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Informationen zum Dokument  BGer 1P.370/2000  Materielle Begründung
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BGer 1P.370/2000 vom 29.06.2000
 
[AZA 0/4]
 
1P.370/2000
 
126 I 172
 
22. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen
 
Abteilung vom 29. Juni 2000 i.S. X. gegen
 
Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt
 
(staatsrechtliche Beschwerde)
 
Art. 31 Abs. 4 BV, Art. 5 Ziff. 4 EMRK; grundrechtliche
 
Anforderungen an das Haftprüfungsverfahren beim
 
freiheitsentziehenden vorzeitigen Massnahmenvollzug.
 
Rechtsnatur des vorzeitigen (vorläufigen) stationärenMassnahmenvollzuges. Für den freiheitsentziehendenvorzeitigen Sanktionenvollzug vor Erlass einesrechtskräftigen Strafurteils gelten die grundrechtlichenVerfahrensregeln des strafprozessualen Freiheitsentzuges(E. 3a-b). Anforderungen an die kontradiktorischeAusgestaltung des Haftprüfungsverfahrens (E. 3c-e).
 
Art. 31 Abs. 3 BV, Art. 5 Ziff. 3 EMRK; zulässige Dauerdes vorzeitigen stationären Massnahmenvollzuges.
 
Besondere Problematik der Prüfung der zeitlichenVerhältnismässigkeit einer vorläufigenfreiheitsentziehenden Massnahme (E. 5).
 
Art. 31 cpv. 4 Cost. , art. 5 n. 4 CEDU; garanziefondamentali per la procedura di controllo della detenzionenel caso dell'esecuzione anticipata di misure di sicurezza.
 
Natura giuridica dell'esecuzione anticipata (oprovvisoria) di misure di sicurezza consistenti nelcollocamento in uno stabilimento. Le garanzie formalifondamentali applicabili alla privazione della libertà incorso di procedura penale valgono anche per l'esecuzioneanticipata - prima della crescita in giudicato del giudiziopenale - di una sanzione privativa della libertà (consid. 3a-b). Esigenze relative al carattere contraddittorio dellaprocedura di controllo della detenzione (consid. 3c-e).
 
Art. 31 cpv. 3 Cost. , art. 5 n. 3 CEDU; durataammissibile dell'esecuzione anticipata di una misura disicurezza consistente nel collocamento in uno stabilimento.
 
Problematica particolare nell'esame della proporzionalitàdella durata di una misura provvisoria privativa dellalibertà (consid. 5).
 
Am 26. Juli 1999 ersuchte (der seit 9. Februar 1999 inUntersuchungshaft befindliche) X. um Antritt desvorläufigen stationären Massnahmenvollzuges. Mit Verfügungvom 30. Juli 1999 bewilligte die zuständigeVerfahrensleiterin des Strafgerichtes Basel-Stadt dasGesuch. Seit 30. August 1999 befindet sich X. imvorläufigen freiheitsentziehenden Massnahmenvollzug in derPsychiatrischen Universitätsklinik Basel.
 
Mit Urteil vom 5. November 1999 sprach das Strafgericht(Dreiergericht) Basel-Stadt X. des mehrfachen (teilweiseversuchten) Betruges schuldig und verurteilte ihn zu vierMonaten Gefängnis. Gleichzeitig schob es den Vollzug derFreiheitsstrafe auf und ordnete gegenüber dem Verurteilteneine freiheitsentziehende Massnahme nach Art. 43 Ziff. 1Abs. 1 StGB an (Einweisung in eine psychiatrische Heil- undPflegeanstalt). Gegen das Strafurteil ist eine Appellationhängig.
 
Am 14. April 2000 stellte X. letztmals ein Gesuch umEntlassung aus dem vorläufigen Massnahmenvollzug. MitVerfügung vom 9. Mai 2000 wies das Strafgericht Basel-Stadt(Statthalterin) das Haftentlassungsgesuch ab. Eine dagegenerhobene kantonale Beschwerde wurde am 26. Mai 2000 vomAppellationsgericht (Ausschuss) des Kantons Basel-Stadtebenfalls abschlägig entschieden.
 
