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Informationen zum Dokument  BGer 4P.244/2004  Materielle Begründung
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BGer 4P.244/2004 vom 04.02.2005
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
4P.244/2004 /bie
 
Urteil vom 4. Februar 2005
 
I. Zivilabteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Corboz, Präsident,
 
Bundesrichterin Klett, Ersatzrichter Geiser,
 
Gerichtsschreiber Huguenin.
 
Parteien
 
X.________, Beschwerdeführer,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Curdin Conrad,
 
gegen
 
Y.________ AG, Beschwerdegegnerin,
 
vertreten durch Firma Z.________,
 
III. Zivilkammer des Kantonsgerichts St. Gallen, Klosterhof 1, 9001 St. Gallen.
 
Gegenstand
 
Art. 9 und 29 Abs. 2 BV
 
(Zivilprozess, Willkür, rechtliches Gehör),
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid
 
der III. Zivilkammer des Kantonsgerichts St. Gallen
 
vom 10. September 2004.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
X.________ arbeitete seit dem 1. September 1989 im Bäckereigrossbetrieb der Y.________ AG in U.________. Mit der Zeit belasteten zunehmend Schwierigkeiten das Arbeitsverhältnis. Die Arbeitgeberin wies den Arbeitnehmer mehrfach darauf hin, dass sie mit seinen Arbeitsleistungen und mit seinem Verhalten gegenüber den Mitarbeitern und Vorgesetzten nicht zufrieden sei und ermahnte ihn verschiedentlich zur Besserung. Da die Unstimmigkeiten nicht beseitigt werden konnten, kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis am 31. Juli 2002 unter Einhaltung der dreimonatigen Kündigungsfrist auf den 31. Oktober 2002. Der Arbeitnehmer wurde sofort freigestellt.
 
Mit Schreiben vom 20. Februar 2003 ersuchte der Arbeitnehmer die Arbeitgeberin, ihm vom 1. August 2002 an wegen Arbeitsunfähigkeit Krankentaggeld auszuzahlen. Er legte dem Brief ein ärztliches Zeugnis bei. Die Arbeitgeberin ging auf das Gesuch nicht ein.
 
B.
 
X.________ reichte am 1. April 2003 Klage gegen die Y.________ AG ein mit dem Begehren, diese zur Zahlung von Fr. 22'750.-- brutto zu verpflichten. Der Kläger machte geltend, wegen der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit habe sich die Kündigungsfrist um 180 Tage bis zum 30. April 2003 verlängert. Er klagte den Lohn für November 2002 bis März 2003 ein, unter Vorbehalt eines Nachklagerechts für den April-Lohn 2003. Mit Entscheid vom 21. August/7. Oktober 2003 sprach das Arbeitsgericht V.________-U.________ dem Kläger Fr. 22'750.-- brutto zuzüglich Kinderzulagen zu.
 
Auf Berufung der Beklagten hob das Kantonsgericht St. Gallen das Urteil des Arbeitsgerichts mit Entscheid vom 10. September 2004 auf und wies die Klage ab.
 
C.
 
X.________ hat den Entscheid des Kantonsgerichts mit staatsrechtlicher Beschwerde und Berufung beim Bundesgericht angefochten. Mit der vorliegenden Beschwerde beantragt er, diesen Entscheid aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an das Kantonsgericht zurückzuweisen. Er stellt zudem das Gesuch, ihm für das bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege samt Rechtsbeistand zu gewähren.
 
