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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
Erwägung 2
Erwägung 3
Erwägung 4
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56. Auszug aus dem Urteil i.S. I. gegen IV-Stelle des Kantons Zürich und Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
 
 
I 385/01 vom 9. Juli 2003
 
 
Regeste
 
Art. 97 Abs. 2 AHVG; Art. 41 und 81 IVG; Art. 88bis IVV; Art. 55 Abs. 3 VwVG; Art. 54 Abs. 1, Art. 55 Abs. 2 und Art. 56 ATSG: Aufschiebende Wirkung; Dauer.
 
 
Sachverhalt
 
BGE 129 V 370 (370)A.- Die 1973 geborene, seit 1995 bevormundete I. bezog neben einer ganzen Invalidenrente (ab 1. November 1995) seit 1. Januar 1992 eine Entschädigung wegen Hilflosigkeit mittleren Grades. Mit Verfügung vom 5. März 1996 hob die IV-Stelle des Kantons ZürichBGE 129 V 370 (370) BGE 129 V 370 (371)die Hilflosenentschädigung revisionsweise auf Ende April 1996 auf und entzog einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich hiess die dagegen eingereichte Beschwerde mit Entscheid vom 21. September 1998 in dem Sinne gut, dass es die angefochtene Verfügung aufhob und die Sache an die IV-Stelle zurückwies, damit diese, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Anspruch der Versicherten auf eine Entschädigung wegen Hilflosigkeit leichten Grades neu verfüge.
Nach erfolgten Abklärungen verneinte die IV-Stelle mit Verfügung vom 16. November 1999 einen Anspruch auf eine Entschädigung wegen Hilflosigkeit leichten Grades.
B.- Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 11. Mai 2001 ab.
C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt I. beantragen, in Aufhebung des kantonalen Entscheides und der Verfügung vom 16. November 1999 sei ihr bis Ende Dezember 1999 eine Hilflosenentschädigung mittleren Grades auszurichten und ab 1. Januar 2000 eine unbefristete Entschädigung wegen Hilflosigkeit mindestens leichten Grades zuzusprechen.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das kantonale Gericht und das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) verzichten auf eine Vernehmlassung.
 
 
Erwägung 2
 
BGE 129 V 370 (372)Die aufschiebende Wirkung bedeutet, dass die in der Verfügung angeordnete Rechtsfolge vorläufig nicht eintritt, sondern gehemmt wird. Der tatsächliche und rechtliche Zustand der Beschwerdeangelegenheit soll einstweilen erhalten bleiben (KÖLZ/HÄNER, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. Aufl., Zürich 1998, Rz 647; ZIMMERLI/KÄLIN/KIENER, Grundlagen des öffentlichen Verfahrensrechts, Bern 1997, S. 138; GEROLD ZOLLIKOFER, Aufschiebende Wirkung und vorsorgliche Massnahmen im Verwaltungsrechtspflegeverfahren des Bundes und des Kantons Aargau, Diss. Zürich 1980, S. 10). Der Entzug des Suspensiveffektes, als Ausnahme zur aufschiebenden Wirkung (KÖLZ/HÄNER, a.a.O., Rz 650), bedeutet dagegen, dass die angefochtene Verfügung sofort vollstreckt werden kann (BGE 124 V 88 Erw. 6a mit Hinweisen; MERKLI/AESCHLIMANN/HERZOG, Kommentar zum Gesetz vom 23. Mai 1989 über die Verwaltungsrechtspflege des Kantons Bern, Bern 1997, N 15 f. zu Art. 68 VRPG).
 
Erwägung 3
 
Nach Auffassung der Beschwerdeführerin ist die Rechtsprechung gemäss BGE 106 V 18 zu ändern. Damit stellt sich die Rechtsfrage, ob im Revisionsverfahren nach Art. 41 IVG im Falle erst- oder letztinstanzlicher richterlicher Rückweisung der Sache an die Verwaltung zu näherer Abklärung und neuer Verfügung die allfällige Herabsetzung der Leistung im Sinne von Art. 88bis Abs. 2 lit. a IVV auf die ursprüngliche (hier: 5. März 1996) oder auf die neue Kassenverfügung (hier: 16. November 1999) zu beziehen ist, wenn der Beschwerde durch die Verwaltung der Suspensiveffekt entzogen worden ist. Diese Frage prüft das Eidgenössische Versicherungsgericht mit voller Kognition (AHI 2000 S. 182 Erw. 2b).
 
