VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer P 27/2000  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer P 27/2000 vom 07.05.2001
 
[AZA 7]
 
P 27/00 Gb
 
III. Kammer
 
Bundesrichter Schön, Spira und Bundesrichterin Widmer;
 
Gerichtsschreiberin Helfenstein
 
Urteil vom 7. Mai 2001
 
in Sachen
 
S.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Richard Lanz, Seegartenstrasse 6, 8008 Zürich,
 
gegen
 
Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen, Beschwerdegegnerin,
 
und
 
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen
 
A.- Mit Verfügung vom 24. November 1994 sprach die Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen (nachfolgend:
 
SVA) dem 1929 geborenen türkischen Staatsangehörigen S.________ Ergänzungsleistungen ab 1. Oktober 1994 zu; diese Verfügung ersetzte sie durch eine Verfügung vom 6. Dezember 1994, mit welcher der Anspruch betragsmässig korrigiert wurde. Auf Grund einer Mitteilung der AHV-Zweigstelle der Stadt St. Gallen vom 4. Oktober 1996, wonach die Adresse von S.________ unbekannt sei und die Post zurückkomme, stellte die SVA die Leistungen (AHV-Rente und Ergänzungsleistungen) per 31. Oktober 1996 ein.
 
Am 22. Juli 1997 meldete die AHV-Zweigstelle der SVA die neue Adresse von S.________; gleichzeitig erbat sie um Auszahlung der Rente ab November 1996. Am 13. August 1997 reichte S.________ ein neues Gesuch um Ausrichtung von Ergänzungsleistungen ab November 1996 ein. Am 29. August 1997 wurde S.________ mitgeteilt, dass ihm auf Grund der neuen Adresse die AHV-Rente wieder ausgerichtet werde. Gleichentags bestätigte die SVA den Eingang des Gesuchs um Ergänzungsleistungen und forderte S.________ auf mitzuteilen, an welcher Adresse er von Oktober 1996 bis Juli 1997 wohnhaft gewesen sei. S.________ reichte am 8. Oktober 1997 seinen Mietvertrag ein und führte dazu aus, er sei jeden zweiten Monat zwischen Oktober 1996 und Ende Juni 1997 in der Türkei zur Therapie, aber jeden zweiten Monat mindestens drei Wochen in der Schweiz gewesen. Mit Schreiben vom 9. April 1998 fragte er nach, weshalb er noch keine Antwort auf seine Anmeldung und sein Schreiben vom 8. Oktober 1997 erhalten habe, worauf ihm die SVA am 26. Mai 1998 mitteilte, sie habe bereits mit Verfügung vom 5. November 1997 den Anspruch auf Ergänzungsleistungen mangels Aufenthalt in der Schweiz seit November 1996 abgelehnt; eine Kopie dieser Verfügung legte sie bei.
 
B.- Die von S.________ dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 23. Februar 2000 ab und überwies die Akten an die Verwaltung, damit diese die EL-Berechtigung des Versicherten ab 1. September 1998 prüfe.
 
C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt S.________ beantragen, in Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei seine EL-Berechtigung ab 1. November 1996 festzustellen und es seien ihm die geschuldeten Ergänzungsleistungen inkl.
 
Verzugszins seit dem 1. November 1996 nachzuzahlen. Eventualiter sei die Sache an die SVA zurückzuweisen, damit sie die EL-Berechtigung ab 1. November 1996 prüfe. Ferner ersucht er um unentgeltliche Verbeiständung.
 
Die Sozialversicherungsanstalt schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während sich das Bundesamt für Sozialversicherung nicht hat vernehmen lassen.
 
Das. Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.- Die Vorinstanz hat die gesetzlichen Bestimmungen über den Anspruch auf Ergänzungsleistungen von Schweizer Bürgern (Art. 2 Abs. 1 ELG in der hier anwendbaren, bis Ende 1996 gültig gewesenen Fassung), die Karenzfrist von 15 Jahren für in der Schweiz wohnhafte Ausländer (Art. 2 Abs. 2 sowie Art. 2 Abs. 2bis ELG in der hier anwendbaren, bis Ende 1996 gültig gewesenen Fassung) sowie die Rechtsprechung zum Begriff des ununterbrochenen Aufenthaltes in der Schweiz (BGE 110 V 170) richtig dargelegt. Darauf kann verwiesen werden.
 