Die Beschwerdegegnerin stellt in ihrer Vernehmlassung den Antrag, die Beschwerde abzuweisen, soweit auf sie einzutreten sei. Das Kantonsgericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Der vorliegende Rechtsstreit dreht sich um die Frage, ob der Beschwerdeführer vom 1. August 2002 an - und gegebenenfalls wie lange - arbeitsunfähig war. Trifft es zu, dass er ab diesem Zeitpunkt während mindestens 180 Tagen arbeitsunfähig war, verlängerte sich die Kündigungsfrist bis zum 30. April 2003, womit der eingeklagte Lohnanspruch begründet ist. War der Beschwerdeführer dagegen in der Zeit vom 1. August bis zum 31. Oktober 2002 nicht arbeitsunfähig, wurde das Arbeitsverhältnis am 31. Oktober 2002 beendet und der eingeklagte Lohnanspruch ist unbegründet. Während das Arbeitsgericht die Arbeitsunfähigkeit des Beschwerdeführers für die in Frage stehende Zeit als bewiesen annahm, hielt sie das Kantonsgericht für nicht bewiesen und wies die Klage ab.
 
Mit der staatsrechtlichen Beschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, das Kantonsgericht habe die Beweise willkürlich gewürdigt und das rechtliche Gehör verletzt (Verstoss gegen Art. 9 und Art. 29 Abs. 2 BV), weil es gewisse Beweise ohne Begründung nicht abgenommen habe.
 
Die mit der Beschwerde vorgebrachten Willkürvorwürfe sind zum Teil sehr allgemein abgefasst, worauf denn auch die Beschwerdegegnerin in ihrer Vernehmlassung hinweist. Überdies decken sich die Ausführungen in der Beschwerdeschrift weitgehend mit jenen in der Berufungsschrift. Von daher kann zweifelhaft erscheinen, ob der Beschwerdeführer seiner Substanziierungspflicht nach Art. 90 Abs. 1 lit. b OG nachgekommen ist. Die den Willkürvorwurf begründenden Elemente sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts in der Beschwerdeschrift im Einzelnen aufzuzeigen (BGE 127 I 38 E. 3; 127 III 279 E. 1c; 125 I 71 E. 1c). Es genügt nicht, wenn bloss mit pauschalen Vorbringen behauptet wird, der angefochtene Entscheid sei willkürlich. Vielmehr ist aufzuzeigen, weshalb bestimmte Feststellungen willkürlich sein sollen.
 
Die Vorbringen des Beschwerdeführers genügen wenigstens teilweise diesen Anforderungen. Das gilt auch bezüglich der Ausführungen zur Verletzung des rechtlichen Gehörs. Auf die Beschwerde ist somit einzutreten. Allerdings sind jene Argumentationen unbeachtlich, die sich auf eine blosse appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid beschränken.
 
2.
 
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, weil das Kantonsgericht seinen Hausarzt, Dr. med. A.________, nicht mündlich einvernommen bzw. nicht ein weiteres Gutachten angeordnet habe und auf die entsprechenden Beweisanträge nicht eingegangen sei, obschon er sie ausdrücklich und wiederholt für den Fall gestellt habe, dass die schriftlichen Angaben des Hausarztes als nicht genügend angesehen würden.
 
2.1 Gemäss Art. 29 Abs. 2 BV haben die Parteien Anspruch auf rechtliches Gehör. Das Gericht hat deshalb zu prüfen und zu würdigen, was die Parteien vorbringen (Hotz, in: Ehrenzeller/Mastronardi/Schweizer/ Vallender (Hrsg.), St. Galler Kommentar zur Bundesverfassung, N. 34 zu Art. 29 BV). Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verlangt, dass das Gericht die Vorbringen auch tatsächlich hört, sorgfältig und ernsthaft prüft und in der Entscheidfindung berücksichtigt. Daraus folgt die grundsätzliche Pflicht des Gerichts, seinen Entscheid zu begründen. Der Rechtsuchende soll wissen, warum entgegen seinem Antrag entschieden wird. Die Begründung eines Entscheides muss deshalb so abgefasst sein, dass die betroffene Partei ihn gegebenenfalls sachgerecht anfechten kann. Erforderlich ist daher grundsätzlich, dass wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden, von denen das Gericht sich leiten liess und auf welche sich sein Entscheid stützt (BGE 129 I 232 E. 3.2 S. 236 mit Hinweisen). Obschon somit ein Anspruch besteht, in Bezug auf Beweisanträge gehört zu werden und an der Beweiserhebung entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern (BGE 127 I 54 E. 2b mit Hinweis), darf daraus nicht abgeleitet werden, dass das Gericht zu jedem Argument der Parteien Stellung nehmen muss. Vielmehr kann es sich auf die für den Ausgang des Verfahrens wesentlichen Gesichtspunkte beschränken (BGE 126 I 97 E. 2b S. 103 mit Hinweis).
 
