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Informationen zum Dokument  BGer U 158/2005  Materielle Begründung
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BGer U 158/2005 vom 08.08.2005
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
U 158/05
 
Urteil vom 8. August 2005
 
IV. Kammer
 
Besetzung
 
Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiberin Helfenstein Franke
 
Parteien
 
S.________, 1954, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Konrad Bünzli, Bahnhofstrasse 15, 5600 Lenzburg,
 
gegen
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdegegnerin
 
Vorinstanz
 
Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau
 
(Entscheid vom 2. März 2005)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
Die 1954 geborene S.________ war als Bezügerin von Arbeitslosenentschädigung bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen die Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen versichert, als sie am 26. September 2000 bei einer Kollision ihres Personenwagens mit einem Linienbus kollidierte (Unfallmeldung UVG vom 4. Januar 2001). Die erstbehandelnden Ärzte Dres. med. N.________ und P.________ diagnostizierten am 4. Oktober 2000 eine Distorsion der Halswirbelsäule (HWS) nach rechtsseitiger Kollision (Arztzeugnis UVG vom 11. Oktober 2000). Die SUVA erbrachte die gesetzlichen Versicherungsleistungen (Heilbehandlung, Taggeld). Mit Verfügung vom 8. September 2003 stellte die SUVA zum 15. September 2003 ihre Leistungen mangels adäquatem Kausalzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Beschwerden ein und hielt daran mit Einspracheentscheid vom 28. Januar 2004 fest.
 
B.
 
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 2. März 2005 ab.
 
C.
 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt S.________ beantragen, unter Aufhebung des kantonalen und Einspracheentscheides sei die SUVA zu verpflichten, ihr die gesetzlichen Leistungen auch über den 15. September 2003 hinaus zu bezahlen; eventualiter sei die Sache zur Vornahme der erforderlichen Abklärungen an die Vorinstanz oder die SUVA zurückzuweisen.
 
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung verzichtet.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
1.1 Das kantonale Gericht hat die gesetzliche Bestimmung über den Anspruch auf Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung für versicherte Unfälle (Art. 6 Abs. 1 UVG) sowie die Rechtsprechung zu dem für die Leistungspflicht des Unfallversicherers vorausgesetzten natürlichen (BGE 129 V 181 Erw. 3.1, 406 Erw. 4.3.1, 119 V 337 Erw. 1) und adäquaten Kausalzusammenhang (BGE 127 V 102, 125 V 461 Erw. 5a mit Hinweisen), insbesondere auch bei Schleudertraumen der HWS, Schädel-Hirntraumen und äquivalenten Verletzungen (BGE 119 V 337 Erw. 1 und 117 V 360) sowie bei psychischen Fehlentwicklungen nach Unfällen (BGE 115 V 133; vgl. auch BGE 123 V 99 Erw. 2a mit Hinweisen) zutreffend wiedergegeben. Darauf wird verwiesen.
 
1.2 Das Eidgenössische Versicherungsgericht erwog in BGE 130 V 329, dass Art. 82 Abs. 1 ATSG nur eine beschränkte Tragweite zukommt, indem diese Bestimmung - vorbehältlich Anpassungen rechtskräftig verfügter Leistungskürzungen auf Grund von Art. 21 Abs. 1 und 2 ATSG - lediglich diejenigen Fälle von der Anwendbarkeit des ATSG ausnehmen will, in denen vor dem 1. Januar 2003 rechtskräftig verfügt worden ist. Erging der Einspracheentscheid zwar nach In-Kraft-Treten des ATSG, sind jedoch auch vor dem 1. Januar 2003 eingetretene Sachverhalte zu beurteilen, ist der Beurteilung der im Streite liegenden Rechtsverhältnisse bis 31. Dezember 2002 das alte Recht, ab 1. Januar 2003 das ATSG in Verbindung mit den revidierten Einzelgesetzen zu Grunde zu legen.
 
Mit BGE 130 V 343 hat das Eidgenössische Versicherungsgericht entschieden, dass es sich bei den in Art. 6-8 ATSG enthaltenen Legaldefinitionen in aller Regel um eine formellgesetzliche Fassung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu den entsprechenden Begriffen vor In-Kraft-Treten des ATSG handelt und sich inhaltlich damit keine Änderung ergibt, weshalb die zum bis 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Recht entwickelte Praxis übernommen und weitergeführt werden kann. Dasselbe gilt für den Unfallbegriff des Art. 4 ATSG (RKUV 2004 Nr. U 529 S. 572).
 
2.
 
