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Informationen zum Dokument  BGer 5C.31/2001  Materielle Begründung
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BGer 5C.31/2001 vom 10.05.2001
 
[AZA 0/2]
 
5C.31/2001/min
 
II. Z I V I L A B T E I L U N G ********************************
 
10. Mai 2001
 
Es wirken mit: Bundesrichter Reeb, Präsident der II. Zivilabteilung,
 
Bundesrichter Bianchi, Bundesrichter Raselli,
 
Bundesrichter Meyer, Ersatzrichter Riemer und Gerichtsschreiber Levante.
 
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In Sachen
 
A.________, Kläger und Berufungskläger, vertreten durch Rechtsanwalt Jörg Stehrenberger, Promenade 19, Postfach 2161, 8280 Kreuzlingen,
 
gegen
 
1. Genossenschaft B.________,
 
2. C.________ AG,
 
3. Personalfürsorgestiftung der Firma D.________ AG,
 
4. Verein E.________,
 
5. D.________ AG,
 
6. F.________ AG,
 
7. G.________, Beklagte und Berufungsbeklagte, alle vertreten durch Rechtsanwalt Markus Wydler, Im Lindenhof, Postfach 41, 9320 Arbon,
 
betreffend
 
Grunddienstbarkeit, hat sich ergeben:
 
A.- A.________ ist Eigentümer des Grundstücks Nr. 164 (Grundbuch Z.________). Dieses grenzt nördlich an das Grundstück Nr. 162 (Grundbuch Z.________), welches im Miteigentum der Genossenschaft B.________ und sechs weiteren Miteigentümern steht. Entlang der Westgrenze beider Grundstücke verläuft die Strasse Q.________. Die damaligen Eigentümer der Grundstücke vereinbarten mit Dienstbarkeitsverträgen vom 6. Oktober 1938 ein unbeschränktes Fuss- und Fahrwegrecht zugunsten von Grundstück Nr. 164 und zulasten von Grundstück Nr. 162 (als Verbindung zwischen der Strasse Q.________ und dem Hofraum auf Grundstück Nr. 164) sowie ein oberirdisches Näherbaurecht bis auf 2 m an die Grenze zugunsten von Grundstück Nr. 162 und zulasten von Grundstück Nr. 164. Die Grundbucheinträge erfolgten am gleichen Tag. Am 7./10. Dezember 1990 schlossen die damaligen Eigentümer derselben Grundstücke - bei Grundstück Nr. 164 war dies die H.________ AG - einen Dienstbarkeitsvertrag, der am 10. Dezember 1990 im Grundbuch eingetragen wurde. Inhalt dieses Dienstbarkeitsvertrages war u.a., dass beide Grundeigentümer berechtigt seien, bis an die (gemeinsame) Grundstücksgrenze zu bauen, was in der Folge bezüglich des Grundstückes Nr. 162 getan wurde. Am 8. Juli 1997 erwarb A.________ das Grundstück Nr. 164.
 
B.- Mit Einreichung der Weisung am 14. Dezember 1998 erhob A.________ beim Bezirksgericht Arbon Klage gegen die Genossenschaft B.________ und sechs weitere derzeitige Miteigentümer des Grundstückes Nr. 162. Er beantragte, es sei festzustellen, dass das Fuss- und Fahrwegrecht zur Strasse Q.________ gemäss Dienstbarkeitsvertrag und -eintrag von 1938 bestehe, und es seien die Beklagten zu verpflichten, ihm dieses Recht innert angemessener Frist wieder zur uneingeschränkten Ausnützung bereitzustellen; eventuell sei ihm Schadenersatz zuzusprechen. Die Genossenschaft B.________ und sechs weitere Miteigentümer erhoben Widerklage mit dem Antrag, das Grundbuchamt sei anzuweisen, die beiden Dienstbarkeiten (Fuss- und Fahrwegrecht, Näherbaurecht) gemäss den Dienstbarkeitsverträgen vom 6. Oktober 1938 zu löschen. Mit Urteil vom 5. März 1999 wies das Bezirksgericht Arbon die Klage von A.________ ab und hiess die Widerklage der Genossenschaft B.________ und sechs weiteren Miteigentümern gut.
 
