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Informationen zum Dokument  BGer 1P.3/2005  Materielle Begründung
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BGer 1P.3/2005 vom 09.03.2005
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
1P.3/2005 /ggs
 
Urteil vom 9. März 2005
 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Féraud, Präsident,
 
Bundesrichter Aemisegger, Fonjallaz,
 
Gerichtsschreiberin Schoder.
 
Parteien
 
X.________, Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich, Hauptabteilung kantonale Strafanstalt Pöschwies, Feldstrasse 42, 8090 Zürich,
 
Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich, Postfach, 8090 Zürich.
 
Gegenstand
 
Diziplinarstrafe,
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen die Verfügung der Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich vom 29. November 2004.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
X.________ befindet sich im Strafvollzug in der Strafanstalt Pöschwies. Am 12. Juni 2004 ergab sich anlässlich einer Kontrolle, dass er ein Mobiltelefon in seiner Zelle versteckt haben könnte. Nach erfolgloser Befragung wurde er einer Leibesvisitation unterzogen. Dabei entdeckten die Mitarbeiter der Strafanstalt in seinen Unterhosen ein Mobiltelefon. Da X.________ versuchte, das Telefon auszuschalten und als die Mitarbeiter dies verhindern wollten, kam es zu einer körperlichen Auseinandersetzung.
 
Mit Verfügung vom 15. Juni 2004 bestrafte die Gefängnisdirektion X.________ wegen unerlaubtem Besitz eines Mobiltelefons und wegen tätlichem Widerstand gegen dessen Konfiskation mit zwölf Tagen Arrest, einer Busse von Fr. 100.-- und einem Monat Telefonsperre. Des Weitern beschlagnahmte sie das Mobiltelefon und entzog einem allfälligen Rekurs die aufschiebende Wirkung. Dagegen erhob X.________ am 11. Juli 2004 Rekurs. Am 15. Juli 2004 machte er eine weitere Eingabe. Die Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich (nachfolgend Justizdirektion) vereinigte die mit den beiden Eingaben angelegten Verfahren und wies den Rekurs mit Verfügung vom 29. November 2004 ab, soweit sie darauf eintrat.
 
B.
 
X.________ hat gegen die Verfügung der Justizdirektion staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Der Beschwerdeführer stellt folgende Anträge: Es sei festzustellen, dass die angefochtene Verfügung gegen Art. 5, 9 und 29 BV verstösst, und die Verfügung sei zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Es sei ihm Gelegenheit zu geben, Fragen an die Belastungszeugen zu stellen. Das konfiszierte Natel sei samt SIM-Karte zu seinen Effekten zu legen. Sodann sei ihm unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.
 
C.
 
Sowohl das Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich, Hauptabteilung kantonale Strafanstalt Pöschwies, als auch die Justizdirektion beantragen die Abweisung der staatsrechtlichen Beschwerde.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
1.1 Der Beschwerdeführer reichte beim Bundesgericht am 3. Januar 2005 (Datum Poststempel) eine Beschwerdeschrift ein. Diese war nicht unterschrieben und erfüllte die Formvorschriften von Art. 30 Abs. 2 OG somit nicht. Am 4. Januar 2005 (Datum Poststempel) reichte der Beschwerdeführer eine gleichlautende und mit eigenhändiger Unterschrift versehene Beschwerdeschrift ein. Der Formmangel von Art. 30 Abs. 2 OG ist somit behoben.
 
1.2 Die staatsrechtliche Beschwerde ist, von hier nicht zutreffenden Ausnahmen abgesehen, rein kassatorischer Natur (BGE 129 I 173 E. 1.5 S. 176, mit Hinweis). Soweit der Beschwerdeführer mehr oder anderes als die Aufhebung des angefochtenen Urteils beantragt, ist auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht einzutreten.
 
2.
 
2.1 Als erstes macht der Beschwerdeführer geltend, entgegen der Auffassung der Justizdirektion treffe es nicht zu, dass nach § 106 der Justizvollzugsverordnung des Kantons Zürich vom 24. Oktober 2001 (JVV/ZH) die Gewaltanwendung gegen ihn zulässig gewesen sei. Es sei willkürlich und unverhältnismässig, einen Gefangenen anzugreifen, nur um die auf dem Mobiltelefon gespeicherten Verbindungsdaten zu erhalten. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 9 BV und sinngemäss eine Verletzung von Art. 5 Abs. 2 BV.
 
