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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
Erwägung 1
Erwägung 2
Erwägung 3
Erwägung 3.3
Erwägung 3.4
Erwägung 4
Erwägung 4.2
Bearbeitung, zuletzt am 12.07.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
52. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Sozialversicherungsanstalt des Kantons Aargau (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
 
9C_282/2016 vom 12. September 2016
 
 
Regeste
 
Art. 14 Abs. 4, 5 und 6 ELG; Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten.
 
Bei Versicherten mit einem Einnahmenüberschuss kann dieser an die anerkannten, d.h. an die auf einen allfälligen kantonalrechtlichen Höchstbetrag im Sinne von Art. 14 Abs. 3 bis 5 ELG reduzierten Krankheits- und Behinderungskosten angerechnet werden (E. 4).
 
 
Sachverhalt
 
BGE 142 V 457 (458)A. Die 1930 geborene A. ersuchte im März 2015 um Ergänzungsleistungen in Form der Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten, die sie in Höhe von insgesamt Fr. 104'520.57 geltend machte. Die Sozialversicherungsanstalt des Kantons Aargau, Ausgleichskasse (nachfolgend: Ausgleichskasse) verneinte mit Verfügung vom 16. April 2015 einen Anspruch der Versicherten auf jährliche Ergänzungsleistung infolge eines Einnahmenüberschusses von Fr. 31'222.-. Mit Verfügung vom 2. September 2015 verneinte die Ausgleichskasse auch einen Anspruch auf Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten. Zur Begründung führte sie an, als Kosten könnten maximal Fr. 25'000.- pro Jahr anerkannt werden, und der anzurechnende Einnahmenüberschuss von Fr. 31'222.- übersteige diesen Betrag. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 30. Oktober 2015 fest.
B. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 29. März 2016 ab.BGE 142 V 457 (458)
BGE 142 V 457 (459)C. A. lässt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragen, der Entscheid vom 29. März 2016 sei aufzuheben und die Vergütung der Krankheits- und Behinderungskosten sei ordnungsgemäss zu berechnen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
 
 
Erwägung 1
 
Personen, die auf Grund eines Einnahmenüberschusses keinen Anspruch auf eine jährliche Ergänzungsleistung haben, haben Anspruch auf die Vergütung der Krankheits- und Behinderungskosten, die den Einnahmenüberschuss übersteigen (Art. 14 Abs. 6 ELG).
 
BGE 142 V 457 (460)Erwägung 2
 
 
Erwägung 3
 
Nach dem klaren Wortlaut der Bestimmungen von Art. 14 Abs. 4 und 5 ELG (E. 1.1) ist eine Erhöhung des Mindestansatzes auf Fr. 90'000.- nur vorgesehen für Personen mit einem Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung der Invaliden- oder der Unfallversicherung resp. für solche, die vorher eine Hilflosenentschädigung der Invalidenversicherung bezogen haben. Wird hingegen eine Hilflosenentschädigung "bloss" der AHV ausgerichtet, ist die Vergütung der Krankheits- und Behinderungskosten auf Fr. 25'000.- beschränkt. In der französischen und italienischen Version von Art. 14 Abs. 4 und 5 ELG ist die Regelung ebenso eindeutig formuliert wie in der deutschen Fassung.
 
Erwägung 3.3
 
BGE 142 V 457 (461)
BGE 142 V 457 (462)3.3.2 Die Erhöhung des Ansatzes auf Fr. 90'000.-bei zu Hause lebenden Bezügerinnen und Bezügern einer Entschädigung für Hilflosigkeit schweren Grades erfolgte im Rahmen der 4. IV-Revision auf den 1. Januar 2004 (Botschaft NFA, a.a.O., 6222 Ziff. 2.9.8.1.3, 6231 Kommentar zu Art. 14 ELG). Damals wurden die Art. 3d Abs. 2bis und 2ter in das aELG aufgenommen; deren Wortlaut war in Bezug auf die hier interessierende Formulierung mit der heutigen Regelung identisch (AS 2003 3857).
Eines der Hauptziele der 4. IV-Revision war es, die Autonomie von Menschen mit Behinderungen zu erhöhen, was insbesondere durch Einführung einer "Assistenzentschädigung" erreicht werden sollte (Botschaft vom 21. Februar 2001 über die 4. Revision des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung, BBl 2001 3244, 3209 Ziff. 1.1.2). Vor diesem Hintergrund wurde zusätzlich "bedürftigen Behinderten mit hohem Pflegebedarf, die ausserhalb einer stationären Institution leben wollen, [...] ein entsprechender Anspruch auf Ergänzungsleistungen zugebilligt - dank eines wesentlich erhöhten Maximalbetrages von 90 000 Franken pro Jahr" (AB 2001 N 1920;vgl. auch AB 2001 N 1923; AB 2002 S 751 und 753). Der Gesetzgeber wollte demnach mit der Erhöhung des Ansatzes Verbesserungen für Menschen mit invaliditäts- resp. unfallbedingten Einschränkungen, nicht aber für solche mit (vorwiegend) altersbedingter Hilflosigkeit schaffen. In diesem Sinn beinhaltet die Regelung von Art. 14 Abs. 5 ELG resp. Art. 3d Abs. 2ter aELG lediglich eine "Besitzstandwahrung", wenn die Hilflosenentschädigung der IV durch eine solche der AHV abgelöst wird (vgl. Art. 42 Abs. 4 IVG und Art. 43bis Abs. 4 AHVG).
 