Gegen den Entscheid des Appellationsgerichtes gelangte X.
 
mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 10. Juni 2000 an dasBundesgericht. Er rügt eine Verletzung der Bundesverfassung(Art. 8, 10 und 31 BV) bzw. der EuropäischenMenschenrechtskonvention (Art. 5 Ziff. 1 und 4 EMRK; SR0. 101), und er beantragt seine unverzüglicheEntlassung aus dem vorläufigen Massnahmenvollzug. DasBundesgericht weist die Beschwerde ab.
 
Aus den Erwägungen:
 
3.- a) Der vorzeitige freiheitsentziehendeMassnahmenvollzug vor Erlass eines rechtskräftigenStrafurteils ist im materiellen Bundesstrafrecht nichtgeregelt (vgl. Art. 42-44, Art. 100bis StGB). Es handeltsich dabei (wie beim vorzeitigen Strafvollzug) um eine Formder strafprozessualen Freiheitsentziehung, die sich aufkantonales Strafverfahrens- und Strafvollzugsrecht stützt.
 
Der vorzeitige (oder vorläufige) Sanktionsvollzug kann mitEinverständnis des Angeschuldigten anstelle vonUntersuchungs- bzw. Sicherheitshaft angeordnet werden, sofern ausreichende strafprozessuale Haftgründe gegebensind, der Stand des Verfahrens die vorläufige Verbringungin eine Straf- bzw. Heil- und Pflegeanstalt erlaubt undeine längere unbedingte Freiheitsstrafe bzw.
 
freiheitsentziehende Massnahme mit grosserWahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Mit dem vorläufigenVollzug einer sichernden Massnahme sollen einerseits diestrafprozessualen Haftzwecke gewährleistet werden.
 
Anderseits ermöglicht er schon vor Erlass desrechtskräftigen Strafurteils ein Haftregime, welches aufdie persönliche Situation des (massnahmebedürftigerscheinenden) Angeschuldigten zugeschnitten ist, bzw.
 
erste Erfahrungen mit der voraussichtlich sachlichgebotenen Vollzugsform zu sammeln. Auch für den vorläufigenstationären Massnahmenvollzug gelten grundsätzlich dieVerfahrensregeln des strafprozessualen Haftrechtes.
 
Insbesondere stehen Angeschuldigte im vorzeitigenfreiheitsentziehenden Sanktionsvollzug unter dem Schutz derUnschuldsvermutung (Art. 32 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 2 EMRK)und der besonderen grundrechtlichen Garantien beiFreiheitsentziehung (Art. 10 Abs. 2, Art. 31 BV, Art. 5EMRK; vgl. BGE 117 Ia 72 E. 1c S. 76, E. 1d S. 80, 257 E. 3c S. 259, 372 E. 3a S. 375, je mit Hinweisen; ANDREASDONATSCH/NIKLAUS SCHMID, Kommentar zur Strafprozessordnungdes Kantons Zürich, Zürich 1999 ff., § 36 N. 1 ff., 6, 11,13; MARC FORSTER, Rechtsschutz bei strafprozessualer Haft, SJZ 94/1998 S. 2 ff./35 ff., S. 3, 38 ff.; MATTHIAS HÄRRI, Zur Problematik des vorzeitigen Strafantritts, Diss. BS1987, S. 122 ff., 150 ff.; MARTIN SCHUBARTH, ZurRechtsnatur des vorläufigen Strafvollzuges, ZStrR 96/1979S. 295 ff., 311).
 
b) Soweit der vorzeitige stationäre Massnahmenvollzug zueiner Freiheitsentziehung aus strafprozessualen Gründenführt, sind keinesachlichen Gründe dafür ersichtlich, ihn bezüglich dermassgeblichen Grundrechtsgarantien anders zu behandeln alsden vorzeitigen Strafvollzug. Insbesondere gelten fürvorläufige freiheitsentziehende Sanktionen dieverfahrensrechtlichen Garantien von Art. 5 Ziff. 4 EMRK(BGE 117 Ia 372 E. 3a S. 375; vgl. DONATSCH/SCHMID, a.a.O.,§ 36 N. 6, 13; FORSTER, a.a.O., S. 3).
 
