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Informationen zum Dokument  BGer 6S.549/2000  Materielle Begründung
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BGer 6S.549/2000 vom 04.10.2000
 
[AZA 0/2]
 
6S.549/2000/bue
 
KASSATIONSHOF
 
*************************
 
4. Oktober 2000
 
Es wirken mit: Bundesgerichtspräsident Schubarth,
 
Präsident des Kassationshofes, Bundesrichter Schneider,
 
Wiprächtiger, Kolly, Bundesrichterin Escher und Gerichtsschreiber Näf.
 
---------
 
In Sachen
 
1. A.________,
 
2. B.________,
 
3. C.________, Beschwerdeführer, alle vertreten durch Fürsprecher Robert Frauchiger, Alte Bahnhofstrasse 1, Wohlen/AG,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau, X.________, Beschwerdegegner,
 
betreffend
 
Einstellungsverfügung (Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über Waffen,
 
Waffenzubehör und Munition, Art. 26 Abs. 1 i.V.m. Art. 34 Abs. 1 lit. e WG), hat sich ergeben:
 
A.- In der Nacht vom 24./25. Juli 1999 hielten sich die drei sechzehn- bis siebzehnjährigen Jugendlichen D.________, E.________ und F.________ in der Wohnung des Letzteren auf, dessen Eltern ferienabwesend waren. Im Verlauf der Nacht machten die drei Jugendlichen mit zwei Sturmgewehren und einem Karabiner, die alle X.________, dem Vater von F.________, gehörten, "Kriegsspiele".
 
Dabei löste sich aus dem von F.________ verwendeten Karabiner ein Schuss, der E.________ traf und tötete.
 
B.- Mit Strafbefehl des Bezirksamtes Baden vom 30. August 1999 wurde X.________ wegen Widerhandlung im Sinne von Art. 26 Abs. 1 i.V.m. Art. 34 Abs. 1 lit. e des Bundesgesetzes über Waffen, Waffenzubehör und Munition (WG), begangen durch nicht sorgfältiges Aufbewahren von zwei Sturmgewehren, mit einer Busse von 100 Franken bestraft.
 
C.- Mit Verfügung vom 24. März 2000 stellte die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau das Verfahren gegen X.________ wegen Widerhandlung im Sinne von Art. 26 Abs. 1 i.V.m. Art. 34 Abs. 1 lit. e WG, angeblich begangen durch nicht sorgfältiges Aufbewahren eines Karabiners, mit der Begründung ein, dass dem Beschuldigten insoweit nicht ungenügende Sorgfalt bei der Aufbewahrung im Sinne des Waffengesetzes zur Last gelegt werden könne.
 
Am 19. Juni 2000 wies die Beschwerdekammer in Strafsachen des Obergerichts des Kantons Aargau die von den Eltern und vom Bruder von E.________ gegen die Einstellungsverfügung erhobene Beschwerde ab.
 
D.- Die Eltern und der Bruder, A.________, B.________ und C.________, führen in einer gemeinsamen Eingabe eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der Entscheid des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen; diese habe die Staatsanwaltschaft anzuweisen, gegen X.________ wegen Widerhandlung gegen Art. 26 Abs. 1 des Waffengesetzes (unsorgfältiges Aufbewahren eines Karabiners und der dazugehörigen Munition) Anklage zu erheben.
 
