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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
3. (...) ...
Erwägung 3.5
4. Sodann ist umstritten, ob die Beschwerdeführer Anspru ...
Erwägung 4.4
Erwägung 4.6
Bearbeitung, zuletzt am 12.07.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
35. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. A.A. und B.A. gegen IV-Stelle des Kantons Aargau (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
 
9C_904/2017 / 9C_905/2017 vom 5. September 2018
 
 
Regeste
 
Art. 21 IVG; Art. 2 Abs. 1 HVI; Ziff. 14.01 und 14.04 Anhang HVI; Anspruch auf Hilfsmittel.
 
 
Sachverhalt
 
BGE 144 V 319 (320)A.
A.a A.A. (geboren 2003) und seine Schwester B.A. (geboren 2006) leiden beide u.a. an einer kongenitalen progredienten Muskeldystrophie, weshalb sie beide auf einen Elektrorollstuhl und weitere Hilfsmittel angewiesen sind. Sie lebten mit einem weiteren Geschwister bei den Eltern in deren Bauernhaus, als die IV-Stelle des Kantons Aargau A.A. mit Mitteilungen resp. Verfügungen vom 29. Oktober 2008 für bauliche Änderungen in der Wohnung und den Einbau einer Vertikalliftanlage Kostengutsprache im Umfang von insgesamt Fr. 208'811.60 erteilte. Der geplante Umbau kam in der Folge nicht zur Ausführung. Nach einer Änderung der kantonalen Rechtslage beabsichtigten die Eltern von A.A. und B.A., das Haus teilweise abzureissen und unter Erweiterung des Erdgeschosses wieder aufzubauen (Bauprojekt 2014). In diesem Zusammenhang beantragten sie im Mai 2014 erneut bauliche Massnahmen. Nach Abklärungen und Durchführung des Vorbescheidverfahrens verneinte die IV-Stelle einen entsprechenden Anspruch des A.A. mit Verfügung vom 9. Dezember 2014.
Auf Beschwerde hin hob das Versicherungsgericht des Kantons Aargau die Verfügung vom 9. Dezember 2014 auf und wies die Sache zur Vornahme weiterer Abklärungen im Sinne der Erwägungen sowie zum anschliessenden Erlass einer neuen Verfügung an die IV-Stelle zurück, soweit es darauf eintrat (Entscheid vom 11. August 2015; BGE 144 V 319 (320) BGE 144 V 319 (321) VBE.2015.62). Auf die dagegen erhobene Beschwerde trat das Bundesgericht mit Urteil 9C_706/2015 vom 7. April 2016 nicht ein.
A.b In der Folge wurde das Bauvorhaben im Wesentlichen gemäss dem Bauprojekt 2014 realisiert. Nach weiteren Abklärungen und Durchführung des Vorbescheidverfahrens erteilte die IV-Stelle A.A. und B.A. (je einzeln) mit Verfügungen vom 25. November 2016 folgende Kostengutsprachen: (1) für eine WC-Dusch- und Trockenanlage ("14.01 HVI") im Betrag von Fr. 6'300.-; (2) für bauliche Änderungen in der Wohnung ("14.04 HVI"; schwellenlose Haus- und Sitzplatztüre, bauliche Änderungen in der Nasszelle) im Betrag von Fr. 6'790.-; (3) für Türautomation im Wohnbereich ("15.05 HVI"; je ein Türautomat für die beiden Kinderzimmer, ein Türautomat bei der Sitzplatztüre) im Betrag von Fr. 15'150.-; (4) für Hebebühne und Türautomat am Hauseingang ("13.05* HVI") im Betrag von Fr. 41'250.-.
B. A.A. und B.A. liessen die Verfügungen betreffend WC-Dusch- und Trockenanlage (1), bauliche Änderungen in der Wohnung (2) sowie Hebebühne und Türautomat am Hauseingang (4) anfechten. Nachdem das Versicherungsgericht des Kantons Aargau den Versicherten eine reformatio in peius angedroht und Gelegenheit zum Beschwerderückzug gegeben hatte, wies es die Beschwerden ab. Darüber hinaus hob es die Verfügungen betreffend WC-Dusch- und Trockenanlage (1) vollständig, jene betreffend bauliche Änderungen in der Wohnung (2) teilweise (im Umfang der Kostenbeteiligung für schwellenlose Haus- und Sitzplatztüre) auf; gleichzeitig ergänzte es die Verfügungen betreffend Hebebühne und Türautomat am Hauseingang (4) um die Kostenbeteiligung für die schwellenlose Haustüre im Betrag von Fr. 1'040.- (Entscheide vom 31. Oktober 2017).
C. A.A. und B.A. lassen mit Beschwerden in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragen, unter Aufhebung der Entscheide vom 31. Oktober 2017 sei ihnen Kostengutsprache einerseits für die WC-Dusch- und Trockenanlage in zweifacher Ausführung (Verfahren 9C_904/2017) und anderseits für die behinderungsangepasste "Erschliessung" des Obergeschosses und den schwellenlosen Zugang zur Terrasse (Verfahren 9C_905/2017) zu erteilen.
Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) schliessen auf Abweisung der Beschwerden.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerden teilweise gut. BGE 144 V 319 (321)
 
BGE 144 V 319 (322)Aus den Erwägungen:
 
