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Informationen zum Dokument  BGer 5C.62/2001  Materielle Begründung
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BGer 5C.62/2001 vom 10.05.2001
 
{T 0/2}
 
5C.62/2001/STS/bnm
 
II. Z I V I L A B T E I L U N G
 
********************************
 
10. Mai 2001
 
Es wirken mit: Bundesrichter Reeb, Präsident der II. Zivil-
 
abteilung, Bundesrichter Bianchi, Bundesrichter Raselli,
 
Bundesrichterin Nordmann, Bundesrichter Merkli und
 
Gerichtsschreiber Schneeberger.
 
---------
 
In Sachen
 
A.S.________, Beklagte und Berufungsklägerin, vertreten
 
durch Rechtsanwalt Manfred Stucky, Bât. "La Channe", Rue
 
du Marché 1, Postfach 908, 3960 Siders,
 
gegen
 
P.S.________, Kläger und Berufungsbeklagter, vertreten
 
durch Advokat Georges Schmid, Brückenweg 6, 3930 Visp,
 
betreffend
 
Ehescheidung nach Art. 115 ZGB,
 
hat sich ergeben:
 
A.- Der 1920 geborene P.S.________ und die 1963 geborene
 
A.L.________ heirateten nach wenigen Monaten Bekanntschaft am
 
6. Dezember 1995 in Z.________. Nach erfolgloser Versöhnung
 
reichte P.S.________ am 18. Mai 1999 gegen A.S.________ beim
 
Richter des Bezirkes X.________ Klage ein, mit der er nebst
 
der Scheidung um Zuspruch einer Rente und um Genugtuung er-
 
suchte. A.S.________ beantragte die kostenpflichtige Abwei-
 
sung der Klage. Nach der Durchführung einer Vorverhandlung
 
wurde den Parteien mit Rücksicht auf das neue Scheidungsrecht
 
(Art. 7b Abs. 2 SchlTZGB) an der Beweisverhandlung vom 6. Ja-
 
nuar 2000 Gelegenheit geboten, neue Rechtsbegehren zu stel-
 
len. In der Folge ersuchte P.S.________ um Scheidung der Ehe
 
nach Art. 115 ZGB und um Zuspruch einer vom Richter festzu-
 
setzenden Rente.
 
Mit Urteil vom 4. Mai 2000 schied der Bezirksrichter
 
von X.________ die Ehe nach Art. 115 ZGB, wies das Unter-
 
haltsbegehren des Klägers ab, auferlegte die Gerichtskosten
 
zu 1/5 dem Kläger und zu 4/5 der Beklagten und verpflichtete
 
Letztere zur Bezahlung einer reduzierten Parteientschädigung
 
an den Kläger.
 
B.- Die von der Beklagten erhobene Berufung wies das
 
Kantonsgericht Wallis mit Urteil vom 17. Januar 2001 ab. Es
 
begründete die ausgesprochene Scheidung hauptsächlich damit,
 
der Kläger sei die Ehe aus Liebe eingegangen und es könne ihm
 
nach Art. 115 ZGB nicht zugemutet werden, in einer Ehe zu
 
verharren, welche die Beklagte bloss zum Schein eingegangen
 
sei.
 
C.- Die Beklagte beantragt mit Berufung, das Urteil des
 
Kantonsgerichts vom 17. Januar 2001 sei aufzuheben und die
 
Scheidung nicht auszusprechen.
 
Eine Berufungsantwort ist nicht eingeholt worden.
 
Das Kantonsgericht hat keine Gegenbemerkungen angebracht.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.- Geht sowohl aus der Begründung der Berufungsschrift
 
als auch aus dem materiellen Antrag im Ergebnis klar hervor,
 
dass die Beklagte um Abweisung der Scheidungsklage ersucht,
 
steht dem Eintreten auf die grundsätzlich zulässige Berufung
 
(Art. 44 a.A. OG) auch unter dem Gesichtswinkel von Art. 55
 
Abs. 1 lit. b OG betrachtet nichts entgegen (Poudret/Sandoz-
 
Monod, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judi-
 
ciaire, Bd. II, Bern 1990, N 1.4.1, 1.4.1.1 und 1.4.1.3 f. zu
 
Art. 55 OG; Messmer/Imboden, Die eidgenössischen Rechtsmittel
 
in Zivilsachen, Rz 113 S. 152).
 
