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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
2. Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht zu R ...
Erwägung 3
Erwägung 4
Erwägung 5
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6. Auszug aus dem Urteil der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Soziale Dienste Oberer Leberberg gegen IV-Stelle Solothurn (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
 
8C_583/2022 vom 22. März 2023
 
 
Regeste
 
Art. 59 ATSG; Art. 66 Abs. 1 IVV; Beschwerdelegitimation der Sozialhilfebehörde.
 
 
Sachverhalt
 
BGE 149 V 49 (50)A. Die 1978 geborene A. meldete sich im Januar 2020 unter Hinweis auf eine Suchterkrankung bei der IV-Stelle des Kantons Solothurn zum Leistungsbezug an. Mit Vorbescheid vom 23. Februar 2021 stellte ihr diese in Aussicht, das Leistungsgesuch abzuweisen. Am 22. März 2021 reichten die Sozialen Dienste Oberer Leberberg der IV-Stelle eine "Vollmacht zur Einholung von Informationen und Dokumenten" ein und ersuchten um Zustellung der Verfahrensakten sowie "der laufenden Korrespondenz". Mit Begleitschreiben vom 31. März 2021 liess die IV-Stelle den Sozialen Diensten die Akten zukommen. Mit Verfügung vom 26. April 2021 wies die IV-Stelle das Leistungsgesuch der Versicherten ab. Die Verfügung ging an die Versicherte; die Sozialen Dienste wurden darüber nicht orientiert. Sie äusserten sich am 11. Mai 2021 - in Unkenntnis der ergangenen Verfügung - zur Sache und stellten am 31. Mai 2021 ein Gesuch um Drittauszahlung. Die IV-Stelle vertrat in der Folge den Standpunkt, die Verfügung vom 26. April 2021 sei rechtskräftig geworden.
B. Auf die von den Sozialen Diensten gegen die Verfügung vom 26. April 2021 erhobene Beschwerde vom 13. September 2021 trat das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn - nach getroffenen Abklärungen zum Umfang der sozialhilferechtlichen Unterstützung der Sozialen Dienste - mit einzelrichterlichem Urteil vom 29. August 2022 nicht ein, da die Beschwerdelegitimation der Sozialen Dienste nicht gegeben sei.
C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lassen die Sozialen Dienste beantragen, die Sache sei unter Aufhebung des Urteils des Versicherungsgerichts vom 29. August 2022 an dieses zurückzuweisen, damit es in Dreierbesetzung über die Beschwerde vom 13. September 2021 einen neuen (Sach-)Entscheidfälle.
Während die Vorinstanz auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichten die IV-Stelle, die Versicherte und das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung.
 