Erwägung 4
 
4.1 Gemäss der Begründung von BGE 106 V 18 wird bei rein formaler Betrachtungsweise im Falle der Rückweisung der Sache an die Verwaltung zu ergänzender Abklärung und neuer Revisionsverfügung die angefochtene Revisionsverfügung aufgehoben. Gleichzeitig fällt der sinngemäss oder ausdrücklich verfügte Entzug der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde mit dem Rückweisungsurteil der Beschwerdeinstanz dahin. Demnach würde die ursprüngliche, rechtskräftige Leistungsverfügung ihre WirkungenBGE 129 V 370 (373) BGE 129 V 370 (374)einstweilen weiter entfalten. Die gewährte Rente oder Hilflosenentschädigung müsste also beispielsweise selbst dann bis zu der nach den Abklärungen der Verwaltung zu erlassenden neuen Verfügung ausgerichtet werden, wenn diese die ursprüngliche, im Beschwerdeverfahren aufgehobene Revisionsverfügung bestätigt, mit welcher die Rente oder die Hilflosenentschädigung herabgesetzt oder aufgehoben worden ist.
"Wird eine Revision durch Entzug der aufschiebenden Wirkung als gleichzeitig angeordnete vorsorgliche Massnahme sofort vollstreckbar und handelt es sich um eine definitive Revisionsverfügung, so ist bis zum Endentscheid erster oder zweiter Gerichtsinstanz der Rentenstopp gewährleistet. Will ihn die Verwaltung nach der Rückweisung der Sache aufrechterhalten, so steht ihr vor dem Erlass einer neuen Revisionsverfügung die vorsorgliche Massnahme des vorläufigen Rentenstopps zur Verfügung. In diese Sache hat sich der Richter erst wieder auf Rekurs gegen diese neue, positive vorsorgliche Massnahme einzumischen. Seine eigene Bestätigung des vorläufigen Rentenstopps während des Revisionsprozesses soll ohne Not nicht über den Zeitraum des Gerichtsverfahrens hinaus Wirkung entfalten".
In diese Kritik stimmt auch UELI KIESER (Das Verwaltungsverfahren in der Sozialversicherung, Zürich 1999, S. 195 Fussnote 1072) ein, weil die Rechtsprechung ausser Acht lasse, dass die Notwendigkeit einer erneuten Abklärung in der Regel nicht auf das Verhalten des Versicherten zurückgehe, sondern vom Verwaltungsträger zu verantworten sei. Andere Autoren, welche die Rechtsprechung gemäss BGE 106 V 18 darstellen, äussern sich nicht näher (z.B. THOMAS LOCHER, Grundriss des Sozialversicherungsrechts, 2. Aufl., Bern 1997, S. 374 N 18; GUSTAVO SCARTAZZINI, Zum InstitutBGE 129 V 370 (374) BGE 129 V 370 (375)der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde in der Sozialversicherungsrechtspflege, in: SZS 1993 S. 339 f.).
4.3 Es trifft zu, dass der mit dem Entzug der aufschiebenden Wirkung verbundene vorläufige Zustand mit dem instanzabschliessenden Entscheid ohne weiteres dahinfällt (GYGI, Aufschiebende Wirkung und vorsorgliche Massnahmen in der Verwaltungsrechtspflege, in: ZBl 1976 S. 11; SCARTAZZINI, a.a.O., S. 339; ZIMMERLI/KÄLIN/KIENER, a.a.O., S. 141). Dieses Prinzip hat das Eidgenössische Versicherungsgericht mit BGE 106 V 18 bewusst durchbrochen. Es hat sich zu den zeitlichen Auswirkungen des Suspensiveffekts einer Beschwerde, wenn diese abgewiesen wird, in BGE 112 V 74 generell geäussert (vgl. auch GEROLD STEINMANN, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsbeschwerdeverfahren und im