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Informationen zum Dokument  BGer 6P.32/2005  Materielle Begründung
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BGer 6P.32/2005 vom 30.04.2005
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
6P.32/2005 /pai
 
6S.108/2005
 
Urteil vom 30. April 2005
 
Kassationshof
 
Besetzung
 
Bundesrichter Schneider, Präsident,
 
Bundesrichter Wiprächtiger, Karlen,
 
Gerichtsschreiber Monn.
 
Parteien
 
A. X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Christian von Wartburg,
 
gegen
 
B. Y.________ und C. Y.________,
 
Beschwerdegegner, vertreten durch Advokatin
 
Dr. Caroline Cron,
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft, Bahnhofplatz 3a, 4410 Liestal,
 
Verfahrensgericht in Strafsachen des Kantons Basel-Landschaft, Kanonengasse 20, 4410 Liestal.
 
Gegenstand
 
Art. 9 BV (Willkür; Verletzung rechtliches Gehör); vorsätzliche einfache Körperverletzung an einem Wehrlosen (Art. 123 Ziff. 2 StGB),
 
staatsrechtliche Beschwerde und eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde gegen die Beschlüsse des Verfahrensgerichts in Strafsachen des Kantons Basel-Landschaft vom 26. November 2004.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Mit Eingabe vom 6. Juni 2000 zeigte D. X.________ seine damalige Ehefrau B. X.________ (heute B. Y.________) unter anderem wegen einfacher Körperverletzung beim Statthalteramt Arlesheim an. Mit Schreiben vom 22. November 2000 beantragte D. X.________ die Bestrafung von B. X.________ wegen weiterer Delikte. Die Polizei des Kantons Basel-Landschaft rückte am 29. Juni 2001 aufgrund einer telefonischen Meldung von B. X.________ aus und erstellte zwei Anzeigen, in denen sich B. X.________ und C. Y.________ einerseits und D. X.________ und dessen Vater, A. X.________, anderseits gegenseitig verschiedener Delikte beschuldigten. Und schliesslich erhob A. X.________ am 26. März 2002 gegen B. X.________ eine Strafanzeige wegen eines Vorfalls aus dem Jahr 2000.
 
Mit Beschlüssen vom 12. Januar 2004 stellte die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft die Verfahren gegen B. Y.________ (vormals B. X.________) und gegen C. Y.________ ein. Mit Eingabe vom 26. Januar 2004 erhob A. X.________ Beschwerde und beantragte unter anderem, die Einstellungsbeschlüsse gegen die beiden Beschuldigten seien aufzuheben. Das Verfahrensgericht in Strafsachen des Kantons Basel-Landschaft hat die Beschwerde mit zwei Beschlüssen vom 26. November 2004 abgewiesen.
 
A. X.________ führt staatsrechtliche Beschwerde und eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde beim Bundesgericht. Mit beiden Beschwerden beantragt er, der Beschluss des Verfahrensgerichts vom 26. November 2004 betreffend B. Y.________ sei aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. In der staatsrechtlichen Beschwerde beantragt er überdies, auch der Beschluss betreffend C. Y.________ sei aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Vorinstanz sei anzuweisen, E.________ als Zeugen einzuvernehmen.
 
2.
 
Der Beschwerdeführer macht in der staatsrechtlichen Beschwerde geltend, die kantonalen Richter hätten den Beweisantrag auf Befragung des Zeugen E.________ willkürlich abgewiesen (vgl. Beschwerde S. 3 - 5). Es kann offen bleiben, inwieweit er zu dieser Rüge legitimiert ist (vgl. BGE 128 I 218 E. 1.1 und 127 IV 236 E. 2b/bb). Die Vorinstanz führt zur Frage, ob E.________ einvernommen werden müsse, in beiden angefochtenen Beschlüssen aus, einerseits sei dieser nicht Augenzeuge des in Frage stehenden Vorfalls gewesen und andererseits könne er nicht als neutraler Zeuge gelten, weil B. Y.________ "im Zerwürfnis mit ihm" gelebt habe (angefochtene Beschlüsse S. 7 lit. b bzw. S. 11 lit. c). Der Beschwerdeführer macht geltend, dies sei widersprüchlich, denn entweder könne E.________ nichts am Ergebnis der Untersuchung ändern, weil er den Vorfall nicht direkt gesehen habe, und dann sei es unerheblich, ob er neutral sei oder nicht. Wenn er demgegenüber möglicherweise Aussagen zur Sache machen könne, dann wäre die Glaubhaftigkeit seiner Aussage in freier Beweiswürdigung zu beurteilen (Beschwerde S. 4 Ziff. 4). Diese Argumentation geht an der Sache vorbei. Der Beschwerdeführer behauptet nicht, dass E.________ den fraglichen Vorfall gesehen hat. Folglich ist die Folgerung der Vorinstanz, E.________ könne darüber von vornherein auch nichts Relevantes aussagen, nicht willkürlich. Weiter bestreitet der Beschwerdeführer nicht, dass B. Y.________ und E.________ zerstritten waren. Damit ist auch die zweite Folgerung der Vorinstanz, dass E.________ kein neutraler Zeuge wäre, nicht willkürlich. Bei der von der Vorinstanz gegebenen doppelten Begründung war es offensichtlich nicht willkürlich, dass sie E.________ nicht als Zeugen einvernahm. Von einem Widerspruch kann nicht die Rede sein.
 
