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Informationen zum Dokument  BGer C 121/2005  Materielle Begründung
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BGer C 121/2005 vom 11.08.2005
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
 
Tribunale federale delle assicurazioni
 
Tribunal federal d'assicuranzas
 
Sozialversicherungsabteilung
 
des Bundesgerichts
 
Prozess
 
{T 7}
 
C 121/05
 
Urteil vom 11. August 2005
 
III. Kammer
 
Besetzung
 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger und Seiler; Gerichtsschreiber Jancar
 
Parteien
 
Staatssekretariat für Wirtschaft, Direktion, Arbeitsmarkt/Arbeitslosenversicherung, TCRV, Effingerstrasse 31, 3003 Bern, Beschwerdeführer,
 
gegen
 
T.________, Beschwerdegegner
 
Vorinstanz
 
Kantonsgericht Basel-Landschaft, Liestal
 
(Entscheid vom 9. Februar 2005)
 
Sachverhalt:
 
A.
 
T.________ ist Inhaber der Einzelfirma X.________ in Y.________. Am 23. Juni 2004 reichte er beim Kantonalen Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit Baselland (nachfolgend KIGA) eine Voranmeldung von Kurzarbeit für vier Angestellte bei einem voraussichtlichen prozentualen Arbeitsausfall von 50 % in der Zeit vom 5. Juli bis 31. Oktober 2004 ein. Zur Begründung führte er aus, wegen einer Grossbaustelle vor seinem Geschäft habe er Einbussen von 30 % bis 40 %. Mit Verfügung vom 9. Juli 2004 erhob das KIGA Einspruch gegen die Auszahlung von Kurzarbeitsentschädigung. Die dagegen erhobene Einsprache wies es mit Entscheid vom 23. August 2004 ab, da der Arbeitsausfall nicht anrechenbar sei. Weiter habe T.________ keine Massnahmen zur Schadenminderung nachgewiesen.
 
B.
 
In Gutheissung der hiegegen eingereichten Beschwerde hob das Kantonsgericht Basel-Landschaft den Einspracheentscheid auf. Den Erwägungen ist zu entnehmen, dass die Anrechenbarkeit des Arbeitsausfalls bejaht wurde. Eine Verletzung der Schadenminderungspflicht sei nicht rechtsgenüglich erstellt. Das KIGA wurde angewiesen, die übrigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung zu prüfen (Entscheid vom 9. Februar 2005).
 
C.
 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) die Aufhebung des kantonalen Entscheides.
 
Das KIGA schliesst auf Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während T.________ auf eine Vernehmlassung verzichtet.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
 
1.
 
1.1 Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze über den Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung (Art. 31 Abs. 1 AVIG), den anrechenbaren Arbeitsausfall (Art. 31 Abs. 1 lit. b und d, Art. 32 Abs. 1 lit. a, Abs. 2 und Abs. 3 AVIG; Art. 51 Abs. 1 und Abs. 2 lit. c AVIV; BGE 128 V 305; ARV 1995 Nr. 19 S. 112), die Voraussetzungen, unter denen die Anrechenbarkeit eines Arbeitsausfalls zu verneinen ist (Art. 33 Abs. 1 lit. a und b AVIG; Art. 54a AVIV; BGE 121 V 374 Erw. 2a, 119 V 358 Erw. 1a, 499 Erw. 1, ARV 2002 Nr. 7 S. 60 Erw. 1, je mit Hinweisen; Urteil V. vom 7. August 2002 Erw. 2a, C 62/02), sowie das normale Betriebsrisiko (BGE 119 V 500 Erw. 1; ARV 1999 Nr. 35 S. 204) zutreffend dargelegt. Richtig sind ferner die Ausführungen über den Sinn und Zweck der Kurzarbeitsentschädigung (BGE 121 V 375 Erw. 3a; Botschaft des Bundesrates zu einem neuen Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung vom 2. Juli 1980 [BBl 1980 III 489 ff.] S. 531 f.; Nussbaumer, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], S. 148 f. Rz 386; vgl. auch Gerhards, Kommentar zum Arbeitslosenversicherungsgesetz, Bd. I, S. 384, Vorbemerkungen zu Art. 31-41 AVIG, N 22). Darauf wird verwiesen.
 
