VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer U 219/1999  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer U 219/1999 vom 17.03.2000
 
«AZA»
 
U 219/99 Ca
 
III. Kammer
 
Bundesrichter Schön, Spira und Bundesrichterin Widmer; Gerichtsschreiber Hadorn
 
Urteil vom 17. März 2000
 
in Sachen
 
"Winterthur" Schweizerische Versicherungs-Gesellschaft, General Guisan-Strasse 40, Winterthur, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Z.________,
 
gegen
 
D.________, 1966, Beschwerdegegnerin, vertreten durch X.________,
 
und
 
Versicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt, Basel
 
A.- Die 1966 geborene D.________ war bei der Winterthur Schweizerischen Versicherungsgesellschaft unfallversichert, als sie am 3. Februar 1994 einen Verkehrsunfall erlitt. Die Winterthur erbrachte verschiedene Leistungen. Mit Verfügung vom 21. Januar 1997 stellte sie die Heilbehandlungskosten ein, verneinte den Anspruch auf eine Rente sowie Taggelder und gewährte D.________ eine Integritätsentschädigung von 12,5 %. D.________ liess Einsprache erheben und die Zusprechung einer Invalidenrente beantragen. Die Winterthur ging davon aus, dass in einem zumutbaren sitzenden Verweisberuf 100%ige Arbeitsfähigkeit bestehe, hiess die Einsprache aber teilweise gut und wies die Direktion Zürich an, einen konkreten Einkommensvergleich vorzunehmen und hernach erneut zu verfügen (Einspracheentscheid vom 17. Juli 1997).
 
B.- Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt mit Entscheid vom 25. Mai 1999 teilweise gut, indem es D.________ eine Invalidenrente von 25 % zusprach.
 
C.- Die Winterthur lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, der kantonale Entscheid sei aufzuheben.
 
D.________ lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen und eventualiter die Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung beantragen, während das Bundesamt für Sozialversicherung keine Stellungnahme einreicht.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.- Das kantonale Versicherungsgericht hat die vorliegend massgebenden gesetzlichen Bestimmungen über den Rentenanspruch in der Unfallversicherung (Art. 18 UVG) richtig dargelegt, weshalb darauf verwiesen wird.
 
2.- Streitig und zu prüfen ist einzig der Einkommensvergleich, insbesondere der von der Vorinstanz gewährte Abzug von den Tabellenlöhnen von 25 %.
 
a) Gestützt auf die medizinischen Akten, namentlich den Bericht von Dr. med. H.________, Spezialarzt FMH für Orthopädische Chirurgie, vom 5. August 1996, den Zwischenbericht der Dres. S.________ und F.________ von der Orthopädisch-Traumatischen Abteilung am Kantonsspital Y.________ vom 9. Oktober 1996 und den Bericht von Dr. S.________ vom 8. Januar 1998 ist erstellt, dass die Beschwerdegegnerin in angepassten, körperlich leichten Tätigkeiten voll arbeiten kann. Die nicht näher begründeten, anders lautenden Zeugnisse von Dr. L.________ von der Orthopädischen Universitätsklinik am Spital F.________ kommen dagegen ebensowenig auf wie die Kurzberichte der Dres. B.________ und S.________ von derselben Klinik vom 21. August 1997 und 16. September 1997, welche durch den erwähnten Bericht von Dr. S.________ vom 8. Januar 1998 überholt sind.
 
b) Der letzte Lohn der Versicherten betrug nach Angaben der E.________ AG vom 30. August 1996 im Jahr 1993 Fr. 35'100.-. Die Vorinstanz nahm für 1995 ein hypothetisches Valideneinkommen von Fr. 39'000.- an. Diese Erhöhung um rund Fr. 4000.- stützt sich auf eine Auskunft der E.________ AG vom 11. August 1998, worauf abgestellt werden kann.
 