2.2 Art. 9 BV gewährleistet den Anspruch darauf, von den staatlichen Behörden ohne Willkür behandelt zu werden. Willkürlich ist ein Entscheid, wenn er offensichtlich unhaltbar ist, insbesondere mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 129 I 8 E. 2.1 S. 9, 49 E. 4 S. 58, je mit Hinweisen). Art. 5 Abs. 2 BV über das Prinzip der Verhältnismässigkeit staatlichen Handelns kann nicht selbständig gerügt werden (BGE 126 I 112 E. 5b S. 120, mit Hinweisen).
 
2.3 Die Justizdirektion stützt die Befugnis des Anstaltspersonals zur Gewaltanwendung gegen den Beschwerdeführer auf § 106 JVV/ZH. Der einschlägige Absatz 1 lautet folgendermassen:
 
"Besteht dafür keine andere Möglichkeit, ist die Anwendung unmittelbaren Zwangs gegen gewalttätige und renitente verurteilte Personen zulässig, um
 
a) das Personal, andere Insassen, Dritte oder die verurteilte Person selbst vor erheblicher Gefahr zu schützen oder um
 
b) die Flucht der verurteilten Person zu verhindern oder sie wieder zu ergreifen."
 
Die Justizdirektion begründet die Befugnis des Anstaltspersonals zur Gewaltanwendung damit, dass der Besitz eines solchen zur Vorbereitung der Flucht diene und der Beschwerdeführer trotz wiederholter Aufforderung das Mobiltelefon nicht herausgab, sondern einen Mitarbeiter der Strafanstalt beim Versuch der Wegnahme tätlich angriff. Wie sich aus dem klaren Wortlaut von § 106 Abs. 1 JVV/ZH ergibt, ist die Anwendung von Gewalt zur Verhinderung einer Flucht grundsätzlich erlaubt. Dass die Justizdirektion auch die Gewaltanwendung gegen Handlungen zur Vorbereitung einer Flucht als zulässig erachtet, ist nicht willkürlich, sondern vom Sinn und Zweck der Vorschrift her geradezu geboten. Ebenso wenig ist die Justizdirektion in Willkür verfallen, wenn sie den Besitz eines Mobiltelefons als geeignet erachtet, um eine Flucht vorzubereiten.
 
Soweit der Beschwerdeführer geltend machen will, die gegen ihn angewendete Gewalt sei nicht zulässig gewesen, weshalb er sich gegen die Wegnahme des Mobiltelefons habe tätlich zur Wehr setzen dürfen und die Disziplinarstrafe insoweit nicht gerechtfertigt sei, ist die Beschwerde unbegründet.
 
Hingegen ist die Frage, ob die Mitarbeiter der Strafanstalt gegen den Beschwerdeführer übermässig Gewalt anwendeten, nicht Gegenstand des gegen diesen gerichteten Disziplinarverfahrens. Soweit der Beschwerdeführer rügt, das Mass der gegen ihn verübten Gewalt sei unverhältnismässig gewesen, ist auf die Beschwerde nicht einzutreten.
 
3.
 
3.1 Der Beschwerdeführer bringt sodann vor, nicht er, sondern die Justizdirektion habe zu beweisen, dass das Mobiltelefon nicht ihm gehöre. Ansonsten wäre § 136 JVV/ZH "überflüssig". Der Beschwerdeführer rügt wiederum eine Verletzung des Willkürverbots (Art. 9 BV).
 
3.2 § 136 JVV/ZH lautet wie folgt:
 
Gegenstände, die bei der Begehung von Disziplinarverstössen verwendet wurden, werden sichergestellt. Sie werden zu den Effekten gelegt, wenn das Eigentum festgestellt werden kann. Ist dies nicht möglich oder eignen sich die Gegenstände nur zu einem rechtswidrigem Gebrauch, werden sie zu Gunsten eines Fonds zur Unterstützung von Gefangenen oder Entlassenen verwertet oder vernichtet, wenn eine Verwertung nicht möglich ist.
 
Diese Vorschrift sagt mit keinem Wort, dass die Vollzugsbehörde nachweisen muss, dass der Gegenstand nicht dem Gefangenen gehört, um ihn konfiszieren zu können. Nach dem Wortlaut von § 136 JVV/ZH müssen Gegenstände nur unter der Voraussetzung zu den Effekten gelegt werden, dass die Vollzugsbehörde das Eigentum daran feststellen kann. Die Justizdirektion erwog, es sei nicht möglich, das Eigentum des Beschwerdeführers festzustellen, weil dieser jegliche Auskunft über die Herkunft des Mobiltelefons verweigert habe. Somit war es zulässig, das Mobiltelefon zu konfiszieren. Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, und es ist auch nicht ersichtlich, dass der Vollzugsbehörde eine pflichtwidrige Unsorgfalt bei der Abklärung der Eigentumsverhältnisse am Mobiltelefon vorgeworfen werden könnte. Von einer falschen oder gar willkürlichen Anwendung von § 136 JVV/ZH kann daher keine Rede sein, weshalb die Beschwerde auch in diesem Punkt unbegründet ist.
 
