Abruf und Rang:
RTF-Version (SeitenLinien), Druckversion (Seiten)
Rang: 

Zitiert durch:


Zitiert selbst:


Regeste
Sachverhalt
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
Erwägung 1
Erwägung 2
Erwägung 3
4. Mangels einer einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Rege ...
Bearbeitung, zuletzt am 12.07.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
22. Urteil i.S. P. gegen IV-Stelle für Versicherte im Ausland und Eidgenössische Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen
 
 
I 474/03 vom 27. Januar 2004
 
 
Regeste
 
Art. 32 und 106 Abs. 1 OG; Art. 11 FZA; Art. 86 der Verordnung Nr. 1408/71: Fristberechnung bei Beschwerdeerhebung durch eine in einem anderen Vertragsstaat wohnhafte Person.
 
Die Berechnung der Frist von 30 Tagen zur Erhebung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde (Art. 106 Abs. 1 OG) gemäss Art. 32 OG verstösst nicht gegen die Grundsätze der Gleichwertigkeit und der Effektivität (Erw. 4).
 
 
Sachverhalt
 
BGE 130 V 132 (133)A. Nach einer Rentenrevision verneinte die IV-Stelle für Versicherte im Ausland mit Wirkung ab 1. Mai 2002 einen Anspruch von P. auf eine Rente der Invalidenversicherung (Verfügung vom 11. März 2002).
B. Die dagegen erhobene Beschwerde wies die Eidgenössische Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen am 12. Mai 2003 ab. Dieser Entscheid wurde P. gemäss postamtlicher Bescheinigung am 3. Juni 2003 zugestellt.
C. P. führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Die Rechtsschrift wurde am 6. Juli 2003 der spanischen Post übergeben. Vom Eidgenössischen Versicherungsgericht aufgefordert, zur Frage der Rechtzeitigkeit Stellung zu nehmen, macht P. geltend, gemäss Art. 48 des spanischen Verwaltungsverfahrensgesetzes würden für die Berechnung einer nach Tagen bestimmten Frist nur Werktage (ohne Sonn- und Feiertage) gezählt, weshalb die Frist erst am 8. Juli 2003 geendet habe. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei demnach fristgerecht erhoben worden.
Die IV-Stelle für Versicherte im Ausland und das Bundesamt für Sozialversicherung, dieses sinngemäss, beantragen Nichteintreten auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
 
 
Erwägung 1
 
 
Erwägung 2
 
Nach Art. 1 Abs. 1 des auf der Grundlage des Art. 8 FZA ausgearbeiteten und Bestandteil des Abkommens bildenden (Art. 15 FZA) Anhangs II "Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit" des FZA in Verbindung mit Abschnitt A dieses Anhangs wenden die Vertragsparteien untereinander insbesondere die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (nachfolgend: Verordnung Nr. 1408/71), und die Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (nachfolgend: Verordnung Nr. 574/72), oder gleichwertige Vorschriften an.
2.3 In BGE 128 V 315 hat das Eidgenössische Versicherungsgericht den Grundsatz, wonach in einem gerichtlichen Beschwerdeverfahren das neue (materielle) Recht nicht anzuwenden ist, wennBGE 130 V 132 (134) BGE 130 V 132 (135)die streitige Verwaltungsverfügung vor dessen In-Kraft-Treten erlassen wurde, auch bezüglich des FZA bestätigt (Erw. 1).
Demgegenüber sind neue Verfahrensvorschriften nach der Rechtsprechung grundsätzlich mit dem Tag des In-Kraft-Tretens sofort und in vollem Umfange anwendbar, es sei denn, das neue Recht kenne anders lautende Übergangsbestimmungen (BGE 129 V 115 Erw. 2.2, BGE 112 V 360 Erw. 4a; RKUV 1998 Nr. KV 37 S. 316 Erw. 3b).
 