Das Obergericht des Kantons Thurgau wies mit Urteil vom 30. November 1999 die Berufung von A.________ ab und bestätigte das erstinstanzliche Urteil.
 
C.- Mit eidgenössischer Berufung beantragt A.________ dem Bundesgericht, es sei das Urteil des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 30. November 1999 aufzuheben und festzustellen, dass das Fuss- und Fahrwegrecht zur Strasse Q.________ gemäss Dienstbarkeitsvertrag und -eintrag von 1938 bestehe; weiter seien die Beklagten zu verpflichten, ihm dieses Recht innert angemessener Frist wieder zur uneingeschränkten Ausnützung bereitzustellen, eventuell sei ihm Schadenersatz zuzusprechen; sodann beantragt er die Abweisung der Widerklage.
 
Die Genossenschaft B.________ und sechs weitere beklagte Miteigentümer beantragen, die Berufung sei abzuweisen.
 
Das Obergericht schliesst ebenfalls auf Abweisung der Berufung.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.- a) Das Obergericht hat im Wesentlichen festgehalten, dass einerseits der das Grenzbaurecht einräumende Dienstbarkeitsvertrag von 1990 und die nachfolgende Realisierung des Grenzbaurechts durch den Eigentümer des Grundstückes Nr. 162, der sich die damalige Eigentümerin des Grundstückes Nr. 164 nicht widersetzt habe, einen beidseitigen stillschweigenden Verzicht auf die Dienstbarkeiten von 1938 (Fuss- und Fahrwegrecht, Näherbaurecht) bzw. deren materiellen Untergang beinhalte.
 
Anderseits habe der Kläger bezüglich des Weiterbestehens dieser Dienstbarkeiten trotz des nach wie vor bestehenden Grundbucheintrages nicht gutgläubig sein dürfen.
 
b) Der Kläger verneint einen Verzicht auf die Dienstbarkeiten von 1938. Zur Begründung bringt er im Wesentlichen vor, ein solcher Verzicht sei nie bewiesen worden; vielmehr spreche der Brief vom 18. März 1992 der damaligen Eigentümerin des Grundstückes Nr. 164 (H.________ AG) gegen einen Verzicht. Zudem sei eine Baueinsprache gegenüber dem Bauprojekt auf Grundstück Nr. 162 deswegen nicht erfolgt, weil die damalige Eigentümerin des Grundstücks Nr. 164 in Konkursliquidation gestanden habe. Hinsichtlich seines guten Glaubens beruft sich der Kläger auf den Grundbucheintrag und die gesetzliche Vermutung des guten Glaubens.
 
2.- a) Von den gesetzlichen Gründen für den Untergang von Dienstbarkeiten (Art. 734-736 ZGB) steht im konkreten Fall keiner in Frage. Es ist jedoch allgemein anerkannt, dass die Aufzählung dieser Gründe nicht abschliessend ist und insbesondere auch ein - ausdrücklicher oder stillschweigender - Verzicht auf eine Dienstbarkeit, unter Einschluss von entsprechend eindeutigem konkludentem Verhalten, zum Untergang führt (Urteil des Bundesgerichts vom 19. November 1997 i.S.
 
Z. [5C. 177/1997], E. 3a, publ. in: ZBGR 80/1999 S. 125 f.; Liver, Zürcher Kommentar, N. 197 ff. zu Art. 734 ZGB; Riemer, Die beschränkten dinglichen Rechte, 2. Aufl. 2000, § 11 Rz.
 
