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Informationen zum Dokument  BGer U 429/1999  Materielle Begründung
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BGer U 429/1999 vom 26.07.2001
 
[AZA 7]
 
U 429/99 Gb
 
IV. Kammer
 
Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Leuzinger und Bundesrichter
 
Kernen; Gerichtsschreiber Signorell
 
Urteil vom 26. Juli 2001
 
in Sachen
 
W.________, Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse
 
1, 6004 Luzern, Beschwerdegegnerin,
 
und
 
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern
 
Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA)
 
lehnte ein Leistungsbegehren des 1940 geborenen W.________
 
mit Verfügung vom 28. November 1997 ab, woran sie im Einspracheentscheid
 
vom 24. Februar 1998 festhielt.
 
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies eine
 
dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 27. Oktober
 
1999 ab.
 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt
 
W.________, seine gesundheitlichen Beschwerden seien im
 
Wesentlichen als Berufskrankheit anzuerkennen und die SUVA
 
zur Leistung einer Rente zu verpflichten.
 
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
 
Während das kantonale Gericht auf eine
 
Stellungnahme verzichtet hat, lässt sich das Bundesamt für
 
Sozialversicherung (BSV) nicht vernehmen.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.- Aus dem Gutachten der Neurologischen Klinik und
 
Poliklinik des Spitals X.________ vom 17. Oktober 1997 ergibt
 
sich, dass der Beschwerdeführer unter einem lumbovertebralen
 
Schmerzsyndrom ohne radikuläre Ausfälle und funktioneller,
 
stark beinbetonter Hemiparese links, einem massiven
 
chronischen Analgetikaabusus, Spannungskopfschmerzen
 
und einer depressiven Verstimmung leidet. Streitig und zu
 
prüfen ist, ob es sich bei diesen Leiden um eine Berufskrankheit
 
oder die Folgen eines Unfalles (Zeckenbiss) handelt.
 
a) Gemäss Art. 9 Abs. 1 UVG gelten Krankheiten, die
 
bei der beruflichen Tätigkeit ausschliesslich oder vorwiegend
 
durch schädigende Stoffe oder bestimmte Arbeiten verursacht
 
worden sind, als Berufskrankheiten. Der Bundesrat
 
hat in Anhang I zur UVV eine Liste der schädigenden Stoffe
 
und der arbeitsbedingten Erkrankungen erstellt. Ziff. 1
 
dieses Anhanges führt abschliessend die schädigenden Stoffe
 
(Listenstoffe) auf, die als Ursache für Berufskrankheiten
 
in Betracht kommen. Ziff. 2 des Anhanges enthält einerseits
 
eine abschliessende Aufzählung von Krankheiten (Listenkrankheiten)
 
und andererseits der Arbeiten, die als Ursache
 
für die jeweils aufgeführten Krankheiten zugelassen sind
 
(RKUV 1988 S. 449 Erw. 1a mit Hinweisen).
 
Weil die diagnostizierten Erkrankungen nicht zu den in
 
Ziff. 2 des Anhanges 1 zur UVV aufgeführten Listenkrankheiten
 
gehören, liegt im vorliegenden Fall eine Berufskrankheit
 
vor, wenn deren ausschliessliche oder vorwiegende Verursachung
 
durch einen Listenstoff rechtsgenüglich nachgewiesen
 
ist.
 
b) Nach der Rechtsprechung muss die Einwirkung eines
 
Listenstoffes insofern qualifiziert sein, als sie eine Ursache
 
darzustellen hat, die alle übrigen Ursachen an Intensität
 
übertrifft. Dies trifft dann zu, wenn die Bedeutung
 
des Listenstoffes im Ursachenspektrum einer bestimmten
 
Krankheit vorherrscht, indem sie mehr als alle anderen Mitursachen
 
die Krankheit herbeigeführt hat. Umgekehrt muss
 
diese besondere ursächliche Wirkung des Listenstoffes verneint
 
werden, wenn dieser im Vergleich zu anderen Mitursachen
 
nur zur Hälfte oder zu einem noch geringeren Teil die
 
Krankheit bewirkt. Beweismässig muss mit hinreichender
 
Wahrscheinlichkeit dargetan sein, dass die Krankheit überwiegend
 
durch den Listenstoff verursacht worden ist. Wenn
 
der Zusammenhang von Gesundheitsschädigung und vorwiegender
 
Einwirkung eines solchen Stoffes bloss möglich ist, so ist
 
er eben nicht erwiesen, und es erwächst dem Unfallversicherer
 
keine Leistungspflicht (RKUV 1988 S. 450 Erw. 1b mit
 
Hinweisen).
 