Erwägung 3
 
Bereits in BGE 128 V 318 Erw. 1c hat das Eidgenössische Versicherungsgericht - unter Hinweis auf Lehre und Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (nachfolgend: EuGH) - festgestellt, dass die Regelung des Verfahrens der innerstaatlichen Rechtsordnung überlassen ist, soweit das FZA und die gemäss dessen Anhang II anwendbaren Rechtsakte keine einschlägige Bestimmung enthalten. Die Modalitäten dürfen jedoch nicht weniger günstig sein als bei gleichartigen Verfahren, die das innerstaatliche Recht betreffen (Grundsatz der Gleichwertigkeit), und sie dürfen nicht so ausgestaltet sein, dass sie die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen RechteBGE 130 V 132 (135) BGE 130 V 132 (136)praktisch unmöglich machen oder übermässig erschweren (Grundsatz der Effektivität) (Urteil des EuGH vom 22. Februar 2001 in den verbundenen Rechtssachen C-52/99 und C-53/99, Office national des pensions [ONP] gegen Gioconda Camarotto und Giuseppina Vignone, Slg. 2001 S. I-1395 ff. [nachfolgend: EuGH-Urteil Camarotto und Vignone], Randnr. 21, mit Hinweis). Die Grundsätze der Gleichwertigkeit und der Effektivität sind auch im Anwendungsbereich des FZA zu beachten (BGE 128 V 319 Erw. 1c).
Gemäss Art. 86 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 ist die Stelle, bei der eine Eingabe eingereicht wurde, zur unverzüglichen Weiterleitung an die entsprechende Stelle im zuständigen Mitgliedstaat verpflichtet. Über die Zulässigkeit eines Antrages oder eines Rechtsmittels - insbesondere auch über die Rechtzeitigkeit - entscheidet ausschliesslich die zuständige Stelle nach ihren Rechtsvorschriften (Urteil des EuGH vom 22. Mai 1980 in der Rechtssache 143/79, Walsh gegen National Insurance Officer, Slg. 1980 S. 01639 ff., Randnrn. 11 f.).
Mit dem Einreichen eines Antrages oder Rechtsbehelfs bei einer Stelle in einem anderen Mitgliedstaat wird - im Sinne des Gleichwertigkeitsprinzips - die Frist unter den gleichen Voraussetzungen gewahrt, wie wenn das entsprechende Begehren direkt bei der zuständigen Stelle eingereicht worden wäre (Art. 86 Abs. 1 Satz 3).BGE 130 V 132 (136) BGE 130 V 132 (137)Für die Berechnung einer Frist lässt sich aus Art. 86 der Verordnung Nr. 1408/71 aber nichts ableiten.
4.2 Das nationale Verfahrensrecht darf zudem nicht so ausgestaltet sein, dass es die Ausübung der Rechte, welche das Freizügigkeitsabkommen einräumt, praktisch unmöglich macht oder übermässig erschwert. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind angemessene "Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung" (darunter fallen auch Rechtsmittelfristen) im Interesse der Rechtssicherheit und mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar (Urteil des EuGH vom 16. Dezember 1976 in der Rechtssache 33/76, Rewe-Zentralfinanz AG und Rewe-Zentral-AG gegen Landwirtschaftskammer für das Saarland, Slg. 1976 S. 1989 ff., Randnr. 5; EuGH-Urteil Camarotto und Vignone, Randnr. 28 mit Hinweisen). Der Grundsatz der Effektivität wird durch solche Fristen nicht verletzt (Urteil des EuGH vom 2. Dezember 1997 in der Rechtssache C-188/95, Fantask A/S e.a. gegen Industriministeriet, Slg. 1997 S. I-6783, Randnr. 48 mit Hinweisen; Urteil des EuGH vom 28. November 2000 in der Rechtssache C-88/99, Roquette Frères SA gegen Direction des services fiscaux du Pas-de-Calais, Slg. 2000 S. I-10465 ff., Randnr. 23). Dies gilt insbesondere in Fällen wie dem hier vorliegenden, wenn die Frist erst ab dem Tag läuft, an dem der Entscheid dem Beschwerdeführer zugestellt wurde und er davon Kenntnis nehmen konnte (vgl. Urteil des EuGH vom 27. Februar 2003 in der Rechtssache C-327/00, Santex SpA gegen Unità Socio Sanitaria Locale n. 42 di Pavia, Beteiligte: Sca Mölnlycke SpA, Artsana SpA und Fater SpA, für Slg. 2003 vorgesehen, Randnrn. 55 ff.).BGE 130 V 132 (137)
BGE 130 V 132 (138)4.3 Die Frage der Berechnung der Frist zur Einreichung einer Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Eidgenössischen Versicherungsgericht ist demnach auch im Anwendungsbereich des FZA nach den Bestimmungen des OG zu beurteilen. Die vom Beschwerdeführer am 6. Juli 2003 der Post übergebene Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist deshalb verspätet (Erw. 1 hievor).BGE 130 V 132 (138)