E.- Das Bezirksgericht Baden, Jugendgericht, sprach F.________ am 28. April 2000 der fahrlässigen Tötung (Art. 117 StGB) schuldig und verpflichtete ihn zur Zahlung von Schadenersatz und Genugtuung an den Vater, die Mutter und den Bruder von E.________. Dieses Urteil war im Zeitpunkt der Einreichung der vorliegenden Nichtigkeitsbeschwerde gemäss einer darin (S. 4) enthaltenen Bemerkung nicht rechtskräftig.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.- a) Gemäss Art. 270 Abs. 1 Satz 2 BStP steht die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde auch dem Geschädigten zu, wenn er sich bereits vorher am Verfahren beteiligt hat und soweit sich der Entscheid auf die Beurteilung seiner Zivilforderung auswirken kann. Geschädigter im Sinne des Strafprozessrechts und damit auch gemäss Art. 270 Abs. 1 Satz 2 BStP ist derjenige, welchem durch das eingeklagte strafbare Verhalten unmittelbar ein Schaden zugefügt wurde oder zu erwachsen drohte. Bei Delikten gegen den Einzelnen ist dies in der Regel der Träger des Rechtsgutes, welches durch die fragliche Strafbestimmung vor Verletzung oder Gefährdung geschützt werden soll. Bei Strafbestimmungen, die primär allgemeine Interessen schützen, werden nur diejenigen Personen als Geschädigte betrachtet, welche durch derartige Delikte tatsächlich in ihren Rechten beeinträchtigt wurden, sofern diese Beeinträchtigung die unmittelbare Folge der tatbestandsmässigen Handlung ist (BGE 120 Ia 220 E. 3b; 117 Ia 135 E. 2a, mit Hinweisen).
 
In Bezug auf die unter den Anwendungsbereich des Opferhilfegesetzes fallenden Straftaten sind gemäss Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG unter den darin genannten Voraussetzungen neben dem Opfer, d.h.
 
der durch eine Straftat in ihrer körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität unmittelbar beeinträchtigten Person (siehe Art. 2 Abs. 1 OHG), auch der Ehegatte des Opfers, dessen Kinder und Eltern sowie andere Personen, die ihm in ähnlicher Weise nahe stehen, zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde legitimiert. Diese dem Opfer nahe stehenden Personen können mithin beispielsweise einen letztinstanzlichen kantonalen Einstellungsbeschluss hinsichtlich des Vorwurfs einer unter den Anwendungsbereich des Opferhilfegesetzes fallenden strafbaren Handlung mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde anfechten, obschon sie nicht Geschädigte im strafprozessrechtlichen Sinne sind.
 
b) Die Beschwerdeführer machen zur Begründung ihrer Beschwerdelegitimation geltend, sie seien sowohl Geschädigte im Sinne von Art. 270 Abs. 1 BStP als auch dem Opfer gleichgestellte Personen gemäss Art. 2 Abs. 2 OHG. Sie hätten sich im Jugendstrafverfahren gegen F.________ wegen fahrlässiger Tötung als Zivilpartei konstituiert sowie Schadenersatz- und Genugtuungsforderungen geltend gemacht. Haftpflichtrechtlich stelle sich darüber hinaus die Frage der Mitverantwortung des Vaters als Familienhaupt gemäss Art. 333 ZGB. Sie hätten daher auch Parteistellung im Strafverfahren gegen X.________ wegen unsorgfältigen Aufbewahrens des Karabiners und der dazugehörigen Munition.
 
2.- Das Bundesgesetz über Waffen, Waffenzubehör und Munition vom 20. Juni 1997 (WG; SR 514. 54) und die dazugehörige Verordnung vom 21. September 1998 (WV; SR 514. 541) sind am 1. Januar 1999 in Kraft getreten.
 
Nach Art. 26 Abs. 1 WG sind Waffen, wesentliche Waffenbestandteile, Waffenzubehör, Munition und Munitionsbestandteile sorgfältig aufzubewahren und vor dem Zugriff unberechtigter Dritter zu schützen. Gemäss Art. 34 Abs. 1 lit. e WG wird mit Haft oder Busse bestraft, wer als Privatperson Waffen, wesentliche Waffenbestandteile, Waffenzubehör, Munition oder Munitionsbestandteile nicht sorgfältig aufbewahrt (Art. 26 Abs. 1).
 
