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Informationen zum Dokument  BGer C 32/2005  Materielle Begründung
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BGer C 32/2005 vom 28.07.2005
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
C 32/05
 
Urteil vom 28. Juli 2005
 
IV. Kammer
 
Besetzung
 
Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiberin Polla
 
Parteien
 
Öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Aargau, Bahnhofstrasse 78, 5000 Aarau, Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
N.________, 1979, Beschwerdegegnerin
 
Vorinstanz
 
Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau
 
(Entscheid vom 2. Dezember 2004)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die 1979 geborene N.________ war seit 1. März 2001 als Ateliermitarbeiterin bei der X.________ AG tätig, über welche am 14. Juli 2003 der Konkurs eröffnet wurde. Die neu gegründete Y.________ AG führte den Produktionsbetrieb nahtlos weiter. Am 29. Juli 2003 stellte N.________ Antrag auf Insolvenzentschädigung. Die Öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Aargau hiess den Anspruch insoweit gut, als sie ihr den Betrag von Fr. 3418.90 für einen Anteil an Ferien vom 15. März bis 14. Juli 2003, für Lohn vom 1. bis 30. April 2003 sowie für Zulagen vom 1. bis 30. April 2003 zusprach. Für die Monate Mai bis Juli 2003 habe die Z.________ GmbH, Deutschland, die Lohnforderungen indessen beglichen, weshalb der Versicherten für diese Zeitspanne keine Insolvenzentschädigung zustehe, wie die Arbeitslosenkasse am 9. Januar 2004 verfügungsweise festhielt. Die dagegen erhobene Einsprache wies sie ab (Einspracheentscheid vom 16. April 2004).
 
B.
 
N.________ führte hiegegen Beschwerde mit dem Rechtsbegehren, die Verfügung vom 9. Januar 2004 und der Einspracheentscheid vom 16. April 2004 seien aufzuheben und es sei ihr Insolvenzentschädigung in vollumfänglicher Höhe auszurichten. Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau hiess die Beschwerde gut und erwog, es sei nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Darlehensverträge simuliert seien und die Zahlungen an die Versicherte als reine Lohnzahlungen vorgesehen gewesen seien (Entscheid vom 2. Dezember 2004).
 
C.
 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Arbeitslosenkasse die Aufhebung des kantonalen Entscheides.
 
Während N.________ auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, verzichtet das Staatssekretariat für Wirtschaft auf eine Vernehmlassung.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen über den Anspruch auf Insolvenzentschädigung (Art. 51 Abs. 1 AVIG) und dessen Umfang (Art. 52 Abs. 1 AVIG) richtig dargelegt. Darauf wird verwiesen. Zu betonen ist, dass der Anspruch auf Insolvenzentschädigung dem Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Konkurseröffnung zustehende, ungedeckte Lohnforderungen voraussetzt. Hat der Arbeitnehmer den Lohn tatsächlich erhalten, entsteht kein Anspruch auf Insolvenzentschädigung, wobei unerheblich ist, aus welchen Gründen und durch wen die Lohnansprüche allenfalls befriedigt wurden (ARV 1995 Nr. 22 S. 127).
 
2.
 
2.1 Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdegnerin nach Massgabe von Art. 51 Abs. 1 lit. a AVIG Anspruch auf Insolvenzentschädigung in beantragter Höhe hat. Dabei steht fest, dass die Z.________ GmbH - welche die X.________ AG zuerst mittels Aktienkauf übernehmen wollte - laut den Darlehensverträgen (vom 27. Mai, 27. Juni und 15. Juli 2003) der Beschwerdegegnerin jeweils Darlehen in der Höhe von 80 % der letzten Monatssaläre gewährte. Gleichzeitig wurde vertraglich festgehalten, dass die Betreffnisse bei Erhalt der offenen Lohnforderung aus der Konkursmasse oder der Insolvenzentschädigung zurückzuzahlen sind. Eine Zession der Lohnforderung wurde nicht vereinbart.
 
Umstritten ist, ob eine Betriebsübertragung im Sinne von Art. 333 OR vorliegt, und ob die damit verbundene solidarische Haftung der Erwerberin für die Lohnforderungen aus dem Arbeitsverhältnis zwischen der Veräusserin und den Arbeitnehmenden den Anspruch auf Insolvenzentschädigung ausschliesst. Weiter ist zu prüfen, ob es sich bei den von dritter Seite überwiesenen Zahlungen im Betrage der Nettolohnsumme der Monate Mai bis 14. Juli 2003 in der Höhe von Fr. 3956.65, Fr. 3956.65 und Fr. 1978.30 um Lohnleistungen oder um (rückleistungspflichtige) Darlehenssummen handelt.
 