1.2 Zu ergänzen ist Folgendes: Die Einschränkung, dass regelmässig wiederkehrende Arbeitsausfälle nicht mit Kurzarbeitsentschädigung ausgeglichen werden können, gilt nach der Rechtsprechung sinngemäss auch dann, wenn die Anrechenbarkeit des Arbeitsausfalles an sich aufgrund eines unter Art. 32 Abs. 3 AVIG und Art. 51 AVIV fallenden Sachverhalts zu bejahen ist. Denn der eine wie der andere Fall steht unter dem Vorbehalt des normalen Betriebsrisikos oder der Branchen-, Berufs- oder Betriebsüblichkeit. Ist somit ein solcher Grund für die Verneinung der Anrechenbarkeit des Arbeitsausfalles gegeben, so ist es letztlich unerheblich, ob diesem ein Sachverhalt nach Art. 32 Abs. 1 lit. a AVIG oder nach Art. 32 Abs. 3 AVIG in Verbindung mit Art. 51 AVIV zugrunde liegt (BGE 121 V 374 Erw. 2c; ARV 2002 Nr. 7 S. 61 Erw. 1).
 
2.
 
Streitig und zu prüfen ist, ob der Beschwerdegegner wegen Strassen- und Geleisesanierungsarbeiten im Bereich seines Geschäfts für vier Angestellte in der Zeit vom 5. Juli bis 31. Oktober 2004 Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung hat.
 
2.1 Die Vorinstanz hat erwogen, es seien besondere Umstände ersichtlich, welche die Vermutung eines nur vorübergehenden Arbeitsausfalls im Sinne einer prospektiven Beurteilung bestätigten. Es handle sich um eine grosse, in dieser Art und Weise aussergewöhnliche Baustelle, die erhebliche Auswirkungen auf den Geschäftsverlauf des Beschwerdegegners haben könne. Zumindest sei es nicht ausgeschlossen, dass selbst im spezialisierten Detailhandel des Lebensmittelbereichs eine wesentlich erschwerte Zufahrt wegen umfassenden Strassen- und Geleisesanierungsarbeiten zu einem vorübergehenden Arbeitsausfall führen könne. Auch liege es durchaus im Bereich des Möglichen, dass der Arbeitsausfall weder als saisonal noch als betriebsbedingt verursacht bezeichnet und somit weitgehend auf wirtschaftliche Gründe zurückgeführt werden könne. Überdies sei die intensive Bauphase der Geleisesanierung in diejenige Zeit verlegt worden, in welcher der Beschwerdegegner Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung geltend gemacht habe. Der Arbeitsausfall erscheine somit durchaus nachvollziehbar. Ob er in dieser Höhe tatsächlich eingetreten sei, habe die Kasse zu prüfen.
 
2.2 Das seco macht geltend, es sei unbestritten, dass eine erschwerte Zufahrt Auswirkungen auf den Geschäftsverlauf eines Betriebes haben könne. Das Eidgenössische Versicherungsgericht habe in ARV 2002 Nr. 7 S. 59 jedoch entschieden, dass Sanierungsarbeiten bei Autobahnen und damit zusammenhängende Arbeitsausfälle aufgrund erschwerter oder unterbrochener Zufahrt voraussehbar seien und damit zum normalen Betriebsrisiko gehörten. Dies gelte auch für andere Strassen- wie Geleisesanierungen. Vorliegend habe die Bauherrschaft alle nur erdenklichen Massnahmen, inkl. Ersatzparkplätze und -zufahrtsmöglichkeiten aber auch Informationen in der ganzen Talschaft, ergriffen. Die Baustelle habe den Geschäftsverlauf des Beschwerdegegners bereits ein Jahr gestört, bevor er ein Gesuch um Kurzarbeitsentschädigung gestellt habe. Weiter sei zu beachten, dass er bisher nicht gewillt gewesen sei, relevante und aufschlussreiche Umsatzzahlen zu liefern. Denn allfällig betroffen von der Baustelle habe ohnehin nur die Verkaufslokalität sein können. Weiter sei nicht ersichtlich, ob Schadenersatzansprüche gegenüber der Bauherrschaft denkbar gewesen wären. Ob ein allfälliger Verzicht auf solche Ansprüche vorliege, könne jedoch offen bleiben, da ohnehin keine Kurzarbeitsentschädigung auszurichten sei. Denn Art. 51 AVIV bezwecke nur den Schutz von Betrieben wegen plötzlicher und unvorhersehbarer Ereignisse (z.B. sofortige Sperrung einer Strasse infolge drohenden Felssturzes nach einem Erdbeben). Hievon könne bei geplanten und lange im Voraus bekannten Sanierungsarbeiten - auch grösseren Ausmasses - nicht gesprochen werden. Schon gar nicht, falls die Zufahrt, wenn auch erschwert, jederzeit gewährleistet sei.
 
