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Informationen zum Dokument  BGer I 426/2005  Materielle Begründung
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BGer I 426/2005 vom 08.08.2005
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
I 426/05
 
Urteil vom 8. August 2005
 
III. Kammer
 
Besetzung
 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger und Kernen; Gerichtsschreiber Hadorn
 
Parteien
 
S.________, 1957, Beschwerdeführer, vertreten durch die Winterthur-ARAG Rechtsschutz, Gartenhofstrasse 17, 8004 Zürich,
 
gegen
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, Beschwerdegegnerin
 
Vorinstanz
 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
 
(Entscheid vom 9. Mai 2005)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Mit Verfügungen vom 20. April 2000 sprach die IV-Stelle des Kantons Zürich S.________ (geb. 1957) ab 1. August 1997 auf Grund eines Invaliditätsgrades von 48 % und eines Härtefalls eine halbe IV-Rente zu. Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit unangefochten gebliebenem Entscheid vom 11. Januar 2002 ab, soweit es darauf eintrat. Das Gericht erwog, dass der Invaliditätsgrad 52 % betrage, was sich angesichts der ohnehin wegen des Härtefalls ausgerichteten halben Rente nicht auf die dem Versicherten zustehenden Leistungen auswirke.
 
B.
 
Mit Verfügung vom 6. Oktober 2004 lehnte die IV-Stelle ein Gesuch von S.________ um Erhöhung der Rente ab. Zudem ersetzte sie mit Verfügung vom 28. Oktober 2004 die bisherige Härtefall-Rente durch eine Viertelsrente und entzog einer dagegen gerichteten Einsprache die aufschiebende Wirkung. Gegen beide Verfügungen erhob S.________ in einer Eingabe vom 8. November 2004 Einsprache. Dabei verlangte er neben der materiellen Prüfung beider Verfügungen die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung und die vorläufige Weiterauszahlung der halben Härtefall-Rente. Die IV-Stelle eröffnete hierauf zwei getrennte Einspracheverfahren. Mit Entscheid vom 2. Dezember 2004 lehnte sie zunächst die Einsprache ab, soweit sie gegen die Verfügung vom 28. Oktober 2004 (Verneinung des Härtefalls) gerichtet war.
 
C.
 
Mittels Beschwerde verlangte S.________, die halbe Härtefall-Rente sei mindestens bis zur Klärung des hypothetischen Invalideneinkommens weiterhin auszurichten und in diesem Sinne die aufschiebende Wirkung zu erteilen. Eventualiter sei das Verfahren bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen Entscheides betreffend den Invaliditätsgrad zu sistieren. Mit Entscheid vom 9. Mai 2005 wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich diese Beschwerde ab.
 
D.
 
S.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und erneut beantragen, es sei ihm weiterhin eine halbe Härtefall-Rente auszurichten. Eventuell sei das Verfahren bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen Einspracheentscheides der IV-Stelle im Verfahren betreffend den Invaliditätsgrad zu sistieren.
 
Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf eine Vernehmlassung.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
1.1 In der Einsprache gegen die Verfügung vom 28. Oktober 2004 und der anschliessenden Beschwerde gegen den Einspracheentscheid vom 2. Dezember 2004 verlangte der Versicherte die Weiterausrichtung der halben Härtefall-Rente bis zum Vorliegen eines Entscheides im zweiten Verfahren betreffend den Invaliditätsgrad. Er begründete seine Eingaben mit einem angeblich höher gewordenen Invaliditätsgrad. Dieser verunmögliche ihm, das von der Verwaltung bei der Härtefallberechnung aufgerechnete hypothetische Invalideneinkommen zu erzielen. Auch in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt der Versicherte die Weiterauszahlung der Härtefall-Rente im Sinne einer Gewährung der aufschiebenden Wirkung bis zum Zeitpunkt, da der Invaliditätsgrad definitiv feststehe.
 
1.2 Nach Art. 11 Abs. 1 lit. b ATSV hat die Einsprache aufschiebende Wirkung, ausser u.a. wenn der Versicherer diese in seiner Verfügung entzogen hat. Nach Abs. 2 der selben Vorschrift kann der Versicherer auf Antrag oder von sich aus die aufschiebende Wirkung entziehen oder die mit der Verfügung entzogene aufschiebende Wirkung wieder herzustellen. Über diesen Antrag ist unverzüglich zu entscheiden.
 
