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Informationen zum Dokument  BGer 5P.155/2000  Materielle Begründung
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BGer 5P.155/2000 vom 19.10.2000
 
[AZA 1/2]
 
5P.155/2000/bnm
 
II. Z I V I L A B T E I L U N G ********************************
 
Sitzung vom 19. Oktober 2000
 
Es wirken mit: Bundesrichter Reeb, Präsident der II. Zivilabteilung,
 
Bundesrichter Weyermann, Bundesrichter Raselli,
 
Bundesrichterin Nordmann, Bundesrichter Merkli und Gerichtsschreiber Mazan.
 
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In Sachen
 
Baugenossenschaften Freiegg, Irieb, Resomund im Zöpfli, (einfache Gesellschaft), 6000 Luzern, Beschwerdeführerinnen, vertreten durch Advokat Dr. Fabrizio Gabrielli, Kirschgartenstrasse 7, Postfach 257, 4010 Basel,
 
gegen
 
L uzerner Kantonalbank, Pilatusstrasse 12, Postfach, 6002 Luzern, Beschwerdegegnerin, Obergericht (I. Kammer) des Kantons Luzern,
 
betreffend
 
Art. 9 BV (Lastenbereinigungsverfahren;
 
Abschreibungsverfügung), hat sich ergeben:
 
A.- Mit Verfügung vom 4. November 1999 waren die als einfache Gesellschaft organisierten Baugenossenschaften Freiegg, Irieb, Resom und im Zöpfli in dem von ihnen angestrebten Lastenbereinigungsverfahren gegen die Luzerner Kantonalbank aufgefordert worden, bis zum 18. November 1999 einen Kostenvorschuss von Fr. 2'000.-- zu bezahlen, ansonsten auf die Streitsache nicht eingetreten werde. Ausdrücklich wurde darauf hingewiesen, dass die Zahlung, wenn sie per Giromandat erfolge, am letzten Tag der Frist auf dem angegebenen Postcheck-Konto gutgeschrieben sein müsse. Nach Angaben der Baugenossenschaften wurde der Zahlungsauftrag am 17. November 1999 erteilt und als Belastungsdatum der 18. November 1999 angegeben; die Zahlung wurde aber dem Postcheck-Konto des Amtsgerichts erst am 19. November 1999 gutgeschrieben. Mit Erledigungsentscheid vom 25. November 1999 trat das Amtsgericht Luzern-Land auf die Klage wegen Säumnis bei der Leistung des Kostenvorschusses nicht ein. Die Baugenossenschaften erhoben gegen diesen Entscheid kantonale Nichtigkeitsbeschwerde, welche das Obergericht (I. Kammer) des Kantons Luzern am 27. März 2000 abwies.
 
B.- Gegen den Entscheid des Obergerichts führen die Baugenossenschaften staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, diesen aufzuheben. Mit Verfügung vom 29. Mai 2000 hat der Präsident der II. Zivilabteilung der Beschwerde antragsgemäss aufschiebende Wirkung erteilt. Auf die Einholung einer Beschwerdeantwort wurde verzichtet.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.- Das Obergericht erwog, zwar sei die Auffassung der Beschwerdeführerinnen, die Girozahlung sei rechtzeitig erfolgt, wenn der Zahlungsauftrag am letzten Tag der Frist der Post übergeben werde, auch in der Literatur (Studer/Rüegg/Eiholzer, Der Luzerner Zivilprozess, Luzern 1994, N. 6 zu § 83) vertreten worden, doch hätten die Gerichte des Kantons Luzern ihre anderslautende Praxis stets beibehalten und hielten in den gerichtlichen Vorschussverfügungen mit aller Deutlichkeit fest, dass für die Rechtzeitigkeit der Girozahlungen auf das Valuta-Datum abgestellt werde. Das Bundesgericht habe bezüglich Art. 32 OG eine Zeitlang die selbe Ansicht vertreten; auch nachdem es seine Praxis geändert habe, sei die luzernische Praxis nicht beanstandet worden.
 
