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Informationen zum Dokument  BGer 4P.59/2005  Materielle Begründung
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BGer 4P.59/2005 vom 04.05.2005
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
4P.59/2005 /ast
 
Urteil vom 4. Mai 2005
 
I. Zivilabteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Corboz, Präsident,
 
Bundesrichterin Rottenberg Liatowitsch,
 
Bundesrichter Nyffeler,
 
Gerichtsschreiber Mazan.
 
Parteien
 
X.________,
 
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin Brigitte Bitterli,
 
gegen
 
Y.________,
 
Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Christian Häuptli,
 
Obergericht des Kantons Aargau, 1. Zivilkammer.
 
Gegenstand
 
Art. 9 BV (Zivilprozess; Willkür),
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, 1. Zivilkammer,
 
vom 14. Dezember 2004.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Y.________ (Beschwerdegegner) betreibt ein Natur- und Kunststeinwerk in A.________. X.________ (Beschwerdeführer) war vom 1. Mai 1996 bis 30. Juli 1999 bei ihm angestellt. Im Arbeitsvertrag vom 23. März 1996 haben die Parteien einen Monatslohn von Fr. 4'800.-- sowie 9 effektive tägliche Arbeitsstunden auf der Baustelle vereinbart. Diese Arbeitszeitregelung lag über der täglichen durchschnittlichen Arbeitszeit gemäss Art. 9.1.1 des Gesamtarbeitsvertrages für das Marmor- und Granitgewerbe von 8,3 Stunden pro Tag bzw. 41,5 Stunden pro Woche (GAV M+G, gültig ab 1.1.1995 mit Änderungen gemäss den Zusatzvereinbarungen 1996-1998). Allerdings lag die Arbeitszeit gemäss Einzelarbeitsvertrag noch innerhalb der gemäss GAV M+G zulässigen täglichen Höchstarbeitszeit von 9 Stunden bzw. 45 Stunden pro Woche.
 
B.
 
Mit Klage vom 28. September 2001 beantragte der Beschwerdeführer beim Arbeitsgericht Lenzburg, der Beschwerdegegner sei zu verpflichten, ihm Fr. 26'331.55 zuzüglich Zins zu 5 % ab 19. Dezember 1999 zu bezahlen. Die Forderung wurde insbesondere mit Mehrstunden und Ferienansprüchen während der Dauer des Arbeitsverhältnisses begründet. Mit Urteil vom 16. September 2002 verpflichtete das Arbeitsgericht den Beschwerdegegner, dem Beschwerdeführer Fr. 842.40 nebst Zins für ungerechtfertigte Parifonds-Abzüge zu bezahlen. Im Übrigen wies es die Klage ab.
 
Gegen dieses Urteil erhob der Beschwerdeführer Appellation ans Obergericht des Kantons Aargau. In teilweiser Gutheissung der Appellation verpflichtete das Obergericht den Beschwerdegegner mit Urteil vom 14. Dezember 2004, dem Beschwerdeführer Fr. 2'657.95 nebst Zins zu 5 % seit 19. Dezember 1999 zu bezahlen; im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. Der zugesprochene Betrag setzt sich zusammen aus zu viel abgezogenen Parifonds-Beiträgen von Fr. 828.95 und einer Rückerstattung der Prämien für die Krankentaggeldversicherung von Fr. 1'829.--.
 
Zu der noch streitigen Überstundenentschädigung von Fr. 20'064.55 hat das Obergericht im Wesentlichen erwogen, im Arbeitsvertrag sei die effektive Arbeitszeit unter dem Titel "abweichende Regelung" schriftlich auf 9 Stunden pro Tag festgelegt worden. Somit könne nur die über die 9 Stunden pro Tag hinaus geleistete Arbeitszeit als Überstunden gelten. Alle Indizien für den Willen der Vertragsparteien hätten ergeben, dass sie sich in diesem Sinne geeinigt hätten. Der von den Parteien abgeschlossene Arbeitsvertrag verstosse auch nicht gegen unabdingbare Bestimmungen des GAV M+G, indem er, soweit er von diesem abweiche, das Günstigkeitsprinzip beachte. Der Mindestarbeitslohn bei 8,3 Stunden pro Tag betrage gemäss GAV M+G Fr. 3'637.74 und bei 9 Stunden Fr. 3'946.40. Wenn die Überstundenentschädigung von Fr. 76.73 und die Fahrt- und Wartezeitentschädigung von Fr. 657.75 hinzugerechnet werde, belaufe sich der Mindestlohnanspruch auf Fr. 4'680.88. Dieser Betrag liege unter dem vom Beschwerdeführer erzielten Lohn von Fr. 4'800.--.
 
C.
 
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 11. Februar 2005 beantragt der Beschwerdeführer dem Bundesgericht, das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 14. Dezember 2004 sei aufzuheben und das Verfahren sei zur korrekten Festlegung der tatsächlichen Verhältnisse ans Obergericht zurückzuweisen.
 
Der Beschwerdegegner beantragt die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.
 
D.
 
In der gleichen Sache gelangt der Beschwerdeführer auch mit Berufung ans Bundesgericht.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Erhebt eine Partei gleichzeitig staatsrechtliche Beschwerde und Berufung, so ist in der Regel zuerst über die staatsrechtliche Beschwerde zu befinden, und der Entscheid über die Berufung wird ausgesetzt (Art. 57 Abs. 5 OG). Im vorliegenden Fall besteht kein Anlass, anders zu verfahren.
 