2.2 Hinsichtlich einer Betriebsübernahme und der Auswirkungen von Art. 333 OR auf die insolvenzentschädigungsrechtliche Ordnung nach Art. 51 ff. AVIG gilt rechtsprechungsgemäss Folgendes: Wer einen Betrieb erwirbt und mit den Arbeitnehmenden die im Zeitpunkt der Übernahme bestehenden Arbeitsverhältnisse weiterführt, haftet nicht für offene, vor der Übernahme fällig gewordene Lohnforderungen aus den Arbeitsverhältnissen, wenn die Übernahme des Betriebes aus der Konkursmasse des bisherigen Arbeitgebers erfolgt ist (BGE 129 III 335). Weiter hat das Eidgenössische Versicherungsgericht in BGE 127 V 183 erkannt, dass Arbeitnehmer unabhängig davon, ob ein Anwendungsfall von Art. 333 OR vorliegt, Insolvenzentschädigung beanspruchen können, sofern die Voraussetzungen gemäss Art. 51 AVIG in Bezug auf den bisherigen Arbeitgeber oder die bisherige Arbeitgeberin erfüllt sind (BGE 127 V 190 ff. Erw. 6). Demzufolge ist für die zu beurteilende Frage der Anspruchsberechtigung auf Insolvenzentschädigung einzig entscheidend, ob die Arbeitenden in der fraglichen Zeitspanne tatsächlich in den Genuss des ihnen zustehenden Nettolohnes gelangt sind oder ob die geleisteten Geldsummen als Darlehen zu qualifizieren sind.
 
2.3
 
2.3.1 Die Beschwerdeführerin vertritt die Auffassung, aus den Akten gehe klar hervor, dass eine Lohnbevorschussung zur Sicherung des Lebensunterhaltes beabsichtigt gewesen sei. Weiter wird ausgeführt, die Darlehensverträge seien simuliert, eine objektive Auslegung könne nichts anderes als eine Lohnbevorschussung, allenfalls eine Tilgung der Lohnforderung, abgegolten mit Waren und/oder Forderungen, ergeben.
 
2.3.2 Die Beschwerdegegnerin gibt demgegenüber an, durch die Zahlungen seien keine Lohnforderungen gegenüber der konkursiten Arbeitgeberin getilgt worden. Sie habe die Geldleistungen als sofortige provisorische Überbrückungshilfe angenommen und habe einen Teil der Summe bereits zurückbezahlt. Eine Abgeltung der getilgten Schuld in Form von Material oder Debitorenzessionen sei unbelegt.
 
2.3.3 Dem in ARV 1995 Nr. 22 S. 127 publizierten Urteil lag der Sachverhalt zu Grunde, dass die später in Konkurs geratene Arbeitgeberfirma und ihre Hausbank eine Vereinbarung trafen, wonach sich die Bank bereit erklärte, die jeweils fälligen Löhne der Firma an ihre Angestellten "netto zu bevorschussen". Wie in der Vereinbarung ebenfalls vorgesehen, liess sich die Bank von den Angestellten der Firma einerseits die Lohnzahlung quittieren und anderseits die im entsprechenden Monat gegenüber der Firma entstandene Lohnforderung im ausbezahlten Betrag "mit allen Nebenrechten einschliesslich Konkursprivileg" abtreten. Angesichts dieser Gegebenheiten gelangte das Eidgenössische Versicherungsgericht in jenem Urteil zum Schluss, dass die Arbeitnehmer in der fraglichen Zeit auf Grund der Vereinbarung zwischen ihrer Arbeitgeberin und deren Hausbank im Verlaufe des jeweiligen Monats tatsächlich in den Genuss des ihnen zustehenden Nettolohnes gekommen seien. Damit habe es in jedem Zeitpunkt des Geschehensablaufs an der von Art. 51 Abs. 1 lit. a AVIG geforderten Grundvoraussetzung von offenen Lohnforderungen im Zeitpunkt der Konkurseröffnung gefehlt. Insbesondere hätten ihnen keine ungedeckten Lohnforderungen zugestanden, welche nach Massgabe von Art. 52 Abs. 1 AVIG der Deckung durch Insolvenzentschädigung zugänglich gewesen wären. Dieser Umstand sei nicht auf die vereinbarte Zession zurückzuführen, sondern auf die Tatsache, dass die Arbeitnehmer bereits im Verlaufe des jeweiligen Monats in ihren Lohnansprüchen befriedigt worden seien (ARV 1995 Nr. 22 S. 133 Erw. 4b; vgl. auch ARV 2000 Nr. 35 S. 186).
 
