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Regeste
Aus den Erwägungen:
2. Gemäss Art. 5 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Alt ...
3. Streitig und zu prüfen ist, inwieweit die Entschädig ...
Erwägung 4
Erwägung 4.6
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65. Auszug aus dem Urteil i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen Einwohnergemeinde X. und Obergericht des Kantons Schaffhausen
 
 
H 335/02 vom 10. September 2003
 
 
Regeste
 
Art. 6 Abs. 2 lit. a AHVV: Begriff der soldähnlichen Vergütungen in öffentlichen Feuerwehren.
 
 
BGE 129 V 425 (426)Aus den Erwägungen:
 
Rz 2116 der Wegleitung des Bundesamtes für Sozialversicherung (BSV) über den massgebenden Lohn (WML) bestimmt, dass Sonderentschädigungen, wie die Pauschale für den Kommandanten oder Zuschläge für den Ernstfall, im Gegensatz zum Feuerwehrsold massgebenden Lohn darstellen.
3.2 Die Vorinstanz hat im Wesentlichen erwogen, das Eidgenössische Versicherungsgericht habe schon früh entschieden, der Gradsold für den Feuerwehrdienst sei kein Erwerbseinkommen im Sinne des Gesetzes und daher beitragsfrei. Das einem Versicherten für die Erfüllung einer öffentlichen Bürgerpflicht ausgerichteteBGE 129 V 425 (426) BGE 129 V 425 (427)Entgelt sei kein Erwerbseinkommen. Dies gelte auch für Sold, welchen Feuerwehrmänner für die Leistung von Verkehrsordnungsdienst in der Gemeinde erhielten, und überdies auch für Soldleistungen an Angehörige des Materialdienstes. Für die Qualifikation einer Entschädigung als beitragsfreier Feuerwehrsold sei lediglich massgebend, ob die entschädigte Tätigkeit im Rahmen der nebenamtlichen Feuerwehrdienstpflicht im öffentlichen Interesse ausgeübt werde und insoweit nicht auf Erwerb ausgerichtet sei. Auf die Art des Einsatzes komme es nicht an. Ebenso unwesentlich sei, ob die Entschädigung nach dem Funktionsgrad oder nach Stunden berechnet oder allenfalls als Pauschale ausgerichtet werde. Der Begriff "soldähnlich" (Art. 6 Abs. 2 lit. a AHVV) lasse vielmehr ohne weiteres darauf schliessen, dass im Feuerwehrbereich weiterhin nicht nur der Sold im engeren Sinn, sondern generell die nach allgemeinen Ansätzen ausgerichteten Entschädigungen für die Aufgaben der Wehrdienste beitragsfrei seien. Inwiefern Ernsteinsätze anders behandelt werden sollten als die Ansätze für Übungen, sei unerfindlich.
 
