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Informationen zum Dokument  BGer 5P.140/2001  Materielle Begründung
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BGer 5P.140/2001 vom 10.07.2001
 
[AZA 0/2]
 
5P.140/2001/bie
 
II. Z I V I L A B T E I L U N G ********************************
 
10. Juli 2001
 
Es wirken mit: Bundesrichter Reeb, Präsident der II. Zivilabteilung,
 
Bundesrichter Merkli, Ersatzrichter Zünd sowie
 
Gerichtsschreiberin Giovannone.
 
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In Sachen
 
L.C.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Pablo Blöchlinger, Lutherstrasse 4, Postfach, 8021 Zürich,
 
gegen
 
S.C.________, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Markus Werner, Glattalstrasse 156, Postfach, 8153 Rümlang, Obergericht des Kantons Zürich (III. Zivilkammer),
 
betreffend
 
Art. 10 Abs. 2 BV etc.
 
(vorsorgliche Massnahme im Eheschutzverfahren), hat sich ergeben:
 
A.- Die Eheleute C.________ verständigten sich im Rahmen eines am 11. Februar 1999 von der Ehefrau eingeleiteten Scheidungsverfahren darauf, dass das gemeinsame Kind S.________, geboren 1996, für die Dauer des Scheidungsprozesses im Kinderheim X.________ in Zürich zu belassen sei, wo auch zwei Kinder der Ehefrau aus früherer Ehe untergebracht sind. Am 7. Juli 2000 zog die Ehefrau die Scheidungsklage zurück, weil sich der Mann der Scheidung widersetzte und die vierjährige Trennungszeit nach neuem Scheidungsrecht noch nicht abgelaufen war.
 
Am 19. November 2000 teilte der Ehemann dem Kinderheim mit, dass er S.________ nicht mehr zurückbringen werde, und am 20. November 2000 leitete er ein Eheschutzverfahren ein.
 
B.- Im Rahmen des Eheschutzverfahrens verfügte die Einzelrichterin in Ehesachen des Bezirksgerichts Zürich am 9. Februar 2001, dass das Kind S.________ einstweilen unter die Obhut der Ehefrau gestellt werde und der Ehemann das Kind unverzüglich in das Kinderheim X.________ zurückzubringen habe.
 
Mit Beschluss vom 12. April 2001 wies das Obergericht des Kantons Zürich eine von L.C.________ eingereichte Nichtigkeitsbeschwerde ab, soweit es darauf eintrat, ebenso wie sein Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsvertreters.
 
C.- Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 27. April 2001 beantragt L.C.________ dem Bundesgericht, den Beschluss des Obergerichts aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, eventuell ihm für die Dauer des Eheschutzverfahrens die Obhut zu übertragen. Der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu erteilen. Für das bundesgerichtliche Verfahren beantragt er die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
 
Auf die Einholung von Vernehmlassungen zur Hauptsache wurde verzichtet.
 
D.- Mit Verfügung vom 11. Mai 2001 hat der Präsident der II. Zivilabteilung der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.- a) Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich um einen kantonal letztinstanzlichen Zwischenentscheid, der mit staatsrechtlicher Beschwerde nur angefochten werden kann, wenn er einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 87 Abs. 2 OG). Das trifft vorliegend zu, wird dem Beschwerdeführer doch bis zum Entscheid im Eheschutzverfahren die Obhut über das Kind entzogen und ist er unter Strafandrohung verpflichtet, dieses in das Kinderheim zurückzubringen.
 
b) Von hier nicht zutreffenden Ausnahmen abgesehen, ist die staatsrechtliche Beschwerde rein kassatorischer Natur (BGE 121 I 326 E. 1b; 125 I 104 E. 1b; letztmals 126 II 377 E. 8c). Zulässig ist somit grundsätzlich einzig das Rechtsbegehren, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben.
 
Gegebenenfalls hat das Obergericht ohne besondere Anweisung der erkennenden Abteilung unter Berücksichtigung der Ergebnisse des vorliegenden Verfahrens neu zu entscheiden (dazu BGE 122 I 250 E. 2; 112 Ia 353 E. 3c/bb S. 354). Der Rückweisungsantrag ist überflüssig. Auf den Eventualantrag, die Obhut dem Beschwerdeführer zuzuteilen, kann nicht eingetreten werden.
 