2.- Die Beschwerdeführerinnen werfen dem Obergericht vor, § 83 Abs. 1 ZPO/LU willkürlich angewendet zu haben. Nach dieser Bestimmung gälten Zahlungen als rechtzeitig erfolgt, wenn sie spätestens am letzten Tag der Frist einträfen oder der schweizerischen Post übergeben würden. Indem hier der Zahlungsauftrag bereits am 17. November 1999 der Post übergeben worden sei, sei diesem Erfordernis Genüge getan; die gegenteilige Auffassung des Obergerichts lasse sich mit dem Wortlaut von § 83 Abs. 1 ZPO/LU nicht vereinbaren. Da die Post zwar bei Empfang des Giromandates die Gutschrift sofort vornehmen könne, der Auftraggeber aber den Tag der Gutschrift nicht zuverlässig bestimmen könne, müsse der Eingang des Zahlungsauftrages der direkten Zahlung am Postschalter gleichgestellt werden. Das Postkonto des Auftraggebers sei hier am 18. November 1999 belastet worden; damit habe sich der fragliche Betrag im alleinigen Verfügungsbereich - vermutlich auf einem Durchlaufkonto - der Post befunden. Entgegen den Ausführungen des Obergerichts habe das Bundesgericht seine Praxis zu Art. 32 OG nur im Hinblick auf die Benützung des Sammelauftragdienstes der PTT geändert; ansonsten gehe es bereits seit langen Jahren davon aus, dass eine Zahlung rechtzeitig erfolgt sei, wenn der Überweisungsauftrag der Post am letzten Tag der Frist erteilt werde. Das Obergericht selbst habe in einem Entscheid aus dem Jahr 1950 festgehalten, die Frist für die Leistung eines Kostenvorschusses sei gewahrt, wenn der Zahlungsauftrag am letzten Tag zum Postcheckamt gelange; diese Praxis sei in keinem publizierten Entscheid ausdrücklich geändert worden.
 
a) Gemäss Art. 9 BV hat jede Person einen Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür behandelt zu werden. Willkürlich ist ein Entscheid nach ständiger Rechtsprechung nicht schon dann, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erschiene oder gar vorzuziehen wäre. Entsprechend kann die Willkür nicht bereits darin liegen, dass das Bundesgericht seine eigene Regelung über die Fristeinhaltung anders auslegt. Das Bundesgericht hebt einen kantonalen Entscheid wegen materieller Rechtsverweigerung vielmehr nur auf, wenn er offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 121 I 113 E. 3a S. 114 mit Hinweis).
 
b) Nach § 83 ZPO/LU ist die Frist eingehalten, wenn die Zahlung am letzten Tag der Frist der Post übergeben wird; das blosse Zusenden des Zahlungsauftrages genügt demnach schon dem Wortlaut nach nicht, denn darin liegt noch keine Zahlung. Es erscheint zudem nahe liegend, jedenfalls aber nicht willkürlich, im Falle einer Giroüberweisung das Eintreffen auf dem Postcheckkonto des Empfängers als massgeblich zu erachten, so dass die Belastung auf dem Konto des Auftraggebers nicht genügt. Die Beschwerdeführerinnen behaupten zwar (im Zusammenhang mit der Rüge der Verletzung der Rechtsgleichheit), ein Widerruf des Auftrages wäre nach der Belastung ihres Kontos ausgeschlossen gewesen; sie legen dies aber nicht näher dar. So lange der Überweisungsbetrag dem Konto des Amtsgerichts nicht gutgeschrieben war, war er noch nicht in dessen Verfügungsbereich gelangt und insoweit der Auftrag vom 17. November 1999 noch nicht erfüllt. Daran ändert nichts, dass nach § 83 Abs. 1 ZPO/LU eine Zahlung an die Post genügen würde, beauftragten doch die Beschwerdeführerinnen die Post mit der Gutschrift auf dem Konto des Amtsgerichts und verkehrten somit mit der Post nicht in erster Linie als Zahlstelle des Amtsgerichts, sondern als von ihnen Beauftragter.
 
So lange ein Auftrag noch nicht ausgeführt ist, kann er grundsätzlich jederzeit widerrufen werden (Art. 404 Abs. 1 OR). Bei einer Bareinzahlung bei der Post als Zahlstelle des Empfängers wäre ein Widerruf hingegen nicht möglich. Es fragt sich, ob die Auslegung von § 83 ZPO/LU, wie sie die luzernischen Gerichte vornehmen, dem Sinne der Bestimmung nicht näher kommt. Von einer willkürlichen Auslegung des § 83 ZPO/LU kann jedenfalls nicht die Rede sein.
 
c) Dass für den Auftraggeber eine gewisse Unsicherheit darüber entsteht, wann die Zahlung eintrifft, vermag trotz der entsprechenden Unannehmlichkeiten keine Willkür zu begründen. Zumal er vom Gericht auf die Massgeblichkeit des Valuta-Datums und die Folgen des verspäteten Eintreffens ausdrücklich aufmerksam gemacht wird, steht ihm ja frei, eine andere Zahlungsart zu wählen oder aber die Giroanweisung der Post so frühzeitig zuzustellen, dass die Einhaltung der Frist gewährleistet ist. Schliesslich ist auch der Hinweis auf einen Entscheid des Luzerner Obergerichts aus dem Jahre 1950 unbehelflich. Die Beschwerdeführerinnen legen nicht dar, inwiefern eine Praxisänderung unzulässig und sogar willkürlich erschiene; angesichts des ausdrücklichen Hinweises auf die Fristenregelung bei Girozahlungen konnte mit dem Erledigungsentscheid des Amtsgerichts kein berechtigtes Vertrauen in eine anderslautende Praxis verletzt werden.
 