Erwägung 3.4
 
 
Erwägung 4
 
Im Wortlaut von Art. 14 Abs. 6 ELG ist die Rede von "Krankheits- und Behinderungskosten, die den Einnahmenüberschuss übersteigen" ("frais de maladie et d'invalidité qui dépassent la part des revenus excédentaires"; "spese di malattia e d'invalidità che superano l'eccedenza dei redditi"). Als Vergleichsgrösse zum Einnahmenüberschuss können somit entweder die tatsächlichen oder lediglich die anerkannten, d.h. auf einen allfälligen kantonalrechtlichen Höchstbetrag im Sinne von Art. 14 Abs. 3 bis 5 ELG reduzierten Kosten gemeint sein; die Formulierung (auch in der französischen und italienischen Version) lässt beide Möglichkeiten zu.
 
Erwägung 4.2
 
BGE 142 V 457 (464)4.2.2 Die Zweiteilung der Ergänzungsleistungen in jährliche Ergänzungsleistung einerseits und Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten anderseits (vgl. heute Art. 3 Abs. 1 ELG) wurde im Rahmen der 3. EL-Revision auf den 1. Januar 1998 eingeführt. Zuvor wurden die Krankheitskosten bei der Festlegung des anrechenbaren Einkommens berücksichtigt (vgl. Art. 3 Abs. 4 aELG in der bis Ende 1997 geltenden Fassung). Mit der damaligen Neugestaltung wurde u.a. die Vergütung der Krankheitskosten durch einen fixen Höchstbetrag begrenzt (Art. 3d Abs. 2 bis 3 aELG) und, in Fortführung der bisherigen Praxis, auch für Versicherte mit einem Einnahmenüberschuss ermöglicht (Botschaft vom 20. November 1996 über die 3. Revision des Bundesgesetzes über Ergänzungsleistungen zur AHV und IV [3. EL-Revision], BBl 1997 I 1197, 1208 f. Ziff. 213, insbesondere 1209 Ziff. 213.3). Die entsprechende Delegationsnorm von Art. 3d Abs. 4 Satz 2 aELG schöpfte der Bundesrat mit der Regelung von aArt. 19a ELV aus. Laut dessen Abs. 2 entsprach die Vergütung dem "Betrag, um den die ausgewiesenen Kosten den Einnahmenüberschuss übersteigen" ("part du montant des frais de maladie et d'invalidité dûment établis qui dépasse la part des revenus excédentaires", "parte delle spese comprovate che supera la parte eccedentaria dei redditi"). Auch diese Formulierung präzisierte nicht, ob die tatsächlichen oder lediglich die anerkannten Gesundheitskosten gemeint waren (vgl. E. 4.1). Den Erläuterungen des Bundesamtes für Sozialversicherungen zu aArt. 19a ELV (AHI 1/1998 S. 35) lässt sich dazu ebenfalls nichts entnehmen.
Anerkannte Ausgaben gemäss Art. 10 ELG - mit Ausnahme von jenen für den allgemeinen Lebensbedarf - müssen nachgewiesen werden (vgl. BGE 138 V 218 E. 6 S. 221). Die Kosten für denBGE 142 V 457 (464) BGE 142 V 457 (465)allgemeinen Lebensbedarf und den Mietzins einer Wohnung, die Gewinnungskosten bei einem Erwerbseinkommen sowie die Kosten für Gebäudeunterhalt und Hypothekarzinse werden indessen nur bis zu einem bestimmten Höchstbetrag anerkannt, auch wenn die entsprechenden tatsächlichen Ausgaben höher sind. Konsequenterweise sind bei Anwendung von Art. 14 Abs. 6 ELG ebenfalls nur die auf einen Höchstbetrag reduzierten Krankheitskosten zu berücksichtigen.