erhöht werden müssen. Die Ausgleichskasse hat jedoch am 16. Januar 1991 über den Ergänzungsleistungsanspruch ab 1. Januar 1991 neu verfügt, ohne dieser Zivilstandsänderung, von der sie offensichtlich keine Kenntnis hatte, Rechnung zu tragen. Diese Verfügung ist unangefochten in Rechtskraft erwachsen. Daher kann im vorliegenden Verfahren die Berechnung der Ergänzungsleistung, soweit sie die Periode Mai 1990 bis Januar 1991 betrifft, nicht mehr überprüft werden. Die Ausgleichskasse könnte darauf lediglich im Rahmen einer Wiedererwägung, zu der sie praxisgemäss weder vom Betroffenen noch vom Richter verhalten werden kann (BGE 117 V 12 E. 2a, BGE 116 V 63), zurückkommen.
Nachdem die Ausgleichskasse in der angefochtenen Verfügung vom 22. November 1991 die Ergänzungsleistung rückwirkend ab September 1991 neu berechnet hat, fragt es sich, ob die Beschwerdeführerin für den Zeitraum von Februar bis August 1991 eine höhere Ergänzungsleistung unter Berücksichtigung der für Ehepaare geltenden Einkommensgrenzen beanspruchen kann. Ob die EL-Durchführungsstelle rechtzeitig über die Verheiratung in Kenntnis gesetzt wurde, wie in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorgebracht wird, oder ob die entsprechende Meldung erst im September 1991 erfolgte, wie die Vorinstanz angenommen hat, kann im Hinblick auf die nachstehenden Erwägungen offengelassen werden.
c) Die Nachzahlung von Leistungen ist nur für den Fall der erstmaligen Geltendmachung des Ergänzungsleistungsanspruchs ausdrücklich geregelt: Gemäss Art. 22 Abs. 1 ELV beginnt der Anspruch mit dem Monat der Anmeldung für die Rente, frühestens jedoch mit der Rentenberechtigung, wenn die Anmeldung für eine Ergänzungsleistung innert sechs Monaten seit der Zustellung der Rentenverfügung eingereicht wird. Diese Bestimmung findet auch Anwendung, wenn eine laufende Rente der AHV oder Invalidenversicherung verfügungsweise herabgesetzt oder heraufgesetzt wird (Art. 22 Abs. 2 ELV; BGE 118 V 223).
Art. 25 ELV, der die Revision (Erhöhung, Herabsetzung oder Aufhebung) der Ergänzungsleistung im Falle von Veränderungen in den persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnissen der Ergänzungsleistungsbezüger regelt, enthält keine Vorschrift über die Nachzahlung von Leistungen bei unterlassener bzw. verspäteter Meldung der im Sinne von Art. 25 Abs. 1 lit. a ELV für den Anspruch erheblichenBGE 119 V 189 (193) BGE 119 V 189 (194)Veränderungen der Personengemeinschaft. Für andere Revisionstatbestände wird die Nachzahlung hingegen - zumindest indirekt - normiert. So ist bei der Verminderung des anrechenbaren Einkommens (Art. 25 Abs. 2 lit. b in Verbindung mit Abs. 1 lit. c ELV) und bei einer Änderung des anrechenbaren Einkommens, die im Rahmen einer periodischen Überprüfung des Anspruchs festgestellt wird (Art. 25 Abs. 2 lit. d in Verbindung mit Abs. 1 lit. d ELV), auf den Zeitpunkt der Meldung abzustellen, wodurch weiter zurückgehende Nachzahlungen ausgeschlossen werden.
Aus dieser Ordnung ist zu schliessen, dass der Bundesrat die Nachzahlung von Ergänzungsleistungen im Falle einer erst bei der periodischen Überprüfung festgestellten oder verspätet gemeldeten Veränderung der der Berechnung zugrunde liegenden Personengemeinschaft als zulässig erachtete. Andernfalls hätte er in Art. 25 Abs. 2 lit. a ELV nicht den Beginn des der Veränderung der Personengemeinschaft folgenden Monats, sondern ebenfalls den Monat der Meldung dieses Tatbestandes als massgebend erklärt.
d) Im vorliegenden Fall steht deshalb einer Neuberechnung der Ergänzungsleistung mit Wirkung ab 1. Februar 1991, dem Beginn des Monats, der dem Erlass der in Rechtskraft erwachsenen Verfügung vom 16. Januar 1991 folgt, nichts entgegen. Aus Art. 24 ELV, der eine unverzügliche Mitteilung von Änderungen der wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse vorschreibt, kann nicht abgeleitet werden, dass bei verspäteter Meldung einer Veränderung der Personengemeinschaft auf den Zeitpunkt der Meldung abgestellt werden muss, wie die Vorinstanz offenbar annimmt. Eine Verletzung der Meldepflicht mit Bezug auf Umstände, die sich zugunsten der Ergänzungsleistungsbezüger auswirken, wird in dieser Bestimmung nicht sanktioniert.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn vom 24. Februar 1992 und die angefochtene Kassenverfügung vom 22. November 1991, soweit den Beginn des höheren Ergänzungsleistungsanspruchs betreffend, aufgehoben, und die Sache wird an die Ausgleichskasse des Kantons Solothurn zurückgewiesen, damit sie über den Anspruch der Beschwerdeführerin auf Ergänzungsleistung ab 1. Februar 1991 bis 31. August 1991 neu verfüge.BGE 119 V 189 (194)