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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
Erwägung 2
Erwägung 3
Erwägung 3.2
Erwägung 4
Erwägung 4.1
Bearbeitung, zuletzt am 12.07.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
39. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Aargau gegen A. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
 
8C_357/2019 vom 24. Oktober 2019
 
 
Regeste
 
Art. 70 Abs. 2 lit. b ATSG; Art. 8 Abs. 1 lit. f und Art. 15 Abs. 2 AVIG i.V.m. Art. 15 Abs. 3 AVIV; Art. 23 AVIG; Art. 40b AVIV; Vorleistungspflicht der Arbeitslosenversicherung im Verhältnis zur Invalidenversicherung.
 
 
Sachverhalt
 
BGE 145 V 399 (400)A. Der 1969 geborene A. meldete sich aufgrund eines im Februar 2015 erlittenen Thalamusinfarktes am 12. Januar 2016 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Am 14. März 2017 ersuchteBGE 145 V 399 (400) BGE 145 V 399 (401)er die Arbeitslosenversicherung um Leistungen ab 1. April 2017, nachdem sein Arbeitsverhältnis als Werkstattleiter mit der B. GmbH per 31. März 2017 wegen seiner gesundheitlichen Beschwerden beendet worden war. Die Öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Aargau erbrachte im Rahmen ihrer Vorleistungspflicht Arbeitslosentaggelder. Gestützt auf die Mitteilung des Beschlusses - adressiert an die Ausgleichskasse der Sozialversicherungsanstalt (SVA) Aargau mit Kopie an die Arbeitslosenkasse - der IV-Stelle des Kantons Aargau vom 30. April 2018, wonach die IV-Stelle beabsichtigte, dem Versicherten ab 1. Januar 2017 eine Viertelsrente und ab 1. April 2017 eine halbe Rente der Invalidenversicherung zuzusprechen, zog die Arbeitslosenkasse mit Verfügung vom 11. Juni 2018 ihre Taggeldleistungen der Monate April 2017 bis Mai 2018 in Wiedererwägung und gewährte A. nurmehr Taggeldleistungen im Umfang von 50 % des versicherten Verdienstes. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 20. August 2018 fest. Am 7. September 2018 erliess die IV-Stelle die rentenzusprechende Verfügung gemäss Vorbescheid vom 27. Februar 2018, worin dem Versicherten ab 1. Januar 2017 die Ausrichtung einer Viertelsrente und ab 1. April 2017 einer halben Rente in Aussicht gestellt worden war.
B. Die gegen den Einspracheentscheid vom 20. August 2018 erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 24. April 2019 gut und hob den Einspracheentscheid auf.
C. Die Arbeitslosenkasse führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt die Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheids.
A. lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) beantragt deren Gutheissung.
Mit Eingabe vom 11. Juni 2019 ersucht die Arbeitslosenkasse um aufschiebende Wirkung der Beschwerde. Hierzu nimmt der Versicherte am 24. September 2019 Stellung und beantragt, es sei dem Gesuch nicht zu entsprechen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
 
 
Erwägung 2
 
2.1 Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, indem sie die Vorleistungspflicht der Arbeitslosenversicherung BGE 145 V 399 (401) BGE 145 V 399 (402)durch die Mitteilung des Beschlusses der IV-Stelle vom 30. April 2018 als noch nicht beendet ansah.
2.4 Aufgrund dieser Bestimmungen hat die Arbeitslosenversicherung arbeitslose, bei einer anderen Versicherung angemeldete Personen zu entschädigen, falls ihre Vermittlungsunfähigkeit nicht offensichtlich ist. Dieser Anspruch auf eine ungekürzte Arbeitslosenentschädigung besteht namentlich, wenn die ganz arbeitslose Person aus gesundheitlichen Gründen lediglich noch teilzeitlich arbeiten könnte, solange sie im Umfang der ihr ärztlicherseits attestierten Arbeitsfähigkeit eine Beschäftigung sucht und bereit ist, eine neue AnstellungBGE 145 V 399 (402) BGE 145 V 399 (403)mit entsprechendem Pensum anzutreten (BGE 142 V 380 E. 3.2 S. 382; BGE 136 V 95 E. 7.1 S. 101). Die Vermutungsregel der grundsätzlich gegebenen Vermittlungsfähigkeit von Behinderten (Art. 70 Abs. 2 lit. b ATSG und Art. 15 Abs. 2 AVIG in Verbindung mit Art. 15 Abs. 3 AVIV) gilt lediglich für die Zeit, in welcher der Anspruch auf Leistungen einer anderen Versicherung abgeklärt wird und somit noch nicht feststeht. Damit sollen Lücken im Erwerbsersatz vermieden werden. Die Vorleistungspflicht ist daher auf die Dauer des Schwebezustandes begrenzt, weshalb sie endet, sobald das Ausmass der Erwerbsunfähigkeit feststeht (vgl. BGE 142 V 380 E. 3.2 S. 382; BGE 136 V 195 E. 7.4 S. 205; ARV 2011 S. 55, 8C_651/2009).
 