3.
 
3.1 Das Geschäft des Beschwerdegegners liegt an der durch das Dorf Y.________ führenden Hauptstrasse. Am 11. August 2003 begannen die Bauarbeiten zur Sanierung dieser Strasse und der darauf verlaufenden Schienen der Bahn Z.________. Die Arbeiten beinhalteten neben dem eigentlichen Strassen- und Geleisebau auch die Verlegung der Leitungen (Elektrisch, Telefon, Wasser, Kanalisation, Fernwärme und Fernsehen). Die Arbeiten wurden etappenweise in kurzen Abschnitten vorgenommen. Am 28. Juni 2004 wurden die Bauarbeiten im Bereich des Dorfes Y.________, wo der Betrieb des Beschwerdegegners liegt, in Angriff genommen. Ab 7. August 2004 konnten die Züge der Bahn Z.________ ihren Verkehr auf dem neuen Trassee wieder aufnehmen. Die Strassenarbeiten dauerten bis Ende 2004. Eine Sperrung der Hauptstrasse erfolgte während der Bauarbeiten nicht. Tagsüber wurde der motorisierte Verkehr durch einen Verkehrsdienst, in der Nacht durch eine Lichtsignalanlage geregelt. Die Ein- und Ausfahrten längs der Hauptstrasse wurden teilweise reduziert. Während der Geleisearbeiten verkehrten anstelle der Bahn Busse auf der Hauptstrasse, wobei Abfahrts- und Ankunftszeiten sowie die Haltestellen mehr oder weniger unverändert blieben. Aus den vom Beschwerdegegner aufgelegten Fotos geht hervor, dass die Bauarbeiten auf der Hauptstrasse in der Mitte der Fahrbahn erfolgten und auf beiden Seiten der Baustelle der Fussgänger- und Fahrzeugverkehr weiterhin funktionierten sowie Parkplatzmöglichkeiten bestanden. Dem Beschwerdegegner standen zudem gemäss seinen Angaben in der vorinstanzlichen Beschwerde und aufgrund der Fotos in unmittelbarer Nähe seines Geschäfts auf einem ihm gehörenden Grundstück mit dem Auto erreichbare Kundenparkplätze zur Verfügung, wofür er denn auch in der Bauzeitung inserierte. Weiter wurden ihm von den Behörden Parkplätze auf der anderen Seite der Hauptstrasse zugewiesen. Nach der Darstellung des KIGA war zudem in der ärgsten Bauphase unmittelbar vor der Liegeschaft des Beschwerdegegners die Erreichbarkeit des Betriebs durch eine Zufahrt sichergestellt.
 
3.2 Nach dem Gesagten war die Durchfahrt für den Motorfahrzeugverkehr auf der Hauptstrasse trotz der Bauarbeiten immer frei, allerdings mit Behinderungen. Die Zufahrt zum Geschäft des Beschwerdegegners war damit zwar erschwert, aber nicht unterbrochen. In der unmittelbaren Nähe standen weiterhin Park- und Halteplätze für Autos zur Verfügung. Für die Fussgänger war das Geschäft erreichbar. Der öffentliche Verkehr auf der Hauptstrasse funktionierte praktisch unverändert weiter, indem an Stelle der Bahn Busse eingesetzt wurden.
 
