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Informationen zum Dokument  BGer C 88/2005  Materielle Begründung
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BGer C 88/2005 vom 20.07.2005
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
C 88/05
 
Urteil vom 20. Juli 2005
 
IV. Kammer
 
Besetzung
 
Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiberin Kopp Käch
 
Parteien
 
J.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch die Kirchliche Dienststelle für Arbeitslose, Obertor 14, 8400 Winterthur,
 
gegen
 
Amt für Wirtschaft und Arbeit, Arbeitslosenversicherung,
 
Stampfenbachstrasse 32, 8001 Zürich, Beschwerdegegner
 
Vorinstanz
 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
 
(Entscheid vom 31. Januar 2005)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die 1981 geborene J.________ war seit 1. November 2002 arbeitslos und brachte am 18. Oktober 2003 einen Sohn zur Welt. Am 16. Januar 2003 meldete sie sich zur Arbeitsvermittlung an und stellte ab diesem Datum Antrag auf Arbeitslosenentschädigung. Das Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich (AWA) verneinte mit Verfügung vom 18. März 2004 die Vermittlungsfähigkeit und damit den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung nach Ablauf der Niederkunftstaggelder. Mit Einspracheentscheid vom 20. August 2004 hob es die Verfügung vom 18. März 2004 auf, verneinte die Vermittlungsfähigkeit und somit den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung nach Ablauf der Niederkunftstaggelder bis 15. März 2004 und bejahte die Vermittlungsfähigkeit ab 16. März 2004.
 
B.
 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 31. Januar 2005 ab.
 
C.
 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt J.________ sinngemäss Arbeitslosenentschädigung auch für die Zeit nach Ablauf der Niederkunftstaggelder bis 15. März 2004 beantragen. Gleichzeitig lässt sie um Erlass einer Verfügung zur sofortigen Ausrichtung der Entschädigung ab 16. März 2004 ersuchen.
 
Das AWA und das Staatssekretariat für Wirtschaft verzichten auf eine Vernehmlassung.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Streitig und zu prüfen sind die Vermittlungsfähigkeit und somit der Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung der Beschwerdeführerin für die Zeit ab 16. Januar bis und mit 15. März 2004. Nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die Durchsetzung des Anspruchs auf Arbeitslosenentschädigung ab 16. März 2004, weshalb auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde in diesem Punkt nicht eingetreten werden kann.
 
2.
 
Die Vorinstanz hat die gesetzlichen Bestimmungen und Grundsätze über die Vermittlungsfähigkeit als eine der Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung (Art. 8 Abs. 1 lit. f in Verbindung mit Art. 15 Abs. 1 AVIG) sowie die dazu ergangene Rechtsprechung (BGE 126 V 521 Erw. 3a, 125 V 58 Erw. 6a, je mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Darauf kann verwiesen werden. Ebenfalls richtig wiedergegeben hat das kantonale Gericht die Rechtsprechung zur Vermittlungsfähigkeit von versicherten Personen, die sich im Hinblick auf anderweitige Verpflichtungen oder besondere persönliche Umstände lediglich während gewisser Tages- oder Wochenstunden erwerblich betätigen wollen (BGE 123 V 216 Erw. 3, 120 V 388 Erw. 3a mit Hinweisen).
 
3.
 
3.1 In der Anmeldung zur Arbeitsvermittlung vom 16. Januar 2003 gab die Beschwerdeführerin an, eine 100%-Stelle als Hilfsverkäuferin, Hilfsarbeiterin Produktion oder Hilfsarbeiterin für normale Arbeit zu suchen. Im Nachweis für Kinderbetreuung vom 27./28. Januar 2004 bestätigten sowohl die Versicherte wie auch deren Mutter S.________, dass letztere bereit und in der Lage sei, das am 18. Oktober 2003 geborene Kind zu betreuen. Am 24. Februar 2004 unterzeichnete S.________ erneut eine Bestätigung, wonach sie ab sofort für eine unbefristete Dauer bereit und in der Lage sei, jeweils montags bis freitags von 06.30 Uhr bis 17.30 Uhr die Kinderbetreuung zu übernehmen. Die Beschwerdeführerin beantwortete am 10. März 2004 diverse Fragen des AWA. Sie gab dabei nochmals an, dass sie per sofort bereit und in der Lage sei, eine zumutbare 100%ige Arbeit anzutreten. Sie könne jeweils montags bis freitags das Haus um 06.30 Uhr verlassen und müsse um 17.30 Uhr zurück sein, weshalb es ihr möglich sei, von 07.00 Uhr bis 17.00 Uhr zu arbeiten. Für den Arbeitsweg stehe ihr das Auto zur Verfügung. Ihre Mutter sei Hausfrau und könne zu diesen Zeiten die Kinderbetreuung übernehmen. Die Versicherte schloss lediglich die Arbeit in einem Restaurant aus. Im März 2004 zog die Mutter der Beschwerdeführerin mit ihrem Mann von T.________ nach W.________.
 
