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Informationen zum Dokument  BGer U 411/1999  Materielle Begründung
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BGer U 411/1999 vom 16.07.2001
 
[AZA 7]
 
U 411/99 Ge
 
III. Kammer
 
Bundesrichter Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter
 
Ursprung; Gerichtsschreiberin Bucher
 
Urteil vom 16. Juli 2001
 
in Sachen
 
SWICA Gesundheitsorganisation, Römerstrasse 38, 8401
 
Winterthur, Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse
 
1, 6004 Luzern, Beschwerdegegnerin,
 
und
 
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen
 
betreffend: G.________
 
In Bestätigung einer Verfügung vom 25. Februar 1997
 
verneinte die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt
 
(SUVA) mit Einspracheentscheid vom 2. Mai 1997 ihre Leistungspflicht
 
für die vom 1965 geborenen G.________ gemeldeten
 
Beschwerden an der Halswirbelsäule.
 
Mit Entscheid vom 18. August 1999 wies das Versicherungsgericht
 
des Kantons St. Gallen die von der SWICA
 
Gesundheitsorganisation (SWICA) als Krankenversicherer
 
hiegegen erhobene Beschwerde ab, wobei es ihr eine Gerichtsgebühr
 
von Fr. 2500.- auferlegte.
 
Die SWICA führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem
 
Rechtsbegehren, der kantonale Gerichtsentscheid sei in
 
Bezug auf die Gerichtsgebühr aufzuheben.
 
Die SUVA verzichtet auf eine Stellungnahme. Der als
 
Mitinteressierter beigeladene G.________ und das Bundesamt
 
für Sozialversicherung haben sich nicht vernehmen lassen.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.- Streitig und zu prüfen ist einzig, ob das kantonale
 
Gericht die Beschwerdeführerin, die sich - wie die Vorinstanz
 
zu Recht festgestellt hat - weder leichtsinnig noch
 
mutwillig verhalten hatte, zur Bezahlung einer Gerichtsgebühr
 
verpflichten durfte, weil es sich um einen Streit zwischen
 
zwei Versicherern handle.
 
2.- a) Nach Art. 108 Abs. 1 lit. a UVG muss das Verfahren
 
vor dem kantonalen Versicherungsgericht "für die
 
Parteien kostenlos sein; einer Partei, die sich leichtsinnig
 
oder mutwillig verhält, können jedoch eine Spruchgebühr
 
und die Verfahrenskosten auferlegt werden".
 
b) Der Wortlaut des Art. 108 Abs. 1 lit. a UVG spricht
 
dafür, dass in einem kantonalen Gerichtsverfahren zwischen
 
zwei Versicherern dem unterliegenden Versicherer ausser im
 
Falle leichtsinnigen oder mutwilligen Verhaltens keine Verfahrenskosten
 
auferlegt werden dürfen; denn abgesehen von
 
der Ausnahme des leichtsinnigen oder mutwilligen Verhaltens
 
schreibt diese Bestimmung vorbehaltlos ein für "die Parteien"
 
kostenloses Verfahren vor.
 
c) Wie das Eidgenössische Versicherungsgericht in einem
 
noch nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichten
 
Urteil W. vom 4. Mai 2001, U 60/00, Erw. 2, ausführlich
 
begründete, wird diese grammatikalische Auslegung durch die
 
historische Auslegung bestätigt: Sowohl in der Botschaft
 
des Bundesrates zum Bundesgesetz über die Unfallversicherung
 
vom 18. August 1976 (BBl 1976 III 179) als auch in der
 
parlamentarischen Debatte zu Art. 85 Abs. 2 AHVG (Amtl.
 
Bull. 1946 N 687 und 1946 S 439), an welchen das Unfallversicherungsrecht
 
angeglichen werden sollte (BBl 1976 III
 
179), wurde als Ausnahme von der Kostenlosigkeit des kantonalen
 
Gerichtsverfahrens ausschliesslich das leichtsinnige
 
oder mutwillige Verhalten einer Partei erwähnt. Auch
 
wenn die Kostenfreiheit mit dem sozialen Motiv des Rechtsschutzbedürfnisses
 
der Versicherten begründet wurde (vgl.
 
