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Informationen zum Dokument  BGer I 746/2004  Materielle Begründung
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BGer I 746/2004 vom 04.04.2005
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
I 746/04
 
Urteil vom 4. April 2005
 
III. Kammer
 
Besetzung
 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger und Kernen; Gerichtsschreiber Widmer
 
Parteien
 
IV-Stelle des Kantons Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil, Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
A.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Alfred Dätwyler, Bielstrasse 3, 4500 Solothurn
 
Vorinstanz
 
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn
 
(Entscheid vom 27. Oktober 2004)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Der 1952 geborene A.________ war seit März 1999 als Vorarbeiter bei der X.________ AG angestellt. Seit 11. Dezember 2000 blieb er der Arbeit krankheitshalber fern. Auf den 30. April 2001 wurde er von der Arbeitgeberfirma entlassen. Am 24. Januar 2001 meldete sich A.________ bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Solothurn veranlasste eine berufliche Abklärung des Versicherten in einer Eingliederungsstätte für Behinderte (vom 10. September bis 9. Dezember 2001) sowie eine medizinische Abklärung im Institut Y.________ (Expertise vom 13. November 2002). U.a. wurde A.________ von Dr. med. F.________ psychiatrisch untersucht. Nachdem die IV-Stelle dem Versicherten am 5. Dezember 2002 mittels Vorbescheid eröffnet hatte, dass er bei einem Invaliditätsgrad von 27 % keine Invalidenrente beanspruchen könne, liess dieser einen Bericht des Psychiaters Dr. med. G.________ vom 7. April 2003 einreichen. Mit Verfügung vom 26. September 2003 lehnte die IV-Stelle das Leistungsgesuch ab.
 
Mit der hiegegen eingereichten Einsprache legte A.________ einen weiteren Bericht des Dr. med. G.________ (vom 17. Oktober 2003) auf. In der Folge ordnete die IV-Stelle eine neuerliche interdisziplinäre Abklärung im Institut Y.________ an. Die psychiatrische Untersuchung führte Dr. med. H.________ durch. Gestützt auf diese zweite Expertise (vom 29. März 2004) hielt die IV-Stelle im Einspracheentscheid vom 23. April 2004 an ihrem ablehnenden Standpunkt fest.
 
B.
 
A.________ liess Beschwerde führen mit dem Antrag, unter Aufhebung des Einspracheentscheides sei ihm eine Invalidenrente zuzusprechen. Eventuell sei die Sache zu weiteren medizinischen Abklärungen und neuer Verfügung an die Verwaltung zurückzuweisen. Zur Begründung verwies er u.a. auf einen neuen Bericht des Psychiaters Dr. med. G.________ vom 29. April 2004. Mit der Replik reichte er einen Nachtrag des Dr. med. G.________ vom 13. Juli 2004 zum Bericht vom 29. April 2004 ein. Mit Entscheid vom 27. Oktober 2004 hob das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn den Einspracheentscheid vom 23. April 2004 in teilweiser Gutheissung der Beschwerde auf und wies die Sache an die IV-Stelle zurück, damit diese ein psychiatrisches Drittgutachten erstellen lasse und hernach über den Rentenanspruch neu verfüge.
 
C.
 
Die IV-Stelle führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei das kantonale Gericht anzuweisen, ein Obergutachten anzuordnen und gestützt darauf neu zu entscheiden.
 
Das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn lässt sich im ablehnenden Sinn vernehmen. A.________ lässt auf Nichteintreten auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde, eventuell auf deren Abweisung schliessen, während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung verzichtet.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über den Umfang des Invalidenrentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 IVG in der bis 31. Dezember 2003 gültig gewesenen sowie in der ab 1. Januar 2004 geltenden Fassung), die Bemessung des Invaliditätsgrades nach der Einkommensvergleichsmethode (Art. 16 ATSG), die Bedeutung ärztlicher Angaben für die Belange der Invaliditätsschätzung (BGE 105 V 158; siehe auch BGE 125 V 261 Erw. 4, 115 V 134 Erw. 2, 114, V 314 Erw. 3c) und die Beweiswürdigung (BGE 125 V 352 Erw. 3a) zutreffend dargelegt. Darauf kann verwiesen werden.
 