3.- Die Beschwerdeführerinnen erachten den angefochtenen Entscheid als überspitzt formalistisch, da den rigorosen Anforderungen an die Einhaltung der Frist keine sachliche Rechtfertigung oder schutzwürdigen Interessen zugrunde lägen.
 
Mit der Argumentation des Obergerichts, der Sinn der Praxis liege darin, die Rechtzeitigkeit der Prozesshandlungen ohne grossen administrativen und zeitlichen Aufwand überprüfen zu können, setzen sie sich nicht auseinander. Damit ermangelt es der Rüge an der erforderlichen Substanziierung (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG) und es ist nicht auf sie einzutreten.
 
4.- Die Beschwerdeführerinnen berufen sich weiter auf den in Art. 9 BV statuierten Anspruch, von staatlichen Organen nach dem Grundsatz von Treu und Glauben behandelt zu werden.
 
Die luzernische Praxis habe sich erklärtermassen an der Praxis des Bundesgerichts zu Art. 32 OG orientiert. Im erwähnten Entscheid des Obergerichts Luzern aus dem Jahre 1950 sei es denn auch als genügend erkannt worden, dass der Zahlungsauftrag am letzten Tag der Frist der Post zugestellt werde. Die anderslautende publizierte Praxis des Obergerichts beziehe sich auf Bank-, nicht auf Postgiromandate.
 
Die Rüge der Verletzung des Vertrauensprinzips wurde im kantonalen Verfahren nicht erhoben und ist damit unzulässig (BGE 118 Ia 110 ff.). Dass eine Ausnahme vom Novenverbot gegeben sei, behaupten die Beschwerdeführerinnen nicht einmal.
 
Im Übrigen wäre die Rüge offensichtlich unbegründet. In der Kostenvorschussverfügung vom 4. November 1999 waren sie ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht worden, dass bei Girozahlungen das Valuta-Datum massgeblich sei; dieser Hinweis lässt an Klarheit nichts vermissen. Ein schützenswertes Vertrauen, das durch den angefochtenen Entscheid verletzt würde, ist damit nicht ersichtlich.
 
5.- Schliesslich rügen die Beschwerdeführerinnen, das angefochtene Urteil verletze das Gebot der Rechtsgleichheit.
 
Auch im Falle einer Bareinzahlung am letzten Tag der Frist oder bei Bezahlung mittels Postcheck erfolge die Gutschrift erst nach Ablauf der Frist. Für die unterschiedliche Behandlung des Postgiromandats und der übrigen postalischen Zahlungsarten gebe es damit keine vernünftigen und sachlichen Gründe, zumal die Post beim Giroauftrag ebenfalls ab dem Zeitpunkt der Belastung auf dem Konto des Auftraggebers über den Betrag verfügen könne. Die Ungleichbehandlung der Postgirozahlung führe dazu, dass dem Betroffenen nicht mehr die ganze Frist zur Verfügung stehe, und dass er zudem als einziger das Risiko einer nicht von ihm beeinflussbaren Verspätung trage.
 
Eine Gleichbehandlung von Giromandat und Bareinzahlung drängt sich nach dem in E. 2b Gesagten nicht zwingend auf. Im Übrigen gelten für alle Personen, welche sich in der Position eines Kostenvorschusspflichtigen unter Geltung von § 83 ZPO/LU befinden, die gleichen Regeln. Die Beschwerdeführerinnen machen nicht geltend, das Obergericht habe in gleich gelagerten Fällen die Belastung des Schuldnerkontos am letzten Tag der Frist genügen lassen. Sodann erfolgte die Wahl des Zahlungsverfahrens freiwillig. Es war den Beschwerdeführerinnen unbenommen, sich einer anderen Zahlungsmodalität zu bedienen, welche ihnen eine Ausnützung der ganzen Zahlungsfrist erlaubt hätte; dass ihnen dies unzumutbar oder gar unmöglich gewesen sei, behaupten sie nicht. Die Rüge der Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes ist somit unbegründet.
 
6.- Nach dem Gesagten ist die Beschwerde unbegründet und daher abzuweisen. Entsprechend dem Verfahrensausgang haben die Beschwerdeführerinnen die Gerichts- und Parteikosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 und Art. 159 Abs. 2 OG). Da eine Vernehmlassung der Beschwerdegegnerin nur hinsichtlich des Gesuchs um aufschiebende Wirkung eingeholt wurde, ist ihr nur eine entsprechend reduzierte Parteientschädigung zuzusprechen.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.- Die Gerichtsgebühr von insgesamt Fr. 1'500.-- wird den Beschwerdeführerinnen unter solidarischer Haftbarkeit auferlegt.
 
3.- Die Beschwerdeführerinnen haben die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren unter solidarischer Haftbarkeit mit insgesamt Fr. 800.-- zu entschädigen.
 
4.- Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht (I. Kammer) des Kantons Luzern schriftlich mitgeteilt.
 
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Lausanne, 19. Oktober 2000
 
Im Namen der II. Zivilabteilung des
 
SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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