30). Darunter fällt beispielsweise auch die "Gestattung der Verbauung eines Wegrechts" (Liver, a.a.O., N. 107 a.E. zu Art. 734 ZGB), was a fortiori gelten muss, wenn dieses Gestatten in Gestalt eines förmlichen Dienstbarkeitsvertrages erfolgt.
 
b) Ein Verzicht im dargelegten Sinn ist vorliegend klarerweise zu bejahen. Nach den Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz wurde mit dem Dienstbarkeitsvertrag von 1990 den jeweiligen Eigentümern der Grundstücke Nrn. 164 und 162 das Recht eingeräumt, gegenseitig an die Grenze zu bauen; in der Folge wurde auf Grundstück Nr. 162 das Geschäftshaus "I.________" bis an die gemeinsame Grundstücksgrenze hin erstellt. Indem der damalige Eigentümer des Grundstückes Nr. 164 im Jahre 1990 dem damaligen Eigentümer des Grundstückes Nr. 162 gestattete, gestützt auf das Grenz- bzw.
 
Näherbaurecht an die gemeinsame Grundstücksgrenze zu bauen, verzichtete er implizit - aber dennoch offensichtlich - auf sein Fuss- und Fahrwegrecht von 1938 über das Grundstück Nr. 162, da dessen Ausübung mit der Dienstbarkeit von 1990 rechtlich und mit der Realisierung des Grenz- und Näherbaurechts auch faktisch absolut unvereinbar war. Auf das Verhalten des damaligen Eigentümers des Grundstücks Nr. 164 gegenüber der Ausübung (Realisierung) dieses Grenz- und Näherbaurechts kommt es unter diesen Umständen nicht einmal mehr entscheidend an. Der Kläger wendet sich mit seinem Hinweis auf das Schreiben vom 18. März 1992 - da die Beweiswürdigung im Berufungsverfahren nicht überprüfbar ist (BGE 122 III 219 E. 3c S. 223) - ohnehin vergeblich gegen die verbindliche Feststellung des Obergerichts (Art. 63 Abs. 2 OG), der damalige Eigentümer des Grundstücks Nr. 164 habe sich der Ausübung (Realisierung) des Grenz- und Näherbaurechts auf Grundstück Nr. 162 nicht widersetzt. Im Übrigen kann der Kläger daraus, dass die Untätigkeit des damaligen Eigentümers des Grundstückes Nr. 164 konkursbedingt war, nichts zu seinen Gunsten ableiten, da er sich heute dessen Verhalten auf jeden Fall anrechnen lassen muss.
 
c) Was den guten Glauben des Klägers in den Grundbucheintrag (Art. 973 Abs. 1 ZGB) betrifft, so ist darauf hinzuweisen, dass dieser Schutz nicht absolut ist; vielmehr darf sich auch im Zusammenhang mit dem Grundbuch derjenige nicht auf seinen guten Glauben berufen, welcher bei der Aufmerksamkeit, wie sie nach den Umständen von ihm verlangt werden darf, nicht gutgläubig sein konnte (Art. 3 Abs. 2 ZGB; betreffend das Grundbuch im Besonderen vgl. BGE 109 II 102 E. 2 S. 104; 82 II 103 E. 5 S. 112; Deschenaux, Das Grundbuch, in: Schweizerisches Privatrecht, Bd. V/3 II, S. 788 u.
 
792 f.). Ein solcher Fall liegt hier vor: Aus dem blossen Vergleich der Dienstbarkeitseinträge von 1938 und 1990, jedenfalls in Verbindung mit den betreffenden, Bestandteile des Grundbuches (Art. 942 Abs. 2 ZGB) bildenden Dienstbarkeitsverträgen, sowie erst recht aufgrund der zwischen den Jahren 1990 und 1997 (Erwerb des Grundstückes Nr. 164 durch den Kläger) erfolgten Erstellung der Baute auf Grundstück Nr. 162 bis an die gemeinsame Grundstücksgrenze, musste sich für den Kläger ohne weiteres die implizite rechtliche Beseitigung des Fuss- und Fahrwegrechts von 1938 ergeben.
 
