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Informationen zum Dokument  BGer U 261/1999  Materielle Begründung
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BGer U 261/1999 vom 07.06.2001
 
[AZA 7]
 
U 261/99 Ge
 
II. Kammer
 
Präsident Lustenberger, Bundesrichter Meyer und Ferrari;
 
Gerichtsschreiber Lauper
 
Urteil vom 7. Juni 2001
 
in Sachen
 
S.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt
 
Michael Ausfeld, Weinbergstrasse 18, 8001 Zürich,
 
gegen
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse
 
1, 6002 Luzern, Beschwerdegegnerin,
 
und
 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
 
A.- Der 1927 geborene S.________ war Mitinhaber der
 
Firma Gebrüder S.________ AG und damit obligatorisch bei
 
der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen
 
die Folgen von (Nichtberufs-)Unfall und Berufskrankheit
 
versichert. Am 12. März 1990 wurde er von der Gabel eines
 
Hubstaplers im Gesicht getroffen, wobei er auf der rechten
 
Mundseite sämtliche Zähne verlor und sich - laut
 
Unfallmeldung - am rechten Auge verletzte. Am 7. März 1991
 
rutschte er auf einem Balken aus und zog sich dabei eine
 
Ruptur der rechten Rotatorenmanschette zu. Die SUVA kam für
 
die Folgen dieses Unfalles auf und erbrachte die
 
gesetzlichen Leistungen unter anderem in Form von konservativen
 
und operativen (am 24. August 1992, 22. Februar
 
1993, 23. November 1993 und 30. Juni 1994) Massnahmen. Mit
 
Verfügung vom 22. Januar 1996 sprach die SUVA dem Versicherten
 
eine Invalidenrente auf der Basis einer Erwerbsunfähigkeit
 
von 50 % sowie eine Integritätsentschädigung bei
 
einem Integritätsschaden von 25 % zu. Daran hielt sie gestützt
 
auf einen Bericht des Dr. med. S.________, Spezialarzt
 
FMH für Chirurgie von der Abteilung Unfallmedizin (vom
 
28. November 1996), im Einspracheentscheid vom 20. Januar
 
1997 fest.
 
B.- Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
 
hiess die hiegegen erhobene Beschwerde in dem Sinne teilweise
 
gut, dass es - in Aufhebung des angefochtenen Einspracheentscheides
 
bezüglich der Invalidenrente - die Angelegenheit
 
an die SUVA zurückwies, damit sie, nach erfolgter
 
Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Rentenanspruch
 
aufgrund der Rotatorenmanschettenruputur neu befinde. Im
 
Übrigen wies es die Beschwerde sowohl mit Bezug auf die
 
Invalidenrente wegen des Augenleidens als auch im Integritätspunkt
 
ab (Entscheid vom 11. Juni 1999).
 
C.- Unter Hinweis auf verschiedene Berichte der Neurochirurgischen
 
Universitätsklinik Zürich sowie des Dr. med.
 
G.________, FMH für Ophthalmologie, (vom 8. August 1999),
 
lässt S.________ Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit
 
dem Antrag, die Sache sei zu umfassender Neubeurteilung an
 
die SUVA zurückzuweisen und die Anstalt zur Übernahme der
 
Abklärungskosten von Dr. G.________ zu verpflichten.
 
Die Anstalt verzichtet auf eine Stellungnahme. Das
 
Bundesamt für Sozialversicherung hat sich nicht vernehmen
 
lassen.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.- Im Beschwerdeverfahren um die Bewilligung oder
 
Verweigerung von Versicherungsleistungen ist die Überprüfungsbefugnis
 
des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
nicht auf die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich
 
Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens beschränkt,
 
sondern sie erstreckt sich auch auf die Angemessenheit der
 
angefochtenen Verfügung; das Gericht ist dabei nicht an die
 
vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts
 
gebunden und kann über die Begehren der Parteien zu
 
deren Gunsten oder Ungunsten hinausgehen (Art. 132 OG).
 
