Abruf und Rang:
RTF-Version (SeitenLinien), Druckversion (Seiten)
Rang: 

Zitiert durch:


Zitiert selbst:


Aus den Erwägungen:
Erwägung 4
Erwägung 4.2
Erwägung 5
Bearbeitung, zuletzt am 12.07.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
28. Auszug aus dem Urteil i.S. Öffentliche Arbeitslosenkasse Basel-Stadt gegen K. und Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt
 
 
C 62/04 vom 26. April 2005
 
 
Art. 51 Abs. 1 und Art. 58 AVIG: Insolvenzentschädigung.
 
 
Art. 39 Abs. 1 und Art. 46 Abs. 2 SchKG: Ordentliche Konkursbetreibung; örtliche Zuständigkeit.
 
 
BGE 131 V 196 (197)Aus den Erwägungen:
 
 
Erwägung 4
 
4.1.1 Aus den Akten ergibt sich, dass über die Firma P. AG (bisher) kein Konkurs eröffnet worden ist. Unter den vorliegenden Umständen fällt als Grundlage für die von der Beschwerdegegnerin beantragte Insolvenzentschädigung Art. 51 Abs. 1 lit. b AVIG in Betracht, wonach - in sachlicher Hinsicht - ein Anspruch zu bejahen ist, wenn "der Konkurs nur deswegen nicht eröffnet wird, weil sich infolge offensichtlicher Überschuldung des Arbeitgebers kein Gläubiger bereit findet, die Kosten vorzuschiessen". Diese Bestimmung ist auf den 1. Januar 1992 in Kraft getreten. Davor konnten Lohnausfälle nicht gedeckt werden, wenn weder die versicherte Person noch ein dritter Gläubiger bereit war, nach der erfolgten Konkursandrohung den Kostenvorschuss für das Konkursverfahren zu leisten, weil nicht voraussehbar war, dass diese Kosten wieder eingebracht werden konnten. Unter diesen Umständen wurde der Konkurs nicht eröffnet, womit auch der Insolvenztatbestand des Art. 51 Abs. 1 lit. a AVIG nicht erfüllt war. Da aus der Sicht der Arbeitslosenversicherung kein Anlass bestand, diesen Fall offensichtlicher Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers anders zu behandeln als den Fall, in welchem der Konkurs tatsächlich eröffnet werden konnte, wurde Art. 51 Abs. 1 lit. b AVIG geschaffen (Botschaft zu einer Teilrevision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes vom 23. August 1989, BBl 1989 III 377 ff., 400). Diese Norm setzt im Sinne einer doppelten Kausalität voraus, dass die Nichteröffnung des Konkurses einzig durch das Fehlen der Bereitschaft der Gläubiger bedingt ist, die Kosten für das Konkursverfahren vorzuschiessen; der Grund für diese mangelnde Bereitschaft wiederum liegt in der offensichtlichen Überschuldung des Arbeitgebers (JEAN-FRITZ STÖCKLI, in: STAEHELIN/BAUER/STAEHELIN [Hrsg.], Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, SchKG III, Basel 1998, N 20 zu Art. 51 AVIG; URS BURGHERR, Die Insolvenzentschädigung, Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers als versichertes Risiko, Diss. Zürich 2004, S. 72). Gefordert ist dabei, dass das zwangsvollstreckungsrechtliche Verfahren jedenfalls das Stadium der Konkursandrohung überschritten hat (so BURGHERR, a.a.O., S. 73; nach STÖCKLI, BGE 131 V 196 (197) BGE 131 V 196 (198)a.a.O., N 20 zu Art. 51 AVIG, ist der Tag des formellen Nichteintretens auf das Konkursbegehren der massgebende Zeitpunkt; auch der Bundesrat ist in seiner Botschaft davon ausgegangen, dass das gestellte Konkursbegehren eine der Voraussetzungen für den Bezug von Insolvenzentschädigung bildet, wie sein Hinweis auf alt Art. 169 Abs. 2 SchKG zeigt [BBl 1989 III 400]).
4.1.2 Ob es genügt, dass die beteiligten Gläubiger im Anschluss an die Konkursandrohung wegen offensichtlicher Überschuldung des Arbeitgebers darauf verzichten, ein Konkursbegehren zu stellen, oder ob Art. 51 Abs. 1 lit. b AVIG tatsächlich ein gestelltes Konkursbegehren voraussetzt, braucht im vorliegenden Fall nicht beantwortet zu werden, weil das Zwangsvollstreckungsverfahren zweifellos nicht einmal bis zur Konkursandrohung gediehen ist. Es ist aber durchaus sinnvoll, aus insolvenzentschädigungsrechtlichem Gesichtswinkel ein fortgeschrittenes Zwangsvollstreckungsverfahren vorauszusetzen, weil bekanntlich viele Schuldner erst unter dem Druck der unmittelbar bevorstehenden Konkurseröffnung ihren Zahlungspflichten nachkommen. Da die Regelung der Insolvenzentschädigung gemäss Art. 51 ff. AVIG nach den im SchKG definierten zwangsvollstreckungsrechtlichen Stadien ausgerichtet ist, muss sich auch die Auslegung der einzelnen Anspruchsvoraussetzungen an die SchKG-rechtlich definierten Vorgaben halten. Es kann unter arbeitslosenversicherungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht Sache der versicherten Person sein, darüber zu entscheiden, ob weitere Vorkehren zur Realisierung der Lohnansprüche erfolgsversprechend sind oder nicht (Urteil H. vom 3. Dezember 2003, C 148/03). Die "grosszügigere" Auslegung des Art. 51 Abs. 1 lit. b AVIG durch das kantonale Gericht, wonach in bestimmten Fällen unabhängig vom Stand des zwangsvollstreckungsrechtlichen Verfahrens Anspruch auf Insolvenzentschädigung besteht, falls nur schon die Überschuldung des Arbeitgebers oder der Arbeitgeberin offensichtlich ist, kommt im Ergebnis einer Erweiterung der Insolvenztatbestände gleich. Der - mit Blick auf die abschliessende Nennung der zu einer Insolvenzentschädigung Anlass gebenden Tatbestände im Gesetz (Art. 51 Abs. 1 und Art. 58 AVIG; GERHARDS, Grundriss des neuen Arbeitslosenversicherungsrechts, Bern 1996, S. 175 Rz 78; THOMAS Nussbaumer, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, Rz 508; BURGHERR, a.a.O., S. 68) - unzulässigen Interpretation der Vorinstanz kann nicht gefolgt werden. Selbst wenn ihr beigepflichtet werdenBGE 131 V 196 (198) BGE 131 V 196 (199)könnte, wäre ihre Argumentation im vorliegenden Fall gar nicht relevant, weil - wie sich im Folgenden zeigt - für die Beschwerdegegnerin durchaus die Möglichkeit bestanden hat, das Konkursverfahren gegen ihre ehemalige Arbeitgeberin durchzuführen.
 