Erwägung 3
 
 
Erwägung 3.2
 
3.2.2 Eventualiter sei davon auszugehen, dass sich der Versicherte und die Arbeitslosenkasse bereits mit dem Vorbescheid über das Mindestmass des Invaliditätsgrades einig gewesen seien, weshalb der versicherte Verdienst entsprechend habe angepasst werden dürfen. Die IV-Stelle habe im Zeitpunkt ihres Beschlusses noch nicht über die Rentenleistung verfügen können, da insbesondere die Höhe der Drittauszahlungen bzw. der Nachzahlungen an die Arbeitslosenkasse BGE 145 V 399 (403) BGE 145 V 399 (404)noch nicht festgestanden sei. Die Arbeitslosenkasse wiederum müsse vorab den Zeitraum ihres Rückforderungsanspruchs kennen, um einen korrekten Verrechnungsantrag stellen zu können, insofern sei die Mitteilung des Beschlusses für sie bindend. Würde die Arbeitslosenkasse im laufenden Invalidenversicherungsverfahren trotz entsprechender Aufforderung durch die Ausgleichskasse keinen (betraglich) korrekten Verrechnungsantrag stellen, obwohl ihr die Berechnungsgrundlagen mit Mitteilung des Beschlusses vom 30. April 2018 übermittelt worden seien, liefe sie Gefahr, dass sie ihren Anspruch auf Nachzahlungen der Invalidenversicherung verliere und die Invalidenversicherung mit befreiender Wirkung an den Versicherten leiste.
 
Erwägung 4
 
 
Erwägung 4.1
 
4.1.3 Ferner ist es möglich, dass das Ende des Schwebezustandes und der Zeitpunkt der Anpassung des versicherten Verdienstes auseinanderfallen. Dies betrifft vor allem Fälle, wo nach erfolgter Anfechtung der Verfügung über den Rentenanspruch das exakte Ausmass der Erwerbsunfähigkeit noch nicht geklärt ist und die Schwebe bis zum rechtskräftigen Entscheid im Verfahren der Invalidenversicherung anhält (vgl. den in ARV 2015 S. 157, 8C_401/2014 E. 2-4 beurteilten Sachverhalt). Hier kann eine Anpassung des versichertenBGE 145 V 399 (404) BGE 145 V 399 (405)Verdiensts aber nur dann erfolgen, wenn die Arbeitslosenkasse und die versicherte Person sich bereits über ein Mindestmass des Invaliditätsgrades einig sind. In diesem Umfang des von der Sozialversicherung ermittelten Invaliditätsgrades kann der versicherte Verdienst bereits korrigiert werden, um so einen Ausgleich zur weiter andauernden Vorleistungspflicht zu schaffen (BGE 142 V 380 E. 5.2.2 S. 386 f.). Zusammenfassend bildet somit grundsätzlich erst die (noch nicht rechtskräftige) Verfügung der Invalidenversicherung oder einer anderen Sozialversicherung hinreichende Grundlage für die Anpassung des versicherten Verdienstes an den damit erkannten Grad der Erwerbsunfähigkeit oder zumindest an den nicht umstrittenen Prozentsatz des errechneten Invaliditätsgrades (BGE 142 V 380 E. 5.5 S. 388).
4.4 Wie das kantonale Gericht bereits ausführte, entfaltet der rein verwaltungsinterne Beschluss über das Leistungsbegehren keineBGE 145 V 399 (405)BGE 145 V 399 (406)verbindliche Aussenwirkung gegenüber dem Versicherten im Sinne eines hoheitlichen, rechtsgestaltenden Verwaltungsaktes. Mit der nicht an den Versicherten adressierten Mitteilung über den Beschluss wird im Rahmen des Verwaltungsablaufs vielmehr die Ausgleichskasse aufgefordert, die Rente entsprechend den Vorgaben der Invalidenversicherung zu berechnen (Art. 60 Abs. 1 lit. b IVG). Die daran anschliessende, an die versicherte Person gerichtete Verfügung umfasst zwei Teile, nämlich einerseits die grundsätzliche Leistungspflicht, worüber die IV-Stelle zu befinden hat, anderseits die Berechnung des Rentenbetrags, der von der Ausgleichskasse festgesetzt wird. Schliesst erst diese Verfügung der IV-Stelle das Verwaltungsverfahren ab (Art. 57 Abs. 1 lit. g IVG; vgl. auch Art. 76 Abs. 1 IVV sowie Rz. 3033 und 3045 ff. KSVI), hat die IV-Stelle auch den (medizinischen) Sachverhalt bis zum Erlass der Verfügung festzustellen (vgl. URS MÜLLER, Das Verwaltungsverfahren in der Invalidenversicherung, 2010, S. 426 Rz. 2171 und S. 429 Rz. 2186). Da eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse bis dahin eintreten kann, legt der Beschluss der IV-Stelle den Invaliditätsgrad nicht fest. Der Ausgang des Verfahrens ist aufgrund der möglicherweise durchzuführenden weiteren Beweismassnahmen ungewiss. Dies muss umso mehr gelten, wenn, wie vorliegend, zwischen der Beschlussfassung der IV-Stelle vom 30. April 2018 und ihrer Verfügung vom 7. September 2018 ein Zeitraum von rund vier Monaten liegt. Die Verwaltung ist somit nicht verpflichtet, gemäss dem Vorbescheid zu verfügen, weshalb in der Verfügung auch ein tieferer Invaliditätsgrad als der im Vorbescheid angezeigte festgestellt werden darf (BGE 142 V 380 E. 5.3 S. 387).