 
BGE 149 V 49 (51)Erwägung 3
 
3.1 Das kantonale Gericht erwog zunächst, die Beschwerdegegnerin habe das von der Beschwerdeführerin mit entsprechender Vollmacht eingereichte Gesuch um Zustellung der laufenden Korrespondenz missachtet, indem sie die Verfügung vom 26. April 2021 einzig der Versicherten, nicht aber der Beschwerdeführerin zugestellt habe. Da sich ein Eröffnungsfehler nicht zu Lasten der Betroffenen auswirken dürfe, sei die Beschwerdefrist gegenüber der Beschwerdeführerin nicht durch die Eröffnung der Verfügung an die Versicherte ausgelöst worden. Nachdem die Beschwerdeführerin aber am 25. Mai 2021 Kenntnis vom Erlass der Verfügung erhalten habe, hätte sie sich veranlasst sehen müssen, umgehend die Zustellung der Verfügung zu verlangen. Der Beginn der Beschwerdefrist sei deshalb auf denjenigen Zeitpunkt festzusetzen, in dem nach einem solchen Gesuch die Verfügung bei der Beschwerdeführerin eingetroffen wäre. Das Datum des Fristbeginns könne jedoch offengelassen werden, da die Beschwerdeführerin in der Folge am 31. Mai 2021 das Drittauszahlungsgesuch und am 21. Juni 2021 auch einen Arztbericht eingereicht habe, was als implizite Äusserung des Nichteinverständnisses mit der Verfügung gewertet werden könne. Jedenfalls habe in Kombination mit dem früheren Schreiben vom 11. Mai 2021, mit welchem eine unvollständige Abklärung des medizinischen Sachverhalts gerügt worden sei, eine Eingabe vorgelegen, welche die Beschwerdegegnerin zur allfälligen Behandlung als Beschwerde an das Versicherungsgericht hätte weiterleiten müssen. Die Beschwerdefrist sei somit gewahrt worden und die spätere Eingabe vom 13. September 2021 als Beschwerdeergänzung zu betrachten.
3.2 Diese Beurteilung ist - zumindest im Ergebnis - nicht zu beanstanden. Ein Vertretungsverhältnis zwischen der Beschwerdeführerin und der Versicherten lag zwar nicht vor und musste aufgrund der Umstände auch nicht angenommen werden. Dementsprechend erhob die Beschwerdeführerin in eigenem Namen und nicht für die Versicherte Beschwerde. Aus dem angefochtenen Urteil ist nicht ersichtlich, gestützt auf welche Bestimmung von einem Eröffnungsfehler auszugehen ist. Ein solcher kann jedenfalls nicht aus Art. 37 Abs. 3 ATSG abgeleitet werden, der vorsieht, dass der Versicherungsträger seine Mitteilungen an die Vertretung macht, solange die Partei die Vollmacht nicht widerruft. Hingegen ergibt sich aus der subsidiär anwendbaren (vgl. Art. 55 Abs. 1 ATSG) BestimmungBGE 149 V 49 (51) BGE 149 V 49 (52)von Art. 34 Abs. 1 VwVG (SR 172.021; Eröffnung an die Parteien), dass die Verfügung allen Dritten, die beschwerdebefugt sind, zu eröffnen ist (Urteil 8C_98/2022 vom 6. April 2022 E. 5.3.1 mit Verweis auf UELI KIESER, ATSG-Kommentar, 4. Aufl. 2020, N. 59 zu Art. 49 ATSG). Wie noch aufzuzeigen sein wird (vgl. E. 5 hiernach), war die Beschwerdeführerin vorliegend beschwerdelegitimiert, weshalb die Verfügung vom 26. April 2021 auch ihr hätte zugestellt werden müssen. Des Weiteren brachte die Beschwerdeführerin in ihrer Eingabe vom 11. Mai 2021 und mit dem am 21. Juni 2021 eingereichten Arztbericht klar zum Ausdruck, dass sie mit der Leistungsverweigerung nicht einverstanden war. Der Vorinstanz kann deshalb im Ergebnis darin beigepflichtet werden, dass die Beschwerdefrist gewahrt wurde.
 