3.2 Mit Verfügung vom 18. März 2004 verneinte das AWA die Vermittlungsfähigkeit der Beschwerdeführerin nach Ablauf der Niederkunftstaggelder im Wesentlichen mit der Begründung, der Nachweis der Kinderbetreuung könne nicht als tragfähig qualifiziert werden, da die Beschwerdeführerin mit ihrer Familie in W.________, ihre Mutter aber in T.________ wohnhaft sei. Zudem weise die Versicherte in der Zeit vom 19. Juli 2003 bis 4. Januar 2004 keine, danach lediglich ungenügende Arbeitsbemühungen nach.
 
Im Rahmen des Einspracheverfahrens machte die Beschwerdeführerin geltend, die Kinderbetreuung sei auch vor dem Umzug ihrer Mutter nach W.________ jederzeit gewährleistet gewesen. Einerseits hätte sich ihre in W.________ wohnhafte Kollegin H.________, die selber einen zweijährigen Sohn habe, dazu bereit erklärt; andrerseits habe sie Verwandte, die während ihrer Arbeitsabwesenheit diese Aufgabe übernommen hätten. Sie hätte demzufolge ab Januar vollzeitlich arbeiten können.
 
Mit Einspracheentscheid vom 20. August 2004 bejahte das AWA in teilweiser Gutheissung der Einsprache die Vermittlungsfähigkeit der Beschwerdeführerin ab 16. März 2004. Zu diesem Zeitpunkt sei der Wohnortswechsel von S.________ nachweislich erfolgt. Zudem habe die Versicherte ab 28. Juni 2004 eine befristete Vollzeitstelle aufgenommen, sodass keine Hinweise auf mangelnde Vermittlungsfähigkeit mehr vorlägen. Für die Zeit bis und mit 15. März 2004 hielt das AWA indessen an der Verneinung der Vermittlungsfähigkeit fest. Gemäss gängiger Rechtsprechung sei auf die Aussagen der ersten Stunde abzustellen. Das zuständige Regionale Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) habe erstmals am 3. Februar 2004 das Nachweisformular über die Kinderbetreuung erhalten, aus welchem hervorgehe, dass die in T.________ wohnhafte S.________ diese Aufgabe übernehme. Am 1. März 2004 sei ein zweiter Betreuungsnachweis eingereicht worden. Weitere Betreuungspersonen habe die Versicherte erst anlässlich des Einspracheverfahrens genannt, wobei sie die Angaben nicht zu belegen vermocht habe.
 
3.3 Das kantonale Gericht hat die Rechtmässigkeit dieses Einspracheentscheids bestätigt, indem es ebenfalls davon ausging, bis zum 16. März 2004 sei die Kinderbetreuung durch die angegebene Person nicht sichergestellt gewesen, da dazu Wohnsitz in unmittelbarer Nähe von W.________ vorausgesetzt gewesen wäre. T.________ befinde sich rund 170 km vom Wohnort der Beschwerdeführerin entfernt, sodass die Betreuungsperson entweder täglich die jeweils zwei Stunden dauernde Reise hin und zurück hätte auf sich nehmen müssen oder aber sich von Sonntag- bis Freitagabend in W.________ hätte aufhalten müssen.
 
3.4 In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt die Versicherte erneut geltend machen, sie sei ab Januar jederzeit bereit, berechtigt und in der Lage gewesen, vollzeitlich zu arbeiten. Es sei immer klar gewesen, dass ihre Mutter das Kind betreut hätte, entweder bis zum Umzug nach W.________ in T.________ oder aber von Anfang an in W.________ als Wochenaufenthalterin. Zudem habe sie die ganze Zeit über in ihrem Umfeld mehrere Bezugspersonen gehabt, die eingesprungen wären, wenn ihre Mutter einmal nicht gehütet hätte. Deren Namen habe sie nicht von Anfang an genannt, weil sie mit der Betreuung durch ihre Mutter vollumfänglich zufrieden gewesen sei und sie die andern Personen ihrer Ansicht nach gar nicht benötigt hätte.
 