Nach Art. 55 Abs. 2 VwVG (anwendbar nach Art. 61 ATSG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 3 VwVG sowie Art. 66 IVG, Urteil P. vom 24. Februar 2004, I 46/04) entscheidet auch die Beschwerdeinstanz ohne Verzug über das Begehren um aufschiebende Wirkung.
 
1.3 In der Verfügung vom 28. Oktober 2004 hat die IV-Stelle einer allfälligen Einsprache die aufschiebende Wirkung entzogen. In seiner Einsprache vom 8. November 2004 beantragte der damalige Rechtsvertreter des Versicherten, diese wieder herzustellen. Hierauf erliess die IV-Stelle den Einspracheentscheid vom 2. Dezember 2004, mit welchem sie die Einsprache materiell abwies, ohne sich zur aufschiebenden Wirkung zu äussern. Einer allfälligen Beschwerde gegen diesen Entscheid entzog die IV-Stelle wiederum die aufschiebende Wirkung.
 
1.4 Daraufhin liess der Versicherte am 14. Januar 2005 bei der Vorinstanz Beschwerde einreichen und erneut die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung beantragen. In der Folge hat das kantonale Gericht den Fall materiell beurteilt. Im Entscheid vom 9. Mai 2005 geht es detailliert auf die medizinischen Unterlagen ein. Selbst wenn der Invaliditätsgrad hier nur vorfrageweise zu untersuchen sei, kam die Vorinstanz zum Schluss, dass sich der Gesundheitszustand nicht verschlechtert habe. Hierauf überprüfte die Vorinstanz die Berechnungsgrundlagen für den Härtefall und wies die Beschwerde ab, da dem Versicherten auf Grund der medizinischen Akten ein hypothetisches Invalideneinkommen in einer Höhe angerechnet werden müsse, welche einen Härtefall ausschliesse. Zur aufschiebenden Wirkung finden sich in den Erwägungen der Vorinstanz keine Ausführungen.
 
1.5 Das kantonale Gericht hat somit gleich wie die IV-Stelle nicht einen raschen Zwischenentscheid zur Frage erlassen, ob die halbe Härtefall-Rente bis zum Vorliegen eines definitiven Entscheides über den Invaliditätsgrad weiter ausgerichtet werden könne, sondern gleich materiell geurteilt. Der Versicherte kritisiert dieses Vorgehen. Erst wenn der Invaliditätsgrad endgültig feststehe, lasse sich das ihm anzurechnende hypothetische Invalideneinkommen einwandfrei ermitteln. Der kantonale Entscheid vom 9. Mai 2005 legt - wenn auch nur vorfrageweise - in der Tat einen Invaliditätsgrad fest, obwohl der Einspracheentscheid der IV-Stelle über den Invaliditätsgrad (Einsprache gegen die Verfügung vom 6. Oktober 2004) erst am 29. Juni 2005 erging, die diesbezügliche Sache also noch vor der Verwaltung hängig war. Da der Beschwerdeführer in jenem Prozess neue medizinische Akten eingereicht hat, stand dessen Ergebnis nicht von vornherein fest. Hinzu kommt, dass die IV-Stelle auch im zweiten Verfahren keinerlei Ausführungen zur aufschiebenden Wirkung machte, sondern die gegen die Verfügung vom 6. Oktober gerichtete Einsprache erst nach mehr als einem halben Jahr materiell abwies. Es fragt sich daher, ob Verwaltung und Vorinstanz nicht bereits in einem viel früheren Stadium einen Zwischenentscheid zur aufschiebenden Wirkung hätten erlassen müssen, um hernach - mit oder ohne Weiterausrichtung der halben Härtefall-Rente - materiell zu urteilen. Indessen braucht dem nicht näher nachgegangen zu werden, wie sich aus dem Folgenden ergibt.
 
2.
 
Der Beschwerdeführer beantragt erneut die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung und damit verbunden die Weiterauszahlung der halben Härtefall-Rente, bis in Bezug auf den Invaliditätsgrad ein definitiver Entscheid gefällt sein werde.
 
2.1 Gemäss Art. 111 OG (in Verbindung mit Art. 132 OG) hat die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die Verfügung, die zu einer Geldleistung verpflichtet, aufschiebende Wirkung (Abs. 1). Die Beschwerde gegen eine andere Verfügung hat nur aufschiebende Wirkung, wenn der Präsident sie von Amtes wegen oder auf Begehren einer Partei verfügt; vorbehalten bleiben abweichende Bestimmungen des Bundesrechts (Abs. 2).
 