Verwaltungsgerichtsverfahren, in: ZBl 1993 S. 149). Danach ist in den meisten Fällen eine rückwirkende Aufhebung des Suspensiveffekts anzunehmen. Die damit verbundene formale, aber dogmatisch korrekte Betrachtungsweise führt indessen im Verfahren der Revision von Sozialversicherungsleistungen zu einem sachlich unbefriedigenden Resultat (BGE 106 V 20 Erw. 3 Ingress in fine), weil sie ausser Acht lässt, dass dieses Revisionsverfahren bei einer Rückweisung des Falles an die Verwaltung zu näherer Abklärung und neuem Entscheid materiell noch nicht abgeschlossen ist. Die mit dem Wegfall des Entzugs der aufschiebenden Wirkung verbundenen Rechtsfolgen treten zum Vornherein nicht ein, wenn die Beschwerdeinstanz die noch notwendigen Abklärungen selber vornimmt und je nach deren Ergebnis die angefochtene Revisionsverfügung bestätigt oder korrigiert. Damit stossende Ungleichheiten vermieden werden, darf es keinen Unterschied ausmachen, ob die Beschwerdeinstanz oder die Verwaltung die ergänzenden Abklärungen vornimmt und neu entscheidet. Auch diesbezüglich ist BGE 106 V 20 Erw. 3a zu bestätigen. Der Entscheid entspricht heute ebenso der ratio legis wie beim Erlass dieses Urteils.
Bestätigt die Verwaltung nach Durchführung der von der Beschwerdeinstanz angeordneten Abklärung die angefochtene und aufgehobene Revisionsverfügung, so wäre, falls die Leistung im Sinne der ursprünglichen Verfügung weiter gewährt wurde, eine Rückforderung gemäss Art. 49 IVG (in Verbindung mit Art. 47 AHVG) vielfach erschwert oder gar verunmöglicht (vgl. dazu AHI 2000 S. 184 Erw. 5). Ergeben dagegen die durch die Verwaltung durchgeführten Abklärungen die Unrichtigkeit der angefochtenen Revisionsverfügung, so muss die Nachzahlung der Leistung verfügtBGE 129 V 370 (375) BGE 129 V 370 (376)werden. Auch diese Betrachtungsweise (BGE 106 V 20 Erw. 3b) führt zur Bestätigung der bisherigen Praxis, weil der Versicherte in der Regel keinen Schaden erleidet (vgl. nunmehr auch die in Art. 26 Abs. 2 ATSG vorgesehene Verzugszinspflicht). Dazu kommt, dass gegen den Entzug der aufschiebenden Wirkung der Beschwerdeweg offen steht (Art. 81 IVG und Art. 97 Abs. 2 AHVG in Verbindung mit Art. 55 Abs. 3 VwVG sowie Art. 54 Abs. 1 lit. b und Art. 55 Abs. 2 ATSG; AHI 2000 S. 181), womit der erforderliche Rechtsschutz gewährleistet ist (BGE 106 V 21 Erw. 3d). Die Kritik von SCHLAURI (a.a.O., S. 205) richtet sich denn auch entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht gegen das, wie er sagt, vernünftige praktische Ergebnis, sondern gegen die Begründung von BGE 106 V 18. Den Einwänden von KIESER (a.a.O.) ist teilweise bereits Rechnung getragen worden. Die Rechtsprechung gemäss BGE 106 V 18 ist nämlich auch dann anzuwenden, wenn die Revisionsverfügung zwar nicht aus materiellen, jedoch aus formellen Gründen aufgehoben und deshalb die Sache an die Verwaltung zurückgewiesen wird (nicht veröffentlichtes Urteil G. vom 26. Januar 1996, I 351/95). Indessen hat das kantonale Gericht die in der Revisionsverfügung entzogene aufschiebende Wirkung der Beschwerde für den Zeitraum wieder herzustellen, den das Verfügungsverfahren in Anspruch genommen hätte, wenn es formell korrekt durchgeführt worden wäre (nicht veröffentlichtes Urteil St. vom 1. Dezember 1999, I 633/98). Schliesslich ist noch darauf hinzuweisen, dass auch mit Blick auf das Inkrafttreten des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 keine Änderung der Rechtsprechung angezeigt ist. Art. 56 ATSG enthält keine Regelung zu einer allfälligen aufschiebenden Wirkung der Beschwerde (KIESER, ATSG-Kommentar, Zürich 2003, N 16 zu Art. 56 mit Hinweisen auf die Materialien).