2.2 Von einer Verweigerung des rechtlichen Gehörs kann demnach nur ausgegangen werden, wenn der Beweisantrag wesentlich war und anhand der Entscheidbegründung nicht ersichtlich ist, warum das Gericht ihm nicht entsprochen hat. Letzteres trifft hier aber zu, denn das Kantonsgericht erwähnt die Beweisanträge des Beschwerdeführers im angefochtenen Urteil nicht und äussert sich auch sonst mit keinem Wort dazu. Zu prüfen bleibt allerdings, ob aus den Umständen auf eine stillschweigende Abweisung der Anträge geschlossen werden muss.
 
2.3 Wenn ein Gericht auf einen Beweisantrag nicht eingeht, kann der Grund darin liegen, dass es die entsprechende Tatsache als nicht erheblich betrachtet oder das angebotene Beweismittel in antizipierter Beweiswürdigung als untauglich verworfen hat. Das aus Art. 29 Abs. 2 BV abgeleitete Recht auf Beweis hindert das Gericht nämlich nicht daran, die Beweise antizipiert zu würdigen, wenn es zum Schluss kommt, dass weitere Beweismassnahmen an seinem Urteil nichts zu ändern vermöchten, weil die entsprechenden Beweisanträge untauglich sind oder eine rechtlich nicht erhebliche Tatsache betreffen, oder weil das Gericht aufgrund der bereits abgenommenen Beweise seine Überzeugung gebildet hat und willkürfrei davon ausgehen darf, diese würde durch weitere Beweiserhebungen nicht erschüttert (BGE 129 I 151 E. 4.2; 124 I 208 E. 4a; 122 II 464 E. 4a mit Hinweisen).
 
2.4 Das Kantonsgericht ist aufgrund der Würdigung der gleichen Beweise, die bereits das Arbeitsgericht abgenommen und gewürdigt hatte, zum Ergebnis gelangt, dass der Beschwerdeführer seine Arbeitsunfähigkeit während der Dauer der Kündigungsfrist vom 1. August bis zum 31. Oktober 2002 nicht habe beweisen können. Das Arbeitsgericht hatte dagegen den Beweis vor allem durch das Arztzeugnis von Dr. A.________ vom 11. Dezember 2002 als geleistet betrachtet. In diesem Zusammenhang wird im angefochtenen Urteil festgehalten, Dr. A.________ habe auf wiederholte Nachfrage nicht substanziiert, inwiefern sich die von ihm attestierten gesundheitlichen Beschwerden auf die konkrete Arbeit ausgewirkt hätten, bzw. ob und welche anderen Arbeiten dem Arbeitnehmer allenfalls zumutbar gewesen wären. Auf Nachfrage der Beschwerdegegnerin, die darauf abzielte, die Beeinträchtigung des Beschwerdeführers bei der konkreten Arbeit zu eruieren, habe er lediglich auf künftig zu führende Gespräche verwiesen. Im Folgenden habe ihn das Arbeitsgericht ausdrücklich aufgefordert, in einer von ihm erstellten Tabelle konkret anzugeben, in Bezug auf welche Tätigkeiten sich eine Arbeitsunfähigkeit ergebe. Diese Tabelle habe Dr. A.________ nicht ausgefüllt. Darauf werde im Urteil des Arbeitsgerichts nicht eingegangen. Vielmehr werde darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer seit 1997 bei Dr. A.________ Patient gewesen sei und dieser offenbar gewusst habe, dass er bei Y.________ angestellt sei. Aus den Unterlagen der SWICA betreffend eine frühere Abklärung vom 26. Januar 2001 (vi-act. 9/6, Frage Ziff. 6) ergebe sich, dass dem Hausarzt die berufliche Tätigkeit des Beschwerdeführers bekannt gewesen sei. Die entsprechende Frage in vi - act. 9/6 habe gelautet: "Grad und Dauer der Arbeitsunfähigkeit im angestammten Beruf als Betriebsarbeiter ?" Daraus ergebe sich zwar mit der Vorinstanz, dass Dr. A.________ bekannt war, dass der Beschwerdeführer Betriebsarbeiter bei der Beschwerdegegnerin war. Betriebsarbeiter in einer Grossbäckerei sei jedoch ein sehr weiter Begriff, der sehr unterschiedliche Anforderungen enthalten könne. Anschliessend wird im angefochtenen Urteil zusammenfassend festgehalten, dass der erforderliche Inhalt eines Arztzeugnisses nicht gegeben sei. Dem Arztzeugnis von Dr. A.________ komme somit nur eine beschränkte Beweiskraft zu, zwar nicht in Bezug auf die medizinische Diagnose, jedoch hinsichtlich der notwendig damit verknüpften Aussage zur Arbeitsunfähigkeit.
 