2.- a) Der Beschwerdeführer ist der Meinung, die Einzelrichterin des Bezirksgerichts habe als Kindesschutzmassnahme einen Obhutsentzug angeordnet (Art. 310 ZGB), verbunden mit einer Anstaltseinweisung, für welche die Voraussetzungen des fürsorgerischen Freiheitsentzugs erfüllt sein müssten (Art. 314a ZGB). Er qualifiziert die getroffene Massnahme daher als Freiheitsentzug und beruft sich auf das Grundrecht der persönlichen Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV) und die konventionsrechtliche Bestimmung von Art. 5 EMRK.
 
Indessen hat die Einzelrichterin keine Kindesschutzmassnahme getroffen. Sie hat vielmehr im Rahmen eines Eheschutzverfahrens eine vorsorgliche Massnahme angeordnet und dabei die Obhut über das Kind einstweilen der Beschwerdegegnerin übertragen. Obhut bedeutet das Recht, über den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen (BGE 120 Ia 260 E. 2a S. 263).
 
Da die Beschwerdegegnerin, der die Obhut zuerkannt wurde, das Kind im Kinderheim X.________ unterbringen will, ist der Beschwerdeführer angewiesen worden, das Kind dorthin zu bringen. Hierin liegt kein Freiheitsentzug, da der obhutsberechtigten Beschwerdegegnerin nicht verwehrt ist, das Kind jederzeit wieder aus dem Kinderheim zu holen und es zu sich zu nehmen oder anderweitig zu platzieren. Die Rügen des Beschwerdeführers gehen damit an der Sache vorbei.
 
b) Der Beschwerdeführer erachtet es als Verstoss gegen den Anspruch auf Achtung des Familienlebens gemäss Art. 8 EMRK und Art. 14 BV (recte Art. 13 Abs. 1 BV), das Kind gestützt auf den Willen des einen Ehegatten in ein Heim einzuweisen, ohne dass nachgewiesen wäre, dass der Verbleib beim anderen Ehegatten das Kindeswohl gefährden würde. Indessen ist auch hiezu darauf zu verweisen, dass nicht eine Anstaltseinweisung vorliegt, sondern die Obhut der Beschwerdegegnerin zugeteilt worden ist, welche ihrerseits das Kind im Heim unterbringen wollte.
 
c) Der Beschwerdeführer rügt, dass Art. 12 des Übereinkommens über die Rechte der Kinder vom 20. November 1989, für die Schweiz in Kraft getreten am 26. März 1997 (SR 0.107, in der Folge "UNO-Kinderrechtekonvention"), sowie Art. 29 Abs. 2 BV verletzt seien, weil die Beiständin des Kindes nicht angehört worden sei. Gemäss dem direkt anwendbaren Art. 12 der UNO-Kinderrechtekonvention (BGE 124 III 90 E. 3a) ist dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, in allen Gerichts- oder Verwaltungsverfahren, die es berühren, Gelegenheit zu geben, entweder unmittelbar oder durch einen Vertreter oder eine geeignete Stelle gehört zu werden. Soweit sich aus Art. 12 Abs. 2 UNO-Kinderrechtekonvention überhaupt ein Recht des Kleinkindes auf Anhörung seines Vertreters im Verfahren auf Anordnung von vorsorglichen Massnahmen im Eheschutzverfahren ergibt, legt der Beschwerdeführer weder dar, inwiefern er befugt ist, eine Verletzung des Rechts des Kindes geltend zu machen beziehungsweise inwiefern er dadurch in seinen eigenen Rechten verletzt ist, noch inwiefern dem Recht des Kindes mit der Einholung des Berichts des Jugendsekretariats D.________ (Erledigungsbeschluss der III. Zivilkammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom 12. April 2001 S. 6 oben) nicht Genüge getan worden ist, noch inwiefern der Beiständin des Kindes hier die erforderlichen Vertretungsbefugnisse zustehen (zu den Vertretungsbefugnissen im Rahmen der verschiedenen Beistandschaften vgl. auch Schweighauser, Die Vertretung der Kindesinteressen im Scheidungsverfahren - Anwalt des Kindes, Diss. Basel 1998, S. 106 ff., in: Basler Studien zur Rechtswissenschaft, Band 42). Auf die Rüge ist demnach nicht einzutreten.
 
d) Nach Meinung des Beschwerdeführers ist sodann Art. 18 Abs. 1 der UNO-Kinderrechtekonvention verletzt, weil nach dieser Bestimmung für die Erziehung und Entwicklung in erster Linie die Eltern oder gegebenenfalls der Vormund verantwortlich sind. Daraus leitet der Beschwerdeführer ab, dass ihm die Obhut hätte übertragen werden müssen, weil er im Unterschied zur Beschwerdegegnerin bereit sei, selber die Erziehung des Kindes zu übernehmen. Es ist indessen Gegenstand der weiteren Abklärungen im Eheschutzverfahren, ob und wie weit der Beschwerdeführer selber für das Kind sorgen kann.
 