Gemäss Art. 29 Abs. 2 BV haben die Parteien Anspruch auf rechtliches Gehör. Das rechtliche Gehör dient einerseits der Sachaufklärung, andererseits stellt es ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheids dar, welcher in die Rechtsstellung einer Person eingreift. Dazu gehört insbesondere deren Recht, sich vor Erlass des in ihre Rechtsstellung eingreifenden Entscheids zur Sache zu äussern, erhebliche Beweise beizubringen, Einsicht in die Akten zu nehmen, mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (BGE 129 II 504 Erw. 2.2, 127 I 56 Erw. 2b, 127 III 578 Erw. 2c, 126 V 131 Erw. 2b; zu Art. 4 Abs. 1 aBV ergangene, weiterhin geltende Rechtsprechung: BGE 126 I 16 Erw. 2a/aa, 124 V 181 Erw. 1a, 375 Erw. 3b, je mit Hinweisen).
 
Nach der Rechtsprechung darf das Sozialversicherungsgericht den Prozess ohne Beizug eines Gerichtsgutachtens abschliessen, wenn es die rechtserheblichen tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen bei pflichtgemässer Beweiswürdigung als schlüssig erachtet. Es kann dabei abschliessend gestützt auf die Beweisgrundlagen urteilen, die im Wesentlichen oder ausschliesslich aus dem Verfahren vor dem Sozialversicherungsträger stammen. In solchen Fällen sind an die Beweiswürdigung jedoch strenge Anforderungen zu stellen. Bestehen auch nur geringe Zweifel an der Zuverlässigkeit und Schlüssigkeit der ärztlichen Feststellungen, sind ergänzende Abklärungen vorzunehmen. Dabei hat das Sozialversicherungsgericht grundsätzlich die Wahl, ob es die Sache zu weiteren Beweiserhebungen an die verfügende Instanz zurückweisen oder die erforderlichen Instruktionen insbesondere durch Anordnung eines Gerichtsgutachtens selber vornehmen will. Anders verhält es sich, wenn die Rückweisung einer Verweigerung des rechtlichen Gehörs gleichkäme (so wenn auf Grund besonderer Gegebenheiten nur ein Gerichtsgutachten oder andere gerichtliche Beweismassnahmen geeignet sind, zur Abklärung des rechtserheblichen Sachverhalts beizutragen) oder wenn die Rückweisung nach den Umständen als unverhältnismässig bezeichnet werden müsste (BGE 122 V 162 f. Erw. 1d mit Hinweisen).
 
2.
 
2.1 Da aus somatischer Sicht klar ist, dass dem Versicherten eine angepasste, leichte bis mittelschwere Tätigkeit in vollem Umfang zumutbar wäre, bezüglich der Arbeitsunfähigkeit aus psychischen Gründen jedoch divergierende Stellungnahmen seitens der Psychiater des ABI, Dr. med. F.________ und Dr. med. H._________, sowie andererseits des Psychiaters Dr. med. G.________ vorliegen, welche die Vorinstanz je für sich selbst besehen als schlüssig erachtete, wies sie die Sache zur Anordnung einer weiteren psychiatrischen Expertise (Drittgutachten) an die Verwaltung zurück. Diese neuerliche psychiatrische Abklärung soll Aufschluss darüber geben, ob der Beschwerdegegner entsprechend der Einschätzung der Fachärzte des Instituts Y.________ auch aus psychischer Sicht für eine angepasste Erwerbstätigkeit (voll) leistungsfähig sei oder ob er gegenteils in Folge eines psychischen Leidens in zumutbarer Weise nicht mehr in der Lage sei, eine Arbeit zu verrichten, wie Dr. med. G.________ wiederholt festgehalten hat.
 