Erwägung 4
 
4.1 Die beitragsrechtliche Erfassung des Brandsoldes durch die Verfügung vom 19. Juli 2001 erfolgte gestützt auf Rz 2116 WML, wonach u.a. "Zuschläge für den Ernstfall" im Gegensatz zum Feuerwehrsold beitragspflichtiges Erwerbseinkommen darstellen. Derartige Verwaltungsweisungen sind für das SozialversicherungsgerichtBGE 129 V 425 (427) BGE 129 V 425 (428)nicht verbindlich. Es soll sie bei seiner Entscheidung mit berücksichtigen, sofern sie eine dem Einzelfall angepasste und gerecht werdende Auslegung der anwendbaren Bestimmungen zulassen. Es weicht andererseits insoweit von den Weisungen ab, als sie mit den anwendbaren Bestimmungen nicht vereinbar sind (BGE 127 V 61 Erw. 3a, BGE 126 V 68 Erw. 4b, 427 Erw. 5a).
4.2 In den bis Ende 1987 gültig gewesenen Fassungen von Art. 6 Abs. 2 lit. a AHVV waren Vergütungen an Dienstleistende der Feuerwehr nicht erwähnt. Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat jedoch bereits in einem frühen Urteil erkannt, Erwerbseinkommen seien nur solche Einkünfte, die durch Ausübung einer auf Erwerb gerichteten Tätigkeit erzielt würden. Das einem Versicherten für Erfüllung einer öffentlichen Bürgerpflicht ausgerichtete Entgelt sei kein Erwerbseinkommen. Der Dienst in einem öffentlichen Feuerwehrkorps oder einer anerkannten Werksfeuerwehr werde im öffentlichen Interesse geleistet und sei keine Erwerbstätigkeit. Der dafür bezogene Gradsold von Fr. 2.- bis Fr. 6.- pro Stunde sei deshalb beitragsfrei (ZAK 1950 S. 316 f.; vgl. ZAK 1969 S. 184 Erw. 2). In einem späteren Urteil wurde diese Rechtsprechung bestätigt (ZAK 1969 S. 184 Erw. 2) und gleichzeitig präzisiert, dieselben Grundsätze gälten auch für den Gradsold, der bei Erfüllung der Feuerwehr behördlich übertragener, nicht zu deren Kernaufgaben gehörender Obliegenheiten (im konkreten Fall: Verkehrsordnungsdienst) ausgerichtet wird (ZAK 1969 S. 184 f. Erw. 3). In ZAK 1972 S. 50 Erw. 1 wiederholte das Gericht den Grundsatz, dass der Feuerwehrsold nicht (beitragspflichtiges) Erwerbseinkommen darstelle, weil der Feuerwehrdienst wie der Militärdienst als allgemeine Bürgerpflicht nicht eine auf Erwerb gerichtete Tätigkeit sei. Eine Pauschalvergütung an den Materialoffizier der Feuerwehr für Verwaltungsarbeiten im Zusammenhang mit dem Materialdienst (von 1'200 Franken jährlich), welche auf Grund der zeitlichen Beanspruchung nach allgemeinen Soldansätzen festgesetzt worden war, wurde ebenfalls dem Feuerwehrsold und nicht dem massgebenden Lohn zugerechnet (ZAK 1972 S. 50 f. Erw. 2 und 3). Mit Bezug auf die bis Ende 1987 in Art. 6 Abs. 2 lit. a AHVV ebenfalls nicht erwähnten Bezüge Zivilschutzleistender hielt das Gericht demgegenüber fest, es erscheine als angezeigt, die tägliche Vergütung für Zivilschutzpflichtige, welche sich nach den rechtlichen Grundlagen im Rahmen der Soldansätze der Armee bewege, sozialversicherungsrechtlich dem Militärsold, der beitragsfrei sei, weil er blossen Spesenersatz darstelle, gleichzustellen (BGE 101 V 93 Erw. 2a).BGE 129 V 425 (428)
BGE 129 V 425 (429)Dagegen hätten das Taggeld und die freie Verpflegung für Zivilschutz-Instruktoren Lohncharakter, weil ihnen erwerbswirtschaftliche Bedeutung zukomme (BGE 101 V 93 Erw. 2b).
BGE 129 V 425 (430)4.5.1 Geringfügige Entgelte aus Nebenerwerb können gemäss Art. 5 Abs. 5 AHVG in Verbindung mit Art. 8bis AHVV von der Beitragspflicht ausgenommen werden, sofern sie Fr. 2'000.- pro Kalenderjahr nicht übersteigen und sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer zustimmen. Der Feststellung, bestimmte Vergütungen gehörten gemäss Art. 6 Abs. 2 lit. a AHVV nicht zum (beitragspflichtigen) Erwerbseinkommen, kommt jedoch in jedem Fall selbstständige Bedeutung zu, tritt die Beitragsbefreiung doch unabhängig von der Zustimmung der Beteiligten ein.
BGE 129 V 425 (431)4.5.4 Der Militärsold beträgt derzeit zwischen Fr. 4.- und Fr. 30.- pro Tag (Art. 11 Abs. 3 des Bundesbeschlusses über die Verwaltung der Armee [BVA, SR 510.30] in Verbindung mit Art. 38 der Verordnung über die Verwaltung der Armee [VVA, SR 510.301]). Die Soldzulagen bei Beförderungsdiensten belaufen sich auf Fr. 20.- bis Fr. 50.- pro Tag (Art. 17 Abs. 1 BVA in Verbindung mit Art. 40 VVA). Bei längeren Dienstleistungen kann daher auch der in einer Beitragsperiode bezogene Militärsold einen nicht unerheblichen Umfang annehmen. Die Aussage, er habe bloss symbolischen Charakter, ist nur teilweise stichhaltig.
 