Gemäss Art. 31 Abs. 3 BV hat jede Person, die inUntersuchungshaft genommen wird, Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführtzu werden (vgl. auch Art. 5 Ziff. 3 EMRK, Art. 9 Ziff. 3UNO-Pakt II). Art. 31 Abs. 4 BV gewährleistet jeder Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wurde, das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Diesesentscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeitdes Freiheitsentzuges (vgl. auch Art. 5 Ziff. 4 EMRK, Art. 9 Ziff. 4 UNO-Pakt II). Im Gegensatz zum Fall der Anordnungvon strafprozessualer Haft (Art. 31 Abs. 3 BV, Art. 5 Ziff. 3 EMRK) sehen Art. 31 Abs. 4 BV und Art. 5 Ziff. 4 EMRK fürdie blosse Prüfung eines Haftentlassungsgesuches keineVorführung vor den Richter bzw. mündliche Anhörung undHaftprüfungsverhandlung ausdrücklich vor (vgl. BGE 125 I113 E. 2a S. 115).
 
c) Dem Haftrichter muss für die Beurteilung derRechtmässigkeit der Haft eine ausreichende tatsächlicheEntscheidungsbasis zur Verfügung stehen. Namentlich muss erprüfen können, ob angesichts der jeweiligen Verhältnissedes Einzelfalles ausreichend konkrete Indizien für dasVorliegen von strafprozessualen Haftgründen vorliegen undob die Haftdauer verhältnismässig erscheint. Nach derübereinstimmenden Praxis des Europäischen Gerichtshofes fürMenschenrechte und des Bundesgerichtes verlangt Art. 5Ziff. 4 EMRK daher zwar ein Mindestmass ankontradiktorischer Ausgestaltung desHaftprüfungsverfahrens. Weder die EMRK noch dieBundesverfassung verlangen für die richterliche Prüfung vonHaftentlassungsgesuchen jedoch eine mündliche Verhandlungbzw. eine persönliche Vorführung und Anhörung desAngeschuldigten durch den Haftrichter. Das rechtliche Gehördes Inhaftierten kann in der Regel auch auf andere Weiseausreichend gewahrt werden, etwa im Rahmen einesschriftlichen Verfahrens (BGE 125 I 113 E. 2a S. 115 mitHinweisen; EGMR vom 21. Oktober 1986 i.S. Sanchez-Reisse c.
 
CH, Série A, vol. 107 Ziff. 51 ff.). Dabei räumt dieRechtsprechung dem Angeschuldigten insbesondere denprozessualen Anspruch ein, zu jeder Vernehmlassung derStrafverfolgungsbehörden zu replizieren, unbekümmert darum, ob darin neue Tatsachen vorgebrachtwerden oder nicht (BGE 125 I 113 E. 2a S. 115 mitHinweisen). Ein mündliches Haftprüfungsverfahren könntesich in Ausnahmefällen als sachlich geboten aufdrängen, soetwa, wenn für die Prüfung der Rechtmässigkeit der Haft dieErhebung von Beweisen durch den Haftrichter notwendigerschiene (vgl. Urteil des Bundesgerichtes vom 7. Oktober1997 i.S. R. B., E. 3b/dd = EuGRZ 1992 S. 553 ff.).
 
d) An dieser Praxis zum verfassungsmässigen Recht aufpersönliche Freiheit und zu Art. 5 Ziff. 4 EMRK ist auchnach Inkrafttreten von Art. 31 Abs. 4 BV weiterhinfestzuhalten. Die vom Beschwerdeführer zusätzlichangerufenen Art. 8 und 10 BV haben in diesem Zusammenhangkeine über das bereits Dargelegte hinausgehende Bedeutung.
 
