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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
2. Gemäss Art. 8 Abs. 1 lit. e AVIG (SR 837.0) besteht ein A ...
Erwägung 3
Erwägung 4
Erwägung 4.5
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18. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Öffentliche Arbeitslosenkasse Baselland gegen L. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
 
8C_967/2010 vom 20. April 2011
 
 
Regeste
 
Art. 13 Abs. 4 AVIG i.V.m. Art. 12a und 8 Abs. 1 AVIV.
 
 
Sachverhalt
 
BGE 137 V 126 (127)A. Die 1974 geborene L. war als Striptease-Tänzerin bei verschiedenen Arbeitgebern tätig. Am 30. September 2008 meldete sie sich zur Arbeitsvermittlung und am 3. Oktober 2008 zum Leistungsbezug bei der Arbeitslosenversicherung ab 1. Oktober 2008 an. Mit Verfügung vom 6. August 2009 lehnte die Öffentliche Arbeitslosenkasse Baselland den Antrag auf Leistungen der Arbeitslosenversicherung wegen Nichterfüllung der Beitragszeit innerhalb der Rahmenfrist vom 1. Oktober 2006 bis 30. September 2008 ab. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 13. November 2009 fest.
B. Die dagegen geführte Beschwerde der L. hiess das Kantonsgericht Basel-Landschaft mit Entscheid vom 13. August 2010 gut und bejahte die Erfüllung der Beitragszeit. Zur Prüfung der weiteren Anspruchsvoraussetzungen zum Taggeldbezug wies es die Sache an die Verwaltung zurück.
C. Die Öffentliche Arbeitslosenkasse Baselland führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren um Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids vom 13. August 2010.
Während L. sinngemäss Abweisung der Beschwerde beantragt, hat das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) auf eine Stellungnahme verzichtet.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
 
 
Erwägung 3
 
BGE 137 V 126 (129)Die Beitragszeit von zehn Monaten sei vorliegend dementsprechend zu verdoppeln, womit in der vom 1. Oktober 2006 bis 30. September 2008 dauernden Rahmenfrist eine Beitragszeit von insgesamt zwanzig Monaten anzurechnen sei.
 