Erwägung 4
 
 
Erwägung 5
 
5.1 Die Legitimation zur Anfechtung einer Verfügung bzw. eines Einspracheentscheids durch Beschwerde an das kantonale Gericht richtet sich nach Art. 59 ATSG. Gemäss dieser Bestimmung ist zur Beschwerde berechtigt, wer durch die angefochtene Verfügung oderBGE 149 V 49 (52) BGE 149 V 49 (53)den Einspracheentscheid berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat. Der Begriff des schutzwürdigen Interesses für das Verfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht (Art. 61 ATSG) ist gleich auszulegen wie derjenige nach Art. 89 Abs. 1 lit. c BGG für das Verfahren der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vor dem Bundesgericht (BGE 136 V 7 E. 2.1 mit Hinweisen; vgl. auch Art. 111 Abs. 1 BGG, wonach eine Partei, die zur Beschwerde ans Bundesgericht legitimiert ist, sich am Verfahren vor allen kantonalen Instanzen als Partei beteiligen können muss). Das schutzwürdige Interesse muss nicht nur bei der Beschwerdeeinreichung, sondern auch noch im Zeitpunkt der Urteilsfällung aktuell und praktisch sein. Fällt es im Laufe des Verfahrens dahin, wird die Sache als erledigt erklärt; fehlte es schon bei der Beschwerdeeinreichung, ist auf die Eingabe nicht einzutreten. Nach der Rechtsprechung ist ausnahmsweise auf das Erfordernis des aktuellen praktischen Interesses zu verzichten, wenn sich die aufgeworfenen Fragen unter gleichen oder ähnlichen Umständen jederzeit wieder stellen können, eine rechtzeitige Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich wäre und die Beantwortung wegen deren grundsätzlicher Bedeutung im öffentlichen Interesse liegt (BGE 139 I 206 E. 1.1; BGE 137 I 23 E. 1.3.1 mit Hinweisen).
Die Legitimation, einen bestimmten Anspruch auf dem Rechtsmittelweg geltend zu machen, steht sodann in einem engen Zusammenhang mit der Befugnis, die versicherte Person bei der Verwaltung zum Bezug der entsprechenden Leistung anzumelden. Soweit eine Sozialhilfebehörde den Anspruch auf Sozialversicherungsleistungen für eine versicherte Person im Anmeldeverfahren geltend machen kann, steht ihr deshalb grundsätzlich auch die Beschwerdelegitimation zu (BGE 146 V 331 E. 1.1 mit Hinweisen; BGE 98 V 54 E. 1).BGE 149 V 49 (53) BGE 149 V 49 (54)Davon abgesehen ist die Sozialhilfebehörde insbesondere im Fall einer versicherten Person, die regelmässig mit Fürsorgeleistungen unterstützt wird, berechtigt, gegen die den Rentenanspruch ablehnende Verfügung der IV-Stelle in eigenem Namen Beschwerde zu führen (vgl. Urteile 8C_108/2018 vom 16. April 2018 E. 3; 8C_905/2014 vom 23. Juli 2015 E. 2.2; I 559/05 vom 31. März 2006 E. 2; I 113/05vom 8. Juni 2005 E. 2; je mit Hinweisen). Auch eine Gemeinde, der die von ihr verlangte Drittauszahlung von Sozialversicherungsleistungen verweigert wird, ist direkt in ihren vermögensrechtlichen Interessen als Sozialhilfebehörde berührt und damit beschwerdeberechtigt (BGE 135 V 2 E. 1.1 mit Hinweisen).
Verneint wurde dagegen die Beschwerdelegitimation der einen Arbeitslosen unterstützenden Sozialhilfebehörde, welche beim kantonalen Versicherungsgericht eine dem Unterstützten eröffnete Verfügung der Arbeitslosenkasse betreffend Anrechnung einer Tätigkeit als Zwischenverdienst angefochten hatte. Dies geschah mit der Begründung, es fehle an einer spezialgesetzlichen oder aus dem ATSG ableitbaren Befugnis der unterstützenden Fürsorgebehörde, aus eigenem Recht ALV-rechtliche Leistungen im Anmeldeverfahren geltend zu machen, und die im Falle von Drittbeschwerden erhöhten Anforderungen an das Rechtsschutzinteresse seien nicht erfüllt (vgl. Urteil C 12/04 vom 14. Oktober 2004 E. 4 und 5).