e) Wie den Akten des kantonalen Haftprüfungsverfahrens zuentnehmen ist, hatte der Beschwerdeführer ausreichendGelegenheit, sein Haftentlassungsgesuch schriftlich zubegründen und auf die Vernehmlassungen derStrafjustizbehörden zu replizieren. Dabei ist auch zuberücksichtigen, dass er anwaltlich verbeiständet war. DerBeschwerdeführer macht keine Umstände geltend, welcheausnahmsweise eine mündliche Verhandlung vor demHaftrichter als sachlich geboten erscheinen liessen. Solchegehen auch aus den vorliegenden Akten nicht hervor.
 
f) Aus dem Gesagten ergibt sich, dass der Verzicht aufeine mündliche haftrichterliche Verhandlung im hier zubeurteilenden Fall vor der Verfassung und der EMRKstandhält.
 
4.- (Verfassungskonformität der Annahme vonFortsetzungsgefahr.)
 
5.- Schliesslich rügt der Beschwerdeführer eineübermässige Dauer des vorläufigen Massnahmenvollzuges.
 
a) Gemäss Art. 31 Abs. 3 BV und Art. 5 Ziff. 3 EMRK hateine in strafprozessualer Haft gehaltene Person Anspruchdarauf, innerhalb einer angemessenen Frist abgeurteilt oderwährend des Strafverfahrens aus der Haft entlassen zuwerden. Eine übermässige Haftdauer stellt eineunverhältnismässige Beschränkung dieses Grundrechts dar.
 
Sie liegt dann vor, wenn die Haftfrist die mutmasslicheDauer der zu erwartenden freiheitsentziehenden Sanktionübersteigt. Bei der Prüfung der Verhältnismässigkeit derHaftdauer ist namentlich der Schwere der untersuchtenStraftaten Rechnung zu tragen. Der Haftrichter darf dieHaft nur so lange erstrecken, als sie nicht in grossezeitliche Nähe der konkret zu erwartenden Dauer derfreiheitsentziehenden Sanktion rückt. Im Weiteren kann eineHaft diezulässige Dauer auch dann überschreiten, wenn dasStrafverfahren nicht genügend vorangetrieben wird, wobeisowohl das Verhalten der Justizbehörden als auch dasjenigedes Inhaftierten in Betracht gezogen werden müssen. Nachder übereinstimmenden Rechtsprechung des Bundesgerichts undder Organe der Europäischen Menschenrechtskonvention istdie Frage, ob eine Haftdauer als übermässig bezeichnetwerden muss, aufgrund der konkreten Verhältnisse deseinzelnen Falles zu beurteilen (BGE 124 I 208 E. 6 S. 215; 123 I 268 E. 3a S. 273, je mit Hinweisen).
 
b) Im Falle des vorzeitigen Massnahmenvollzuges stelltsich bei der Prüfung der zulässigen Haftdauer einebesondere Schwierigkeit, da freiheitsentziehende sicherndeMassnahmen grundsätzlich auf unbestimmte Zeit (nämlich solange sie sachlich geboten erscheinen) angeordnet werden.
 
Anders als beim vorzeitigen Strafvollzug kann beimvorzeitigen Massnahmenvollzug nicht von einer bestimmtenDauer der zu erwartenden Sanktion ausgegangen werden. Wiesich aus den folgenden Erwägungen ergibt, besteht dieseSchwierigkeit auch dann, wenn neben der sicherndenMassnahme eine Freiheitsstrafe ausgefällt wurde bzw.
 
absehbar erscheint.
 
c) Für das schweizerische Erwachsenenstrafrecht gilt dassogenannte "dualistisch-vikariierende System": Falls einMassnahmebedürftiger schuldhaft delinquiert hat, ordnet derRichter sowohl die schuldangemessene Strafe (Art. 63 StGB)als auch die aus Präventionsgründen sachlich gebotenesichernde Massnahme an. Letztere kann an die Stelle derStrafe treten und wird regelmässig zuerst vollstreckt (vgl.
 