2.3.4 Eine vergleichbare Vereinbarung zwischen der lohnzahlenden Z.________ GmbH und der X.________ AG liegt auch hier vor. Gemäss Aussage des durch das kantonale Gericht am 2. Dezember 2004 als Zeugen einvernommenen S.________, ehemaliger Verwaltungsrat und Geschäftsführer der X.________ AG, seien trotz einer nach ein bis zwei Tagen wieder zurückgenommenen, vertraglich am 19./20. Mai 2003 fixierten Übernahmeabsicht durch die Z.________ GmbH, am 27. Mai 2003 die ersten Löhne ausbezahlt worden. Der Zeuge T.________, Gesellschafter der Z.________ GmbH und Hauptaktionär der am 17. Juli 2003 neu gegründeten Y.________ AG, gab seinerseits zu Protokoll, bei der ersten Zahlung an die Mitarbeitenden sei man sich bereits sicher gewesen, dass man die Firma nicht übernehmen wolle. Die Darlehensverträge seien aber nicht unmittelbar am Tag der Lohnbevorschussung mit den Arbeitnehmenden abgeschlossen, sondern im Rahmen der Neugründung empfohlen worden. S.________ erklärte weiter, er sei der Auffassung gewesen, dass mit den an die Z.________ GmbH zedierten Aufträgen die Löhne der Mitarbeitenden abgegolten gewesen wären. T.________ führte ebenso aus, es sei gesagt worden, die Z.________ GmbH erhalte einen Teil der Waren, wobei die Lieferung nicht an die Lohnsumme herangekommen sei. Die Debitoren seien nicht "eins zu eins" geflossen. Die bevorschussten Löhne und die Waren könne man aber teilweise einander gegenüber halten.
 
Auf Grund dieser Aussagen ist überwiegend wahrscheinlich, dass eine Vereinbarung "Lohnzahlung gegen Warenlieferung" im Sinne einer internen Schuldübernahme seitens der Z.________ GmbH gegenüber der X.________ AG nach Art. 175 Abs. 1 OR vorlag und die Zahlungen der Z.________ GmbH auf die Befreiung der Arbeitgeberin als Schuldnerin der Lohnforderungen zielten, zumal die Darlehensverträge erst im Zuge der Neugründung der Y.________ AG durch die nunmehr anwaltlich vertretende Z.________ GmbH aufgesetzt wurden. Im Gegensatz zum in den Urteilen F. vom 16. Dezember 2004, C 95/04 (vgl. ZBJV 141/2005 S. 341) und B. vom 17. Dezember 2004, C 98/04, zu beurteilenden Sachverhalt, wo gerade keine entsprechende Vereinbarung zwischen dem geldgebenden Dritten - einer Gewerkschaft, welche einzig für die Dauer des Lohnausstandes ihren Mitgliedern finanziell helfen wollte - und der in Konkurs geratenen Arbeitgeberin vorlag, ist im hier zu beurteilenden Geschehen nicht mehr bloss eine finanzielle Überbrückungsleistung zu Gunsten der Arbeitnehmenden zu erblicken. Vielmehr liegt eine von dritter Seite erfolgte Befriedigung der Lohnforderungen noch vor dem Zeitpunkt der Konkurseröffnung vor. Der Umstand, dass - aus welchen Gründen auch immer - gemäss Zeugenaussage der Wert der gelieferten Ware nicht der geleisteten Lohnsumme entsprach, stellt höchstens eine nicht gehörige Vertragserfüllung dar und ändert nichts am übereinstimmenden (subjektiven) Willen der Parteien, die durch die Z.________ GmbH bezahlten Löhne durch entsprechenden Warenwert der X.________ AG abzugelten. Ob die Versicherte der Z.________ GmbH einen Teil der erhaltenen Leistung zurückbezahlt hat, wie sie letztinstanzlich - entgegen ihrer Zeugenaussage vor kantonalem Gericht - geltend macht, oder nicht, ändert am Ergebnis nichts.
 
3.
 
Sollte die Beschwerdegegnerin - wider Erwarten - durch Gerichtsurteil gestützt auf die angeblichen Darlehensverträge zu Zahlungen an die Z.________ GmbH verpflichtet werden, stünde ihr der Weg der Revision nach den Art. 135 in Verbindung mit Art. 136 f. OG offen.
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 2. Dezember 2004 aufgehoben.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau, dem Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Aargau (AWA) und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt.
 
Luzern, 28. Juli 2005
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der IV. Kammer: Die Gerichtsschreiberin:
 
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