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Informationen zum Dokument  BGer H 346/2000  Materielle Begründung
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BGer H 346/2000 vom 17.01.2001
 
«AZA 7»
 
H 346/00 Gi
 
IV. Kammer
 
Bundesrichter Borella, Rüedi und nebenamtlicher Richter Maeschi; Gerichtsschreiberin Keel
 
Urteil vom 17. Januar 2001
 
in Sachen
 
Y.Z.________, 1937, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Peter Schilliger, Kantonsstrasse 40, Horw,
 
gegen
 
Ausgleichskasse Zürcher Arbeitgeber, Siewerdtstrasse 9, Zürich, Beschwerdegegnerin,
 
und
 
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern
 
A.- T.________, geboren 1966 in S.________, kam 1972 unter ihrem damaligen Namen H.________ in die Schweiz und wurde vom Ehepaar X. und Y.Z.________ zwecks späterer Adoption in Pflege genommen. Nach dem Tod von X.Z.________ am 13. Juli 1974 unterblieb eine Adoption. Am 11. Juli 1978 wurde T.________ unter Vormundschaft gestellt.
 
Mit Verfügung vom 15. September 1999 sprach die Ausgleichskasse Zürcher Arbeitgeber Y.Z.________ ab 1. Oktober 1999 eine einfache Altersrente von Fr. 1'645.- im Monat aufgrund eines massgebenden durchschnittlichen Jahreseinkommens von Fr. 28'944.- und einer Beitragsdauer von 41 Jahren nach Rentenskala 44 zu.
 
B.- Y.Z.________ beschwerte sich gegen diese Verfügung und machte geltend, bei der Berechnung der AHV-Rente seien ihr für die Jahre 1972 bis 1982 Erziehungsgutschriften für die Pflegetochter anzurechnen. Mit Entscheid vom 18. August 2000 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern die Beschwerde ab.
 
C.- Y.Z.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde erheben mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung des angefochtenen Entscheids seien ihr für die Jahre 1977 bis 1982, eventuell für 1977 und 1978, Erziehungsgutschriften anzurechnen.
 
Die Ausgleichskasse schliesst sinngemäss auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung lässt sich nicht vernehmen.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.- a) Für die Rentenberechnung werden Beitragsjahre, Erwerbseinkommen sowie Erziehungs- oder Betreuungsgutschriften der rentenberechtigten Person zwischen dem 1. Januar nach Vollendung des 20. Altersjahres und dem 31. Dezember vor Eintritt des Versicherungsfalles (Rentenalter oder Tod) berücksichtigt (Art. 29bis Abs. 1 AHVG). Die Rente wird nach Massgabe des durchschnittlichen Jahreseinkommens berechnet, welches sich aus den Erwerbseinkommen, den Erziehungsgutschriften und den Betreuungsgutschriften zusammensetzt (Art. 29quater AHVG).
 
b) Nach Art. 29sexies Abs. 1 AHVG (in dem bis 31. Dezember 1999 gültig gewesenen und auf den vorliegenden Fall anwendbaren Wortlaut der Bestimmung) wird Versicherten für die Jahre, in welchen sie die elterliche Gewalt über eines oder mehrere Kinder ausüben, die das 16. Altersjahr noch nicht erreicht haben, eine Erziehungsgutschrift angerechnet. Der Bundesrat regelt die Einzelheiten, insbesondere die Anrechnung der Erziehungsgutschrift, wenn a) Eltern Kinder unter ihrer Obhut haben, ohne die elterliche Gewalt auszuüben, b) lediglich ein Elternteil in der schweizerischen AHV versichert ist und c) die Voraussetzungen für die Anrechnung einer Erziehungsgutschrift nicht während des ganzen Kalenderjahres erfüllt werden. Gestützt auf die Delegationsnorm von Art. 29sexies Abs. 1 lit. a AHVG hat der Bundesrat in Art. 52e AHVV bestimmt, dass ein Anspruch auf Anrechnung von Erziehungsgutschriften auch für Jahre besteht, in denen die Eltern Kinder unter ihrer Obhut hatten, ohne dass ihnen die elterliche Gewalt zustand. Die Bestimmung wurde mit der Verordnungsnovelle vom 25. August 1999 (AS 1999 2681) lediglich insofern geändert, als der Ausdruck "elterliche Gewalt" durch "elterliche Sorge" ersetzt und damit dem neuen Kindesrecht (Art. 311 ff. ZGB) angepasst wurde (Ziff. I 4 des Bundesgesetzes über die Änderung des ZGB vom 26. Juni 1998, in Kraft seit 1. Januar 2000, AS 1999 1118, 1144). Ferner hat der Bundesrat in Art. 52f AHVV einen neuen Abs. 2bis eingefügt, welcher die Anrechnung der Erziehungsgutschrift regelt, wenn die elterliche Sorge geschiedenen oder unverheirateten Eltern gemeinsam zusteht.
 