Erwägung 4.2
 
4.2.3 Die Firma P. AG hat ihren Sitz in der Stadt B. Als Adresse der Firma war im Handelsregister zunächst "Strasse X., Stadt B.",BGE 131 V 196 (199) BGE 131 V 196 (200)und seit 2001 "c/o Firma S., Strasse X., Stadt B." eingetragen gewesen. Am ... wurden das Domizil der Gesellschaft und das letzte Mitglied des Verwaltungsrates, am ... wurde die Revisionsstelle im Handelsregister gelöscht. Eine Sitzverlegung ist offensichtlich nicht vorgenommen worden. Auf die Aufforderung des Handelsregisteramtes im Sinne von Art. 89 Abs. 1 HRegV hin haben die Beschwerdegegnerin und allenfalls weitere Personen ihr begründetes Interesse an der Aufrechterhaltung der Eintragung der Firma P. AG im Handelsregister rechtzeitig innert der 30-tägigen Frist seit Erscheinen der Publikation im SHAB angemeldet. Das begründete Interesse an der Aufrechterhaltung der Eintragung der Gesellschaft im Sinne von Art. 89 Abs. 1 HRegV bestand für die Versicherte zweifellos in der Perpetuierung der Möglichkeit, das Zwangsvollstreckungsverfahren gegen die ehemalige Arbeitgeberin fortzuführen. Da die Löschung der Aktiengesellschaft im Handelsregister erfolgreich verhindert wurde, hätte es der Versicherten entgegen der Ansicht des kantonalen Gerichts offen gestanden, beim Betreibungsamt das Fortsetzungsbegehren zu stellen. Dies wäre ihr mit Blick auf Art. 55 Abs. 1 AVIG, wonach der Arbeitnehmer im Konkurs- oder Pfändungsverfahren alles unternehmen muss, um seine Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber zu wahren, bis die Kasse ihm mitteilt, dass sie an seiner Stelle in das Verfahren eingetreten ist, auch zumutbar gewesen. Die Firma P. AG unterliegt als nach wie vor im Handelsregister eingetragene Aktiengesellschaft gemäss Art. 39 Abs. 1 SchKG weiterhin der ordentlichen Konkursbetreibung (Erw. 4.2.1 hiervor). Daran ändert nichts, dass das Domizil der Gesellschaft am ... im Handelsregister gelöscht worden ist. Hätte - nach der Argumentation des kantonalen Gerichts - das fehlende Domizil einer Aktiengesellschaft zur Folge, dass das Zwangsvollstreckungsverfahren gegen sie nicht mehr angehoben oder weitergeführt werden könnte, so würde es ihr offen stehen, sich durch Löschung ihrer Adresse im Handelsregister ganz einfach einer drohenden Konkurseröffnung zu entziehen, was mit dem Gläubigerschutz nicht vereinbar wäre. Falls die Beschwerdegegnerin, wie sie im Verfahren vor dem kantonalen Gericht hat vorbringen lassen, vom Betreibungsamt Basel-Stadt tatsächlich die Auskunft erhalten hat, die Betreibung könne mangels Domizils nicht mehr fortgesetzt werden, ist sie falsch beraten worden. Das Betreibungsamt hätte das Fortsetzungsbegehren der Versicherten, allenfalls nach vorgängig erfolgter Einrichtung eines Zustelldomizils bei derBGE 131 V 196 (200) BGE 131 V 196 (201)Vormundschaftsbehörde oder nach Errichtung einer Beistandschaft für die ehemalige Arbeitgeberin gemäss Art. 393 Ziff. 4 ZGB (FORSTMOser/Meier-Hayoz/Nobel, a.a.O., § 20 Rz 43), entgegennehmen müssen.
 
Erwägung 5