Streitig ist, ob die im Zeitpunkt der Leistungseinstellung durch die SUVA (15. September 2003) noch geklagten Beschwerden als Folgen des Unfalles vom 26. September 2000 zu betrachten sind.
 
Das kantonale Gericht hat in einlässlicher und sorgfältiger Würdigung der Aktenlage zutreffend erkannt, dass die Frage des adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen den persistierenden Beschwerden und dem Unfall vom 26. September 2000 nach der Praxis für Schleudertrauma-Verletzungen (BGE 117 V 359) zu beurteilen ist und diese angesichts des leichten Unfallereignisses ohne weiteres zu verneinen ist. Im Sinne einer Eventualbegründung hat die Vorinstanz die Adäquanz auch unter der Annahme verneint, es liege eine Situation im Sinne von RKUV 2003 Nr. U 489 S. 357 vor, bei welcher ausnahmsweise auch bei einem als leicht zu qualifizierenden Unfall die Adäquanz nach den Kriterien für Unfälle im mittleren Bereich zu prüfen sei, da diesfalls die für die Bejahung derselben erforderlichen Kriterien - abgesehen von der ungewöhnlich langen Dauer der ärztlichen Behandlung - nicht erfüllt wären.
 
3.
 
3.1 Zunächst gilt hinsichtlich des Zeitpunktes der Adäquanzprüfung, dass sich bei Schleudertraumen oder schleudertraumaähnlichen Verletzungen der HWS und Schädel-Hirntraumen die dafür massgebenden Kriterien grundsätzlich nach Abschluss des normalen, unfallbedingt erforderlichen Heilungsprozesses beurteilen lassen (Urteile C. vom 15. März 2005, U 380/04, und P. vom 15. Oktober 2003, U 154/03, Erw. 3.2 mit Hinweisen). Dieser Zeitpunkt war vorliegend, auch in Anbetracht des Umstands, dass von einem eher leichten HWS-Distorsionstrauma auszugehen ist (vgl. Erw. 3.2 nachstehend), im Zeitpunkt der Leistungseinstellung zum 15. September 2003 jedenfalls erreicht. Der Standpunkt in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, das medizinische Behandlungspotenzial sei noch nicht ausgeschöpft, sondern es sei von den vorgeschlagenen Massnahmen - unter anderem einer Akupunktur-Behandlung - eine Besserung des Gesundheitszustandes zu erwarten, verkennt, dass die Unfallpflege an eine namhafte Verbesserung gebunden ist (vgl. Art. 19 Abs. 1 UVG), welche hier prognostisch nicht angenommen werden kann.
 
Wie die Vorinstanz mit Blick auf die zahlreichen, während über drei Jahren versuchten Therapien, die aber alle keine nachhaltige Besserung brachten, im Ergebnis zutreffend erwog, ist auf Grund der verschiedenen ärztlichen Berichte der Heilungsprozess als abgeschlossen zu betrachten und eine wesentliche Veränderung des Zustandes auch mit der in Frage stehenden Akupunkturbehandlung nicht mehr zu erwarten. Insbesondere ist richtig, dass die Hoffnung auf eine positive Beeinflussung der Beschwerden, hier der Schmerzproblematik, nicht genügt. Mangels eines durchschlagenden Erfolges der in den letzten Jahren betriebenen Behandlungen ist bei den Beschwerden der hier vorliegenden Art nach unfallmedizinischer Erfahrung nicht anzunehmen, dass sich hieran durch weitere Therapien noch etwas ändern würde.
 
3.2 Mit der Vorinstanz ist nach der gesamten Aktenlage und im Lichte der Rechtsprechung (vgl. für leichte Unfälle RKUV 1995 Nr. U 221 S. 115; für Unfälle im mittleren Bereich beispielsweilse Urteil R. vom 27. April 2001, U 326/00; Sachverhalt und Kasuistik in der nicht publizierten Erw. 3.3.2 des Urteils BGE 129 V 323) von einem leichten Unfall auszugehen. Beim Ereignis handelte es sich um einen leichten Zusammenstoss, woran nichts ändert, dass dieser zwischen einem Personenwagen und einem Linienbus, also einem, wie die Beschwerdeführerin argumentiert, nicht gleichwertigen Fahrzeug stattfand, waren doch die aktenmässig ausgewiesenen Beschädigungen an ihrem Fahrzeug äusserst gering (vgl. demgegenüber die Annahme eines mittelschweren Auffahrunfalles im Urteil S. vom 30. November 2004, U 207/04, bei welchem es zu einer Deformierung der Karrosserie und einem Entzweibrechen des Führersitzes kam). Zudem ist - anders als im von der Versicherten angeführten Urteil M. vom 8. November 2004, U 314/03, in welchem die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung Delta-V nicht eindeutig unter 10 km/h lag, aktenmässig eine Geschwindigkeitsänderung von lediglich 0.5-2.5 km/h ausgewiesen (vgl. dazu Urteile B. vom 7. August 2001, U 33/01, Erw. 3a: leichter Unfall auf Grund einer kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung von lediglich 5-9 km/h; R. vom 10. November 2004, U 174/03: kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung von 4 bis max. 7 km/h, in welchem Präjudiz das Ereignis als sogar nicht leichter, sondern banaler Unfall qualifiziert wurde).
 