a) Diese Strafbestimmung schützt primär allgemeine Interessen. Die Straftat des unsorgfältigen Aufbewahrens ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Der Tatbestand ist erfüllt, wenn und weil eine Waffe etc. nicht sorgfältig aufbewahrt wird, unabhängig davon, ob als Folge dieser unsorgfältigen Aufbewahrung eine Person an Leib und Leben konkret gefährdet oder verletzt/getötet worden ist. Eine allfällige konkrete Gefährdung oder Verletzung/Tötung einer bestimmten Person ist nicht die unmittelbare Folge der unsorgfältigen Aufbewahrung der Waffe, sondern die unmittelbare Folge des (vorsätzlichen oder fahrlässigen) Einsatzes der Waffe, welcher allenfalls durch das unsorgfältige Aufbewahren der Waffe ermöglicht oder erleichtert worden ist. Die Verletzung/ Tötung einer bestimmten Person ist damit nur allenfalls eine indirekte Folge der Straftat der unsorgfältigen Aufbewahrung der Waffe und der dazugehörigen Munition.
 
b) Wer durch den Einsatz einer unsorgfältig aufbewahrten Waffe verletzt oder getötet wird, ist somit in Bezug auf die Straftat der unsorgfältigen Aufbewahrung der Waffe mangels des erforderlichen unmittelbaren Zusammenhangs weder Geschädigter im Sinne von Art. 270 Abs. 1 Satz 2 BStP noch Opfer gemäss Art. 2 Abs. 1 OHG.
 
Dies würde selbst dann gelten, wenn gegen den Beschwerdegegner zudem ein Strafverfahren wegen fahrlässiger Tötung, angeblich begangen unter anderem durch unsorgfältige Aufbewahrung des Karabiners und der dazugehörigen Munition, eröffnet und letztinstanzlich eingestellt worden wäre. Der Getötete wäre in diesem Fall einzig in Bezug auf die angebliche Straftat der fahrlässigen Tötung (Art. 117 StGB) und nicht auch hinsichtlich der angeblichen Straftat des unsorgfältigen Aufbewahrens der Waffe samt Munition Geschädigter im Sinne von Art. 270 Abs. 1 Satz 2 BStP und Opfer gemäss Art. 2 Abs. 1 OHG. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist der angeblich bei einem Verkehrsunfall Verletzte nur in Bezug auf die vom anderen Verkehrsteilnehmer allenfalls begangene Straftat der fahrlässigen Körperverletzung Opfer im Sinne des Opferhilfegesetzes, nicht aber hinsichtlich der Verletzung von Verkehrsregeln und des Fahrens in angetrunkenem Zustand; denn die letztgenannten Straftaten beeinträchtigen nicht im Sinne von Art. 2 Abs. 1 OHG "unmittelbar" die körperliche Integrität (BGE 122 IV 71 E. 3a S. 76 f.). Entsprechendes muss erst recht in Bezug auf die Straftat der unsorgfältigen Aufbewahrung einer Waffe samt Munition im Sinne von Art. 26 Abs. 1 i.V.m. Art. 34 Abs. 1 lit. e WG gelten, welche allenfalls eine vorsätzliche oder fahrlässige Körperverletzung oder Tötung durch den Einsatz dieser Waffe durch einen Dritten begünstigt hat.
 
c) Der durch den Schuss aus dem Karabiner getötete E.________ ist somit in Bezug auf die dem Beschwerdegegner zur Last gelegte Straftat der unsorgfältigen Aufbewahrung dieser Waffe und der dazugehörigen Munition (Art. 26 Abs. 1 i.V.m. Art. 34 Abs. 1 lit. e WG) weder Geschädigter im Sinne von Art. 270 Abs. 1 Satz 2 BStP noch Opfer im Sinne des Opferhilfegesetzes.
 
Daher sind die Beschwerdeführer, d.h. die Mutter, der Vater und der Bruder des getöteten E.________, nicht zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde gegen den diese Straftat betreffenden Einstellungsbeschluss legitimiert.
 