Die dem Eidgenössischen Versicherungsgericht in Streitigkeiten
 
um Versicherungsleistungen zustehende umfassende
 
Kognition hat unter anderem die Konsequenz, dass auch neue,
 
erstmals im letztinstanzlichen Verfahren vorgebrachte Tatsachenbehauptungen
 
und Beweismittel (sog. Noven) zu berücksichtigen
 
sind (BGE 103 Ib 196 Erw. 4a; RKUV 1988 Nr. K 769
 
S. 244 Erw. 5a). Im vorliegenden Fall betrifft dies die mit
 
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde aufgelegten Berichte der
 
Neurochirurgischen Universitätsklinik Zürich sowie des Dr.
 
G.________ vom 8. August 1999.
 
2.- Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen
 
und Grundsätze zutreffend dargelegt. Es betrifft
 
dies den für die Leistungspflicht des Unfallversicherers
 
(Art. 6 UVG) vorausgesetzten natürlichen (BGE 119 V 337
 
Erw. 1, 118 V 289 Erw. 1b, 117 V 376 Erw. 3a mit Hinweisen)
 
und adäquaten Kausalzusammenhang (BGE 123 III 112 Erw. 3a,
 
123 V 103 Erw. 3d, 139 Erw. 3c, 122 V 416 Erw. 2a, je mit
 
Hinweisen) zwischen dem Unfallereignis und dem eingetretenen
 
Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod), den Anspruch auf
 
eine Invalidenrente des Unfallversicherers (Art. 18 Abs. 1
 
UVG), den Begriff der Invalidität und die Bemessung des
 
Invaliditätsgrades (Art. 18 Abs. 2 UVG) sowie die Bedeutung
 
der ärztlichen Auskünfte im Rahmen der Invaliditätsschätzung
 
(BGE 115 V 134 Erw. 2, 114 V 314 Erw. 3c, 105 V 158
 
Erw. 1 in fine; vgl. auch BGE 107 V 174 Erw. 3, ZAK 1991
 
S. 319 Erw. 1c, 1989 S. 118 Erw. 5a, 1986 S. 189 Erw. 2a).
 
Richtig sind auch die Erwägungen zu den Begriffen des
 
Rückfalls und der Spätfolgen (Art. 11 UVV; BGE 118 V 296
 
Erw. 2c; RKUV 1994 Nr. U 198 S. 138 f.) sowie zu dem im
 
Sozialversicherungsrecht grundsätzlich massgeblichen Beweisgrad
 
der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 121 V 47
 
Erw. 2a und 208 Erw. 6b, je mit Hinweisen). Darauf kann
 
verwiesen werden.
 
3.- Streitig und zu prüfen ist, ob das Augenleiden des
 
Beschwerdeführers auf das Unfallereignis von 1990 zurückzuführen
 
ist.
 
a) Dr. med. S.________ hielt in seinem Bericht vom 28.
 
November 1996 fest, dass die Ophtalmologin anlässlich des
 
Untersuchs vom 27. März 1990 keine direkte, auf den Unfall
 
vom 12. März 1990 zurückzuführende Augenverletzung vorgefunden
 
habe. Es habe lediglich der Verdacht auf eine
 
leichte Prellung bestanden. Am 4. März 1992 werde ein etwas
 
geschwollener Tränensack beschrieben, die Tränenwege seien
 
aber weiterhin durchgängig gewesen. Während am Anfang das
 
vermehrte Tränen noch unfallbedingt gewesen sei, seien - so
 
der Chirurge - die Beschwerden nunmehr wahrscheinlicher ein
 
reaktives Phänomen auf Grund der leichten Protrusio bulbi
 
bei rein krankhaftem Keilbeinflügel-Meningeom. Das sei eine
 
lehrbuchmässig klassische Lokalisation für solche gutartigen
 
Tumore unbekannter Genese, ausgehend von der harten
 
Hirnhaut. Eine traumatische Verursachung sei in der Literatur
 
nicht bekannt, ein Zusammenhang mit der Gesichtsprellung
 
also unwahrscheinlich.
 