3.
 
In der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde geht es um einen Vorfall, der sich am 5. Juni 2000 ereignet hat (Beschwerde S. 2). Der Beschwerdeführer wirft B. Y.________ vor, anlässlich einer Geburtstagsfeier seines Sohnes mit Händen und Füssen sehr kräftig auf ihn eingeschlagen zu haben (angefochtener Beschluss in Sachen B. Y.________ S. 3 lit. E). Unbestrittenermassen hat er in Bezug auf diesen Vorfall keinen rechtzeitigen Strafantrag gestellt. Er stellte sich jedoch im kantonalen Beschwerdeverfahren erstmals auf den Standpunkt, die Körperverletzung vom 5. Juni 2000 sei in Anwendung von Art. 123 Ziff. 2 StGB von Amtes wegen zu verfolgen, weil er damals wehrlos gewesen sei (angefochtener Beschluss S. 8 E. 2a). An dieser Auffassung hält er vor Bundesgericht fest (vgl. Beschwerde S. 3/4).
 
Der Beschwerdeführer behauptete im kantonalen Verfahren, durch die heftigen Fusstritte an sein linkes Bein innerlich verletzt worden zu sein, und bis heute sei keine Besserung eingetreten (angefochtener Entscheid S. 3 lit. E). Er dürfte deshalb als Opfer zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde legitimiert sein (vgl. Art. 270 BStP und BGE 127 IV 236 E. 2b/bb). Die Frage kann jedoch letztlich offen bleiben.
 
Gemäss Art. 123 Ziff. 2 StGB wird wegen einfacher Körperverletzung von Amtes wegen verfolgt, wer die Tat an einem Wehrlosen begeht. Wehrlos im Sinne dieser Gesetzesbestimmung ist, wer nicht in der Lage ist, sich gegen eine schädigende Einwirkung zur Wehr zu setzen ("hors d'état de se défendre"). Die Wehrlosigkeit muss nicht eine absolute sein, sondern es genügt, wenn sich das Opfer gegenüber seinem Angreifer und der Handlung, mit der dieser es bedroht, nicht mit einiger Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen kann (vgl. BGE 129 IV 1 E. 3.3 mit Hinweis).
 
Soweit der Beschwerdeführer behauptet, er sei zum Tatzeitpunkt an Krücken gegangen (Beschwerde S. 3 lit. a und S. 4 Ziff. 4), ist er nicht zu hören. Die Vorinstanz hat festgestellt, der Beschwerdeführer habe zur Tatzeit wegen Schwierigkeiten beim Laufen einen Stock benötigt (angefochtener Beschluss S. 8). Von Krücken ist nicht die Rede. Davon ist im vorliegenden Verfahren auszugehen (vgl. Art. 277bis Abs. 1 Satz 2 und 273 Abs. 1 lit. b BStP).
 
Die Vorinstanz kommt in rechtlicher Hinsicht zum Schluss, der Umstand, dass der Beschwerdeführer zur Tatzeit 78 Jahre alt gewesen sei und wegen Schwierigkeiten beim Laufen einen Stock benötigt habe, mache ihn nicht zum Wehrlosen im Sinne des Gesetzes (angefochtener Beschluss S. 8). Im angefochtenen Beschluss wird zudem auf ein Aktenstück hingewiesen, aus dem sich ergibt, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt des Vorfalls vollkommen beschwerdefrei war (angefochtener Beschluss S. 5 mit Hinweis auf ein Schreiben vom 2. Juni 2003). Aus dem recht hohen Alter allein ist jedoch noch nicht zwingend der Schluss zu ziehen, dass es dem Beschwerdeführer keinesfalls möglich gewesen wäre, sich gegen B. Y.________ zur Wehr zu setzen. Jedenfalls wirkte er sogar noch ein Jahr später an einer ähnlichen Auseinandersetzung als aktiver Teilnehmer mit (vgl. angefochtener Beschluss S. 9/10). Gesamthaft gesehen ist die Auffassung der Vorinstanz, der Beschwerdeführer sei im fraglichen Zeitpunkt nicht wehrlos im Sinne von Art. 123 Ziff. 2 StGB gewesen, bundesrechtlich nicht zu beanstanden.
 
4.
 
Bei diesem Ausgang hat der Beschwerdeführer die bundesgerichtlichen Kosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 OG; Art. 278 Abs. 1 BStP). Den Beschwerdegegnern muss keine Entschädigung ausgerichtet werden, weil sie vor Bundesgericht keine Umtriebe hatten.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht im Verfahren nach Art. 36a OG:
 
1.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde und die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde werden abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft und dem Verfahrensgericht in Strafsachen des Kantons Basel-Landschaft schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 30. April 2005
 
Im Namen des Kassationshofes
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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