2.5 Aus der zitierten Urteilspassage geht zunächst hervor, dass das Kantonsgericht das hier interessierende Beweisthema als entscheiderheblich betrachtet hat. Dagegen geben seine Äusserungen keine eindeutigen Aufschlüsse in Bezug auf die Frage, ob es die Beweisanträge des Beschwerdeführers aufgrund antizipierter Beweiswürdigung stillschweigend abgelehnt hat. Mit der Schilderung des Verhaltens von Dr. A.________ im Zusammenhang mit dem Verfahren vor Arbeitsgericht wird zwar angedeutet, dass dessen Befragung zwecklos sein könnte, weil er die entsprechenden Fragen nicht beantworten könne oder wolle. Eine solche Beurteilung des Verhaltens von Dr. A.________ drängt sich indessen nicht auf, weil der Umstand, dass er die vom Kantonsgericht erwähnte Tabelle nicht ausgefüllt hat, für sich allein nicht eindeutig ist, da die Ursache auch in Verständigungsproblemen liegen kann. Festzuhalten ist jedenfalls, dass aufgrund der Urteilsbegründung des Kantonsgerichts unklar ist, ob dieses die - von ihm selbst als entscheiderheblich betrachteten - Beweisanträge des Beschwerdeführers stillschweigend in antizipierter Beweiswürdigung verworfen hat. Damit hat es den verfassungsmässigen Anspruch auf rechtliches Gehör im Sinne von Art. 29 Abs. 2 BV verletzt, weshalb sein Entscheid aufzuheben ist.
 
Die weiteren Rügen des Beschwerdeführers betreffend willkürliche Beweiswürdigung brauchen unter diesen Umständen nicht behandelt zu werden.
 
3.
 
Gemäss Art. 343 Abs. 3 OR werden keine Gerichtsgebühren erhoben. Soweit der Beschwerdeführer gestützt auf Art. 152 OG um Befreiung von der Bezahlung der Gerichtskosten ersucht hat, war sein Begehren von Anfang an gegenstandslos.
 
Aufgrund des Verfahrensausgangs ist die Beschwerdgegnerin zur Zahlung einer Parteientschädigung an den Beschwerdeführer zu verpflichten (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG). Damit ist das Armenrechtsgesuch des Beschwerdeführers auch insoweit gegenstandslos geworden, als er die unentgeltliche Verbeiständung im Sinne von Art. 152 Abs. 2 OG verlangt hat.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen vom 10. September 2004 aufgehoben.
 
2.
 
Es wird keine Gerichtsgebühr erhoben.
 
3.
 
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem des Kantonsgerichts St. Gallen, III. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 4. Februar 2005
 
Im Namen der I. Zivilabteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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