c) aa) Die Vorinstanz schätzte das hypothetische Einkommen in einer zumutbaren Verweisungstätigkeit gestützt auf eine Auskunft des Kantonalen Amts für Industrie, Gewerbe und Arbeit (KIGA) und auf Grund der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) 1994, welche praktisch zum selben Ergebnis führten, ebenfalls auf Fr. 39'000.-. Das kantonale Gericht gewährte der Versicherten hievon einen Abzug von 25 %, was einen Invaliditätsgrad im selben Ausmass ergab. Die Beschwerdeführerin beanstandet diesen Abzug. Zudem macht sie geltend, gemäss mehreren konkreten Anfragen bei verschiedenen Arbeitgebern könne die Versicherte in einer leichten Tätigkeit ein wesentlich höheres Einkommen als Fr. 39'000.- erzielen. Daher bestehe in keinem Fall ein Rentenanspruch.
 
bb) Für die Bestimmung des trotz der gesundheitlichen Einschränkungen zumutbarerweise noch realisierbaren Einkommens können nach der Rechtsprechung die Tabellenlöhne der LSE beigezogen werden; dies insbesondere, wenn die Versicherten nach Eintritt des Gesundheitsschadens keine oder jedenfalls keine ihnen an sich zumutbare neue Erwerbstätigkeit aufgenommen haben (BGE 124 V 322 f. Erw. 3b/aa mit Hinweisen). Dabei ist jeweils von der Tabellengruppe A und dem Zentralwert (Median) auszugehen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass den Tabellenlöhnen generell eine Arbeitszeit von 40 Stunden in der Woche zu Grunde liegt, somit weniger als die betriebsübliche durchschnittliche Arbeitszeit für 1994 von 41,9 Stunden (LSE 1994 S. 42; BGE 124 V 323 Erw. 3b/aa in fine). Zu beachten gilt es ferner, dass gesundheitlich beeinträchtigte Personen, die bisher körperliche Schwerarbeit verrichteten und nun selbst in leichten Hilfsarbeitertätigkeiten behindert sind, im Vergleich zu voll leistungsfähigen und entsprechend einsetzbaren Angestellten lohnmässig oft benachteiligt werden und deshalb in der Regel mit unterdurchschnittlichen Verdiensten rechnen müssen (BGE 124 V 323 Erw. 3b/bb; RKUV 1993 Nr. U 168 S. 104). Dies kann sich in einem Abzug von den Tabellenlöhnen niederschlagen. Dieser Abzug kommt jedoch nicht generell, sondern nur dort zur Anwendung, wo es die konkreten Umstände des Einzelfalls gebieten. Er kann, muss aber nicht 25 % betragen (AHI 1998 S. 177 Erw. 3a).
 
cc) Vorliegend ergibt sich folgendes hypothetisches Invalideneinkommen: Gemäss Tabelle A 1.1.1 der LSE 1994 verdienten Frauen in einfachen und repetitiven Tätigkeiten 1994 Fr. 3325.- monatlich oder Fr. 39'900.- im Jahr (inkl. 13. Monatslohn). Dieser Wert beruht auf einer 40-StundenWoche und ist auf 41,9 Stunden aufzurechnen, was Fr. 41'795.- ergibt. Hinzu kommt die Nominallohnerhöhung für 1995 von 1,3 % (Die Volkswirtschaft, 1999 Heft 4, Anhang S. 28 Tabelle B 10.2), was zu einem Jahreslohn von Fr. 42'338.- führt. Würden statt dessen die regionalen Unterschiede berücksichtigt und die in der LSE 1994 für die Region Nordwestschweiz angeführten Löhne (LSE Tabelle A 5.1.1) oder auf die von der Winterthur eingeholten Arbeitgeberauskünfte abgestellt, ergäbe sich ein deutlich höheres hypothetisches Invalideneinkommen. Die Frage nach der richtigen Berechnungsmethode braucht jedoch nicht abschliessend erörtert zu werden, wie im folgenden zu zeigen ist.
 