2.
 
Der Beschwerdeführer hält dafür, die Feststellung des Obergerichts, wonach die Parteien die Regelung im Arbeitsvertrag vom 23. März 1996 über Arbeitszeit, Überstunden und der Entschädigung im Monatslohn so verstanden hätten, dass mit dem vereinbarten Monatslohn 45 Arbeitsstunden pro Woche abgegolten seien, sei willkürlich und verletze Art. 9 BV.
 
2.1 Willkürlich ist ein Entscheid nach konstanter Rechtsprechung nicht schon dann, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre. Das Bundesgericht hebt einen kantonalen Entscheid wegen Willkür vielmehr nur auf, wenn er offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 129 I 8 E. 2.1 S. 9; 127 I 54 E. 2b S. 56; 126 III 438 E. 3 S. 440, je mit Hinweisen). Dabei genügt es nicht, wenn sich nur die Begründung des angefochtenen Entscheides als unhaltbar erweist. Eine Aufhebung rechtfertigt sich nur dann, wenn der Entscheid auch im Ergebnis verfassungswidrig ist (BGE 129 I 8 E. 2.1 S. 9; 128 I 177 E. 2.1 S. 182; 127 I 38 E. 2a S. 41, je mit Hinweisen). Zudem hat die Beschwerdeschrift nach Art. 90 Abs. 1 lit. b OG eine kurz gefasste Darstellung darüber zu enthalten, welche verfassungsmässigen Rechte und inwiefern sie der angefochtene Entscheid verletzt. Im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde prüft das Bundesgericht nur klar und detailliert erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen (BGE 129 I 113 E. 2.1 S. 120; 129 I 185 E. 1.6 S. 189; 127 I 38 E. 3c S. 43, je mit Hinweisen).
 
2.2 Der Beschwerdeführer wirft dem Obergericht im Einzelnen vor, es hätte nach dem mutmasslichen Parteiwillen fragen und dabei alle äusseren Umstände, das Wissen und Wollen der Parteien berücksichtigen müssen. Der Beschwerdeführer habe dem Arbeitsvertrag nicht entnehmen müssen, dass die Arbeitszeit in Abweichung vom GAV M+G generell erhöht werde und habe deshalb mit Freitagen oder mit einer Überzeitentschädigung rechnen dürfen.
 
2.3 Diese Rüge ist unbegründet. Der Beschwerdeführer legt nicht dar, welche äusseren Umstände, die auf das Wissen und Wollen der Parteien hätten schliessen lassen, vom Obergericht nicht berücksichtigt wurden und inwiefern es mit dem von ihm gezogenen Schluss Verfassungsrecht verletzt haben soll. Gleichzeitig verkennt der Beschwerdeführer, dass das Obergericht den Inhalt des Arbeitsvertrages empirisch festgestellt hat und dabei aufgrund der von ihm geprüften Indizien zu einem positiven Ergebnis gelangt ist, weshalb sich die Prüfung weiterer Indizien erübrigen konnte und nicht, wie bei einer Auslegung nach dem Vertrauensprinzip, zu prüfen ist, ob dem Beschwerdeführer zu Recht ein bestimmtes Vertragsverständnis normativ zugerechnet wurde. Die Prüfung würde eine Rechtsfrage beschlagen und könnte auch nicht im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde verlangt werden (Art. 43 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 84 Abs. 2 OG).
 
2.4 Die Rüge, es sei nicht nachvollziehbar, wie das Obergericht die Überstundenentschädigung als im vereinbarten Monatslohn eingeschlossen erachtet habe, beruht auf einem falschen oder fehlenden Verständnis des angefochtenen Entscheides. Das Obergericht hat einerseits den mit dem Abschluss des Einzelarbeitsvertrages und dem Verhalten der Parteien bekundeten Willen der Vertragspartner ermittelt und anderseits geprüft, ob gemessen am Mindestlohn gemäss GAV M+G das Günstigkeitsprinzip verletzt wird. Nach dem ermittelten Parteiwillen wurde die tägliche Arbeitszeit im Rahmen des GAV M+G auf 9 Stunden festgelegt, so dass die in diesem Rahmen geleistete Arbeitszeit nicht als Überzeit gelten kann. Zudem hat der Vergleich zwischen dem Mindestlohn GAV M+G mit dem vereinbarten Lohn ergeben, dass dieser den Mindestlohn übersteigt, selbst wenn ein Zuschlag für die Differenz zwischen der - für den Mindestlohn massgebenden - durchschnittlichen Arbeitszeit und vereinbarter Arbeitszeit, sowie entsprechend dieser Differenz auch ein Überzeitzuschlag zum Mindestlohn hinzugerechnet wird. Wenn der Beschwerdeführer eine dieser Begründungen anfechten will, müsste er angeben, inwiefern sie willkürlich sein soll. Es genügt nicht, dass er sie für "nicht nachvollziehbar" hält (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG, vgl. E. 2.1).
 
3.
 
Aus diesen Gründen ist die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer entschädigungspflichtig (Art. 159 Abs. 2 OG). Demgegenüber ist keine Gerichtsgebühr zu erheben (Art. 343 Abs. 3 OR).
 
Demnach erkannt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Der Beschwerdeführer hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, 1. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 4. Mai 2005
 
Im Namen der I. Zivilabteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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