3.- Da der damalige Eigentümer von Grundstück Nr. 164 implizit durch Vertrag auf sein Fuss- und Fahrwegrecht verzichtet hat, besteht von vornherein keine Grundlage für die beantragte Zusprechung von Schadenersatz. Den Antrag auf Abweisung der Widerklage begründet der Kläger mit dem mangelnden Rechtsschutzinteresse der Beklagten an der gerichtlichen Löschung von Dienstbarkeiten, an welchen sie - wie betreffend das Näherbaurecht von 1938 - berechtigt seien; die Löschung hätte direkt beim Grundbuchamt verlangt werden können. Diese Rüge ist unbegründet. Die beiden Dienstbarkeiten von 1938 (Fuss- und Fahrwegrecht, Näherbaurecht) wurden gleichzeitig begründet und standen unter sich in einem sachlichen Zusammenhang, wobei aus dem Umstand, dass die beiden Grundeigentümer wechselseitig Berechtigte und Verpflichtete waren, auf eine gegenseitige Bedingtheit der beiden Dienstbarkeiten zu schliessen ist. Wenn das Obergericht unter diesen Umständen die beiden Dienstbarkeiten auch prozessual gemeinsam, d.h.
 
als Einheit betrachtet bzw. beurteilt und nicht einen Teil dieses Komplexes an den Grundbuchverwalter verwiesen hat, ist nicht ersichtlich, inwiefern es die Notwendigkeit gerichtlichen Rechtsschutzes verkannt habe (vgl. Vogel, Grundriss des Zivilprozessrechts, 6. Aufl. 1999, 7. Kap. Rz. 12). Der Kläger bringt in diesem Zusammenhang weiter vergeblich vor, dass das Obergericht zwar richtigerweise von der Notwendigkeit einer Grundbuchberichtigungsklage (Art. 975 ZGB) ausgegangen sei, die Beklagten indessen lediglich die Löschung der Dienstbarkeit und nicht die Feststellung der materiellen Wahrheit und entsprechend die Richtigstellung des Grundbuches verlangt hätten. Inwiefern der Kläger diesbezüglich eine Verletzung von Bundesrecht durch den angefochtenen Entscheid rügt, legt er nicht hinreichend dar (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG; BGE 116 II 745 E. 3 S. 749). Da derjenige, welcher seine Klage als Grundbuchberichtigungsklage versteht und die Löschung des betreffenden Grundbucheintrages beantragt, auf jeden Fall prozessual nicht falsch handelt, ist im Übrigen nicht ersichtlich, inwiefern die Vorinstanz Bundesrecht verletzt habe, wenn sie auf die Widerklage eingetreten ist, zumal die Beklagten damit gerade bezweckten, in bezug auf die Grundstücke Nrn. 162 und 164 den wirklichen Stand der sich darauf beziehenden dinglichen Rechte festzulegen. Unbehelflich ist schliesslich, wenn der Kläger diesbezüglich im Berufungsverfahren eine Verletzung der dem kantonalen Recht zugehörenden Dispositions- und Verhandlungsmaxime rügt (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG; BGE 109 II 452 E. 5d S. 460).
 
4.- Aus diesen Gründen ist die Berufung vollumfänglich abzuweisen, und das Urteil des Obergerichts ist zu bestätigen.
 
Bei diesem Verfahrensausgang wird der Kläger für das bundesgerichtliche Verfahren kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 156 Abs. 1, Art. 159 Abs. 2 OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.- Die Berufung wird abgewiesen, und das Urteil des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 30. November 1999 wird bestätigt.
 
2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 5'000.-- wird dem Kläger auferlegt.
 
3.- Der Kläger hat die Beklagten für das bundesgerichtliche Verfahren mit insgesamt Fr. 5'000.-- zu entschädigen.
 
4.- Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.
 
_____________
 
Lausanne, 10. Mai 2001
 
Im Namen der II. Zivilabteilung
 
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
 
Der Präsident:
 
Der Gerichtsschreiber:
 
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