dd) Gemäss Bericht von Dr. S.________ vom 8. Januar 1998 besteht keine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit in einer optimal angepassten, vorwiegend sitzenden Tätigkeit. Zudem betont der Arzt, dass eine entsprechend eingeleitete Physiotherapie bei der jungen Versicherten eine Erholung und Wiedererlangung des gesundheitlichen Vorzustandes erwarten lasse. Eine Schwangerschaft (Geburt des 2. Kindes 1996) habe wohl die Rückenbeschwerden verschlimmert, doch sei dies nur vorübergehend. Auch Dr. med. G.________, Praxisgemeinschaft C.________, Spezialärzte FMH für Orthopädische Chirurgie, erachtete im Bericht vom 13. Oktober 1997 eine intensive Physiotherapie zur Stabilisierung und zum Aufbau des Kniegelenks als Erfolg versprechend, wenn auch lang dauernd. Gleich lautende Aussagen finden sich im Bericht der Dres. B.________ und S.________ vom 16. September 1997. Unter solchen Umständen rechtfertigt es sich nicht, einen Abzug von den Tabellenlöhnen vorzunehmen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Versicherte dank der Physiotherapie in einer angepassten Tätigkeit eine volle Leistung zu erbringen vermag. Damit ergibt der Einkommensvergleich selbst bei Berücksichtigung der für die Beschwerdegegnerin günstigeren Zahlenwerte gemäss Tabelle A 1.1.1 des LSE 1994 (Erw. cc hievor) keine Invalidität.
 
3.- a) Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG e contrario). Die Beschwerdegegnerin hat die unentgeltliche Verbeiständung beantragt. Diese kann gewährt werden, wenn die Gesuch stellende Person bedürftig ist, die anwaltliche Vertretung geboten und die Beschwerde nicht von vornherein aussichtslos erscheint (Art. 152 OG, BGE 125 V 202 Erw. 4a mit Hinweisen). Bei der Beurteilung der Bedürftigkeit sind die Einkommen beider Ehegatten zu berücksichtigen (RKUV 1996 Nr. U 254 S. 209 Erw. 2 mit Hinweisen).
 
b) Gemäss Angaben im Zeugnis zur Erlangung der unentgeltlichen Rechtspflege bezieht die Beschwerdegegnerin von der Arbeitslosenversicherung ein Taggeld von Fr. 163.30. Sodann habe der Ehemann in den letzten zwölf Monaten einen Lohn von durchschnittlich Fr. 5263.20 netto (einschliesslich 13. Monatslohn) erzielt. Dies bedarf der Berichtigung. Den beigelegten Lohnabrechnungen (welche die elf Monate von Januar bis September sowie November und Dezember 1999 betreffen, ferner den 13. Monatslohn) lässt sich entnehmen, dass der Ehemann nebst dem Grundlohn von Fr. 4185.- (zuzüglich Fr. 300.- Kinderzulagen) Zuschläge in unterschiedlicher Höhe für Nacht-, Sonntags- und andere Spezialarbeiten erhielt, welche im Durchschnitt der erwähnten elf Monate Fr. 1424.- ausmachten. Nach Aufrechnung dieses Betrages und anderseits Berücksichtigung der Sozialabzüge von rund Fr. 622.- (ebenfalls im Durchschnitt der elf Monate) ergibt sich ein Monatslohn von Fr. 5287.- netto. Hiezu kommt ein Zwölftel des 13. Monatslohnes von Fr. 4788.20, so dass von einem monatlichen Einkommen des Ehemannes von Fr. 5686.- auszugehen ist. Bei diesem Einkommen ist Bedürftigkeit nicht ausgewiesen, zumal die geltend gemachten privaten Schulden nicht berücksichtigt werden können (nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 6. November 1996 i.S. S., 5P.356/1996) und der Rechtsvertreter der Beschwerdegegnerin das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung nicht näher substanziert und namentlich keinen Notbedarf errechnet hat (BGE 125 IV 164 Erw. 4a; ferner nicht veröffentlichtes Urteil J. des Bundesgerichts vom 3. Mai 1999, 6 S. 236/1999). Dem Begehren kann daher nicht stattgegeben werden.
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
I. In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird
 
der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons
 
Basel-Stadt vom 25. Mai 1999 aufgehoben.
 
II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
III. Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung wird abge-
 
wiesen.
 
IV. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsge-
 
richt des Kantons Basel-Stadt und dem Bundesamt für
 
Sozialversicherung zugestellt.
 
Luzern, 17. März 2000
 
Im Namen des
 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der III. Kammer:
 
Der Gerichtsschreiber:
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).