2.- Das Kantonsgericht leitet aus der Entstehungsge-
 
schichte der (kurzen) Bekanntschaft und den Briefen, die der
 
Kläger der Beklagten in der zweiten Jahreshälfte 1995 ge-
 
schrieben hat, her, dieser sei die Ehe mit der Beklagten
 
schon nach bloss zwei kurzen Treffen eingegangen, weil er die
 
Beklagte vor den Nachteilen habe bewahren wollen, die ihr aus
 
dem kurz bevorstehenden Ablauf der Aufenthaltsbewilligung in
 
der Schweiz entstanden wären. Gleichzeitig habe er aber immer
 
erklärt, dass er eine Familie gründen wolle und ein Kind
 
wünsche. Der Kläger sei der Beklagten bezüglich des Heirats-
 
termines entgegengekommen in der von der Beklagten geschürten
 
Hoffnung, diese werde mit ihm dann auch zusammenleben und ein
 
Kind zeugen. Die Beklagte habe zugegeben, dass sie möglichst
 
schnell einen Schweizer heiraten wollte und an Stelle des
 
Klägers auch einen anderen genommen hätte. Nach der Heirat
 
sei die Beklagte zunächst am ursprünglichen Wohnort geblieben
 
und erst im Frühjahr 1996 zum Kläger gezogen; sie habe in
 
Y.________ ein Geschäft geführt. Ab Juli 1998 habe sie sich
 
nur wenige Tage in X.________ aufgehalten; am 16. Juli 1998
 
sei sie nach Wien gegangen, um ihre zwar kranke, aber entge-
 
gen ihren Aussagen nicht pflegebedürftige Mutter zu betreuen.
 
Danach habe sie sich nur vom 31. August bis zum 3. September,
 
vom 21. Oktober bis zum 1. November und vom 14. bis zum 16.
 
Dezember 1998 in X.________ aufgehalten. Während des folgen-
 
den Jahres habe sie nicht mehr Tage in X.________ verbracht.
 
Nach der vom Beklagten erstellten Liste sei die Klägerin
 
durchschnittlich einmal im Monat zu Hause gewesen; sie habe
 
jeweils ihr Haushaltsgeld von monatlich Fr. 2'500.-- abge-
 
holt. Ab dem Juli 1998 habe sie die Wohngemeinschaft aufge-
 
geben und ihr eigenes Leben geführt. Der Kläger habe nicht
 
mehr gewusst, was geschehe; eine Lebensgemeinschaft habe von
 
Anfang an nicht bestanden. Auch die Geschwister des Klägers
 
seien im Verlauf der Zeit zur Einsicht gelangt, dieser sei
 
von der Beklagten nur aus fremdenpolizeilichen Gründen und
 
wegen des Geldes geheiratet worden. Das Kantonsgericht ge-
 
langt zum Schluss, der Kläger habe die Beklagte aus Liebe
 
geheiratet und sei von deren Zuneigung anfänglich überzeugt
 
gewesen. Dem Kläger könne die Weiterführung der Ehe nicht
 
zugemutet werden, nachdem er habe erkennen müssen, dass er
 
von der aus dem Balkan stammenden Beklagten nicht aus Zu-
 
neigung geheiratet worden sei. Angesichts seines hohen Alters
 
sei dem Kläger das Abwarten der Vierjahresfrist nach Art. 114
 
ZGB auch aus unterhalts- und erbrechtlichen Gründen unzumut-
 
bar, zumal die Beklagte nun behaupte, aus der ehelichen Woh-
 
nung nicht ausgezogen zu sein und somit ein zweiter Rechts-
 
streit über den Beginn der Vierjahresfrist nicht vermieden
 
werden könne.
 
a) Das Bundesgericht hat in zwei Urteilen zum An-
 
wendungsbereich des gegenüber Art. 114 ZGB subsidiären Schei-
 
dungsanspruches von Art. 115 ZGB Stellung bezogen. Ob ein
 
schwerwiegender Grund im Sinne dieser Bestimmung gegeben ist
 
oder ob dem klagenden Gatten das Abwarten der Vierjahresfrist
 
nach Art. 114 ZGB zugemutet werden kann, beurteilt der Rich-
 
ter nach Recht und Billigkeit (Art. 4 ZGB; BGE 127 III 342
 
E. 3 S. 345 ff.; 126 III 404 E. 4 S. 407 ff.). Mit dem neusten Urteil (BGE 127 III 129 E. 3 S. 132 ff.)hat das Bundesgericht weiter erkannt, dass der auf Scheidung klagende Gatte allein mit der Begründung, er sei die Ehe zum Schein eingegangen, keine Unzumutbarkeit im Sinne von Art. 115 ZGB begründen kann und Art. 114 ZGB beachten muss (Geschäftsnummer 5C.1/2001).
 
Soweit die Beklagte in allgemeiner Hinsicht geltend
 
macht, Art. 115 ZGB dürfe nicht mit aArt. 142 ZGB verglichen
 
werden, und die schwerwiegenden Gründe müssten gemäss Art. 4
 
ZGB konkretisiert werden, weichen ihre Standpunkte nicht von
 
denjenigen des Bundesgerichts im zuerst zitierten Urteil
 
(BGE 127 III 129 E. 3a und 3b S. 132 ff.) und
 
der Argumentation im angefochtenen Entscheid ab. Wenn sie
 
weiter geltend macht, Art. 115 ZGB sei restriktiv anzuwenden,
 
verkennt sie, dass das Bundesgericht im zuerst genannten Ur-
 
teil (a.a.O. E. 3b) von der mit BGE 126 III 404 vorgezeich-
 
neten Begrenzung des Anwendungsbereichs von Art. 115 ZGB
 
etwas abgerückt ist (dazu Rechtsprechungsberichte von
 
B. Schnyder, ZBJV 137/2001, S. 397 und von R. Weber, AJP 2001
 
S. 469 f.).
 
b) Mit Urteil vom 7. August 2000 hat das Kantonsge-
 
richt St. Gallen erwogen, ein Unzumutbarkeitsgrund im Sinne
 
von Art. 115 ZGB könne bei missbräuchlicher Eheschliessung
 
vorliegen, wenn der klagende Partner "die wirklichen Heirats-
 
gründe" des Beklagten nicht kannte (ZBJV 137/2001 S. 81 ff.
 