[zum AHVG] BBl 1946 II 517 und Amtl. Bull. 1946 N 687),
 
ergibt sich aus den Materialien insbesondere nicht, dass
 
der Gesetzgeber die Versicherer nicht von Kosten befreien
 
wollte. Es bestehen demnach keine triftigen Gründe dafür,
 
dass der Wortlaut des Art. 108 Abs. 1 lit. a UVG nicht den
 
wahren Sinn der Bestimmung wiedergeben könnte, sodass kein
 
Anlass besteht, vom Gesetzeswortlaut abzuweichen (vgl. BGE
 
126 II 80 Erw. 6d, 126 III 104 Erw. 2c, 126 V 58 Erw. 3,
 
105 Erw. 3, je mit Hinweisen). Eine Auslegung von Art. 108
 
Abs. 1 lit. a UVG im Sinne der Vorinstanz verbietet sich
 
schliesslich umso mehr, als aus den Materialien zum hinsichtlich
 
der Kostenlosigkeit inhaltlich mit Art. 108
 
Abs. 1 lit. a UVG übereinstimmenden Art. 61 lit. a des noch
 
nicht in Kraft getretenen Bundesgesetzes über den Allgemeinen
 
Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober
 
2000 (BBl 2000 5041 ff.) hervorgeht, dass der Gesetzgeber
 
im kantonalen Beschwerdeverfahren weiterhin auch die
 
Versicherer bzw. Durchführungsstellen ausser bei Leichtsinnigkeit
 
oder Mutwilligkeit in den Genuss der Kostenfreiheit
 
kommen lassen wollte. Denn auch in der parlamentarischen
 
Debatte zum ATSG wurden lediglich diese Ausnahmen angeführt
 
(Amtl. Bull. 1999 N 1248 f., 2000 S 184 f.; abgesehen von
 
einem wieder zurückgezogenen Antrag im Nationalrat, mit dem
 
die Abschaffung der Kostenlosigkeit des kantonalen Beschwerdeverfahrens
 
vorgeschlagen wurde [Amtl. Bull. 1999
 
N 1247 f. und 1249]), und in der ständerätlichen Kommission
 
wurde unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme des Bundesamts
 
für Sozialversicherung sogar ausdrücklich auf die
 
Bedeutung des kostenlosen Verfahrens auch für die Versicherer
 
hingewiesen (S. 21 des Protokolls über die Sitzung
 
vom 6. September 1999).
 
d) Demnach ist es, wie das Eidgenössische Versicherungsgericht
 
im erwähnten Urteil U 60/00, Erw. 2d/dd, festgestellt
 
hat, nach Art. 108 Abs. 1 lit. a UVG unzulässig,
 
in einem kantonalen Beschwerdeverfahren, in dem sich wie
 
vorliegend zwei Versicherer gegenüberstehen, dem unterliegenden
 
Versicherer Verfahrenskosten bzw. eine Spruchgebühr
 
aufzuerlegen, wenn sich dieser nicht leichtsinnig oder mutwillig
 
verhalten hat. Folglich ist, da der im kantonalen
 
Prozess unterlegenen Beschwerdeführerin kein solches Verhalten
 
vorzuwerfen ist, der vorinstanzliche Kostenentscheid
 
aufzuheben.
 
3.- Das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht
 
ist schon deshalb kostenpflichtig, weil es
 
nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen,
 
sondern um die rein prozessuale Frage der
 
Auferlegung von Verfahrenskosten geht (Art. 134 OG e contrario).
 
In Anwendung von Art. 156 Abs. 1 OG (in Verbindung
 
mit Art. 135 OG) sind die Kosten der unterliegenden Beschwerdegegnerin
 
aufzuerlegen (vgl. BGE 123 V 156; AHI 1998
 
S. 191 Erw. 4).
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
I. In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird
 
Dispositiv-Ziffer 2 des Entscheids des Versicherungsgerichts
 
des Kantons St. Gallen vom 18. August 1999
 
aufgehoben.
 
II. Die Gerichtskosten von Fr. 600.- werden der Beschwerdegegnerin
 
auferlegt.
 
III. Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 2000.- wird der
 
Beschwerdeführerin zurückerstattet.
 
IV. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht
 
des Kantons St. Gallen, dem Bundesamt für
 
Sozialversicherung und G.________ zugestellt.
 
Luzern, 16. Juli 2001
 
Im Namen des
 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der III. Kammer:
 
Die Gerichtsschreiberin:
 
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