 
Erwägung 3.5
 
(...)
BGE 144 V 319 (323)4.1 Nach Ziff. 13.05* Anhang HVI besteht Anspruch auf Hebebühnen und Treppenlifte sowie Beseitigung oder Änderung von baulichen Hindernissen im und um den Wohn-, Arbeits-, Ausbildungs- und Schulungsbereich, sofern damit die Überwindung des Weges zur Arbeits-, Ausbildungs- oder Schulungsstätte oder die Tätigkeit im Aufgabenbereich ermöglicht wird.
Als Hilfsmittel für die Selbstsorge nennt Ziff. 14.04 Anhang HVI folgende invaliditätsbedingten baulichen Änderungen in der Wohnung: Anpassen von Bade-, Dusch- und WC-Räumen an die Invalidität, Versetzen oder Entfernen von Trennwänden, Verbreitern oder Auswechseln von Türen, Anbringen von Haltestangen, Handläufen und Zusatzgriffen, Entfernen von Türschwellen oder Erstellen von Schwellenrampen, Installation von Signalanlagen für hochgradig Schwerhörige, Gehörlose und Taubblinde.
Sodann sieht Ziff. 14.05 Anhang HVI Treppensteighilfen und Rampen vor für Versicherte, die ohne einen solchen Behelf ihre Wohnstätte nicht verlassen können. Wird anstelle einer Treppensteighilfe ein Treppenlift eingebaut, so beträgt der Höchstbetrag Fr. 8'000.-.
Weiter ist das kantonale Gericht der Auffassung, die "baulichen Anpassungen" im Obergeschoss könnten nicht übernommen werden. Die (neuen) Platzverhältnisse im Erdgeschoss genügten den Bedürfnissen der Beschwerdeführer. Dort befänden sich drei Schlafzimmer (je eines für die Beschwerdeführer, die Eltern und den Bruder der BGE 144 V 319 (323) BGE 144 V 319 (324) Versicherten), ein Wohn- und Essraum sowie eine offene Küche. Es sei im Rahmen der Schadenminderungspflicht zumutbar, die Therapien der Versicherten im Erdgeschoss, namentlich im Wohnzimmer, vorzunehmen. Mit dieser Begründung verneinte die Vorinstanz sinngemäss den umstrittenen Anspruch auf "Erschliessung" des Obergeschosses.
 
Erwägung 4.4
 
4.4.2 Aus dem Umstand, dass ein bestimmtes Bauprojekt einzig aufgrund der Invalidität ausgeführt wurde, ergibt sich nichts für die Beschwerdeführer. Dies ist nichts Aussergewöhnliches, sondern Voraussetzung für den Hilfsmittelanspruch. Sodann legen die Beschwerdeführer nicht dar, und ist auch nicht ohne Weiteres ersichtlich (vgl. BGE 144 V 319 (324) BGE 144 V 319 (325) SVR 2009 IV Nr. 49 S. 149, 8C_315/2008 E. 4.1 und 4.3.2 in fine), von welcher Position des Anhangs HVI die Erweiterung der Wohnfläche erfasst sein sollte. Ausserdem betraf auch die ursprüngliche Kostengutsprache nicht eine solche Massnahme. Die Anrufung der Austauschbefugnis in diesem Zusammenhang zielt daher ins Leere.
Was den Zugang zum Obergeschoss anbelangt, so fällt (im Rahmen der Austauschbefugnis) der Anspruch auf einen Treppenlift oder eine Treppensteighilfe in Betracht. Ein solcher Zugang dient laut den Beschwerdeführern einzig der Ermöglichung der Therapien. Er lässt sich daher weder unter Ziff. 13.05* noch unter 14.05 Anhang HVI subsumieren, wird doch damit weder die Überwindung des Weges zur Ausbildungs- oder Schulungsstätte noch das Verlassen der Wohnstätte ermöglicht. Die abschliessende (vgl. Urteile 9C_573/2016 vom 20. Februar 2017 E. 7; I 267/00 vom 15. Januar 2001 E. 4a) Aufzählung von Ziff. 14.04 Anhang HVI nennt kein Hilfsmittel zur Überwindung einer Geschossdifferenz. Dass eine andere Listenposition als Anspruchsgrundlage in Betracht fallen könnte, ist nicht ersichtlich.
 
Erwägung 4.6
 
4.6.2 Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, das heisst nach dem Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrunde BGE 144 V 319 (325) BGE 144 V 319 (326) liegenden Wertungen auf der Basis einer teleologischen Verständnismethode ausgelegt werden ( BGE 142 V 466 E. 3.2 S. 471 mit Hinweisen). Bei der Auslegung sozialversicherungsrechtlicher Leistungsnormen sowie bei der Ermessenshandhabung ist u.a. den Grundrechten und verfassungsmässigen Grundsätzen Rechnung zu tragen. Es ist alsdann abzuwägen zwischen den grundrechtlich geschützten Positionen des Versicherten und dem Anliegen der Einfachheit und Zweckmässigkeit; auch unter grundrechtlichem Aspekt besteht kein Anspruch auf eine bestmögliche Eingliederung ( BGE 134 I 105 E. 6 S. 109 f. mit Hinweisen; SVR 2009 IV Nr. 49 S. 149, 8C_315/2008 E. 3.4.2.1).