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Informationen zum Dokument  BGer 5P.134/2005  Materielle Begründung
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BGer 5P.134/2005 vom 20.05.2005
 
Tribunale federale
 
{T 0/2}
 
5P.134/2005 /ast
 
Urteil vom 20. Mai 2005
 
II. Zivilabteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Raselli, Präsident,
 
Bundesrichter Meyer, Marazzi,
 
Gerichtsschreiber Möckli.
 
Parteien
 
X.________,
 
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Marcel Buttliger, Anwaltskanzlei Dr. Buttliger,
 
gegen
 
Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 1. Kammer, Obere Vorstadt 40, 5001 Aarau.
 
Gegenstand
 
Art. 29 Abs. 3 BV (unentgeltliche Rechtspflege; fürsorgerische Freiheitsentziehung),
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen die Verfügung des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau, 1. Kammer, vom 9. Februar 2005.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Am 9. Februar 2005 verfügte das Bezirksamt Baden im Rahmen einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung die Einweisung bzw. Zurückbehaltung von X.________ im Bezirksspital Affoltern.
 
B.
 
Mit Eingabe vom 22. Februar 2005 an das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau beantragte Rechtsanwalt Dr. Buttliger, es sei von Amtes wegen abzuklären, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für eine fürsorgerische Freiheitsentziehung gegeben seien. Für den Fall der Bejahung dieser Frage ersuchte er um unentgeltliche Rechtspflege, unter seiner Einsetzung als amtlicher Anwalt.
 
Nachdem der Beistand von X.________ mit Schreiben vom 1. März 2005 deren Vermögen auf Fr. 16'535.45 beziffert hatte, wies die Präsidentin der 1. Kammer des Verwaltungsgerichts das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege mit Verfügung vom 7. März 2005 wegen fehlender Prozessarmut ab und liess dabei offen, inwieweit auf das bedingte Gesuch überhaupt eingetreten werden könnte. Die fehlende Bedürftigkeit begründete die Präsidentin damit, dass die Beschwerdeführerin eine IV-Rente beziehe und ein Vermögen in der Grössenordnung von Fr. 16'500.-- habe.
 
C.
 
Dagegen hat Dr. Buttliger am 21. April 2005 namens von X.________ eine staatsrechtliche Beschwerde erhoben mit den Begehren um Aufhebung der angefochtenen Verfügung und seiner Ernennung zum amtlichen Rechtsbeistand. Sodann verlangt Dr. Buttliger auch für das bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege, unter seiner Ernennung als Rechtsbeistand. Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Die angefochtene Verfügung ist ein letztinstanzlicher kantonaler Zwischenentscheid, der das verwaltungsgerichtliche Verfahren nicht abschliesst. Gegen einen solchen Entscheid ist nach Art. 87 Abs. 2 OG die staatsrechtliche Beschwerde zulässig, sofern er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann. Zwischenentscheide, mit denen die unentgeltliche Rechtspflege verweigert wird, haben in der Regel einen solchen Nachteil zur Folge (BGE 129 I 129 E. 1.1 S. 131; 281 E. 1.1 S. 283 f.). Die Verfügung vom 7. März 2005 ist daher grundsätzlich mit staatsrechtlicher Beschwerde anfechtbar.
 
2.
 
Der Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird in erster Linie durch das kantonale Prozessrecht geregelt. Unabhängig davon besteht ein Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege unmittelbar aufgrund von Art. 29 Abs. 3 BV (BGE 127 I 202 E. 3a S. 204 f.; 128 I 225 E. 2.3 S. 226). Die Auslegung und Anwendung der kantonalen Gesetzesbestimmungen über den Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung prüft das Bundesgericht unter dem Gesichtswinkel des Willkürverbots; hingegen prüft es in rechtlicher Hinsicht frei, ob der durch die Bundesverfassung garantierte Anspruch verletzt worden ist (BGE 124 I 304 E. 2c S. 306 f.; 127 I 202 E. 3a S. 205).
 
Vorliegend macht Dr. Buttlinger keine willkürliche Anwendung der kantonalen Bestimmungen über die unentgeltliche Rechtspflege geltend; vielmehr beruft er sich ausschliesslich auf Art. 29 Abs. 3 BV, weshalb nachfolgend nur der betreffende bundesverfassungsrechtliche Minimalanspruch zu prüfen ist.
 
3.
 
Aus Art. 29 Abs. 3 BV fliesst der Anspruch einer jeden Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Soweit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand (BGE 127 I 202 E. 3b S. 205).
 