E. b a.E. S. 82). Diesen Grundsatz auf eine bloss von einer
 
Partei zum Schein eingegangene Ehe übertragend wird in der
 
Literatur ausgeführt, denkbar sei die "Scheidung wegen Unzu-
 
mutbarkeit für denjenigen Ehegatten, der eine eheliche Ge-
 
meinschaft eingehen wollte und nach der Heirat feststellen
 
muss, dass der andere Ehegatte nie einen Ehewillen hatte und
 
die Ehe nur einging, um sich fremdenpolizeiliche Vorteile zu
 
verschaffen" (D. Steck, Die Scheidungsklagen [nArt. 114 - 117
 
ZGB], in: Das neue Scheidungsrecht, S. 37 Ziff. 3; ähnlich
 
auch R. Rhiner, Die Scheidungsvoraussetzungen nach revidier-
 
tem Schweizerischem Scheidungsrecht [Art. 111 - 116 ZGB],
 
Diss. Zürich 2001, S. 320 bei Fn. 1296).
 
Konkret rügt die Beklagte, die in Lehre und Recht-
 
sprechung erwähnten Beispiele für eine Scheidung wegen Un-
 
zumutbarkeit des Fortbestehens der Ehe (dazu BGE 126 III 404
 
E. 4h S. 410, drei Urteile des Obergerichts des Kantons Zü-
 
rich, publiziert in SJZ 96/2000 S. 345 ff. Nrn. 22 bis 24
 
und A. Rumo-Jungo, Rechtsprechungsbericht, recht 19/2001
 
S. 83 f.), setzten mehr voraus als die vom Kläger erlebte
 
Beeinträchtigung. Es liege auf der Hand, dass eine Mutter die
 
Scheidung nach Art. 115 ZGB verlangen könne, wenn ihr Gatte
 
die Kinder misshandelt habe; das Gleiche gelte für eine Gat-
 
tin, die Opfer von Gewalttätigkeiten ihres Gatten geworden
 
sei. Sie aber habe sich nicht unmoralisch verhalten und den
 
Kläger offensichtlich nicht hinreichend geschädigt. Das Kan-
 
tonsgericht habe dem Kläger bloss helfen wollen, möglichst
 
schnell einen Schlussstrich unter seine missratene Lebens-
 
planung zu ziehen. Das lasse sich mit Art. 115 ZGB nicht ver-
 
einbaren; insoweit sei diese Bestimmung durch den angefochte-
 
nen Entscheid verletzt worden.
 
Nach den für das Bundesgericht verbindlichen Fest-
 
stellungen des Kantonsgerichts (Art. 63 Abs. 2 OG) hat die
 
Beklagte den Kläger im Glauben gelassen, auch sie wolle
 
(wenn auch nicht sofort) eine Lebensgemeinschaft eingehen,
 
dies aber von allem Anfang an nicht gewollt und in erster
 
Linie ausländerrechtliche und sekundär finanzielle Vorteile
 
angestrebt. Da weiter feststeht, dass der Kläger eine Ehe im
 
Sinne einer echten Lebens- und Schicksalsgemeinschaft ein-
 
gehen wollte, ist er insoweit von der Beklagten getäuscht,
 
bzw. hintergangen worden, weshalb das Kantonsgericht die
 
Scheidung nicht bundesrechtswidrig ausgesprochen hat.
 
3.- Bleibt die Berufung nach dem Dargelegten erfolglos,
 
wird die unterliegende Beklagte kostenpflichtig (Art. 156
 
Abs. 1 OG); eine Parteientschädigung schuldet sie jedoch
 
nicht, weil keine Berufungsantwort eingeholt worden ist und
 
dem Kläger somit auch keine Kosten entstanden sind (Art. 159
 
Abs. 2 OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.- Die Berufung wird abgewiesen, und das Urteil des
 
Kantonsgerichts Wallis (Zivilgerichtshof I) vom 17. Januar
 
2001 wird bestätigt.
 
2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beklag-
 
ten auferlegt.
 
3.- Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsge-
 
richt des Kantons Wallis (Zivilgerichtshof I) schriftlich
 
mitgeteilt.
 
_________________
 
Lausanne, 10. Mai 2001
 
Im Namen der II. Zivilabteilung des
 
SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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