JÖRG REHBERG, Strafrecht II, Strafen und Massnahmen, Jugendstrafrecht, 6. Aufl. , Zürich 1994, S. 18; HANSSCHULTZ, Einführung in den Allgemeinen Teil desStrafrechts, Bd. 2, 4. Aufl. , Bern 1982, S. 35 ff.; GÜNTERSTRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner TeilII, Strafen und Massnahmen, Bern 1989, § 1 N. 69 ff.). Vonder Dauer der ausgefällten Freiheitsstrafe kann somit nichtauf die Dauer der gleichzeitig angeordnetenfreiheitsentziehenden Massnahme geschlossen werden: Andersals bei der Strafe kommt es für die Dauer einer sicherndenMassnahme nicht auf das Verschulden an, sondern auf dieBehandlungsbedürftigkeit des Verurteilten. Ist der Grundder Massnahme weggefallen, weil sie ihren Zweck erreichthat (oder nicht mehr erreichen kann), wird sie aufgehoben.
 
Ist das Massnahmenziel teilweise erreicht worden, kann derVerurteilte probeweise entlassen werden (Art. 43 Ziff. 4StGB; vgl. BGE 122 IV 8 E. 3a S. 15 f.; 121 IV 1 E. 2 S. 2f.; STRATENWERTH, a.a.O., § 11 N. 38, 107).
 
d) Wie dargelegt, kann nicht einfach von der Höhe derausgefällten (schuldadäquaten) Freiheitsstrafe auf dievoraussichtliche Dauer der gleichzeitig angeordnetensichernden Massnahme geschlossen werden. Dennoch ist beider Frage, wie lange eine sichernde Massnahme unter demGesichtspunkt der Verhältnismässigkeit voraussichtlichdauern werde, auch der Schwere der Tatvorwürfe inangemessenem Umfang Rechnung zu tragen. Dies umso mehr, alsdie hier in Frage kommende Massnahme nach Art. 43 Ziff. 1Abs. 1 StGB (Einweisung in eine Heil- oder Pflegeanstalt)jedenfalls ein Verbrechen oder Vergehen voraussetzt. § 75Abs. 4 StPO/BS sieht die Entlassung aus dem vorläufigenMassnahmevollzug (ausser beim Dahinfallen der Haftgründe)lediglich vor, wenn "nach Art und Dauer der vorzeitigangetretenen Sanktion die Voraussetzungen einer bedingtenoder endgültigen Entlassung gegeben" sind.
 
e) Als strafprozessuale Zwangsmassnahme muss allerdingsauch vorzeitiger Massnahmenvollzug verhältnismässigerscheinen. Für die Verneinung von Überhaft genügt somitein blosser Hinweis darauf nicht, dass freiheitsentziehendeMassnahmen auf unbestimmte Dauer ausgesprochen werden, zumal auch eine rechtskräftig ausgefällte sicherndeMassnahme in regelmässigen Abständen zu kontrollieren wäre(vgl. BGE 116 Ia 60 E. 3a S. 64). Im Falle von vorzeitigemstationärem Massnahmenvollzug hat der Haftrichter daher zuprüfen, ob aufgrund der Aktenlage mit einer Verurteilung zueiner freiheitsentziehenden Massnahme ernsthaft zu rechnenist, deren gesamter Vollzug deutlich länger dauern könnteals die bisherige strafprozessuale Haft. Für denHaftrichter kann es allerdings schwierig sein, abzuschätzen, wann der Angeschuldigte nach einemrechtskräftig angeordneten Vollzug der sichernden Massnahmeprobeweise oder endgültig entlassen werden könnte. Dabeimuss er sich an der Therapieprognose des gerichtlichbestellten psychiatrischen Gutachters orientieren sowie ander diesbezüglichen Einschätzung des erkennendenStrafgerichtes, sofern - wie hier - bereits ein (noch nichtrechtskräftiges) gerichtliches Urteil vorliegt.
 
