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Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
Erwägung 4
Erwägung 5
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53. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. V. gegen Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
 
8C_216/2009 vom 28. Oktober 2009
 
 
Art. 43 f. ATSG; Art. 6 Ziff. 1 EMRK; Beweiswürdigung.
 
 
Art. 6 UVG; Art. 6 EMRK; Umfang der Untersuchungspflicht.
 
 
Sachverhalt
 
BGE 135 V 465 (466)A. Der 1963 geborene V. war als Schweisser der A. AG bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen die Folgen von Unfällen versichert, als am 18. Oktober 2002 ein Metallgeländer, an dem er arbeitete, umstürzte und ihn an Nacken und Hinterkopf traf. Die SUVA anerkannte ihre Leistungspflicht für die Folgen dieses Ereignisses und erbrachte die gesetzlichen Leistungen. Der Versicherte konnte seine angestammte Arbeit am 4. November 2002 wieder voll aufnehmen.
V. war weiterhin bei der SUVA gegen die Folgen von Unfällen versichert, als sich am 3. September 2003 bei Montagearbeiten eine Kette löste und ihn unterhalb des linken Auges traf. Auch für die Folgen dieses Ereignisses anerkannte die SUVA ihre Leistungspflicht und erbrachte die gesetzlichen Leistungen, stellte diese jedoch mit Verfügung vom 6. Oktober 2006 und Einspracheentscheid vom 21. Februar 2007 per 31. Oktober 2006 ein, da die darüber hinaus anhaltend geklagten Beschwerden nicht adäquat kausal durch ein Unfallereignis verursacht worden seien.BGE 135 V 465 (466)
BGE 135 V 465 (467)B. Die von V. hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern mit Entscheid vom 27. Januar 2009 ab.
C. Mit Beschwerde beantragt V. sinngemäss, die SUVA sei unter Aufhebung des Einsprache- und des kantonalen Gerichtsentscheides zu verpflichten, ihre Leistungen auch über den 31. Oktober 2006 hinaus zu erbringen. Gleichzeitig stellt er ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren.
Während die SUVA auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
 