Strassenbauarbeiten mit solchen Auswirkungen auf den Verkehr können nicht als aussergewöhnlich bezeichnet werden, zumal die Phase der stärksten Behinderung nur relativ kurz dauerte. Solche Situationen treten regelmässig und wiederholt auf und können jeden Arbeitgeber treffen. Allfällige damit zusammenhängende Arbeitsausfälle infolge erschwerter Geschäftszufahrt sind voraussehbar bzw. kalkulierbar und gehören somit zum normalen Betriebsrisiko. Ein Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung besteht demnach nicht (Erw. 1.2 hievor; vgl. auch Nussbaumer, a.a.O., S. 153 Rz 396 f.). Ob dies auch zutrifft, wenn die Zufahrt zu einem Geschäft wegen im Voraus geplanter Bauarbeiten gänzlich unterbrochen wird, kann offen gelassen werden.
 
3.3 Der Beschwerdegegner machte vorinstanzlich geltend, mindestens zwei Detaillisten aus dem Dorf Y.________ seien just für diese Zeit in den Genuss von Kurzarbeitsentschädigung gekommen, was die Frage nach der Gleichbehandlung aufwerfe. Hieraus kann er aus folgenden Gründen nichts zu seinen Gunsten ableiten.
 
Nach der Rechtsprechung geht der Grundsatz der Gesetzmässigkeit eines Entscheides in der Regel der Rücksicht auf die gleichmässige Rechtsanwendung vor. Der Umstand, dass das Gesetz in anderen Fällen nicht oder nicht richtig angewendet worden ist, gibt dem Bürger grundsätzlich keinen Anspruch darauf, ebenfalls abweichend vom Gesetz behandelt zu werden. Das gilt jedoch nur, wenn lediglich in einem einzigen oder in einigen wenigen Fällen eine abweichende Behandlung dargetan ist. Eine Gleichbehandlung im Unrecht ist somit in Betracht zu ziehen, wenn die Behörde die Aufgabe der in anderen Fällen geübten gesetzwidrigen Praxis ablehnt; erst dann kann der Rechtsadressat verlangen, dass die gesetzwidrige Begünstigung, die Dritten zuteil wird, auch ihm gewährt werde, soweit dies nicht andere legitime Interessen verletzt (BGE 126 V 392 Erw. 6a mit Hinweisen; vgl. auch BGE 127 I 2 Erw. 3a, 127 II 121 Erw. 9b; Urteil F. vom 4. Dezember 2003 Erw. 4.3, C 8/03).
 
Das KIGA hat im vorinstanzlichen Verfahren ausgeführt, weshalb den zwei vom Beschwerdegegner ins Feld geführten Firmen, deren Anmeldung im Januar und April 2004 erfolgt sei, für 2 respektive 3 Monate Kurzarbeitsentschädigung gewährt worden sei, und weshalb sich jene beiden Fälle von dem vorliegenden unterschieden hätten. Der Beschwerdegegner hat nicht substanziiert dargelegt, inwieweit die relevanten Umstände jener Fälle mit den seinigen übereinstimmten und somit eine Ungleichbehandlung im Unrecht vorgelegen haben könnte. Selbst wenn dies zuträfe, ist weder dargetan noch aktenkundig, dass jene Fälle Teil einer eigentlichen gesetzwidrigen Praxis bilden könnten, zumal das KIGA angab, eine der Firmen habe ihr Begehren auf Weiterausrichtung der Kurzarbeitsentschädigung zurückgezogen, nachdem es die Sache vertieft überprüft habe.
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
 
1.
 
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 9. Februar 2005 aufgehoben.
 
2.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht, dem Kantonalen Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit Baselland und der Öffentlichen Arbeitslosenkasse Baselland zugestellt.
 
Luzern, 11. August 2005
 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
 
Die Präsidentin der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
 
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