2.2 Die IV-Stelle vertritt die Auffassung, dass das kantonale Gericht unter den gegebenen Umständen nicht befugt gewesen sei, die Sache zur Anordnung eines psychiatrischen Gutachtens zurückzuweisen, sondern selbst die Sachverhaltsergänzung hätte vornehmen müssen. Der Versicherte habe in der Beschwerde an die Vorinstanz die Anordnung eines Obergutachtens verlangt. Das kantonale Gericht habe den Anspruch des Versicherten auf rechtliches Gehör verletzt, indem es diesem Beweisantrag nicht stattgegeben habe.
 
3.
 
3.1 Nach der Rechtsprechung kann das Eidgenössische Versicherungsgericht nicht nur auf Grund von Parteivorbringen, sondern von Amtes wegen prüfen, ob das kantonale Gericht den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hat (BGE 116 V 184 f. Erw. 1a, 107 V 248 Erw. 1b). Anlass zur Aufhebung eines Entscheides von Amtes wegen geben indessen nur Verletzungen wesentlicher Verfahrensvorschriften (BGE 120 V 362 Erw. 2a mit Hinweisen). Im Hinblick darauf, dass das Eidgenössische Versicherungsgericht eine Gehörsverletzung von Amtes wegen prüfen und gegebenenfalls feststellen kann, steht der Umstand, dass nicht der Beschwerdegegner, dessen Anspruch auf rechtliches Gehör den Ausführungen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zufolge verletzt worden sein soll, sondern die IV-Stelle eine Gehörsverletzung rügt, einer Prüfung der behaupteten Verfassungsverletzung im letztinstanzlichen Verfahren nicht entgegen.
 
3.2 Weil divergierende Stellungnahmen der beteiligten Psychiater zur Arbeitsunfähigkeit vorlagen, stellte der Versicherte in der Beschwerde an die Vorinstanz den Beweisantrag, es sei (eventuell) ein neutrales psychiatrisches Gutachten bei der Psychiatrischen Klinik Z.________ einzuholen. Die Vorinstanz entsprach diesem Antrag nicht, sondern wies die Sache stattdessen in Gutheissung des Eventualbegehrens des Versicherten zu ergänzenden Abklärungen in psychiatrischer Hinsicht an die Verwaltung zurück. In den Erwägungen umschrieb sie die von der IV-Stelle vorzunehmenden Abklärungen näher und hielt fest, diese habe bei einer anderen psychiatrischen Fachinstanz als dem Institut Y.________ oder Dr. med. G.________ ein psychiatrisches Drittgutachten erstellen zu lassen. Damit hat das kantonale Gericht zwar dem Beweisantrag des Versicherten nicht unmittelbar - durch Anordnung einer Begutachtung im Beschwerdeverfahren - entsprochen; sie hat jedoch die Verwaltung mittels Rückweisungsentscheides verpflichtet, die erforderlichen Beweisvorkehren zu treffen. In diesem Vorgehen kann keine Verletzung des rechtlichen Gehörs, namentlich keine Verweigerung der Beweisabnahme, erblickt werden. Denn mit der vorinstanzlich angeordneten Rückweisung der Sache an die Verwaltung wurde dem Beweisantrag des Versicherten inhaltlich stattgegeben. Dass dies nicht mit verfahrensleitender Zwischenverfügung im Rahmen des kantonalen Beschwerdeverfahrens, sondern mit instanzabschliessendem Endentscheid geschah, ist zumindest hinsichtlich des Anspruchs auf rechtliches Gehör unerheblich, zumal nicht ersichtlich ist, weshalb nur ein Gerichtsgutachten, nicht aber ein zusätzliches Administrativgutachten, geeignet wäre, zur Erhellung des rechtserheblichen Sachverhalts beizutragen. Schliesslich sind auch keine Gründe erkennbar, welche die Rückweisung als unverhältnismässig im Sinne der vorstehend zitierten Rechtsprechung (Erw. 1 am Ende hievor) erscheinen lassen könnten.
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Die IV-Stelle des Kantons Solothurn hat dem Beschwerdegegner für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, der Ausgleichskasse des Schweizerischen Baumeisterverbandes, Zürich, und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
 
Luzern, 4. April 2005
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Die Präsidentin der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
 
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