2.- a) Das Gesetz macht den Anspruch auf Anrechnung von Erziehungsgutschriften grundsätzlich davon abhängig, dass der Versicherte über eines oder mehrere Kinder die elterliche Gewalt ausgeübt hat. Eine Ausnahme von der Voraussetzung der elterlichen Gewalt sieht das Gesetz lediglich insofern vor, als der Bundesrat Vorschriften über die Anrechnung von Erziehungsvorschriften u.a. für den Fall erlassen kann, dass Eltern Kinder unter ihrer Obhut haben, ohne die elterliche Gewalt über sie auszuüben (Art. 29sexies Abs. 1 lit. a AHVG). Die vom Bundesrat gestützt hierauf erlassene Bestimmung von Art. 52e AHVV beschränkt sich darauf, einen Anspruch auf Anrechnung von Erziehungsgutschriften auch für Jahre vorzusehen, in denen Eltern Kinder in ihrer Obhut hatten, ohne dass ihnen die elterliche Gewalt zustand. Geregelt wird damit der Fall, dass den Eltern die elterliche Gewalt entzogen wurde (Art. 311 ff. ZGB).
 
b) Nach der Rechtsprechung ist der Begriff der elterlichen Gewalt im Sinne der Art. 296 ff. ZGB zu verstehen. Gemäss diesen Bestimmungen haben Pflegeeltern keine elterliche Gewalt, sondern lediglich die Befugnis, die leiblichen Eltern in der elterlichen Gewalt zu vertreten, soweit es zur gehörigen Erfüllung ihrer Aufgaben angezeigt ist (Art. 300 Abs. 1 ZGB). Pflegeeltern sind daher - anders als die Adoptiveltern - vom Anspruch auf Anrechnung von Erziehungsgutschriften ausgeschlossen (BGE 125 V 245 ff.). Dagegen hat das Eidgenössische Versicherungsgericht in BGE 126 V 1 den Anspruch auf Erziehungsgutschriften im Falle einer Vormundin bejaht, welche einen unmündigen Neffen in persönlicher Obhut hatte. Als massgebend hiefür erachtete das Gericht, dass der Vormund bei Unmündigkeit des Bevormundeten zwar nicht über die elterliche Gewalt verfügt, ihm nach Art. 405 Abs. 2 ZGB unter Vorbehalt der Mitwirkung der vormundschaftlichen Behörden aber grundsätzlich die gleichen Rechte zustehen wie den Eltern und er über Befugnisse verfügt, welche der elterlichen Gewalt nahe kommen.
 