 
Erwägung 4
 
4.2 Gemäss Art. 43 Abs. 1 ATSG (SR 830.1) prüft der Versicherungsträger die Begehren, nimmt die notwendigen Abklärungen von Amtes wegen vor und holt die erforderlichen Auskünfte ein. Bei der Prüfung der Begehren darf er auch den SachverstandBGE 135 V 465 (467) BGE 135 V 465 (468)versicherungsinterner medizinischer Fachpersonen einbeziehen. Bei den von diesen versicherungsinternen Ärztinnen und Ärzten erstellten Stellungnahmen handelt es sich indessen nicht um Gutachten im Sinne von Art. 44 ATSG; diese Bestimmung ist auf die Berichte der versicherungseigenen Fachpersonen nicht anwendbar (BGE 135 V 254 E. 3.4.1 S. 258 f.).
4.3.1 Art. 6 Ziff. 1 EMRK verpflichtet die Vertragsstaaten jedoch, für ein faires Gerichtsverfahren zu sorgen. Ein Teilgehalt des Rechts auf ein faires Verfahren bildet der Grundsatz der Waffengleichheit (Urteile des EGMR Bönisch gegen Österreich vom 6. Mai 1985 § 32; Brandstetter gegen Österreich vom 28. August 1991, Serie A Bd. 211 § 66; Lasmane gegen Lettland vom 6. Juni 2002 und Abbasov gegen Aserbaidschan vom 17. April 2008 § 30). Dieser soll nicht nur eine formale Gleichheit der prozessualen Rechtspositionen der Parteien in einem Gerichtsverfahren gewährleisten, sondern weiter gehend auch ihre durch das Gericht zu verwirklichende materielle Gleichwertigkeit im Sinne einer prozessualen Chancengleichheit. Das Verfahren um Zusprechung oder Verweigerung von Sozialversicherungsleistungen ist geprägt durch ein relativ hohes Mass an Ungleichheit zwischen den Beteiligten zu Gunsten der Verwaltung, weil regelmässig eine versicherte Person gegen einen Sozialversicherungsträger prozessiert, der eine von ihr begehrte Leistung abgelehnt hat. Dieser versicherten Person, die sich oftmals in einer schwierigen sozialen Lage befindet und nur über geringe finanzielle Mittel verfügt, steht eine spezialisierte Fachverwaltung mit erheblichen finanziellen Ressourcen, besonders ausgebildeten Sachbearbeitern und entsprechend geschulten juristischen und medizinischen FachpersonenBGE 135 V 465 (468) BGE 135 V 465 (469)gegenüber (vgl. auch das Urteil des deutschen Bundessozialgerichts B 2 U 8/07 R vom 5. Februar 2008 E. 37). Allerdings verpflichtet Art. 6 Ziff. 1 EMRK die Vertragsstaaten nicht, eine vollständige Waffengleichheit zwischen den Parteien herzustellen. Aus der Konvention ergibt sich jedoch ein Anspruch der versicherten Person, nicht in eine prozessuale Lage versetzt zu werden, aus der sie keine vernünftige Chance hat, ihre Sache dem Gericht zu unterbreiten ohne gegenüber den anderen Verfahrensbeteiligten klar benachteiligt zu sein (Urteile des EGMR Steel und Morris gegen Vereinigtes Königreich vom 15. Mai 2005, Recueil CourEDH 2005-II S. 45 § 62, und Yvon gegen Frankreich vom 24. April 2003, Recueil CourEDH 2003-V S. 29 § 31 mit weiteren Hinweisen).
4.4 Auch wenn die Rechtsprechung den Berichten versicherungsinterner medizinischer Fachpersonen stets Beweiswert zuerkannt hat, so ist doch zu betonen, dass ihnen praxisgemäss nicht dieselbe Beweiskraft wie einem gerichtlichen oder einem im Verfahren nach Art. 44 ATSG vom Versicherungsträger in Auftrag gegebenen Gutachten zukommt (BGE 125 V 351 E. 3a S. 352 ff.; BGE 122 V 157 E. 1c S. 160 ff.). So hat die Rechtsprechung bezüglich Gerichtsgutachten ausgeführt, das Gericht weiche "nicht ohne zwingende Gründe" von den Einschätzungen des medizinischen Experten ab (BGE 125 V 351 E. 3b/aa S. 352 f.). Auch der EGMR hat diesbezüglich erwogen, der Meinung eines von einem Gericht ernannten ExpertenBGE 135 V 465 (469) BGE 135 V 465 (470)komme bei der Beweiswürdigung vermutungsweise hohes Gewicht zu (Urteile Sara Lind Eggertsdóttir gegen Island vom 5. Juli 2007 § 44, und Shulepova gegen Russland vom 11. März 2009 § 62). Hinsichtlich von Versicherungsträgern im Verfahren nach Art. 44 ATSG eingeholter, den Anforderungen der Rechtsprechung entsprechender, Gutachten externer Spezialärzte wurde festgehalten, das Gericht dürfe diesen Gutachten vollen Beweiswert zuerkennen, solange "nicht konkrete Indizien gegen die Zuverlässigkeit" der Expertise sprechen (BGE 125 V 351 E. 3b/bb S. 353 mit weiteren Hinweisen). Zur Frage der Berichte und Gutachten versicherungsinterner Fachpersonen wurde der Grundsatz betont, wonach ein Anstellungsverhältnis dieser Person zum Versicherungsträger alleine nicht schon auf mangelnde Objektivität und Befangenheit schliessen lässt (BGE 125 V 351 E. 3b/ee S. 353 ff.). Auch aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK folgt nicht, dass solche Stellungnahmen in jedem Fall unbeachtlich wären (erwähntes Urteil Sara Lind Eggertsdóttir § 51). Soll ein Versicherungsfall jedoch ohne Einholung eines externen Gutachtens entschieden werden, so sind an die Beweiswürdigung strenge Anforderungen zu stellen. Bestehen auch nur geringe Zweifel an der Zuverlässigkeit und Schlüssigkeit der versicherungsinternen ärztlichen Feststellungen, so sind ergänzende Abklärungen vorzunehmen (BGE 122 V 157 E. 1d S. 162 f.).
4.6 Diese Erfahrungstatsache befreit das Gericht indessen nicht von seiner Pflicht zu einer korrekten Beweiswürdigung, bei der auch die von der versicherten Person aufgelegten Berichte mitzuberücksichtigen sind. Diese sind daraufhin zu prüfen, ob sie auch nur geringe Zweifel an der Zuverlässigkeit und Schlüssigkeit der Feststellungen versicherungsinterner Ärztinnen und Ärzte wecken. Es würde einen Verstoss gegen die Waffengleichheit und somit eine Verletzung von Art. 6 Ziff. 1 EMRK bedeuten, die Eignung der Berichte der behandelnden Ärztinnen und Ärzte zur Weckung derartiger Zweifel von letztlich unerfüllbaren Anforderungen abhängig zu machen. Wird die Schlüssigkeit der Feststellungen der versicherungsinternen Fachpersonen durch einen nachvollziehbaren Bericht eines behandelnden Arztes in Zweifel gezogen, so genügt deshalb der pauschale Hinweis auf dessen auftragsrechtliche Stellung nicht, um solche Zweifel auszuräumen. Ebenfalls kann nicht bloss darauf verwiesen werden, diese Berichte erfüllten die Anforderungen an Gutachten gemäss BGE 125 V 351 E. 3a S. 352 nicht oder nur unvollständig. Damit die versicherte Person eine vernünftige Chance hat, ihre Sache dem Gericht zu unterbreiten, ohne gegenüber dem Versicherungsträger klar benachteiligt zu sein (E. 4.3.1 i.f.), darf bei Bestand solcher Zweifel nicht aufgrund der von der versicherten Person aufgelegten Berichte einerseits und der versicherungsinternen medizinischen Berichte andererseits eine abschliessende Beweiswürdigung vorgenommen werden. Um solche Zweifel auszuräumen, wird das Gericht vielmehr entweder ein Gerichtsgutachten anzuordnen oder die Sache an den Versicherungsträger zurückzuweisen haben, damit dieser im Verfahren nach Art. 44 ATSG eine Begutachtung veranlasst (E. 4.4 i.f.).
BGE 135 V 465 (472)4.8 Da auch Dr. med. S., Spezialarzt FMH für Neurologie, als Konsiliararzt des behandelnden Arztes in seinem Bericht vom 23. Oktober 2006 ausdrücklich nicht von einer organischen Genese der persistierenden Beschwerden ausgeht und somit die Schlussfolgerungen der internen Ärzte bestätigt, bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit der diesbezüglichen Feststellungen durch das kantonale Gericht, womit keine Notwendigkeit für weitere Abklärungen besteht.
 
Erwägung 5