Erwägung 4
 
Eine historisch orientierte Auslegung ist für sich allein nicht entscheidend. Anderseits vermag aber nur sie die Regelungsabsicht des Gesetzgebers (die sich insbesondere aus den Materialien ergibt) aufzuzeigen, welche wiederum zusammen mit den zu ihrer Verfolgung getroffenen Wertentscheidungen verbindliche Richtschnur desBGE 137 V 126 (129) BGE 137 V 126 (130)Gerichts bleibt, auch wenn es das Gesetz mittels teleologischer Auslegung oder Rechtsfortbildung veränderten, vom Gesetzgeber nichtvorausgesehenen Umständen anpasst oder es ergänzt (BGE 129 I 12 E. 3.3 S. 16; BGE 129 V 95 E. 2.2 S. 98).
4.3 Von entstehungsgeschichtlicher Warte aus lässt sich den Materialien entnehmen, dass die Ausnahmeregelung auf einen Antrag von Nationalrat Galli zurückgeht, der ausführte, dass die in Art. 13 AVIG vorgeschlagene Verlängerung der Mindestbeitragszeit von sechs auf zwölf Monate für Berufsleute im Bereich der Bühnen- und Szenenkünste mit befristeten und deshalb häufig wechselnden Anstellungen fatale Folgen haben könne, nämlich beinahe den faktischen Auschluss aus der Arbeitslosenversicherung. Betroffen seien insbesondere die künstlerischen Berufe von Schauspielern und Schauspielerinnen, Balletttänzern und Balletttänzerinnen, Spielleitern und Spielleiterinnen, Regisseuren und Regisseurinnen, Theater- und Filmtechnikern bzw. -technikerinnen, Musikern und Musikerinnen des E-Bereichs bis zur Volksmusik, Sprecher und Sprecherinnen sowie Personen bzw. Journalisten und Journalistinnen mit einer kurzfristigen Anstellung bei audiovisuellen Medien. Nationalrat Galli fügte weiter an, dass einige Tausend Temporärbeschäftigte im Bereich von Bühne, Film, Audiovision, E- und Volksmusik aufgrund der spezifischen Arbeitssituation auch unfreiwillig ohne Festanstellungen arbeiten müssten und Arbeitslosigkeit entstehen könne, wenn ein Engagement zu Ende gehe, ohne dass ein neues in Aussicht stehe, wobei die Einsätze in diesen Berufen oft einen Tag bis einige Wochen dauern würden. Bei gewissen Engagements seien die Kunstschaffenden nur an bestimmten Tagen engagiert und könnten ohne Selbstverschulden in der Zwischenzeit keine andere geregelte Arbeit annehmen (AB 2001 N 1890-1893). Am 7. März 2002 führte im Ständerat Christine Beerli für die Kommission aus, dass bei Art. 13 Abs. 4 AVIG von der Kommission die richtigen Gedanken des Nationalrates aufgenommen worden seien, aber mit Hilfe der Verwaltung seiBGE 137 V 126 (130) BGE 137 V 126 (131)eine etwas präzisere Formulierung beschlossen worden, die sich dann auch auf andere unregelmässige Tätigkeiten als die künstlerischen beziehen könne. Dem Antrag der Kommission wurde diskussionslos zugestimmt (AB 2002 S 72).
Die Ausnahmebestimmung von Art. 12a AVIV ist Folge der im Rahmen der Änderung des AVIG vom 22. März 2002 (3. AVIG-Revision) von sechs auf zwölf Monaten erhöhten Mindestbeitragszeit, um einem drohenden, faktischen Ausschluss von Berufsleuten im Kunst- und Kulturbereich und von anderen unregelmässigen Tätigkeiten aufgrund der berufsimmanenten (drohenden) Beschäftigungslücken entgegenzuwirken (THOMAS NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl. 2007, S. 2241 Rz. 211).
 