3.- a) Die Beschwerdeführerin stellt sich auf den Standpunkt, im Hinblick auf die Rechtsprechung gemäss BGE 126 V 1 sei der Anspruch auf Erziehungsgutschrift im vorliegenden Fall schon aus Gründen der Rechtsgleichheit zu bejahen. Mit dem genannten Urteil sei der Anspruch auf den Vormund, welcher ein unmündiges Kind unter seiner Obhut habe, ausgedehnt worden, weil ihm faktisch die gleiche Rolle wie dem Inhaber der elterlichen Gewalt zukomme. Dies habe in gleicher Weise zu gelten, wenn jemand die Erziehung eines Kindes ausserhalb der Vormundschaft übernehme, weil ebenfalls kein anderer Inhaber der elterlichen Gewalt mehr vorhanden sei. Der Beschwerdeführerin sei anders als im genannten Urteil kein Kostgeld zugeflossen, obwohl sie objektiv betrachtet die gleiche Erziehungsaufgabe übernommen habe. Im Gegenteil sei sie verpflichtet worden, auch für den finanziellen Unterhalt des Kindes aufzukommen. Die Verweigerung von Erziehungsgutschriften stelle unter diesen Umständen eine Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 8 Abs. 1 BV dar.
 
b) Der Auffassung der Beschwerdeführerin kann nicht beigepflichtet werden. Ausschlaggebend dafür, dass der Anspruch auf Erziehungsgutschrift in BGE 126 V 1 bejaht wurde, war der Umstand, dass sich das Kind unter der persönlichen Obhut der Vormundin befunden hatte und dieser nach der zivilrechtlichen Ordnung Befugnisse zustanden, die der elterlichen Gewalt gleichkommen und welche sie nicht bloss vertretungsweise, sondern grundsätzlich selbstständig ausgeübt hatte (BGE 126 V 3 Erw. 4a). Demgegenüber verfügte die Beschwerdeführerin als Pflegemutter lediglich über die Befugnis, die leiblichen Eltern in der elterlichen Gewalt zu vertreten, soweit es zur gehörigen Erfüllung ihrer Aufgaben angezeigt war (Art. 300 Abs. 1 ZGB). Dass die leibliche Mutter und der ausländische Beistand des Kindes auf ihr Sorgerecht verzichtet hatten, hat hieran nichts geändert. Weil sich das Kind nicht unter elterlicher Gewalt befand, hätte es gemäss Art. 368 Abs. 1 ZGB unter Vormundschaft gehört. Dass eine Vormundschaft erst am 11. Juli 1978 errichtet wurde, ändert nichts daran, dass die Beschwerdeführerin auch in der vorangegangenen Zeit nicht über die elterliche Gewalt verfügte. Die Tatsache allein, dass sie das Kind in ihrer persönlichen Obhut hatte und faktisch auch die elterliche Gewalt ausübte, genügt nach der gesetzlichen Regelung, welche auf die zivilrechtlichen Verhältnisse abstellt, nicht für den Anspruch auf Erziehungsgutschriften. Unerheblich ist sodann, dass das Pflegeverhältnis im Hinblick auf eine Adoption erfolgte und aus welchen Gründen die Adoption nicht zustande kam. Nach den Materialien entspricht es dem Willen des Gesetzgebers, die Anrechnung von Erziehungsgutschriften bei Pflegeverhältnissen auszuschliessen und einen Anspruch erst mit der Adoption entstehen zu lassen (vgl. BGE 125 V 247 Erw. 2b sowie Amtl. Bull. 1994 S 550). Es liegt in Bezug auf den vorliegenden Sachverhalt auch keine Lücke im Gesetz vor, welche vom Richter auszufüllen wäre (vgl. BGE 125 V 248 Erw. 3). Schliesslich beruft sich die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf BGE 126 V 1 zu Unrecht auf den Grundsatz der Gleichbehandlung von Art. 8 Abs. 1 BV, bestehen in Bezug auf die beiden Sachverhalte doch tatsächliche und rechtliche Unterschiede, die eine andere Beurteilung zu rechtfertigen vermögen.
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
 
II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsge-
 
richt des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtli-
 
che Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversiche-
 
rung zugestellt.
 
Luzern, 17. Januar 2001
 
Im Namen des
 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der IV. Kammer:
 
Die Gerichtsschreiberin:
 
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