4.4 Fragen könnte man sich, ob in Anlehnung an die Praxis des Bundesrates (VPB 42 [1978] Nr. 94 S. 419, 40 [1976] Nr. 21 S. 97 Erw. 11; PETER SCHMID, Die Verwaltungsbeschwerde an den Bundesrat, Diss. Bern 1996, S. 206) die angefochtene Verwaltungsverfügung im Sinne einer vorsorglichen Massnahme der Beschwerdeinstanz provisorisch aufrechterhalten wird. Nach der Konzeption von SCHLAURI (a.a.O., S. 205) ist es Sache der Verwaltung, nach einem Rückweisungsurteil vor dem Erlass der neuen Revisionsverfügung im Sinne einer vorsorglichen Massnahme einen Rentenstopp zu verfügen, wenn sie den Entzug des Suspensiveffekts weiter dauern lassen möchte. In diesem Zusammenhang ist auch anBGE 129 V 370 (376) BGE 129 V 370 (377)negative und damit der aufschiebenden Wirkung nicht zugängliche Verfügungen zu denken (dazu BGE 126 V 407), wie beispielsweise wenn ein Anspruch durch Zeitablauf erloschen ist (Erschöpfen der Taggeldberechtigung nach aKUVG, RSKV 1982 Nr. K 472 S. 19 Erw. 3), wenn ein Anspruch auf Leistungen von Anfang an zeitlich begrenzt war (BGE 123 V 39) oder wenn rückwirkend über die Anspruchsvoraussetzungen entschieden wird (BGE 126 V 409 unten mit Hinweis auf eine nicht veröffentlichte Präsidialverfügung T. vom 11. Mai 2000, in welcher nach längerer Physiotherapiebehandlung die für weitere Leistungen vorausgesetzte Wirtschaftlichkeit verneint wurde und daher die Leistungen eingestellt wurden). Invalidenrenten werden in der Regel unbefristet zugesprochen, unterliegen aber einer regelmässigen Revision (Art. 87 Abs. 2 IVV), die alle drei bis fünf Jahre durchzuführen ist (Rz 5008 des Kreisschreibens des BSV über Invalidität und Hilflosigkeit in der Invalidenversicherung [KSIH]). Verfügungen, mit welchen Dauerleistungen herabgesetzt oder aufgehoben werden, gelten indessen trotz der regelmässigen Revisionsüberprüfung nach ständiger Rechtsprechung nicht als negative Verfügungen (vgl. BGE 105 V 266, ferner AHI 2000 S. 181).
Verfahrensrechtlich korrekt scheint die Lösung von SCHLAURI zu sein (in gleichem Sinne auch ISABELLE HÄNER, Vorsorgliche Massnahmen im Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, in: ZSR 1997, 2. Halbbd., S. 392 f. Rz 193), weil mit der Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsverfügung der Entzug der aufschiebenden Wirkung nicht mehr weiter gelten kann. Indessen haben weder Verwaltung noch Beschwerdeinstanz in der hier interessierenden Konstellation nach der Konzeption von BGE 106 V 18 ergänzende vorsorgliche Massnahmen zu treffen. Dafür sprechen namentlich verwaltungsökonomische Aspekte, die gerade für die Sozialversicherung als typische Massenverwaltung einiges Gewicht haben. Eine Änderung der Rechtsprechung drängt sich demnach nicht auf.