Erwägung 4.5
 
4.5.1 Die vorliegenden, im Rahmen einer Kurzaufenthaltsbewilligung geleisteten Arbeitseinsätze waren dementgegen gerade nicht (wie bei den in Art. 8 AVIV definierten Berufsgruppen) unregelmässig und mit unplanbaren Beschäftigungslücken verbunden, wie sich bereits aus der entsprechenden ausländerrechtlichen Regelung ergibt: Gestützt auf Art. 30 Abs. 1 Bst. d des am 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG; SR 142.20; mit welchem sich an der bisherigen Praxis nichts änderte [vgl. Botschaft vom 8. März 2002 zum AuG; BBl 2002 3787 Ziff. 2.4.4]) sieht Art. 34 derBGE 137 V 126 (131) BGE 137 V 126 (132)Verordnung vom 24. Oktober 2007 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE; SR 142.201; in Kraft seit 1. Januar 2008) vor, dass der Aufenthalt ohne Erwerbstätigkeit in der Schweiz von Cabaret-Tänzerinnen mit Kurzaufenthaltsbewilligung höchstens einen Monat betragen darf. Nach einer mehr als einen Monat dauernden Erwerbslosigkeit besteht daher grundsätzlich eine Ausreisepflicht. Dieser Bestimmung lässt sich weiter entnehmen, dass die Tänzerinnen in der Regel längstens während acht Monaten in der Schweiz tätig sind und anschliessend das Land für mindestens zwei Monate verlassen müssen. Die Bewilligung wird überdies u.a. nur erteilt, wenn die Cabaret-Tänzerin ein Engagement für mindestens vier aufeinander folgende Monate nachweisen kann.
4.5.2 Diese Sach- und Rechtslage erlaubte es der Beschwerdegegnerin, im Voraus über die Vermittlungsagenturen die neuen Einsätze zu planen und ohne Unterbruch einmonatige Arbeitsverhältnisse mit den jeweiligen Cabarets für die Dauer der Aufenthaltsbewilligung einzugehen, wobei der monatliche Stellenwechsel Teil der Arbeit als Cabaret-Tänzerin darstellt (Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration: http://www.fiz-info.ch unter Themen/Cabaret, mit Hinweis auf eine Studie DAHINDEN/STANTS, Arbeits- und Lebensbedingungen von Cabaret-Tänzerinnen in der Schweiz, Swiss Forum for Migration and Population Studies [SFM; Hrsg.], 2006). Von der Beschwerdegegnerin wurde denn auch zu keinem Zeitpunkt geltend gemacht, dass fehlende Angebote weiterer Engagements als Cabaret-Tänzerin zu Beschäftigungslücken oder zur Antragstellung auf Arbeitslosenentschädigung geführt hätten. Als Grund für die Stellenlosigkeit gab sie im Antrag auf Arbeitslosenentschädigung dementsprechend an, dass ihr die Arbeit im Cabaret nicht gefalle; einzig ihr Wunsch, nicht mehr in diesem Milieu tätig zu sein und sich nach einem neuen Beschäftigungsfeld umzusehen, war für die Anmeldung bei der Arbeitslosenversicherung ausschlaggebend, weshalb nicht fehlende neue Engagements der Erfüllung der zwölfmonatigen Mindestbeitragszeit entgegenstanden. Innerhalb der zweijährigen Beitragsrahmenfrist war sie vielmehr während elf Monaten mangels Aufenthaltsbewilligung nicht berechtigt, in der Schweiz einer beitragspflichtigen Beschäftigung nachzugehen, und im verbleibenden Zeitraum wäre es ihr nach dem Gesagten grundsätzlich möglich gewesen, sich eine Beitragszeit von zwölf Monaten zu erarbeiten.
4.6 Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass bei den Cabaret-Tänzerinnen mit Kurzaufenthaltsbewilligung (Ausweis L) mit Blick auf dieBGE 137 V 126 (132) BGE 137 V 126 (133)rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen ihrer Tätigkeit nicht die gleichen Arbeitseinsätze von unregelmässiger Dauer und Häufigkeit verbunden mit unterschiedlich langen Beschäftigungslücken zwischen den einzelnen Engagements vorliegen wie bei den in Art. 8 AVIV aufgezählten Personengruppen, zumal die Tänzerinnen ohnehin nur einen Beschäftigungsunterbruch von einem Monat aufweisen dürfen, sofern sie die Schweiz nicht verlassen wollen. Die Interpretation von Art. 13 Abs. 4 AVIG in Verbindung mit Art. 12a AVIV führt nach den übrigen normunmittelbaren Auslegungskriterien daher zum Ergebnis, dass sich der Anwendungsbereich dieser Sonderregelung nicht auf Cabaret-Tänzerinnen mit Kurzaufenthaltsbewilligung erstreckt.
Aufgrund der gemäss Art. 34 VZAE getroffenen Regelung kann eine solche Tänzerin überdies mangels Vermittlungsfähigkeit und fehlender Berechtigung, in der Schweiz in einer anderen Branche tätig zu sein, ohnehin nicht in den Genuss von Arbeitslosenentschädigung kommen. Die in casu durch Heirat am 3. Oktober 2008 erhaltene Aufenthaltsbewilligung (Ausweis B) hätte der Beschwerdegegnerin die Aufnahme einer anderen Erwerbstätigkeit zwar ermöglicht, ein Anspruch auf Taggeld der Arbeitslosenversicherung hätte aber die Erfüllung der Beitragszeit nach Art. 13 Abs. 1 AVIG bedingt. Dies führt zur Verneinung des Anspruchs auf Arbeitslosenentschädigung.BGE 137 V 126 (133)