Hinsichtlich der Voraussetzung der Bedürftigkeit prüft das Bundesgericht frei, ob die Kriterien für deren Bestimmung zutreffend gewählt worden sind; die tatsächlichen Feststellungen der kantonalen Behörden dagegen werden nur auf Willkür hin überprüft. Bedürftig ist ein Gesuchsteller, der die Leistung der erforderlichen Prozess- und Parteikosten nur erbringen kann, wenn er die Mittel angreift, deren er zur Deckung des Grundbedarfs für sich und seine Familie bedarf (BGE 120 Ia 179 E. 3a S. 181; 124 I 1 E. 2a S. 2).
 
4.
 
Im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde sind neue tatsächliche und rechtliche Vorbringen grundsätzlich unzulässig (BGE 114 Ia 204 E. 1a S. 205; 118 Ia 20 E. 5a S. 26) und es können auch keine neuen Beweismittel eingereicht werden (BGE 108 II 69 E. 1 S. 71). An diesem Novenverbot scheitern die tatsächlichen Vorbringen von Dr. Buttliger, die IV-Rente betrage Fr. 1'433.-- und die Beschwerdeführerin sei inzwischen Mutter eines Kindes geworden, was viele zusätzliche Ausgaben nach sich ziehe, zeigt er doch nicht auf, inwiefern und in welchen Eingaben er diese Tatsachenbehauptungen bereits vor Verwaltungsgericht erhoben hätte.
 
Sodann rügt Dr. Buttliger mit Blick auf die äusserst rudimentäre vorinstanzliche Begründung - mangels Bezifferung der IV-Rente bleibt nicht nur die Einkommensseite im Dunkeln, sondern die angefochtene Verfügung lässt auch jegliche Angaben zum Existenzminimum der Beschwerdeführerin vermissen - weder eine Verletzung des Willkürverbots im Zusammenhang mit der Abklärung der tatsächlichen Verhältnisse und der Erstellung des entscheidnotwendigen Sachverhalts (Art. 9 BV) noch eine Verletzung der Begründungspflicht als Teilgehalt des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV). Vielmehr beschränkt er sich auf die beiden Vorbringen, die IV-Rente sei unpfändbar, weshalb sie vorliegend nicht berücksichtigt werden dürfe, und das Vermögen von Fr. 16'500.-- liege unter der Schwelle, ab der es für die Finanzierung eines Prozesses herangezogen werden dürfe.
 
Beim ersten dieser beiden Vorbringen verkennt Dr. Buttliger, dass es bei den formellen Voraussetzungen der unentgeltlichen Rechtspflege einzig um die Frage geht, ob der Ansprecher die anfallenden Prozesskosten ohne Einschränkung der notwendigen Mittel für seinen und den Unterhalt seiner Familie zu tragen vermag. Hierfür können unpfändbare Einkommensbestandteile gleichermassen herangezogen werden wie pfändbare, geht es doch um eine abstrakte Berechnung der verfügbaren Mittel und nicht um eine Pfändung derselben.
 
Das zweite Vorbringen geht an den Erwägungen in der angefochtenen Verfügung vorbei: Entgegen den Ausführungen von Dr. Buttliger hat das Verwaltungsgericht die Beschwerdeführerin nicht allein auf ihre Ersparnisse verwiesen. Vielmehr gingen die vorinstanzlichen Erwägungen dahin, dass die Beschwerdeführerin angesichts ihrer IV-Rente und ihres Vermögens nicht bedürftig sei. Damit ist die gesamte Einkommens- und Vermögensseite angesprochen und mangels Bezifferung der IV-Rente und Berechnung eines Existenzminimums - was von Dr. Buttliger rügelos hingenommen wird - ist nicht erstellt, dass die Beschwerdeführerin für die Bestreitung des Lebensunterhalts und die Finanzierung der zu erwartenden Prozesskosten tatsächlich auf ihre Ersparnisse angewiesen ist. Gerade mit Blick auf die permanenten Klinikaufenthalte, für deren Kosten möglicherweise ausschliesslich dritte Leistungsträger aufkommen, kann sehr wohl das Gegenteil zutreffen. Bei diesem Ergebnis muss auch nicht abstrakt entschieden werden, ob die verfassungsrechtliche Minimalgarantie von Art. 29 Abs. 3 BV losgelöst vom Einzelfall Anspruch auf einen "Notgroschen" gäbe.
 
5.
 
Wie die vorstehenden Ausführungen zeigen, waren die von Dr. Buttliger erhobenen Rügen offensichtlich unbegründet, soweit überhaupt auf sie einzutreten war. Die staatsrechtliche Beschwerde muss deshalb als von vornherein aussichtslos bezeichnet werden, weshalb es dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren an den notwendigen materiellen Voraussetzungen fehlt (Art. 152 Abs. 1 OG). Folglich ist dieses abzuweisen und die Beschwerdeführerin wird kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
 
3.
 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 500.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
4.
 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin und dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 20. Mai 2005
 
Im Namen der II. Zivilabteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
 
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