3.-Die Beschwerdeführer weisen darauf hin, dass sich haftpflichtrechtlich darüber hinaus die Frage der Mitverantwortung des Beschwerdegegners als Familienhaupt nach Art. 333 ZGB stelle. Daher hätten sie gemäss § 56 Ziff. 3 und § 141 Abs. 1 StPO/AG auch Parteistellung im Strafverfahren gegen X.________.
 
a) Ob den Beschwerdeführern aus dem genannten Grunde gemäss den Bestimmungen des kantonalen Strafprozessrechts im kantonalen Verfahren Parteistellung zukomme, kann hier dahingestellt bleiben. Die Legitimation zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde bestimmt sich unabhängig davon allein nach Bundesrecht.
 
b) Verursacht ein unmündiger oder entmündigter, ein geistesschwacher oder geisteskranker Hausgenosse einen Schaden, so ist das Familienhaupt dafür haftbar, insofern es nicht darzutun vermag, dass es das übliche und durch die Umstände gebotene Mass an Sorgfalt in der Beaufsichtigung beobachtet hat (Art. 333 Abs. 1 ZGB).
 
Die Beschwerdeführer sind offenbar der Auffassung, dass die Beurteilung einer Zivilforderung gegen den Beschwerdegegner als Familienhaupt gemäss Art. 333 Abs. 1 ZGB wesentlich (auch) vom Ausgang des Strafverfahrens gegen den Beschwerdegegner wegen unsorgfältigen Aufbewahrens des Karabiners und der dazugehörigen Munition (Art. 34 Abs. 1 lit. e i.V.m. Art. 26 Abs. 1 WG) abhänge, dass sich mit anderen Worten der Entscheid im Strafpunkt im Sinne von Art. 270 Abs. 1 BStP bzw. Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG auf die Beurteilung der Zivilforderung auswirken könne. Wie es sich damit verhält, kann hier dahingestellt bleiben. Die Legitimation zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde im Strafpunkt ist nicht schon gegeben, wenn und weil sich der Entscheid im Strafpunkt auf die Beurteilung einer Zivilforderung auswirken kann.
 
Unter Vorbehalt von hier nicht in Betracht fallenden Ausnahmen ist zudem erforderlich, dass der Beschwerdeführer Geschädigter im Sinne von Art. 270 Abs. 1 BStP oder Opfer gemäss Art. 2 Abs. 1 OHG oder eine dem Opfer gleichgestellte Person im Sinne von Art. 2 Abs. 2 OHG ist (BGE 126 IV 42 E. 2, 150 E. 4). Diese Voraussetzung ist hier aus den vorstehend genannten Gründen nicht erfüllt.
 
Im Übrigen sind insoweit nur Zivilforderungen aus strafbaren Handlungen relevant, d.h. Zivilansprüche, die überhaupt adhäsionsweise in einem Strafverfahren geltend gemacht werden können (BGE 122 IV 139 E. 3d).
 
Eine Zivilforderung gegen das Familienhaupt gemäss Art. 333 Abs. 1 ZGB wegen eines vom unmündigen Hausgenossen verursachten Schadens ist kein Zivilanspruch aus strafbarer Handlung, auch dann nicht, wenn dem Familienhaupt der Sorgfaltsbeweis, dass es das durch die Umstände gebotene Mass an Sorgfalt im Sinne von Art. 333 Abs. 1 ZGB beobachtet habe, gerade (auch) deshalb nicht gelingen sollte, weil es die vom Hausgenossen verwendete Schusswaffe im Sinne des Übertretungstatbestands von Art. 34 Abs. 1 lit. e i.V.m. Art. 26 Abs. 1 WG nicht sorgfältig aufbewahrt hat.
 
4.- Da somit auf die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde nicht einzutreten ist, haben die Beschwerdeführer die bundesgerichtlichen Kosten zu tragen.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.- Auf die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird nicht eingetreten.
 
2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird den Beschwerdeführern in solidarischer Verantwortlichkeit auferlegt.
 
3.- Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft und dem Obergericht (Beschwerdekammer in Strafsachen) des Kantons Aargau schriftlich mitgeteilt.
 
--------- Lausanne, 4. Oktober 2000
 
Im Namen des Kassationshofes
 
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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