4.
 
4.1 Sodann bringt der Beschwerdeführer vor, der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) sei verletzt, da er keine Gelegenheit hatte, den Belastungszeugen Fragen zu stellen und sich zum Beweisergebnis zu äussern.
 
4.2 Der in Art. 29 Abs. 2 BV verankerte Anspruch auf rechtliches Gehör gibt dem Betroffenen das Recht, sich vor Erlass eines in seine Rechtsstellung eingreifenden Entscheids zu äussern, erhebliche Beweise beizubringen, Einsicht in die Akten zu nehmen, mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (BGE 127 I 54 E. 2b S. 56; 124 I 241 E. 2 S. 242, je mit Hinweisen). Nach ständiger Praxis kann jedoch das Beweisverfahren geschlossen werden, wenn die gestellten Beweisanträge eine nicht erhebliche Tatsache betreffen oder offensichtlich untauglich sind, oder wenn die entscheidende Behörde, ohne dabei geradezu in Willkür zu verfallen, annehmen darf, die verlangten zusätzlichen Beweisvorkehren würden am relevanten Beweisergebnis voraussichtlich nichts mehr ändern (so genannte "antizipierte" Beweiswürdigung, vgl. BGE 125 I 127 E. 6c/cc S. 135; 124 I 208 E. 4a S. 211, je mit Hinweisen). Im Gegensatz zu den Garantien aus Art. 6 EMRK (vgl. BGE 125 I 104 E. 3c S. 111, mit Hinweisen) ist Art. 29 Abs. 2 BV in allen Gerichts- und Verwaltungsverfahren, somit auch in Disziplinarverfahren, die lediglich die Verschärfung der Haftbedingungen zum Gegenstand haben, anwendbar (Pascal Mahon, in: Jean-François Aubert/Pascal Mahon, Petit commentaire de la Constitution fédérale de la Confédération suisse du 18 avril 1999, Zürich 2003, N. 1 zu Art. 29).
 
Aus den Akten ergibt sich, dass der Beschwerdeführer Gelegenheit hatte, sich zum von den Mitarbeitern der Strafanstalt erstellten Rapport über den Vorfall zu äussern. Wie die Justizdirektion zu Recht festhielt, muss es sich der Beschwerdeführer selber zuschreiben, wenn er von seinem Anhörungsrecht nicht ausführlicher Gebrauch machte. Der Beschwerdeführer bringt nicht vor, und es ist auch nicht ersichtlich, dass sich die Disziplinarverfügung auf andere Beweise als auf die im Rapport festgehaltene Schilderung des Vorfalls abstützt. Der Vorwurf des Beschwerdeführers, er habe sich nicht zum Beweisergebnis äussern können, trifft somit nicht zu.
 
Ebenso wenig war die Vollzugsbehörde verpflichtet, dem Beschwerdeführer die Möglichkeit zur Befragung von Belastungszeugen einzuräumen, wenn sie in antizipierter Würdigung der Beweislage zur Überzeugung gelangte, der Sachverhalt habe sich in der im Rapport geschilderten Art zugetragen. Der Gehörsanspruch des Beschwerdeführers war somit ausreichend gewahrt. Die Beschwerde erweist sich in diesem Punkt ebenfalls als unbegründet.
 
5.
 
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die angefochtene Verfügung weder das Willkürverbot (Art. 9 BV) noch den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) verletzt. Die staatsrechtliche Beschwerde erweist sich insgesamt als unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
 
Ausgangsgemäss hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 OG). Der Beschwerdeführer stellt das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im bundesgerichtlichen Verfahren. Ein Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege besteht nur insoweit, als ein Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint (Art. 152 Abs. 1 OG). Diese Voraussetzung ist vorliegend zwar kaum erfüllt, jedoch werden umständehalber keine Kosten erhoben. Damit wird das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht
 
im Verfahren nach Art 36a OG:
 
1.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Es werden keine Kosten erhoben.
 
3.
 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich, Hauptabteilung kantonale Strafanstalt Pöschwies und der Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 9. März 2005
 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
 
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