4.
 
Für die Frage der Vermittlungsfähigkeit ab 16. Januar 2004 ausschlaggebend ist, ob die Betreuung des Sohnes der Beschwerdeführerin sichergestellt war. Wie in der Weisung ALV-P 98/1 Blatt 8 des damaligen Bundesamtes für Wirtschaft und Arbeit (heute: Staatssekretariat für Wirtschaft) festgehalten, ist die Regelung der Kinderbetreuung grundsätzlich den Eltern überlassen. Die Arbeitslosenversicherung hat ihr zufolge, ausser bei offensichtlichem Missbrauch, nicht schon zum Zeitpunkt des Einreichens des Entschädigungsgesuches das Vorhandensein eines Kinderhüteplatzes zu prüfen. Erscheint hingegen im Verlaufe der Bezugsdauer der Wille oder die Möglichkeit, die Kinderbetreuung einer Drittperson anzuvertrauen, aufgrund von Äusserungen oder des Verhaltens der Versicherten wie ungenügende Arbeitsbemühungen, spezielle Anforderungen für die Annahme einer Stelle oder Ablehnung zumutbarer Arbeit zweifelhaft, ist die Vermittlungsfähigkeit im Hinblick auf die konkrete Möglichkeit einer Kinderbetreuung zu prüfen (vgl. dazu ARV 1993/94 Nr. 31 S. 219).
 
Im vorliegenden Fall haben die Versicherte und ihre Mutter wiederholt bestätigt, dass letztere bereit und in der Lage sei, die Betreuung des Kindes montags bis freitags von 06.30 Uhr bis 17.30 Uhr zu übernehmen. Die angegebenen Zeiten erlaubten es der Beschwerdeführerin ohne weiteres, einer Vollzeitstelle nachzugehen, zumal sie ausser der Ablehnung von Arbeit in einem Restaurant keine Einschränkungen machte. Nie hat die Versicherte zudem eine Arbeit oder eine arbeitsmarktliche Massnahme abgelehnt. Allfällige ungenügende Arbeitsbemühungen sodann wären mit einer Einstellung in der Anspruchsberechtigung zu sanktionieren gewesen. Die Vermittlungsfähigkeit ist allein aufgrund des Umstandes, dass die Betreuungsperson Wohnsitz in T.________ hatte, verneint worden. Dieses Problem hätte indessen - wie in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde dargelegt wurde - auf verschiedene Arten gelöst werden können, sei es, dass die Mutter der Beschwerdeführerin bis zu ihrem Umzug als Wochenaufenthalterin bei der Beschwerdeführerin oder ihrer ebenfalls in W.________ lebenden Schwester gewohnt hätte, sei es, dass das Kind vorübergehend während der Woche in T.________ betreut worden wäre. Zudem hatten sich - wie einspracheweise geltend gemacht wurde - auch eine in W.________ wohnhafte Kollegin sowie andere Verwandte der Versicherten bereit erklärt, diese Aufgabe zu übernehmen.
 
Somit ergeben die Akten hinsichtlich des wesentlichen Aspekts der gesicherten Drittbetreuung kein vollständiges Bild, weshalb weitere Beweisvorkehren wie Beweisauskünfte oder Befragungen der Betroffenen erforderlich sind. Die Sache ist demzufolge an das AWA zurückzuweisen, damit es diese Abklärungen zur Fremdbetreuung des Kindes nachholt.
 
5.
 
Für dieses Verfahren werden keine Gerichtskosten erhoben (Art. 134 OG). Dem Prozessausgang entsprechend hat die durch die Kirchliche Dienststelle für Arbeitslose vertretene Beschwerdeführerin Anspruch auf eine u.a. nach dem Vertretungsaufwand bemessene Parteientschädigung (Art. 159 OG in Verbindung mit Art. 135 OG, Art. 2 Abs. 1 des Tarifs über die Entschädigungen an die Gegenpartei für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht und Art. 160 OG).
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird, soweit darauf einzutreten ist, in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 31. Januar 2005 sowie der Einspracheentscheid des Amtes für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich vom 20. August 2004 aufgehoben werden und die Sache an das Amt für Wirtschaft und Arbeit zurückgewiesen wird, damit es, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung für die Zeit ab 16. Januar bis und mit 15. März 2004 neu verfüge.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Das Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1000.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, der Unia Arbeitslosenkasse, Zürich, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt.
 
Luzern, 20. Juli 2005
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der IV. Kammer: Die Gerichtsschreiberin:
 
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