Erwägung 4.6
 
Nach der vor 1988 ergangenen Rechtsprechung (Erw. 4.2 hievor) beruhte jedoch die Aussage, der Feuerwehrsold stelle kein Erwerbseinkommen dar, in erster Linie auf der Überlegung, es handle sich um ein Entgelt für die Erfüllung einer Bürgerpflicht. Diese Rechtsprechung sollte anlässlich der per 1. Januar 1988 erfolgtenBGE 129 V 425 (431) BGE 129 V 425 (432)Änderung von Art. 6 Abs. 2 lit. a AHVV beibehalten werden (Erw. 4.3 hievor am Ende). Im Rahmen einer an den damaligen Intentionen des Verordnungsgebers orientierten Auslegung kann daher der Auffassung des BSV nicht gefolgt werden.
4.6.2 Die bei Erlass einer Norm verfolgten Absichten bleiben für die Rechtsanwendung nicht unter allen Umständen verbindlich. So kann nach der Rechtsprechung in objektiv-zeitgemässer Auslegung einer Gesetzesnorm ein Sinn gegeben werden, der für den historischen Gesetzgeber infolge eines Wandels der tatsächlichen Verhältnisse nicht voraussehbar war und in der bisherigen Anwendung auch nicht zum Ausdruck gekommen ist, wenn er noch mit dem Sinn des Gesetzes vereinbar ist (BGE 125 II 213 Erw. 4c/bb mit Hinweis). Das BSV erblickt den erforderlichen Wandel der tatsächlichen Verhältnisse in einer Änderung der allgemeinen Anschauungen. Nach neuerer Auffassung sei nicht mehr massgebend, ob die Angehörigen der Wehrdienste eine Bürgerpflicht erfüllten und mit ihrem Einsatz zu Gunsten des Gemeinwesens und von Unglücksfällen Betroffener nicht in erster Linie Erwerbsmotive verfolgten. Dass sich die allgemeine Anschauung in diesem Sinne gewandelt hätte, ist jedoch nicht derart evident, dass eine hinreichende Grundlage bestünde, um von den bei Erlass von Art. 6 Abs. 2 lit. a AHVV geäusserten Intentionen abzuweichen. Auch anderweitige Entwicklungen, die in jüngerer Zeit stattgefunden haben, wie insbesondere die vielerorts erfolgte Erhöhung der Entschädigungen sowie die teilweise Abschaffung oder Einschränkung der Feuerwehrpflicht, bilden zwar denkbare Argumente für eine Änderung der geltenden Regelung. Ob die Beitragsfreiheit der Entschädigungen für Feuerwehrleute in Abhängigkeit von der Art des Dienstes sowie Art und Höhe der Vergütungen Einschränkungen erfahren oder allenfalls ganz wegfallen soll, ist jedoch eine Frage der Abwägung der einander gegenüberstehenden Interessen (Allgemeinheit der Beitragspflicht einerseits, öffentliches Interesse an der Tätigkeit einer Milizfeuerwehr andererseits). Deren allfällige Neugewichtung mit Blick auf zwischenzeitlich eingetretene Veränderungen ist grundsätzlich nicht Sache des Gerichts (vgl. BGE 127 II 83 Erw. 4a/aa, 84 Erw. 4a/cc). Es läge vielmehr am Verordnungsgeber, die geltende Regelung, welche soldähnliche Vergütungen in öffentlichen Feuerwehren generell von der Beitragspflicht ausnimmt, allenfalls zu ändern, wenn sie den aktuellen Verhältnissen nicht mehr gerecht werden sollte.BGE 129 V 425 (432)
BGE 129 V 425 (433)4.7 Nach dem Gesagten ist Rz 2116 WML insoweit nicht mit Art. 6 Abs. 2 lit. a AHVV vereinbar, als Zuschläge für den Ernstfall als beitragspflichtiges Erwerbseinkommen erklärt werden. Die Vorinstanz hat daher die Verwaltungsweisung insoweit zu Recht nicht zur Anwendung gebracht und die Beitragspflicht für die entsprechenden Bezüge verneint.BGE 129 V 425 (433)