Im letztinstanzlich aufgelegten Bericht (vom 8. August
 
1999) äussert sich Dr. G.________ zur Frage, ob das Tränen
 
der Augen auf den Unfall vom März 1990 oder auf ein vorbestehendes,
 
erst 1993 bemerktes Keilbeinflügel-Meningeom zurückgeführt
 
werden könne, dahingehend, dass der zeitliche
 
Zusammenhang mit dem Unfall klar scheine. Vierzehn Tage
 
nach dem Unfallereignis habe der Versicherte Tränen rechts
 
gehabt, weshalb er eine Augenärztin aufgesucht habe. In der
 
Folge habe sich dieser Befund nicht gebessert, und zwei
 
Jahre nach dem Unfall habe die Augenärztin eine derbe
 
Struktur unterhalb des Auges palpiert. Ein Keilbeinflügel-Meningeom
 
mache praktisch nie Tränen, besonders dann nicht,
 
wenn der Exophthalmus offenbar so gering sei, dass nicht
 
einmal eine Messung stattgefunden habe. Im Folgenden
 
schlägt der Augenarzt verschiedene Untersuchungen vor, mit
 
denen die Kausalität abgeklärt werden könne.
 
b) Aufgrund dieser divergierenden ärztlichen Stellungnahmen
 
lässt sich nicht hinreichend schlüssig beurteilen,
 
ob das Augenleiden des Beschwerdeführers auf den Unfall vom
 
12. März 1990 zurückzuführen oder krankheitsbedingt ist.
 
Auch mutet es seltsam an, im Zusammenhang mit dem Ereignis,
 
bei welchem sich der Versicherte die ganze rechte Zahnreihe
 
ausgeschlagen hatte, von einer "bagatellären Gesichtsprellung"
 
zu sprechen, wie dies der Anstaltschirurg getan hat.
 
Die Folgerung der SUVA, das Tränen sei "wahrscheinlicher"
 
ein reaktives Phänomen als Folge der Protrusio, ist für
 
sich allein nicht zwingend und vermag die erforderliche,
 
begründete Stellungnahme eines Facharztes zum natürlichen
 
Kausalzusammenhang hier nicht zu ersetzen. Dies hat die
 
Verwaltung nachzuholen; anschliessend wird sie ebenfalls
 
über den aus dem Augenleiden fliessenden Anspruch des
 
Beschwerdeführers auf eine Invalidenrente wie auch auf eine
 
Integritätsentschädigung - über welchen beschwerdeweise
 
angefochtenen Punkt das kantonale Gericht nicht entschieden
 
hatte - neu zu befinden haben. Desgleichen wird die Anstalt
 
über die Abklärungskosten von Dr. G.________ zu entscheiden
 
haben. Bei diesem Verfahrensausgang kann offen gelassen
 
werden, ob die SUVA im Einspracheverfahren das rechtliche
 
Gehör verletzt hat, welche Auffassung des Beschwerdeführers
 
das kantonale Gericht nicht teilt.
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
I. In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden
 
der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des
 
Kantons Zürich vom 11. Juni 1999, soweit angefochten,
 
sowie der Einspracheentscheid vom 20. Januar 1997 aufgehoben
 
und die Sache wird an die Schweizerische
 
Unfallversicherungsanstalt zurückgewiesen, damit sie
 
im Sinne der Erwägungen verfahre und anschliessend
 
über den Anspruch auf eine Invalidenrente sowie eine
 
Integritätsentschädigung neu entscheide.
 
II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
III. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt hat dem
 
Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen
 
Versicherungsgericht eine Parteientschädigung
 
von Fr. 2000.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu
 
bezahlen.
 
IV. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wird
 
über eine Parteientschädigung für das kantonale Verfahren
 
entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen
 
Prozesses zu befinden haben.
 
V. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht
 
des Kantons Zürich und dem Bundesamt für
 
Sozialversicherung zugestellt.
 
Luzern, 7. Juni 2001
 
Im Namen des
 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der II. Kammer:
 
Der Gerichtsschreiber:
 
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