BGE 149 V 49 (55)5.5 Betreffend Unterstützungsleistungen der Beschwerdeführerin stellte die Vorinstanz fest, die Versicherte habe sich am 3. März 2021 wieder bei den Sozialen Diensten angemeldet, nachdem sie bereits in den Jahren 2013 bis 2015 von diesen unterstützt worden sei. Nach einem "Intakegespräch" seien ihr am 22. März 2021 erstmals wieder Sozialhilfeleistungen ausbezahlt worden. In der Folge habe die ausgerichtete Sozialhilfe mit Arbeitslosentaggeldern verrechnet werden können, welche der Versicherten erstmals am 25. März 2021 ausbezahlt worden seien. Bis Ende April 2021 hätten sich die erfolgten Auszahlungen für Sozialhilfe (Fr. 1'806.- pro Monat plus Selbstbehalte/Franchisen von insgesamt knapp Fr. 500.-) und die durch die Beschwerdeführerin vereinnahmten und verrechneten Leistungen der Arbeitslosenversicherung (etwas mehr als Fr. 2'000.- pro Monat) ungefähr die Waage gehalten. Dies habe sich erst später geändert, als die Versicherte an einem Arbeitsintegrationsprojekt teilgenommen habe und sie eine deutlich niedrigere Arbeitslosenentschädigung bezogen habe. Ein Drittauszahlungsgesuch an die IV-Stelle sei deshalb erst am 31. Mai 2021 gestellt worden, also zu einem Zeitpunkt, als die Verfügung vom 26. April 2021 bereits erlassen worden sei. Gestützt auf diese Feststellungen kam die Vorinstanz zum Schluss, dass bis Ende April 2021 nicht von einer regelmässigen Unterstützung und Betreuung der Versicherten gesprochen werden könne.
5.6 Der vorinstanzlichen Betrachtungsweise kann nicht gefolgt werden. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdelegitimation im Zeitpunkt der Beschwerdeeinreichung gegeben sein muss (vgl. E. 5.1 hiervor; vgl. auch BERNHARD WALDMANN, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 3. Aufl. 2018, N. 4 zu Art. 89 BGG) und nicht bei Erlass der Verfügung der IV-Stelle, wovon die Vorinstanz auszugehen scheint. Dem von der Vorinstanz erwähnten Klientinnenkontoauszug und dem dazugehörigen Begleitschreiben ist sodann zu entnehmen, dass die Versicherte ab 3. März 2021 bis zum Zeitpunkt der Berichterstattung im März 2022 von der Sozialhilfe im Umfang von Fr. 48'771.35 wirtschaftlich unterstützt wurde, wie die Beschwerdeführerin zu Recht vorträgt. Ab März 2021 bis Ende April 2021 resp. bis zum 21. Juni 2021 - spätestens dann ist ein Beschwerdewille zu bejahen (vgl. E. 3.2 hiervor) - und damit während fast vier Monaten richtete die Beschwerdeführerin der Versicherten gemäss verbindlicher vorinstanzlicher Feststellung monatlich Fr. 1'806.- plus Selbstbehalte/Franchisen von insgesamt knapp Fr. 500.- aus.BGE 149 V 49 (55) BGE 149 V 49 (56)Aus den von der Beschwerdeführerin im kantonalen Verfahren eingereichten Unterlagen geht zudem hervor, dass die Versicherte ab Mai 2021 deutlich weniger und ab 11. August 2021 aufgrund einer 100%igen Arbeitsunfähigkeit gar keine Arbeitslosenentschädigung mehr bezog und die Sozialhilfe ab September 2021 unter anderem auch für deren kostspieligen Therapiekosten (stationärer Aufenthalt) aufkam.
Bei dieser finanziellen Beteiligung der Sozialhilfebehörde ist entgegen der Auffassung der Vorinstanz von einer regelmässigen Unterstützung im Sinne von Art. 66 Abs. 1 IVV auszugehen, auch wenn die Beschwerdeführerin zu Beginn die ausgerichteten Leistungen noch mit Arbeitslosentaggeldern verrechnen konnte. Die Beschwerdeführerin wies denn auch in ihrem Drittauszahlungsgesuch vom 31. Mai 2021 darauf hin, dass sie die Versicherte dauerhaft unterstütze. Wäre die Beschwerde erfolgreich und würde letztlich ein Rentenanspruch für die Versicherte resultieren, so könnte die Beschwerdeführerin bei der IV-Stelle aufgrund der erbrachten Vorschussleistungen die Drittauszahlung verlangen, wie sie zu Recht vorbringt (vgl. Art. 22 Abs. 2 ATSG; § 14 Abs. 1bis des Sozialgesetzes des Kantons Solothurn vom 31. Januar 2007 [BGS 831.1]).