3.- Der Beschwerdeführer beanstandet schliesslich, dass das Obergericht des Kantons Zürich gegen Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 6 Abs. 1 EMRK verstossen habe, indem es sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ohne zureichende Begründung abgewiesen habe. Der Beschwerdeführer legt nicht dar, inwiefern der durch Art. 6 Abs. 1 EMRK gewährte Schutz über denjenigen gemäss Bundesverfassung hinausgeht. Die Prüfung ist demnach auf die Frage der Verletzung von Art. 29 Abs. 2 BV zu beschränken (BGE 109 Ia 217 E. 5a; 113 Ia 225 E. 2). An die Begründung eines Entscheids dürfen von Verfassungs wegen keine hohen Anforderungen gestellt werden. Es genügt, wenn sich der Betroffene über die Tragweite des Entscheids Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache weiterziehen kann (BGE 114 Ia 234 E. 2d mit weiteren Hinweisen; 126 I 97 E. 2b S. 102). Die Vorinstanz begründet ihren abweisenden Entscheid mit der Aussichtslosigkeit der Beschwerde. Mit der Nichtigkeitsbeschwerde vor Obergericht konnte der Beschwerdeführer nur Nichtigkeitsgründe vorbringen. Mit Blick hierauf konnte das Obergericht annehmen, dass die Beschwerde keine Aussicht auf Erfolg hatte und deshalb ein Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege nicht bestand (zur Frage, wann Rechtsbegehren als aussichtslos zu bezeichnen sind, vgl. BGE 124 I 304 E. 2c). Auch in diesem Punkt ist die Beschwerde unbegründet.
 
4.- Die staatsrechtliche Beschwerde erweist sich damit als unbegründet. Sie ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
 
5.-Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren ist mangels Erfolgschancen der gestellten Begehren abzuweisen (Art. 152 Abs. 1 OG). Hingegen kann unter den vorliegenden Umständen auf die Erhebung einer Gerichtsgebühr verzichtet werden. Der obsiegenden Beschwerdegegnerin ist eine Parteientschädigung zu Lasten des Beschwerdeführers zuzusprechen, wobei zu beachten ist, dass mangels Einholung einer Stellungnahme zur Hauptsache lediglich eine kurze Stellungnahme zum Gesuch um aufschiebende Wirkung zu erstatten war. Das von der Beschwerdegegnerin ihrerseits gestellte Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung wird mit der Zusprechung der Parteientschädigung nicht gegenstandslos, da die Parteientschädigung der Partei, bei welcher die Voraussetzungen der unentgeltlichen Rechtspflege erfüllt sind, im Falle der Uneinbringlichkeit aufgrund von Art. 29 Abs. 3 BV vom Staat übernommen werden muss (vgl. BGE 122 I 322 E. 3a) und die Einbringlichkeit hier nicht feststeht. In Gutheissung des Gesuchs ist deshalb dem Anwalt der Beschwerdegegnerin für den Fall der Uneinbringlichkeit eine um einen Viertel reduzierte Entschädigung (Art. 9 des Tarifs über die Entschädigungen an die Gegenpartei für das Verfahren vor dem Bundesgericht; SR 173. 119.1) aus der Bundesgerichtskasse zuzusprechen.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.- Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen, das Gesuch der Beschwerdegegnerin dagegen gutgeheissen; es wird ihr in der Person von Rechtsanwalt Markus Werner, Rümlang, ein unentgeltlicher Rechtsbeistand beigegeben.
 
3.- Es werden keine Kosten erhoben.
 
4.- Der Beschwerdeführer hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 400.-- zu entschädigen.
 
Auf Nachweis der Uneinbringlichkeit der zugesprochenen Parteientschädigung wird Rechtsanwalt Markus Werner aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 300.-- zuzüglich allfällige im Verlustschein ausgewiesene Betreibungskosten ausgerichtet.
 
5.- Dieses Urteil wird den Parteien sowie dem Obergericht (III. Zivilkammer) des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.
 
_____________
 
Lausanne, 10. Juli 2001
 
Im Namen der II. Zivilabteilung
 
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
 
Der Präsident:
 
Die Gerichtsschreiberin:
 
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