2.2 Nach der Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts zu Art. 55 VwVG, welche grundsätzlich auch im Rahmen des Art. 111 OG anwendbar ist, beurteilt sich die Frage, ob der Suspensiveffekt zu erteilen ist, gestützt auf eine Interessenabwägung. Es ist zu prüfen, ob die Gründe, welche für die sofortige Vollstreckbarkeit der Verfügung sprechen, gewichtiger sind als jene, die für die gegenteilige Lösung angeführt werden können. Dabei können auch die Aussichten auf den Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache ins Gewicht fallen; diese müssen allerdings eindeutig sein (vgl. BGE 124 V 88 f. Erw. 6a, 117 V 191 Erw. 2b,; SVR 2001 KV Nr. 12 S. 31). Diese Interessenabwägung kommt gleichermassen zum Zuge, unabhängig davon, ob eine positive Verfügung vorliegt oder eine negative, die der aufschiebenden Wirkung nicht zugänglich ist und bei der nur vorsorgliche Massnahmen im Sinne von Art. 56 VwVG in Frage kommen. Daher kann offen blieben, ob die Verfügung vom 28. Oktober 2004 eine positive oder eine negative Verfügung darstellt (zum ganzen: BGE 126 V 408 ff. Erw. 3).
 
2.3 Vorliegend besteht das Interesse des Versicherten darin, vorderhand weiterhin eine halbe Härtefall-Rente beziehen zu können, um nicht in einen finanziellen Engpass zu geraten und allenfalls die Sozialhilfe in Anspruch nehmen zu müssen. Diesem Interesse steht dasjenige der Verwaltung gegenüber, keine Leistungen zu erbringen, die sie gegebenenfalls später zurückfordern müsste, und die eventuell uneinbringlich sein werden. Im Weiteren steht angesichts der medizinischen Aktenlage keineswegs fest, dass der Invaliditätsgrad höher ist als von der Verwaltung angenommen. Damit sind die Prozessaussichten des Versicherten im zweiten Verfahren nicht eindeutig. Unter solchen Umständen hat die Rechtsprechung das Interesse der Verwaltung an der Vermeidung administrativer Umtriebe oft höher gewichtet als dasjenige des Versicherten, nicht in eine Notlage zu geraten (BGE 105 V 269 Erw. 3; AHI 2000 S. 185 Erw. 5; RKUV 2004 Nr. U 521 S. 50 Erw. 4.1, je mit Hinweisen). Dies trifft auch vorliegend zu. Die aufschiebende Wirkung hätte daher so oder anders in keinem Verfahrensstadium gewährt werden können. Was der Beschwerdeführer hiegegen vorbringt, ändert daran nichts. Der von der Vorinstanz im Entscheid vom 11. Januar 2002 festgestellte Invaliditätsgrad von 52 % vermag keine Bindungswirkung auf das jetzt laufende Revisionsverfahren zu entfalten, beschränkte sich doch die zeitliche Prüfungsbefugnis des kantonalen Gerichts auf das Datum der damals angefochtenen Verfügung, d.h. nur bis 20. April 2000 (BGE 121 V 366 Erw. 1b).
 
2.4 Die Berechnungsgrundlagen zur Ermittlung des Härtefalls sind im kantonalen Entscheid umfassend dargelegt, worauf verwiesen wird. Sie wurden, abgesehen vom anzurechnenden hypothetischen Invalideneinkommen, nie bestritten, und es sind keine Anhaltspunkte für eine Unkorrektheit ersichtlich. Unter dem Vorbehalt des Invaliditätsgrades, der nach dem gegenwärtigen Stand der Akten im zweiten Verfahren noch nicht endgültig feststeht, ist die Aufhebung der Härtefall-Rente somit nicht zu beanstanden. Sollten sich der Invaliditätsgrad und das dem Versicherten anrechenbare Invalideneinkommen ändern, wird der Härtefall von Amtes wegen neu zu prüfen sein. Insofern ist auch die eventualiter verlangte Sistierung des vorliegenden Prozesses nicht nötig, zumal sich mit der Sistierung allein keine vorläufige Weiterausrichtung der Härtefall-Rente erzielen lässt.
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird im Sinne der Erwägungen abgewiesen.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, der Ausgleichskasse des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
 
Luzern, 8. August 2005
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Die Präsidentin der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
 
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