f) Im vorliegenden Fall macht der Beschwerdeführergeltend, er befinde sich "seit dem 9. Februar 1999, d.h.
 
seit über 16 Monaten" in Haft. Zwar wurde er vomStrafgericht Basel-Stadt "bloss" zu einer unbedingtenGefängnisstrafe von vier Monaten verurteilt. Der Vollzugder Freiheitsstrafe wurde aber zu Gunsten einer Massnahmenach Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB aufgeschoben. Auch wenndas Strafurteil noch nicht rechtskräftig ist, muss derBeschwerdeführer somit ernsthaft damit rechnen, dass diesichernde Massnahme deutlich längerdauern könnte als die (schuldangemessene) Gefängnisstrafevon vier Monaten. Angesichts des Höchststrafmasses von 71/2 Jahren Zuchthaus für mehrfachen einfachen Betrug (Art. 146 Abs. 1 i.V.m. Art. 68 StGB) erklärt sich das relativmilde Strafmass von vier Monaten Gefängnis mit demkrankheitsbedingten reduzierten Mass an Schuldfähigkeitseitens des Verurteilten.
 
g) Das geringe Mass an strafrechtlicher Vorwerfbarkeitlässt hingegen keineswegs auf fehlendeBehandlungsbedürftigkeit und Rückfallsneigung schliessen, ganz im Gegenteil: Die behandelnden Ärzte haben beimBeschwerdeführer ein "komplexes Störungsbild"diagnostiziert, welches aus präventiven Gründen eine"längerdauernde, intensivepsychotherapeutische/psychoedukative Behandlung" notwendigerscheinen lasse. Im Ergänzungsgutachten derPsychiatrischen Universitätsklinik Basel vom 16. Juli 1999wird der Behandlungszeitraum auf zwei bis drei Jahreveranschlagt. Für die Verhältnismässigkeit der vorläufigensichernden Massnahme spricht sodann der Umstand, dass essich bei mehrfachem Betrug (Art. 146 Abs. 1 StGB) umVerbrechen (und nicht bloss um Vergehen) im Sinne von Art. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB handelt. S-chliesslich ist auch derhohen Rückfallsgefahr bzw. dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Beschwerdeführer bereits zahlreiche schwerwiegendeDelikte verübt hat, woraus sich ein besonderes öffentlichesInteresse an einer wirksamen präventiven Behandlungbegründen lässt. Der Beschwerdeführer macht denn auch nichtgeltend, die Behandlungsbedürftigkeit sei nicht mehrgegeben oder es wären in anderer Hinsicht die"Voraussetzungen einer bedingten oder endgültigenEntlassung" aus dem vorläufigen Massnahmenvollzug erfüllt(vgl. § 75 Abs. 4 StPO/BS).
 
h) In Würdigung sämtlicher Umstände muss derBeschwerdeführer ernsthaft mit dem Vollzug einerfreiheitsentziehenden Massnahme rechnen, deren Gesamtdauer(bis zur probeweisen oder definitiven Entlassung) deutlichüber der bisher erlittenen Haftdauer von knapp 17 Monatenliegen könnte. Darauf lässt nicht zuletzt auch dasErgänzungsgutachten der Psychiatrischen UniversitätsklinikBasel vom 16. Juli 1999 schliessen, welches von einermutmasslichen Behandlungsdauer von zwei bis drei Jahrenausgeht.
 
i) Schliesslich lässt sich aufgrund der vorliegendenAkten auch der Vorwurf nicht begründen, die kantonalenBehörden hätten das Strafverfahren nicht ausreichendvorangetrieben. Der blosse Umstand, dass das StrafgerichtBasel-Stadt mehr als sechs Monatefür die Ausfertigung der Urteilsbegründung benötigt habe, stellt keine Verschleppung des Verfahrens dar, welche eineHaftentlassung rechtfertigen würde. Dies umso weniger, alses sich um einen komplexen Straffall mit umfangreichenAkten handelt.
 
Lausanne, 29. Juni 2000
 
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