3.3
 
3.3.1 Was sodann die Prüfung der einzelnen Adäquanzkriterien im Rahmen des Eventualstandpunktes der Vorinstanz betrifft, besteht Einigkeit darüber, dass besonders dramatische Begleitumstände oder eine besondere Eindrücklichkeit des Unfalles ausgeschlossen werden können, die ungewöhnlich lange Dauer der ärztlichen Behandlung hingegen als erfüllt zu betrachten ist, dies allerdings - wie von der Vorinstanz zutreffend erwogen - nicht in ausgeprägter Weise. Schliesslich kann auch von einer ärztlichen Fehlbehandlung nicht die Rede sein.
 
3.3.2 Den Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist hinsichtlich der weiteren Adäquanzkriterien zunächst entgegenzuhalten, dass nicht ersichtlich ist, weshalb nur deshalb von einer besonderen Art der Verletzung ausgegangen werden soll, weil die Beschwerdeführerin knapp einen Monat vor dem fraglichen Unfall bereits einen ersten Auffahrunfall erlitten hatte, der allerdings, wie sie selbst einräumt, keine "besonderen Wirkungen nach aussen" zeitigte und keinen Arztbesuch notwendig machte.
 
Sodann hat die Vorinstanz zutreffend erwogen, dass mit Blick auf das "dauernde Auf und Ab" der Beschwerden nicht von Dauerbeschwerden ausgegangen werden kann und die Versicherte unbestrittenermassen beschwerdefreie Intervalle hatte oder doch Zeiten, in welchen sie kaum unter Beschwerden litt. Das ergibt sich etwa aus ihren Aussagen gegenüber der SUVA vom 11. September 2001, wo sie - mit wieder erlangter Arbeitsfähigkeit von 100 % seit 30. Juli 2001 - selbst das Autofahren als ihr grösstes Handicap in ihrem Beruf erachtete, da sie dann noch Verspannungen im Nacken verspüre. Mit dem Verweis auf das Urteil B. vom 25. Februar 2005, U 144/03, wo die im Zeitpunkt des Verfügungserlasses zu beurteilende Dauer der Beschwerden bereits sechs Jahre betrug, dringt die Beschwerdeführerin nicht durch.
 
Wie das kantonale Gericht ebenfalls zutreffend dargelegt hat, sprengt der Heilungsverlauf bei der Versicherten den Durchschnittsfall nicht. Allein mit Blick auf die ins Feld geführte Einnahme vieler Medikamente und die Durchführung verschiedener Therapien kann nicht von einem schwierigen Heilungsverlauf und erheblichen Komplikationen gesprochen werden. Soweit sich die Beschwerdeführerin auf das Urteil H. vom 28. Mai 2003, U 12/03, beruft, ist festzuhalten, dass ein schwieriger Heilungsverlauf nicht mit dem Vorliegen von Dauerbeschwerden gleichgesetzt werden kann. Ein solcher ergibt sich insbesondere auch nicht bereits daraus, dass sich Phasen der Arbeitsfähigkeit und der -unfähigkeit abwechseln.
 
Was schliesslich Grad und Dauer der Arbeitsunfähigkeit betrifft, ist mit der Vorinstanz davon auszugehen, dass dieses Kriterium auf Grund der immer wieder bestehenden Phasen der Arbeitsfähigkeit der Versicherten, wenn überhaupt als erfüllt, so sicher nicht als ausgeprägt zu betrachten ist.
 
3.3.3 Zusammengefasst ergibt sich damit, dass höchstens zwei der sieben möglichen Kriterien gegeben wären, sodass auch im Rahmen des Eventualstandpunktes die Adäquanz des Kausalzusammenhangs verneint werden muss. Unter diesen Umständen besteht auch kein Anlass zu weiteren Abklärungen.
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.
 
Luzern, 8. August 2005
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Der Präsident der IV. Kammer: Die Gerichtsschreiberin:
 
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