2.- a) Der Beschwerdeführer arbeitet seit 1970 als
 
angelernter Laborant in einem Strassenbaulabor. Bei seiner
 
Tätigkeit war er Dämpfen von Chemikalien ausgesetzt. Für
 
Standardtests wurden im Labor als Lösungsmittel bis etwa
 
Juni 1993 1,1,1-Trichlorethan (Handelsname: Genklene), von
 
Juli 1993 bis April 1994 Tavoxen und Trichlorethen, vom Mai
 
1994 bis April 1995 wiederum Genklene und seit Mai 1995
 
Toluol verwendet (Inspektionsbericht der SUVA vom 31. Oktober
 
1996). Diese Chemikalien sind in der Liste der schädigenden
 
Stoffe namentlich aufgeführt oder fallen unter die
 
Gruppe der halogenierten organischen Verbindungen (1,1,1-Trichlorethan
 
und Trichlorethen). Sie sind daher grundsätzlich
 
geeignet, eine Berufskrankheit zu verursachen. Zu prüfen
 
ist deshalb, ob zwischen den Expositionen und den diagnostizierten
 
Leiden ein qualifizierter Kausalzusammenhang
 
besteht.
 
b) Mit der Abklärung der Kausalitätsfrage beauftragte
 
die SUVA am 22. April 1997 die Neurologische Klinik des
 
Spitals X.________. Im Gutachten vom 17. Oktober 1997 wird
 
zusammenfassend festgehalten, dass kein Zusammenhang zwischen
 
den Beschwerden und einer allfälligen Lösungsmittelintoxikation
 
erkennbar sei. Dies treffe für alle verwendeten
 
Lösungsmittel zu. Über Symptome, die bei einer kurz-
 
oder langfristigen Intoxikation auftreten können (vgl. dazu
 
auch: International Chemical Safety Card [ICSC; herausgegeben
 
von der WHO, der ILO und dem Umweltprogramm der Vereinten
 
Nationen] Nr. 0079 [1,1,1-Trichlorethan], Nr. 0081
 
[Trichlorethen] und Nr. 0078 [Toluol]), habe sich der Versicherte
 
nie beklagt. Bei der aktuellen Untersuchung seien
 
weder Anzeichen für eine Polyneuropathie noch für psychoorganische
 
Veränderungen zu finden. Ebenfalls nicht zu eruieren
 
seien Störungen der Konzentration und des Gedächtnisses.
 
Es sei überdies festzuhalten, dass klinisch keine Hinweise
 
auf eine toxische Enzephalopathie bestehe, die sich
 
in kognitiven Defiziten, Delirium, Bewegungsstörungen, Ataxie
 
und Nystagmus äussern könne. Die Arbeitsunfähigkeit sei
 
deshalb weder unfallbedingt noch einer Berufskrankheit anzulasten.
 
Auf Grund dieser schlüssigen fachärztlichen Stellungnahme
 
haben SUVA und Vorinstanz den qualifizierten Kausalzusammenhang
 
zwischen den geklagten Beschwerden und der
 
Lösungsmittelexposition zu Recht verneint. Da die zum Einsatz
 
kommenden Lösungsmittel zwar zu Erkrankungen führen
 
können, jedoch nicht zu solchen, wie sie beim Beschwerdeführer
 
diagnostiziert sind, erübrigen sich weitere Erörterungen
 
über die MAK-Werte und Belastungsdauer. Die Vorinstanz
 
hat sodann auch das Vorliegen einer Berufskrankheit
 
im Sinne von Art. 9 Abs. 2 UVG mit zutreffender Begründung
 
(S. 3 Erw. 4a und S. 6 Erw. 5b) verworfen, weshalb darauf
 
verwiesen wird.
 
c) Bezüglich des geltend gemachten Unfalls (Zeckenbiss)
 
wird einerseits auf die korrekte Darstellung der
 
medizinischen Aktenlage in der vorinstanzlichen Beschwerdeantwort
 
der SUVA vom 14. Januar 1999 (S. 7 Ziff. 6) sowie
 
andererseits auf die zutreffende Würdigung im kantonalen
 
Entscheid (S. 4 Erw. 4b und S. 6 Erw. 5b 2. Absatz) verwiesen.
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
 
II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht
 
des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche
 
Abteilung, der Visana (als Krankenversicherer) und dem
 
Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
 
Luzern, 26. Juli 2001
 
Im Namen des
 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der IV. Kammer:
 
Der Gerichtsschreiber:
 
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