Zu ergänzen ist, dass die Verwaltung im Rahmen der prozessualen Revision verpflichtet ist, auf eine formell rechtskräftige Verfügung zurückzukommen, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel entdeckt werden, die geeignet sind, zu einer andern rechtlichen Beurteilung zu führen (BGE 126 V 24 Erw. 4b, 122 V 21 Erw. 3a, 121 V 4 Erw. 6, je mit Hinweisen).
 
2.- a) Die Vorinstanz prüfte, ob die SVA das Gesuch um Ergänzungsleistungen vom 13. August 1997 zu Recht abgewiesen hatte, und kam dabei zum Schluss, die Voraussetzung des Wohnsitzes sei nicht erfüllt, weshalb sie einen Anspruch auf Ergänzungsleistungen ab November 1996 verneinte. Dabei stellte sie sich auf den Standpunkt, es könne offen bleiben, ob mit der faktischen Einstellung der Leistungen per
 
1. Oktober 1996 eine rechtsgestaltende Verfügung verbunden gewesen sei oder nicht.
 
b) Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden.
 
Erst wenn Leistungen rechtmässig aufgehoben sind, kann ein neues Gesuch überhaupt als solches behandelt werden. Die SVA hat die Zahlung der Ergänzungsleistungen per 31. Oktober 1996 auf Grund der Meldung der AHV-Zweigstelle der Stadt St. Gallen vom 4. Oktober 1996, wonach die Adresse von S.________ unbekannt sei, formlos eingestellt. Diese Einstellung hätte richtigerweise nur durch eine neue Verfügung im Rahmen der prozessualen Revision (vgl. Erw. 1 hievor) erfolgen können, denn damit wurden rechtmässig zugesprochene Leistungen wegen neuer Tatsachen rückwirkend per
 
31. Oktober 1996 aufgehoben. Weder die Verwaltung noch die Vorinstanz durften deshalb das Gesuch vom 13. August 1997 als Neuanmeldung behandeln, ehe die Einstellung der Leistungen rechtsgenüglich verfügt worden war. Vor Erlass einer solchen Verfügung hätte dem Beschwerdeführer zudem das rechtliche Gehör gewährt werden müssen. Die SVA hat deshalb zuerst über die Aufhebung der Leistungen ab 1. November 1996 eine Verfügung zu erlassen.
 
Im Übrigen erscheint es fraglich, ob der Versicherte die Ausrichtung von Ergänzungsleistungen ab dem 13. August 1997 verlangen kann, denn damit würde der für Ausländer erforderliche im Sinne der Rechtsprechung ununterbrochene Aufenthalt in Frage gestellt. Der Beschwerdeführer lässt denn auch im vorliegenden Verfahren die rückwirkende Ausrichtung von Ergänzungsleistungen ab 1. November 1996 beantragen.
 
3.- Es geht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen, weshalb von der Auferlegung von Gerichtskosten abzusehen ist (Art. 134 OG).
 
Da die Rückweisung zu näheren Abklärungen einem Obsiegen gleichkommt (BGE 110 V 57), hat der Beschwerdeführer Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 159 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG). Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung ist damit gegenstandslos.
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
I. In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
 
werden der Entscheid des Versicherungsgerichtes
 
des Kantons St. Gallen vom 23. Februar 2000
 
und die Verfügung vom 5. November 1997 aufgehoben, und
 
es wird die Sache an die Sozialversicherungsanstalt
 
St. Gallen zurückgewiesen, damit sie im Sinne der
 
Erwägungen über die Aufhebung der Leistungen per
 
1. November 1996 neu entscheide.
 
II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
III. Die Sozialversicherungsanstalt St. Gallen hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung
 
von Fr. 2'000.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu
 
bezahlen.
 
IV. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
 
Luzern, 7. Mai 2001
 
Im Namen des
 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der III. Kammer:
 
Die Gerichtsschreiberin:
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).